Am 3. Dezember 2025 fand in Brüssel der vierte und letzte Trilog zur Deregulierung der neuen Gentechnik in der EU unter dänischen Ratspräsidentschaft statt. Nach langer Verhandlung hat er zu einem Kompromissvorschlag geführt. Besorgniserregend: Der ausgehandelte Vorschlag schreibt keine durchgehende Kennzeichnung von Saatgut bis Endprodukt mehr vor.
So müssten Lebensmittel, die Pflanzen aus neuer Gentechnik enthalten, nicht mehr gekennzeichnet werden. Knapp 94% der aktuell entwickelten Sorten aus neuer Gentechnik würden ohne Risikoprüfung und ohne Koexistenzregulierung zugelassen. Laut Vorschlag soll es auch möglich bleiben, solche Pflanzen zu patentieren. Die ausgehandelte Verordnungsvorlage wird nun in mehreren technischen Meetings bereinigt und voraussichtlich Anfang nächsten Jahres zur Schlussabstimmung vorgelegt. Die SAG lehnt den Vorschlag entschieden ab.
Schon in der Bekanntgebung der Agenda ihrer Ratspräsidentschaft hat Dänemark einen starken Fokus auf die Fortsetzung der Verhandlungen zur Deregulierung der neuen Gentechnik (NGT) gelegt. Seither haben in regelmässigen Abständen Trilogverhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat stattgefunden. Bei der Verhandlung letzten Donnerstag wurde sich auf einen gemeinsamen Kompromissvorschlag geeinigt. Eine solche Einigung zu erreichen war nur möglich, weil die Verhandlungsführende von ihrem eigentlichen Mandat abwich, das auf der Position des EU-Parlaments hätte beruhen sollen.
Vorsorgeprinzip wird missachtet
Bald sollen etwa 94% der aktuell entwickelten Sorten aus neuer Gentechnik ohne Risikoprüfung zugelassen werden. Der Wegfall der Risikoprüfung untergräbt das Vorsorgeprinzip, eines der Grundprinzipien des Umweltrechts. Ohne Risikoprüfung werden mögliche Risiken für Mensch, Tier und Umwelt nicht mehr vorgängig untersucht. Das ist inakzeptabel.
Auch auf ein Monitoring wird verzichtet. Es wird demnach nicht verfolgt, wie sich Pflanzen aus neuer Gentechnik in der Umwelt und auf dem Acker verhalten, geschweige denn, ob sie überhaupt ihre Versprechen einhalten können. Dies, obwohl noch kaum praktische Erfahrungen mit NGT-Pflanzen gesammelt wurden: Weltweit sind erst 3 Sorten aus den neuen gentechnischen Verfahren angebaut. Einige wurden bereits vom Markt zurückgezogen.
Freier Zugang zu genetischen Ressourcen in Gefahr
Mit der Gentechnik einher geht die Patentierung von Genen, Gensequenzen, gentechnischen Verfahren und den daraus hervorgehenden Eigenschaften und Pflanzen. Verboten sind Patente auf Pflanzensorten und klassische Züchtungstechniken. Natürlich vorkommende Gensequenzen und Eigenschaften werden mithilfe gentechnischer Verfahren nachgebaut, um sie anschliessend als technische Erfindung zu patentieren. So können auch natürliche Eigenschaften und konventionelle Sorten unter Patentschutz fallen. (Hier geht es zum Factsheet der SAG)
Die Patentierung schränkt den Zugang zu genetischen Ressourcen für die Züchtung massiv ein und fördert die Privatisierung unserer Ernährungsgrundlage. In ihrer Position forderte das EU-Parlament ein Verbot der Patentierung auf NGT-Pflanzen. Doch im aktuellen Einigungsvorschlag ist nur noch die Forderung vorhanden, dass Hersteller bekannt machen müssen, welche Patente für die NGT-Pflanze angemeldet oder beantragt wurden. Zu begrüssen ist, dass der Vorschlag ein Monitoring der Entwicklung der Patentsituation beabsichtigt. Leider kommt diese Absicht etwas zu spät und ist somit ungenügend, da das Problem der Privatisierung von Lebewesen durch Patente bereits besteht. Ein Eingreifen wäre dringend notwendig.
Bald zu Gentech-Food gezwungen?
Als verheerend bewertet die SAG den Wegfall der Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln, die Pflanzen aus neuer Gentechnik enthalten. Eine fehlende Kennzeichnungspflicht stellt sich entgegen dem Willen der Konsument:innen. Sie wird auch von der gentechnikfreien und ökologischen Lebensmittelwirtschaft lautstark gefordert. Zuletzt in einem offenen Brief, der am 25. November 2025 veröffentlicht wurde. Ein solches Übergehen der Bedürfnisse der Konsumierenden ist inakzeptabel und gleicht einem Tabubruch.
Der Vorschlag verzichtet zudem gänzlich auf die Regulierung der Koexistenz mit der gentechnikfreien und ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft. Ein schwacher Trost: Immerhin ist im Vorschlag die Möglichkeit enthalten, dass Mitgliedsstaaten derartige Koexistenzmassnahmen vorschreiben können. Ob dies tatsächlich gemacht wird, bleibt jedoch offen.
Willkürliche Kategorisierung gaukelt Sicherheit vor
Der aktuelle Deregulierungsvorschlag umfasst Pflanzen, die mittels neuer gentechnischer Verfahren (z. B. CRISPR/Cas) hergestellt wurden und maximal 20-mal an 20 verschiedenen Stellen pro Chromosomensatz gentechnisch verändert wurden. Worauf die Annahme basiert, dass Pflanzen bis zu dieser Grenze mit Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung vergleichbar seien, ist wissenschaftlich unergründlich.
Zu begrüssen ist, dass eine Negativliste mit Eigenschaften erstellt wurde, die eine Aufnahme von Pflanzen in die Kategorie 1 ausschliessen. Leider ist diese Liste, die der Sicherung der Nachhaltigkeit dienen soll, sehr überschaubar und umfasst lediglich die Herbizidresistenz und insektizidproduzierende Pflanzen.
Worauf kommt es jetzt an?
Noch ist nicht alles verloren. Es ist noch unsicher, ob der ausgehandelte Vorschlag eine Mehrheit im EU-Parlament erreichen wird. Zum Teil liegen die Positionen der EU-Institutionen weit auseinander. So entspricht der Vorschlag auch der Position des EU-Parlaments nicht: Darin wurde bis zuletzt eine durchgehende Kennzeichnung von Saatgut bis Endprodukt sowie ein Patentverbot gefordert. Dem Vorschlag muss ausserdem nicht nur das EU-Parlament zustimmen, sondern auch der Rat der Mitgliedsstaaten. Dort müsste sogar eine qualifizierte Mehrheit erreicht werden.
Die Schweiz kann und muss anders. Gentechnikfreiheit hat sich als Qualitätsmerkmal bewährt und muss geschützt werden. Sie ist in zahlreichen Richtlinien von Labels, in Branchenabkommen und nicht zuletzt in der Qualitätsstrategie der Schweizer Landwirtschaft verankert. Der Deregulierung der EU zu folgen wäre fahrlässig und würde das Image der Schweizer Landwirtschaft zum Bröckeln bringen. Die SAG setzt sich für den Schutz der gentechfreien Produktion ein. Dazu sind eine strenge Risikoprüfung sowie klare Regeln für die Koexistenz und Wahlfreiheit entlang der Wertschöpfungskette unabdingbar.
Genau diese Forderungen enthält die Lebensmittelschutz-Initiative. Unterschreiben Sie jetzt!