Neuste Erhebungen gehen davon aus, dass etwa 350 000 Insektenarten Blüten besuchen und an der Bestäubung beteiligt sind. Bild: Shutterstock

Neue Gentechnikanwendungen bei der Schädlingsbekämpfung bedrohen Bestäuberinsekten

Die fran­zö­si­sche NGO Pol­li­nis, die sich für den Schutz von Insek­ten­be­stäu­bern ein­setzt, warn­te im Vor­feld der COP15 in Mont­re­al in einem Auf­ruf vor den mög­li­chen nega­ti­ven Fol­gen des Ein­sat­zes von Bio­tech­no­lo­gien in der Umwelt. Denn bestäu­ben­de Insek­ten sind wich­tig für die bio­lo­gi­sche Viel­falt, die Funk­tio­nen des Öko­sy­stems und die Stei­ge­rung der Erträ­ge. Um den Rück­gang der Insek­ten­po­pu­la­tio­nen umzu­keh­ren, müs­se ihnen ein siche­rer Lebens­raum in Land­schaf­ten, in denen Land­wirt­schaft, Vieh­zucht und Forst­wirt­schaft betrie­ben wer­den, gebo­ten wer­den, for­dert Pol­li­nis.

Die Frei­set­zung von Orga­nis­men, Pro­duk­ten oder Bestand­tei­len, die mit Hil­fe der gene­ti­schen Bio­tech­no­lo­gie gewon­nen wer­den, wie bei­spiels­wei­se RNAi-basier­te Pesti­zi­de und Gene-Dri­ve-Orga­nis­men (GDOs), könn­te die der­zei­ti­gen Stress­fak­to­ren, denen Bestäu­ber­in­sek­ten bereits aus­ge­setzt sind, noch ver­stär­ken, befürch­ten die Unter­zeich­nen­den: nam­haf­te Per­sön­lich­kei­ten aus den Berei­chen der Mole­ku­lar­bio­lo­gie, Gene­tik, Insek­ten- und Agrar­öko­lo­gie, Bie­nen­zucht und Umwelt.

Vor­sor­ge­prin­zip anwen­den

Pol­li­nis for­der­te eine strik­te Anwen­dung des UN-Vor­sor­ge­prin­zips, da bis­lang nur weni­ge Unter­su­chun­gen durch­ge­führt wur­den, um die Risi­ken und Aus­wir­kun­gen der Frei­set­zung sol­cher bio­tech­no­lo­gi­schen Stof­fe auf Bestäu­ber zu eru­ie­ren und eine soli­de und zuver­läs­si­ge Risi­ko­be­wer­tun­gen vor­zu­neh­men.  Exper­ten beto­nen, dass es ande­re Mög­lich­kei­ten gibt, Lebens­mit­tel auf der Grund­la­ge der bio­lo­gi­schen Viel­falt zu erzeu­gen, die wis­sen­schaft­lich erwie­se­ner­mas­sen hohe Erträ­ge und eine her­vor­ra­gen­de Nähr­stoff­qua­li­tät lie­fern, ohne die Umwelt zu schä­di­gen und ohne die Risi­ken, die mit dem Ein­satz von Orga­nis­men durch die Bio­tech­no­lo­gie in der Umwelt ver­bun­den sind.

Mas­si­ves Bestäu­ber­ster­ben

Neu­ste Erhe­bun­gen gehen davon aus, dass etwa 350 000 Insek­ten­ar­ten Blü­ten besu­chen und an der Bestäu­bung betei­ligt sind. Doch welt­weit ist ein Rück­gang an Viel­falt zu ver­zeich­nen und immer mehr Arten fin­den sich auf der Roten Liste der bedroh­ten Arten der IUCN. Die Grün­de dafür sind viel­fäl­tig: die Inten­si­vie­rung der kon­ven­tio­nel­len Land­wirt­schaft, der Kli­ma­wan­del, syn­the­ti­sche Pesti­zi­de, Umwelt­ver­schmut­zung und Krank­heits­er­re­ger. Dadurch ver­armt die gene­ti­sche Viel­falt ins­ge­samt, gan­ze Nah­rungs­net­ze wer­den durch das Ver­schwin­den von Schlüs­sel­ar­ten gefähr­det und Öko­sy­ste­me könn­ten so aus dem Gleich­ge­wicht gera­ten. Die mei­sten Blü­ten­pflan­zen sind von Insek­ten abhän­gig um sich fort­zu­pflan­zen. 76 Pro­zent der welt­weit wich­tig­sten Nah­rungs­pflan­zen benö­ti­gen die Bestäu­bung durch Insek­ten. Ein Schwund der Insek­ten gefähr­det die Pflan­zen­viel­falt und damit auch die Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on. Bereits jede fünf­te Pflan­ze ist vom Aus­ster­ben bedroht.

Nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­on: nicht ohne Bestäu­ber­in­sek­ten

Für eine nach­hal­ti­ge land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on braucht es Bestäu­ber­in­sek­ten, die in die­sen Syste­men leben und sich dort ernäh­ren kön­nen, schreibt Poli­nis. Die wesent­li­che Rol­le von Bestäu­bern in der nach­hal­ti­gen Land­wirt­schaft und in Öko­sy­ste­men wur­de in der “Erklä­rung von São Pao­lo über Bestäu­ber” 1999 inter­na­tio­nal aner­kannt und Insek­ten­be­stäu­ber durch einen Beschluss des UN-Über­ein­kom­mens über die bio­lo­gi­sche Viel­falt im Rah­men zahl­rei­cher inter­na­tio­na­ler Über­ein­kom­men geschützt. Die Rol­le von Bestäu­bern in Öko­sy­ste­men war auch an der aktu­el­len COP15 (7–19. Dezem­ber 22) in Mont­re­al ein beson­ders wich­ti­ges The­ma. Ver­trags­par­tei­en, Regie­rungs­ver­tre­ter, Orga­ni­sa­tio­nen und indi­ge­ne Völ­ker und loka­le Gemein­schaf­ten han­del­ten dort das Glo­ba­le Rah­men­werk für die bio­lo­gi­sche Viel­falt für die Zeit nach 2020 aus. Die Ent­schei­dun­gen – ins­be­son­de­re zu den The­men natür­li­cher Lebens­raum, Umwelt­ver­schmut­zung, Pesti­zid­ein­satz und syn­the­ti­sche Bio­lo­gie – wer­den sich direkt auf Bestäu­ber und die Bedin­gun­gen für ihr Über­le­ben aus­wir­ken.

Besorg­nis­er­re­gen­de Ent­wick­lun­gen an der COP15

Tat­säch­lich wur­de den Bestre­bun­gen, den Weg für die poten­zi­el­le Frei­set­zung von Orga­nis­men oder Pro­duk­ten die durch Bio­tech­no­lo­gien gewon­nen wur­den zu ebnen, statt­ge­ge­ben. Dar­un­ter auch land­wirt­schaft­li­che Anwen­dun­gen, die direk­te Ver­än­de­rung von Insek­ten­ge­no­men oder die Beein­flus­sung ihrer Gene, um ihr Ver­hal­ten zu ändern oder sie zum Aus­ster­ben zu brin­gen. Pol­li­nis kri­ti­siert die Ergeb­nis­se des Gip­fels denn auch scharf. Der­ar­ti­ge Anwen­dun­gen ber­gen unzu­rei­chend unter­such­te Risi­ken, die den Rück­gang der Bestäu­ber­po­pu­la­tio­nen beschleu­ni­gen und gan­ze Nah­rungs­net­ze gefähr­den.

Gene dri­ve Orga­nis­men zur Modi­fi­zie­rung von Insek­ten

So sind Gene-Dri­ve-Orga­nis­men (GDOs) – mit Hil­fe von Werk­zeu­gen wie CRISPR/Cas9 geschaf­fen – dar­auf aus­ge­legt, ver­än­der­te Merk­ma­le schnell in Popu­la­tio­nen zu ver­brei­ten. Sie sind so kon­zi­piert, dass sie die Regeln der Ver­er­bung aus­ser Kraft set­zen und die Aus­brei­tung eines Merk­mals auf die näch­ste Gene­ra­ti­on erzwin­gen. Die gen­tech­nisch ver­än­der­ten Merk­ma­le wer­den dann an alle Nach­kom­men wei­ter­ge­ge­ben. In einer kürz­lich erschie­ne­nen Ver­öf­fent­li­chung[1] wur­de über zwei­und­dreis­sig Ziel­in­sek­ten, dar­un­ter ein­und­zwan­zig land­wirt­schaft­li­che Schäd­lin­ge aus sechs ver­schie­de­nen Ord­nun­gen berich­tet, für die GD-Tech­no­lo­gien vor­ge­schla­gen oder ent­wickelt wer­den, bei­spiels­wei­se bei der Kirsch­essig­flie­ge (Dro­so­phi­la suzu­kii), der Gemei­nen Wes­pe (Vespu­la vul­ga­ris), dem Afri­ka­ni­schen Baum­woll­wurm (Spod­op­te­ra lit­to­ra­lis) (48) und dem Schwamm­spin­ner (Lyman­tria dis­par). Eine Rei­he von Unter­neh­men haben Patent­an­trä­ge ein­ge­reicht, die den Ein­satz von Gene Dri­ves in der Land­wirt­schaft beinhal­ten, ein­schliess­lich der geziel­ten Bekämp­fung von Hun­der­ten von land­wirt­schaft­li­chen Schäd­lin­gen[2],[3].

Für Pol­li­nis gibt es begrün­de­te Sor­ge, dass es dabei zu unvor­her­ge­se­he­nen Ver­än­de­run­gen und Muta­tio­nen durch soge­nann­te “Off-Target”-Effekte kom­men kann und die­se sich in der Natur stän­dig wei­ter­ent­wickeln und die mani­pu­lier­ten Gene an eng ver­wand­te Arten wie Insek­ten­be­stäu­ber wei­ter­ge­ge­ben wer­den könn­ten.

Jüng­ste Stu­di­en zei­gen, dass es zudem eine Viel­zahl an Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen und unter Orga­nis­men und Pflan­zen gibt, da das Öko­sy­stem aus vie­len Tei­len besteht und alle Arten im sel­ben Lebens­raum mit­ein­an­der inter­agie­ren und sich gegen­sei­tig beein­flus­sen.

Die Frei­set­zung gen­tech­nisch ver­än­der­ter Insek­ten auf Fel­dern mit Nutz­pflan­zen könn­te die gene­ti­sche Zusam­men­set­zung von bewirt­schaf­te­ten (z. B. Honig­bie­nen und Hum­meln) und wil­den Insek­ten­po­pu­la­tio­nen, ein­schliess­lich der für die indu­stri­el­le Land­wirt­schaft nütz­li­chen Nicht­ziel­in­sek­ten, irrever­si­bel ver­än­dern. Eine zuver­läs­si­ge Risi­ko­be­wer­tung ist beim gegen­wär­ti­gen Wis­sen­stand jedoch nicht mög­lich. Jede Frei­set­zung wäre des­halb nach Ein­schät­zung von Pol­li­nis ver­früht und wür­de gan­ze Öko­sy­ste­me gefähr­den.

RNA-basier­te Tech­no­lo­gien: Beein­flus­sung der Gen­ex­pres­si­on von Insek­ten

Eine wei­te­re Tech­no­lo­gie, deren Anwen­dung geplant ist, ist das Aus­brin­gen dop­pel­strän­gi­ger RNAs (dsR­NAs) zur Bekämp­fung von Pflan­zen­schäd­lin­gen oder Krank­heits­er­re­gern. Die­se nut­zen RNA-Inter­fe­renz­me­cha­nis­men, um Gene, die für lebens­wich­ti­ge Funk­tio­nen in den anvi­sier­ten Insek­ten ver­ant­wort­lich sind aus­zu­schal­ten, so dass die­se ster­ben. Sie kön­nen über gen­tech­nisch ver­än­der­te Pflan­zen, Bak­te­ri­en und Viren auf die Schäd­lin­ge über­tra­gen oder direkt als Spritz­mit­tel ange­wen­det wer­den[4].

Eini­ge die­ser dsR­NA-basier­ten Tech­no­lo­gien befin­den sich im Zulas­sungs­ver­fah­ren, meh­re­re wur­den bereits von ver­schie­de­nen natio­na­len Gre­mi­en für Lebens­mit­tel, Fut­ter­mit­tel oder Anbau­zwecke in vie­len Tei­len der Welt zuge­las­sen[5]. Pol­li­nis for­dert des­halb drin­gend eine Behand­lung auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne. Denn For­schun­gen zei­gen, dass ein Gen, das unter­drückt wird und somit für eine Art töd­lich ist, auch für eine ande­re Art töd­lich sein kann.  Sol­che Mit­tel dürf­ten auch in der Schweiz bald ein The­ma sein: Neben der Anpas­sung des Zulas­sungs­ver­fah­rens dürf­ten auch recht­li­che Aspek­te zu klä­ren sein[6]. (sie­he Fokus SAG Maga­zin)

Auch Vor­ha­ben mit gen­tech­nisch ver­än­der­ten Darm­mi­kro­bio­ta Honig­bie­nen kon­ti­nu­ier­lich mit dsR­NA zu ver­sor­gen, um sie gegen Pesti­zi­de, Para­si­ten oder Viren resi­stent zu machen, ber­gen Risi­ken. Denn es sind weder die direk­ten Fol­gen sol­cher mikro­biel­len Ver­än­de­run­gen bekannt, noch ist klar, ob es über die Bestäu­bung von Blü­ten zu einer Kon­ta­mi­na­ti­on mit gen­tech­nisch ver­än­der­ten Darm­mi­kro­or­ga­nis­men ande­rer Arten kom­men kann oder ob die­se Kon­ta­mi­na­ti­on in Honig­er­zeug­nis­sen auf­tre­ten kann. Um die direk­ten und indi­rek­ten Aus­wir­kun­gen die­ser Bio­tech­no­lo­gien auf Insek­ten­ar­ten, ein­schliess­lich Bestäu­ber bewer­ten zu kön­nen, braucht es auch für die­sen Bereich umfas­sen­de For­schun­gen.

Der Appell von Pol­li­nis, der von pro­mi­nen­ten Wis­sen­schaft­lern, poli­ti­schen Exper­ten und Orga­ni­sa­tio­nen unter­zeich­net wur­de, rief des­halb die Ver­trags­par­tei­en und Unter­zeich­ner des UN-Über­ein­kom­mens über die bio­lo­gi­sche Viel­falt auf, sich auf inter­na­tio­na­ler, regio­na­ler und natio­na­ler Ebe­ne gegen den Ein­satz gene­ti­scher Bio­tech­no­lo­gien in der Natur aus­zu­spre­chen. Denn bereits das Ver­än­dern eines ein­zi­gen Gens eines Orga­nis­mus kann ein gan­zes Öko­sy­stem ver­än­dern, dies zei­gen neu­ste For­schun­gen.

[1] Wells M, Stein­bre­cher R. Cur­rent and pro­po­sed insect tar­gets for gene dri­ve deve­lo­p­ment. A tabu­lar over­view. EcoNe­xus; 2022.

[2] ETC Group. For­cing the Farm. How Gene Dri­ve Orga­nisms Could Ent­rench Indu­stri­al Agri­cul­tu­re and Threa­ten Food Sove­reig­n­ty. 2018.

[3] Bier E, Gantz V, Hed­rick S, inven­torsMe­thods for Auto­ca­ta­ly­tic Geno­me Editing and Neu­tra­li­zing Auto­ca­ta­ly­tic Geno­me Editing and Com­po­si­ti­ons The­reof. USA2017.

[4] Siri­nath­sing­h­ji E, Klein K, Perls D. Gene-Silen­cing Pesti­ci­des. Risks and Con­cerns. Fri­ends of the Earth USA; 2020.

[5] Li X, Liu X, Lu W, Yin X, An S. Appli­ca­ti­on pro­gress of plant-media­ted RNAi in pest con­trol. Fron­tiers in Bio­en­gi­nee­ring and Bio­tech­bo­lo­gy. 2022;10(963026).

[6] SAG Maga­zin: RNA-Sprays — eine Revo­lu­ti­on auf dem Acker?

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