News - Neue Gentechnik bei Raps und Leindotter: Risiken für Bestäuber
(Bild: Shutterstock)

Kurz vor Weihnachten hat die US-Umweltschutzbehörde EPA Calantha zugelassen - und damit weltweit erstmalig ein Pestizid, dessen Wirkstoff aus doppelsträngiger (ds) RNA besteht. Das von der Firma GreenLight Biosciences entwickelte Mittel dient der Bekämpfung des Kartoffelkäfers und beruht mit dsRNA nicht nur auf einem neuartigen Wirkstoff, sondern auch auf einem für Pestizide neuartigen Mechanismus namens RNA-Interferenz (RNAi).

Mit der – vorerst auf drei Jahre befristeten – Zulassung von Calantha dürfen US-Landwirte nun erstmals dsRNA auf die Felder sprühen. Für GreenLight Bioscience markiert dieser Start der RNAi-Technik bei Pestiziden ein „Quantensprung für die Landwirte, unser Lebensmittelsystem, die Ernährungssicherheit und die Menschen". Anders fällt die Bewertung in der Mehrheit der 31'267 Kommentare aus, die während der öffentlichen Anhörung bei der EPA eingereicht wurden. Gerade mal 17 dieser Kommentare befürworten die Zulassung. Die restlichen, zum grossen Teil durch Kampagnen von Konsumenten- und Umweltschutzverbänden zusammengekommenen 31‘250 Kommentare forderten die EPA auf, Calantha nicht zuzulassen oder die Zulassung zumindest solange aufzuschieben, bis mehr Informationen über dessen Wirkstoff vorliegen.

Einer der rund zwei Dutzend Verbände, der sich in der öffentlichen Anhörung gegen die Calantha-Zulassung aussprach, ist das Centre für Food Safety (CFS). Aus seiner Sicht lässt sich anhand der von Greenlight Biosciences vorgelegten Daten nicht ausschliessen, dass Calantha neben dem Kartoffelkäfer ungewollt noch andere Käfer – darunter auch geschützte Arten – tötet. Auch Nebenwirkungen auf Nützlinge wie der Raubmilbe Typhlodromus pyri oder der parasitischen Wespe Aphidius rhopalosiphi seien zu befürchten. Zudem kritisiert das CFS, dass GreenLight Biosciences mögliche Auswirkungen auf Honigbienen nur mit dem Wirkstoff allein untersuchte und dazu nicht das möglicherweise potenter wirkende Calantha verwendete, in dem der Wirkstoff in einer Formulierung vorliegt.

Auch Friends of the Earth (FOE) sprach sich gegen die Zulassung aus. Die Umweltschutzorganisation, die bereits 2020 in einem Bericht auf die Risiken von RNA-basierten Pestiziden hingewiesen hatte, stellt in ihrem Kommentar zum EPA-Entscheid unter anderem den längerfristigen Nutzen von Calantha in Frage. Grund ist die genetische Ausstattung des Kartoffelkäfers, die ihn schnell resistent gegen Calantha machen könnte. FOE verweist dazu auf eine 2021 veröffentlichte Studie mit einem ähnlichen dsRNA-Wirkstoff, in der die Kartoffelkäfer nach neun Selektionsrunden elftausend (!) Mal resistenter gegen die dsRNA wurden. Zudem kritisiert FOE das Tempo der EPA. Die Umweltbehörde hatte im April 2023 Freilandversuche mit Calantha bewilligt, in denen GreenLight Biosciences bis 2025 mehr Umweltdaten sammelt, wollte jetzt aber mit der Zulassung zur kommerziellen Verwendung nicht warten, bis diese Daten vorliegen. FOE befürchtet, dass die EPA mit diesem übereilten Vorgehen einen Präzedenzfall für die Zulassung weiterer dsRNA-haltiger Pestizide schafft.

Dass es weitere solche Produkte geben wird, ist klar. Denn neben GreenLight Biosciences arbeitet nicht nur eine Reihe anderer Start-up-Unternehmen an dsRNA-Pestiziden, auch die grossen Agrarkonzerne mischen mit. Der Basler Gigant Syngenta zum Beispiel hat ebenfalls ein dsRNA-Mittel gegen den Kartoffelkäfer in der Pipeline. Was dsRNA für Firmen so interessant macht, ist ihre Janusköpfigkeit – auf der einen Seite ist das Molekül natürlichen Ursprungs und eigentlich ungiftig, auf der anderen Seite kann sie in eine tödliche Substanz verwandelt werden. Mit Calantha zeigt GreenLight Biosciences jetzt erstmals an einem kommerzialisierten Produkt wie dieses Umwandeln geht: Die Firma hat eine dsRNA kreiert, deren Sequenz identisch ist mit Teilen des PSMB5-Gens des Kartoffelkäfers. Nimmt der Käfer die dsRNA auf, löst das Molekül in seinen Zellen die RNAi aus, was zur Stilllegung des PSMB5-Gens führt. Da die Käfer ein aktives PSMB5-Gen zum Leben brauchen, sterben sie durch die Stilllegung.

GreenLight Biosciences strebt auch in der EU eine Zulassung für Calantha an. Branchenverbände wie CropLife lobbyieren dort bereits dafür, dass das Zulassungsverfahren für die neuartigen Mittel gelockert wird. Derzeit unterliegen dsRNA-Wirkstoffe in der EU noch den gleich strengen Vorschriften wie chemisch-synthetische Stoffe. CropLife strebt an, dass die EU-Kommission neu einen Leitfaden für dsRNA-Pestizide verabschiedet. Als Vorbild sollen die USA dienen. Dort gelten dsRNA-haltige Pestizide wie Calantha als Biopestizide, die weniger strengen Anforderungen genügen müssen als chemisch-synthetische Mittel.

Kann dsRNA in der Schweiz rechtlich ein GVO sein?

In der Schweiz ist für die Regulierung der neuartigen Pestizide zu klären, ob dsRNA rechtlich ein Stoff oder ein Mikroorganismus ist. Der Grund für die Unklarheit ist eine Besonderheit des Schweizer Rechts: Es stellt biologisch aktives genetisches Material einem Mikroorganismus gleich. Gemäss Bund kann neben DNA auch codierende RNA (mRNA) biologisch aktives genetisches Material sein. Ob dies auch für nichtcodierende RNA, wie sie dsRNA in Pestiziden darstellt, gilt, ist offen. Falls dsRNA rechtlich ein Mikroorganismus sein kann, ist zusätzlich zu klären, ob und wenn ja, in welchen Fällen sie ein GVO sein kann. Calantha zum Beispiel enthält ein dsRNA-Molekül, das Sequenzen aus zwei unterschiedlichen Quellen enthält und deshalb rekombinant ist – eine Eigenschaft, die GVOs auszeichnet.

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