RNAi: Nebenwirkungen auf Nützlinge sind nicht auszuschliessen. Bild: Scott Bauer, USDA ARS - Wikimedia Commons

USA: Erstmals RNA-Pestizid zugelassen

Kurz vor Weih­nach­ten hat die US-Umwelt­schutz­be­hör­de EPA Calan­tha zuge­las­sen — und damit welt­weit erst­ma­lig ein Pesti­zid, des­sen Wirk­stoff aus dop­pel­strän­gi­ger (ds) RNA besteht. Das von der Fir­ma Green­Light Bio­sci­en­ces ent­wickel­te Mit­tel dient der Bekämp­fung des Kar­tof­fel­kä­fers und beruht mit dsR­NA nicht nur auf einem neu­ar­ti­gen Wirk­stoff, son­dern auch auf einem für Pesti­zi­de neu­ar­ti­gen Mecha­nis­mus namens RNA-Inter­fe­renz (RNAi).

Mit der – vor­erst auf drei Jah­re befri­ste­ten – Zulas­sung von Calan­tha dür­fen US-Land­wir­te nun erst­mals dsR­NA auf die Fel­der sprü­hen. Für Green­Light Bio­sci­ence mar­kiert die­ser Start der RNAi-Tech­nik bei Pesti­zi­den ein „Quan­ten­sprung für die Land­wir­te, unser Lebens­mit­tel­sy­stem, die Ernäh­rungs­si­cher­heit und die Men­schen”. Anders fällt die Bewer­tung in der Mehr­heit der 31’267 Kom­men­ta­re aus, die wäh­rend der öffent­li­chen Anhö­rung bei der EPA ein­ge­reicht wur­den. Gera­de mal 17 die­ser Kom­men­ta­re befür­wor­ten die Zulas­sung. Die rest­li­chen, zum gros­sen Teil durch Kam­pa­gnen von Kon­su­men­ten- und Umwelt­schutz­ver­bän­den zusam­men­ge­kom­me­nen 31‘250 Kom­men­ta­re for­der­ten die EPA auf, Calan­tha nicht zuzu­las­sen oder die Zulas­sung zumin­dest solan­ge auf­zu­schie­ben, bis mehr Infor­ma­tio­nen über des­sen Wirk­stoff vor­lie­gen.

Einer der rund zwei Dut­zend Ver­bän­de, der sich in der öffent­li­chen Anhö­rung gegen die Calan­tha-Zulas­sung aus­sprach, ist das Cent­re für Food Safe­ty (CFS). Aus sei­ner Sicht lässt sich anhand der von Green­light Bio­sci­en­ces vor­ge­leg­ten Daten nicht aus­schlies­sen, dass Calan­tha neben dem Kar­tof­fel­kä­fer unge­wollt noch ande­re Käfer – dar­un­ter auch geschütz­te Arten – tötet. Auch Neben­wir­kun­gen auf Nütz­lin­ge wie der Raub­mil­be Typhlo­dro­mus pyri oder der para­si­ti­schen Wes­pe Aphi­di­us rho­pa­lo­si­phi sei­en zu befürch­ten. Zudem kri­ti­siert das CFS, dass Green­Light Bio­sci­en­ces mög­li­che Aus­wir­kun­gen auf Honig­bie­nen nur mit dem Wirk­stoff allein unter­such­te und dazu nicht das mög­li­cher­wei­se poten­ter wir­ken­de Calan­tha ver­wen­de­te, in dem der Wirk­stoff in einer For­mu­lie­rung vor­liegt.

Auch Fri­ends of the Earth (FOE) sprach sich gegen die Zulas­sung aus. Die Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on, die bereits 2020 in einem Bericht auf die Risi­ken von RNA-basier­ten Pesti­zi­den hin­ge­wie­sen hat­te, stellt in ihrem Kom­men­tar zum EPA-Ent­scheid unter ande­rem den län­ger­fri­sti­gen Nut­zen von Calan­tha in Fra­ge. Grund ist die gene­ti­sche Aus­stat­tung des Kar­tof­fel­kä­fers, die ihn schnell resi­stent gegen Calan­tha machen könn­te. FOE ver­weist dazu auf eine 2021 ver­öf­fent­lich­te Stu­die mit einem ähn­li­chen dsR­NA-Wirk­stoff, in der die Kar­tof­fel­kä­fer nach neun Selek­ti­ons­run­den elf­tau­send (!) Mal resi­sten­ter gegen die dsR­NA wur­den. Zudem kri­ti­siert FOE das Tem­po der EPA. Die Umwelt­be­hör­de hat­te im April 2023 Frei­land­ver­su­che mit Calan­tha bewil­ligt, in denen Green­Light Bio­sci­en­ces bis 2025 mehr Umwelt­da­ten sam­melt, woll­te jetzt aber mit der Zulas­sung zur kom­mer­zi­el­len Ver­wen­dung nicht war­ten, bis die­se Daten vor­lie­gen. FOE befürch­tet, dass die EPA mit die­sem über­eil­ten Vor­ge­hen einen Prä­ze­denz­fall für die Zulas­sung wei­te­rer dsR­NA-hal­ti­ger Pesti­zi­de schafft.

Dass es wei­te­re sol­che Pro­duk­te geben wird, ist klar. Denn neben Green­Light Bio­sci­en­ces arbei­tet nicht nur eine Rei­he ande­rer Start-up-Unter­neh­men an dsR­NA-Pesti­zi­den, auch die gros­sen Agrar­kon­zer­ne mischen mit. Der Bas­ler Gigant Syn­gen­ta zum Bei­spiel hat eben­falls ein dsR­NA-Mit­tel gegen den Kar­tof­fel­kä­fer in der Pipe­line. Was dsR­NA für Fir­men so inter­es­sant macht, ist ihre Janus­köp­fig­keit – auf der einen Sei­te ist das Mole­kül natür­li­chen Ursprungs und eigent­lich ungif­tig, auf der ande­ren Sei­te kann sie in eine töd­li­che Sub­stanz ver­wan­delt wer­den. Mit Calan­tha zeigt Green­Light Bio­sci­en­ces jetzt erst­mals an einem kom­mer­zia­li­sier­ten Pro­dukt wie die­ses Umwan­deln geht: Die Fir­ma hat eine dsR­NA kre­iert, deren Sequenz iden­tisch ist mit Tei­len des PSMB5-Gens des Kar­tof­fel­kä­fers. Nimmt der Käfer die dsR­NA auf, löst das Mole­kül in sei­nen Zel­len die RNAi aus, was zur Stilllegung des PSMB5-Gens führt. Da die Käfer ein akti­ves PSMB5-Gen zum Leben brau­chen, ster­ben sie durch die Stilllegung.

Green­Light Bio­sci­en­ces strebt auch in der EU eine Zulas­sung für Calan­tha an. Bran­chen­ver­bän­de wie Cro­pLi­fe lob­by­ie­ren dort bereits dafür, dass das Zulas­sungs­ver­fah­ren für die neu­ar­ti­gen Mit­tel gelockert wird. Der­zeit unter­lie­gen dsR­NA-Wirk­stof­fe in der EU noch den gleich stren­gen Vor­schrif­ten wie che­misch-syn­the­ti­sche Stof­fe. Cro­pLi­fe strebt an, dass die EU-Kom­mis­si­on neu einen Leit­fa­den für dsR­NA-Pesti­zi­de ver­ab­schie­det. Als Vor­bild sol­len die USA die­nen. Dort gel­ten dsR­NA-hal­ti­ge Pesti­zi­de wie Calan­tha als Bio­pe­sti­zi­de, die weni­ger stren­gen Anfor­de­run­gen genü­gen müs­sen als che­misch-syn­the­ti­sche Mit­tel.

Kann dsR­NA in der Schweiz recht­lich ein GVO sein?

In der Schweiz ist für die Regu­lie­rung der neu­ar­ti­gen Pesti­zi­de zu klä­ren, ob dsR­NA recht­lich ein Stoff oder ein Mikro­or­ga­nis­mus ist. Der Grund für die Unklar­heit ist eine Beson­der­heit des Schwei­zer Rechts: Es stellt bio­lo­gisch akti­ves gene­ti­sches Mate­ri­al einem Mikro­or­ga­nis­mus gleich. Gemäss Bund kann neben DNA auch codie­ren­de RNA (mRNA) bio­lo­gisch akti­ves gene­ti­sches Mate­ri­al sein. Ob dies auch für nicht­co­die­ren­de RNA, wie sie dsR­NA in Pesti­zi­den dar­stellt, gilt, ist offen. Falls dsR­NA recht­lich ein Mikro­or­ga­nis­mus sein kann, ist zusätz­lich zu klä­ren, ob und wenn ja, in wel­chen Fäl­len sie ein GVO sein kann. Calan­tha zum Bei­spiel ent­hält ein dsR­NA-Mole­kül, das Sequen­zen aus zwei unter­schied­li­chen Quel­len ent­hält und des­halb rekom­bi­nant ist – eine Eigen­schaft, die GVOs aus­zeich­net.

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