Prime Editing: Ein Optimierungsvorhaben. Bild: Shutterstock

Hype-Genschere Prime Editing: Ist CRISPR/Cas9 bald passé?

Eine neue Vari­an­te der Genom Edi­tie­rung, das soge­nann­te Prime Editing, wird seit ihrer Ver­öf­fent­li­chung in der Fach­zeit­schrift Natu­re Ende Okto­ber 2019 von den Medi­en hoch­ge­ju­belt. Auch wenn sich Prime Editing erst in der Anfangs­pha­se der Ent­wick­lung befin­det, wird sie von der Pres­se schon als Erfolgs­me­tho­de ange­prie­sen, die die Gen­tech­no­lo­gie und die Medi­zin revo­lu­tio­nie­ren und Gen­the­ra­pien für über 80% der bis­her unheil­ba­ren Erb­krank­hei­ten wie die Sichel­zell­an­ämie ermög­li­chen soll. Auch für die Sor­ten­ent­wick­lung könn­te sie infra­ge kom­men. Beson­ders gelobt wird ihre erhöh­te Prä­zi­si­on. Was dabei ins Auge sticht: die bis anhin als hoch­ge­nau pro­pa­gier­te Gen­sche­re CRISPR/Cas9 wird plötz­lich in ein schlech­tes Licht gerückt. Statt als exak­tes chir­ur­gi­sches Werk­zeug wird sie nun eher als gro­be Küchen­sche­re mit gros­sem Sicher­heits­ri­si­ko dar­ge­stellt. Ein Bild, dass die Gen­tech­nik-Befür­wor­ter para­do­xer­wei­se bis­her zu bekämp­fen ver­such­ten. Bei Gen­tech­nik­kri­ti­kern löst die­se Dar­stel­lung ein gewis­ses Déjà-vu aus: auch bei der Ent­deckung von CRISPR/Cas9 wur­de die bis­lang als Alles­kön­ner bezeich­ne­te klas­si­sche Gen­tech­nik rasch als grob und unzu­ver­läs­sig abge­stem­pelt.

Doch auf wel­chen Eigen­schaf­ten des neu­en Werk­zeugs „Prime Editing“ basie­ren die­se loben­den Aus­sa­gen? Und was kann die neue Metho­de bes­ser als das bis­he­ri­ge Stan­dard-Instru­ment, CRISPR/Cas9?

Ein Nach­teil der Gen­sche­re CRISPR/Cas9 ist, dass sie bei­de Strän­ge der DNA durch­schnei­det und die anschlies­sen­de Repa­ra­tur des ent­stan­de­nen Scha­dens unkon­trol­liert der Zel­le über­lässt. Ein Dop­pel­strang­bruch ist in einer Zel­le näm­lich ein fata­ler Feh­ler, wes­halb sofort der zell­ei­ge­ne auto­ma­ti­sche Repa­ra­turme­cha­nis­mus in Gang gesetzt wird. Die­ser ist jedoch sehr unprä­zi­se und fügt zufäl­lig vor­han­de­ne Erb­gut­schnip­sel, die zusam­men mit der Gen­sche­re als Vor­la­ge in die Zel­le ein­ge­schleust wur­den, in die offe­ne Stel­le ein. Dabei ent­ste­hen – nebst den gewünsch­ten Ver­än­de­run­gen — oft auch uner­wünsch­te Muta­tio­nen, wes­halb die Metho­de sich vor allem zum Aus­schal­ten bestimm­ter Gene eig­net.

Prime Editing soll es nun ermög­li­chen, die­sen Repa­ra­tur­vor­gang gröss­ten­teils zu umge­hen. Dazu wird ein ver­än­der­tes Schneideen­zym ver­wen­det, das ledig­lich einen der bei­den Strän­ge durch­schnei­det. Da kein Dop­pel­strang­bruch ent­steht, wird das feh­ler­an­fäl­li­ge zell­ei­ge­ne Repa­ra­tur­sy­stem nicht ein­ge­schal­tet. Dies bedeu­tet eine bes­se­re Kon­trol­le über die Edi­tie­rung, die nicht mehr dem Zufall über­las­sen wird.

Zwar ist Prime Editing nicht die erste Metho­de, die kei­nen Dop­pel­strang­bruch aus­löst und damit eine erhöh­te Prä­zi­si­on anbie­tet. Die bis­he­ri­gen Ansät­ze (z.B. die von der glei­chen For­schungs­grup­pe ent­wickel­ten Basen-Edi­to­ren) konn­ten jedoch bis­wei­len nur begrenzt ange­wen­det wer­den. Sie waren zwar fähig ein­zel­ne Buch­sta­ben der DNA gezielt zu ver­än­dern und damit all­fäl­li­ge, zu Krank­hei­ten füh­ren­de Feh­ler zu kor­ri­gie­ren, konn­ten jedoch nicht alle Buch­sta­ben des gene­ti­schen Codes belie­big in einen ande­ren umwan­deln. Ein Aus­tau­schen war nur zwi­schen zusam­men­ge­hö­ren­den Ele­men­ten (soge­nann­ten kom­ple­men­tä­ren Bau­stei­nen), etwa zwi­schen Gua­nin und Cyto­sin oder zwi­schen Ade­nin und Thy­min mach­bar. Prime Editing soll es nun ermög­li­chen, dass jeder der vier Bau­stei­ne der DNA belie­big durch einen ande­ren ersetzt wer­den kann.

 Wie funk­tio­niert Prime Editing?  

Um den Schnitt genau­er steu­ern zu kön­nen, wur­de sowohl das Mole­kül, das den Ziel­be­reich des Schneideen­zyms auf der DNA fin­det (Leit-DNA), als auch das Schnei­de­pro­te­in selbst ver­än­dert.

“Sind Sie auf den CRIS­PR-Hype-Zug gesprun­gen? Haben sie dem Ver­spre­chen “CRISPR wird die Welt und das Leben ver­än­dern” geglaubt? Dann ist es Zeit die­sen Hype auf­zu­lö­sen!” Was gen­tech­kri­tisch tönt, ist in der Wahr­heit die Wer­bung eines Bio­tech­no­lo­gie­un­ter­neh­mens für eine neue, ver­bes­ser­te Ver­si­on der Gen­sche­re CRISPR/Cas9. Die zahl­rei­chen Ver­su­che, die­ses Werk­zeug zu ver­bes­sern, bewei­sen wir feh­ler­haft es tat­säch­lich ist. Bild: Wiki­me­dia Com­mons

Im Gegen­satz zu CRISPR/Cas9, wird beim Prime Editing die Vor­la­ge für die neue gene­ti­sche Infor­ma­ti­on nicht mehr in Form von DNA-Schnip­seln mit in die Zel­le ein­ge­schleust. Statt­des­sen wird sie neu ins Leit-RNA-Mole­kül ein­ge­baut. Somit erkennt die­ses nicht nur die zu schnei­den­de Stel­le im Genom und lotst das Schneideen­zym Cas9 dort­hin, son­dern dient auch als Vor­la­ge für die geplan­te Ver­än­de­rung. Um die­se RNA-Vor­la­ge in DNA über­set­zen zu kön­nen, muss­te das Schnei­de­pro­te­in Cas9 mit einem ande­ren Enzym (einer soge­nann­ten rever­sen Tran­skrip­ta­se) ver­knüpft wer­den, das in der Lage ist, RNA-Sequen­zen in DNA umzu­schrei­ben. Der Pro­zess ver­läuft dann rela­tiv ein­fach: fin­det die Leit-RNA die Ziel­se­quenz, schnei­det die ver­än­der­te Gen­sche­re einen Strang der DNA durch. Die in die Gen­sche­re inte­grier­te rever­se Tran­skrip­ta­se über­setzt die in der Leit-RNA mit­ge­lie­fer­te neue Erb­infor­ma­ti­on in DNA. Die­se wird ins Erb­gut des Ziel­or­ga­nis­mus ein­ge­baut, wäh­rend die ursprüng­li­che DNA-Sequenz von einer zell­ei­ge­nen Schneideen­zyms als über­flüs­sig erkannt und abge­schnit­ten wird. Da sich nun aber auf den bei­den Strän­gen der DNA zwei nicht über­ein­stim­men­de Sequen­zen gegen­über­sit­zen, wird der Schneideen­zym­kom­plex von einer ande­ren Leit-RNA zur ent­spre­chen­den Stel­le des bis­her unver­än­der­ten DNA-Stran­ges gelei­tet und durch­schnei­det die­sen. Nur hier wird auf die zell­ei­ge­ne Repa­ra­turme­cha­nis­men zurück­ge­grif­fen, die die künst­lich bei­gefüg­te Sequenz als Vor­la­ge anwen­den und anhand die­ser die kom­ple­men­tä­re Basen­ab­fol­ge auf dem gegen­über­lie­gen­den Strang her­stel­len.

Die­ses Ver­fah­ren erlaubt eine bes­se­re Kon­trol­le des Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­ses und soll die Zahl der uner­wünsch­ten Nicht­ziel­ef­fek­te (Off-Tar­gets) redu­zie­ren. Sol­che sol­len nur noch in einem Zehn­tel der edi­tier­ten Zel­len vor­kom­men, wäh­rend bei CRISPR/Cas 90% der Zel­len davon betrof­fen war.

 Risi­ken noch nicht gete­stet

Doch redu­zier­te Risi­ken heisst noch nicht inexi­sten­te. Prime Editing ist weder frei von Risi­ken, noch von uner­wünsch­ten Muta­tio­nen. Da Gene Tei­le eines grös­se­ren Netz­wer­kes sind, des­sen Ele­men­te mit­ein­an­der inter­agie­ren, ist es nur eine Fra­ge der Zeit, bis die ersten Pro­ble­me mit die­ser Metho­de auf­tau­chen und auch sie als „Axt im Gen­wald“ dis­kre­di­tiert wird. Wie ihre Ent­decker sel­ber beto­nen, muss, um die Fol­gen des Ein­grif­fes abschät­zen zu kön­nen, das gesam­te Genom nach uner­wünsch­ten Ver­än­de­run­gen abge­sucht wer­den. Bis­her wur­de die neue Tech­nik an weni­gen mensch­li­chen Zell­ty­pen und an Ner­ven­zel­len aus Mäu­sen gete­stet. Ob und wie effi­zi­ent die neue Gen­sche­re in ande­ren Zell­ty­pen, bezie­hungs­wei­se „in vivo“ arbei­ten wür­de, bleibt unklar. Für einen Ein­satz an Pati­en­ten ist das neue Werk­zeug daher noch unreif.

Doch in der For­schung könn­te es sich schnell gros­ser Beliebt­heit erfreu­en. Bereits wird über einen Ein­satz in der Pflan­zen­züch­tung spe­ku­liert. Das Pro­blem dabei bleibt das glei­che wie bei ande­ren Werk­zeu­gen der Genom Edi­tie­rung. Näm­lich eine unge­nü­gen­de Risi­ko­prü­fung auf uner­wünsch­te Neben­ef­fek­te der gen­tech­ni­schen Ver­än­de­rung. Sol­che kön­nen nicht nur aus der neu­en Metho­de resul­tie­ren, son­dern, wie bei allen ande­ren bis­he­ri­gen gen­tech­ni­schen Ein­grif­fen, auch aus dem Ein­schleu­sen des neu­en gene­ti­schen Mate­ri­als oder aus der anschlies­sen­den Kul­ti­vie­rung der Pflan­zen.

Die ver­bes­ser­te Prä­zi­si­on als Grund für eine ver­stärk­te Lob­by­ak­ti­vi­tät gegen eine stren­ge Regu­lie­rung der Gen­tech­nik in der Land­wirt­schaft zu ver­wen­den, wäre also ver­früht und unver­ant­wort­lich.

Auf der kom­mer­zi­el­len Ebe­ne scheint Prime Editing enor­mes Poten­ti­al zu bie­ten, was es auch für die Agrar­in­du­strie attrak­tiv machen könn­te. Prime Medi­ci­ne, ein von David Liu, dem Ent­decker der Metho­de mit­ge­grün­de­tes Unter­neh­men, ist Lin­zenz­in­ha­ber an der von der For­schungs­grup­pe gete­ste­ten Anwen­dun­gen. Wäh­rend nicht-kom­mer­zi­el­le Nut­zung und die wei­te­re Erfor­schung des Ansat­zes erlaubt sind, könn­ten kom­mer­zi­el­le Anmel­dun­gen für das zum Patent ange­mel­de­te System teu­er wer­den.

Infor­ma­ti­ons­dienst Gen­tech­nik zu Prime Editing

Aktuelle Beiträge zum Thema

Erste CRISPR-Polopferde: Kontroversen und ethische Bedenken

«Ohne GenTechnik»-Label auf dem Vormarsch

«NGT1»-Pflanzen: Risiken nicht geringer

Bürozimmer an zentraler Lage in Zürich zu vermieten

Ich mach mit:

Saatgut und Lebensmittel aus neuer Gentechnik könnten bald ohne Kennzeichnung und Risikoprüfung verkauft werden. Was halten Sie davon?

Damit wir wissen, was auf unseren Tellern landet, sammeln wir Stimmen aus der Praxis.

So geht's:

  1. Laden Sie den passenden Fragebogen herunter.
  2. Beantworten Sie 1-3 Fragen.
  3. Senden Sie uns Ihre Antworten, den Namen Ihres Betriebs und ein hochauflösendes Foto per Email an info@gentechfrei.ch.

 

Kurzumfrage für Akteur:innen aus den Bereichen:

 

Alternativ können Sie die Fragen als Word-Dokument anfordern: info@gentechfrei.ch.


Wir veröffentlichen Ihre Einsendung auf unserer Kampagnenseite und teilen sie in den sozialen Medien. Helfen Sie uns, Transparenz, Wahlfreiheit und Nachhaltigkeit zu sichern! Danke für Ihre Unterstützung.

Fragen?
E-Mail an info@gentechfrei.ch oder 044 262 25 76.

Veranstaltung:

Zürich isst! Sichern Sie sich Ihr Ticket für unsere Filmvorführungen mit anschliessenden Podien!

Im September 2015 steht ganz Zürich im Zeichen von Ernährung, Umwelt und Genuss. «Zürich isst» bietet der Bevölkerung mit vielfältigen Veranstaltungen die Gelegenheit, sich mit Fragen einer nachhaltigen Ernährung auseinanderzusetzen. Zum Programm: www.zuerich-isst.ch. DIE ZUKUNFT PFLANZEN – BIO FÜR 9 MILLIARDEN       
23. September 2015, 18 bis 21.30, Riffraff Kino Zürich