Gentechnisch veränderte Hefestämme produzieren Steviolglykoside für Süssstoffe. Auf der Verpackung steht nichts über den Prozess. Bild: Shutterstock

GV-Mikro-organismen für Vitamin- und Zusatzstoff-herstellung

Die Indu­strie nutzt zuneh­mend gen­tech­nisch ver­än­der­te Orga­nis­men, um Vit­ami­ne und ande­re Zusatz­stof­fe wie bspw. Süs­s­tof­fe oder Ami­no­säu­ren her­zu­stel­len.

Laut einer Recher­che von Inf’OGM wur­den im Zeit­raum von 2005 bis Mit­te 2023 in der EU 273 Zulas­sungs­an­trä­ge für Mole­kü­le iden­ti­fi­ziert, die durch gen­tech­nisch ver­än­der­te Mikro­or­ga­nis­men (GVM) her­ge­stellt wor­den sind und in der Land­wirt­schaft oder in Nah­rungs­mit­teln Ver­wen­dung fin­den. Der gröss­te Teil der von der Euro­päi­schen Behör­de für Lebens­mit­tel­si­cher­heit (EFSA) über­prüf­ten Anträ­ge betraf zwar Enzy­me, doch GVM wer­den auch bei der Her­stel­lung ande­rer Stof­fe ein­ge­setzt. So wur­den etwa 30 Anträ­ge für die Zulas­sung von Vit­ami­nen oder ande­ren Zusatz­stof­fen ein­ge­reicht.

Sol­che Vit­ami­ne, Ami­no­säu­ren oder Süss­stof­fe wer­den mensch­li­chen oder tie­ri­schen Lebens­mit­teln zuge­setzt. Obwohl sie in einer Viel­zahl von Pro­duk­ten ent­hal­ten sind, müs­sen die Her­stel­len­den ihr Ursprung “aus GVO” nicht kenn­zeich­nen. 2006 beschloss die EU für Pro­duk­te, die durch GVO her­ge­stellt aber anschlies­send davon gerei­nigt wer­den, (sog. Fer­men­ter­pro­duk­te) eine ent­spre­chen­de Kenn­zeich­nung nicht vor­zu­schrei­ben. Für die Kon­su­mie­ren­den ist dies ver­wir­rend. Seit 2020 sind Fer­men­ter­pro­duk­te, die in der EU als neu­ar­ti­ge Lebens­mit­tel zuge­las­sen sind, auto­ma­tisch auch in der Schweiz als sol­che ver­kehrs­fä­hig – ohne Hin­weis auf den Her­stel­lungs­pro­zess auf der Ver­packung (sie­he auch letz­ter Abschnitt am Ende des Arti­kels).

Vit­amin B2

Die mei­sten Vit­ami­ne wer­den nach wie vor syn­the­tisch und ohne Gen­tech­nik her­ge­stellt. Bei Vit­amin B2 ist dies jedoch nicht der Fall. Im unter­such­ten Zeit­raum wur­den elf Anträ­ge auf die indu­stri­el­le Pro­duk­ti­on mit Mikro­or­ga­nis­men ein­ge­reicht, 8 davon ver­wen­de­ten GVM. Die Anträ­ge stamm­ten von sechs Indu­strie­un­ter­neh­men: BASF sowie Fir­men aus Bel­gi­en, Chi­na und den Nie­der­lan­den.

Es ist aus­ge­rech­net die Her­stel­lung die­ses Vit­amins, wel­che über eine unrühm­li­che Vor­ge­schich­te ver­fügt, die Zwei­fel an der Sicher­heit der Her­stel­lung durch GVO in Fer­men­ter auf­kom­men lässt. Im Jahr 2018 wur­de näm­lich fest­ge­stellt, dass 20 Ton­nen des bereits in der EU in Ver­kehr gebrach­ten Vit­amin B2 durch zu sei­ner Her­stel­lung ver­wen­de­te GV-Bak­te­ri­en (Bacil­lus sub­ti­lis) kon­ta­mi­niert waren. Die Ver­un­rei­ni­gung wur­de von den deut­schen Behör­den ent­deckt. Betrof­fen waren Pro­duk­te in 20 Mit­glieds­staa­ten.

Durch GVM pro­du­zier­te ande­re Zusatz­stof­fe

Die von Inf‘OGM iden­ti­fi­zier­ten Anträ­ge zei­gen, dass GVM auch bei der Her­stel­lung ande­rer Zusatz­stof­fe eine Rol­le spie­len (22 Anträ­ge). Es sind dies vor allem Ami­no­säu­ren und Pro­te­ine (etwa Leg­häm Inf’OGM oglo­bin für die Her­stel­lung vom in den USA bereits ver­mark­te­ten «Impos­si­ble Bur­gers»), aber auch Süs­sungs­mit­tel (Stevio­gly­ko­si­de, Milch­säu­re), Pig­men­te oder Sal­ze.

Ami­no­säu­ren Die wich­tig­ste Ami­no­säu­re, die durch GVM pro­du­ziert wird, ist Lys­in. Lys­in wird haupt­säch­lich in der Agrar- und Lebens­mit­tel­in­du­strie ver­wen­det, etwa als Fut­ter­mit­tel­zu­satz. Denn Tie­re kön­nen Lys­in nicht selbst auf­bau­en und die Auf­nah­me ist in land­wirt­schaft­li­chen Betrie­ben, in denen Fut­ter­mit­tel nicht abwechs­lungs­reich sind, oft unge­nü­gend.

Da Lys­in an der Bil­dung von Kol­la­gen betei­ligt ist, fin­det es auch in Pro­duk­ten der Phar­ma- und Kos­me­tik­in­du­strie Anwen­dung (z. B. in Anti-Aging-Pro­duk­ten oder Lotio­nen zur Vor­beu­gung von Her­pes).

GVM waren in fünf von den sechs bei der EFSA ein­ge­reich­ten Zulas­sungs­an­trä­gen invol­viert – alle betra­fen die Her­stel­lung von Lys­in als Fut­ter­mit­tel­zu­satz.

Süs­s­tof­fe Steviol­gly­ko­si­de sind Süs­sungs­mit­tel, die ursprüng­lich aus den Blät­tern der in Süd­ame­ri­ka behei­ma­te­ten Steviapflan­ze (Stevia rebau­dia­na) gewon­nen wer­den. Heu­te ist die­ser Süss­stoff welt­weit gefragt. Unter dem Namen E960 zuge­las­sen, prä­sen­tiert sich Stevia als direk­te Alter­na­ti­ve zu Aspartam, das wie­der­um ins­be­son­de­re für Dia­be­ti­ker eine Alter­na­ti­ve zu Zucker dar­stellt. Im Jahr 2021 haben zwei Unter­neh­men die Zulas­sung für die Ver­mark­tung Steviol­gly­ko­sid-Mole­kü­le (Rebau­dio­sid) bean­tragt, die durch gen­tech­nisch ver­än­der­te Hefen her­ge­stellt wer­den (Amy­ris und Avan­sya V.O.F.). Nach Anga­ben von Amy­ris liegt der Haupt­vor­teil die­ser Tech­no­lo­gie dar­in, dass sie zu grös­se­ren Men­gen führt als die Extrak­ti­on von Stevia­blät­tern. Ein ren­ta­bles Geschäft für das Unter­neh­men.

Ein wei­te­res Unter­neh­men, SweeGen stellt Steviol­gly­ko­si­de zwar nicht durch GVM her, ver­wen­det aber in sei­nem Her­stel­lungs­pro­zess aus Blatt­ex­trak­ten Enzy­me, die es durch GVM pro­du­zie­ren lässt.

Pro­te­ine für Fleisch­pat­ties 2019 ging bei der Euro­päi­schen Uni­on ein Zulas­sungs­an­trag des US-Unter­neh­mens Impos­si­ble Food Incor­po­ra­ti­on ein. Die­ser Antrag, der noch von der EFSA bear­bei­tet wird, betrifft ein Mole­kül namens Leg­hä­mo­glo­bin, ein Bestand­teil von pflanz­li­chen Bur­gern, der für fleisch­ty­pi­sche Far­be und Geschmack sorgt. Das Mole­kül, des­sen Struk­tur dem des Mus­kel­pro­te­ins Myo­glo­bin sehr ähnelt, wird in Fer­men­tern durch GVO-Hefe­pil­ze her­ge­stellt. Ihre Sicher­heit ist jedoch umstrit­ten, u.a. weil weder die ver­wen­de­ten Hefe­pil­ze noch Leg­hä­mo­glo­bin über eine Geschich­te der siche­ren Nut­zung als mensch­li­che Nah­rungs­mit­tel ver­fü­gen.

Schweiz: EU-Zulas­sun­gen auto­ma­tisch gül­tig

Wer­den die von Inf’OGM iden­ti­fi­zier­ten EU-Zulas­sungs­an­trä­ge von der EFSA bewil­ligt, wer­den die ent­spre­chen­den durch GVO-her­ge­stell­ten Stof­fe auto­ma­tisch auch in der Schweiz zuge­las­sen und kön­nen ohne wei­te­re Bewil­li­gung und Kenn­zeich­nung in Ver­kehr gebracht wer­den. Dies wur­de eben­falls durch die Anpas­sung der Lebens­mit­tel­ge­setz­ge­bung im Jah­re 2020 ermög­licht. Mit den dama­li­gen Neue­run­gen wur­de die Trans­pa­renz und Sicher­heit ver­schlech­tert: Es wird nun völ­lig den Her­stel­len­den über­las­sen, ob sie die gen­tech­ni­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se offen­le­gen. Die­se las­sen ent­spre­chen­de Anfra­gen jedoch oft unbe­ant­wor­tet oder «ver­schwei­gen» den gen­tech­ni­schen Zwi­schen­schritt. Auch Behör­den und Her­stel­ler ver­lie­ren den Über­blick, was auf dem Markt ein­ge­setzt wird. Dies wur­de von der SAG bereits bei der Ver­nehm­las­sung hef­tig kri­ti­siert.

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