Pflanzen direkt in der Umwelt manipulieren
Forschenden in den USA und in China ist es erstmals gelungen, Gene Drives – eine sich selbst übertragende gentechnische Kettenreaktion – für Pflanzen zu entwickeln. Beim Einsatz dieses neuen Gentechnikverfahrens können Pflanzen statt im Labor direkt in der Umwelt manipuliert werden. Auf diese Weise sollen beispielsweise «Unkräuter» eliminiert, Herbizidresistenzen entgegengewirkt und Herausforderungen in Verbindung mit invasiven Arten oder dem Klimawandel begegnet werden.
Eine schnellere Ausbreitung künstlicher Genkonstrukte als dies bei normaler Vererbung der Fall ist? Was unvorstellbar klingt, wird durch Gene Drives ermöglicht. Das Ziel dieser Anwendung ist es, Populationen in der Natur zu verändern. Dabei wird die gentechnische Veränderung von Organismen aus dem Labor in die Umwelt verlegt. Die CRISPR-basierte gentechnische Kettenreaktion kann mit der Freisetzung einer neuen, hochinvasiven Art verglichen werden, die in der Lage ist, innerhalb kurzer Zeit unwiderrufliche ökologische Veränderungen zu bewirken. Denn in der Natur folgt die Vererbung von Genen in der Regel den Mendelschen Gesetzen, die eine gleiche Chance für alle Allele vorsehen, an die nächste Generation weitergegeben zu werden – ein Eckpfeiler der darwinistischen natürlichen Selektion. Gene Drives führen jedoch dazu, dass bestimmte Gene mit einer höheren Rate als den erwarteten 50 Prozent vererbt werden, so dass sich diese Gene innerhalb weniger Generationen in der Population durchsetzen können, selbst wenn sie für die Organismen schädlich sind. Dieser Mechanismus ermöglicht die Manipulation natürlicher Populationen durch die Einführung von Eigenschaften, die der Mensch wünscht – selbst wenn sie den Zielorganismen schaden.
Bereits 2015 wurden Gene Drives entwickelt, um Veränderungen im Erbgut von Hefepilzen und Insekten auszulösen, und 2019 erstmals bei Säugetieren1. Befürworter preisen die Technologie als einen effektiven Lösungsansatz an, der es ermöglicht, durch Insekten übertragene Krankheiten wie die Malaria einzudämmen, Ratten und andere invasive Arten – etwa die Rohrkröte, die in Australien einheimische Arten gefährdet auszurotten und sogar das Aussterben bedrohter Arten zu verhindern. Eine Gruppe von Organismen war jedoch vom Forschungsboom bislang ausgenommen: Pflanzen.

Erster Durchbruch — grosse Pläne
Gemäss der Zeitschrift «Nature Plants» gelang es nun erstmals, Gene Drives in Pflanzen zu entwickeln. Mit der Überwindung einer lange Zeit bestandenen technischen Hürde haben zwei Forschungsteams aus China und den USA unabhängig voneinander die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) – eine beliebte Labor-Modellpflanze,
die mit Senf verwandt ist – so verändert, dass sie eine genetische Information trägt, die zu 99 Prozent an die Nachkommen vererbt wird2,3. In den Experimenten wurde nachgewiesen, dass sich die synthetischen Genkonstrukte tatsächlich rasch in einer Population ausbreiten und die natürlichen Pflanzen verdrängen können. Die Forschenden sehen darin einen innovativen Lösungsansatz für aktuelle Herausforderungen der Landwirtschaft – wie die Bekämpfung von herbizidresistenten Unkräutern oder Pflanzenkrankheiten, die die Ernteerträge beeinträchtigen, oder invasive Pflanzenarten, die lokale Ökosysteme stören. So könnte der Mechanismus, der die natürliche Evolution ausser Kraft setzt, Gene in natürlichen Populationen verbreiten, die Unkräuter anfälliger für Herbizide machen oder ihre Bestäubung und Anzahl verringern, so die Forschenden. Auch Gene, die für den Menschen nützlich sind, könnten so rasch in einer Population verbreitet werden – und so die Praxis der Kreuzung von erwünschten
Merkmalen beschleunigen.
Beide Teams rechnen damit, dass ihr Gene-Drive-System eine Pflanzenpopulation in 10 bis 30 Generationen mit einem Gen 11 sättigen könnte, das zu vollständiger Sterilität führt. Alternativ könnte das System ein Gen verbreiten, welches ein Unkraut unschädlich macht, ohne es zu beseitigen, und sogar vielleicht eines, das die Allergenität einer Pflanze verhindert. Im Visier sind etwa Unkräuter wie Amaranthus palmeri, eine Fuchsschwanzart, die in mit Herbiziden behandelten GV-Sojafeldern zur Plage geworden ist und bei Menschen Allergien auslösen kann. Laut den Forschenden könnten Landwirte jedes Jahr einen Randstreifen mit Gene-Drives-Unkräutern um ihre Felder herum anpflanzen und so die Unkrautpopulation Stück für Stück auf null reduzieren.
Alternativ könnte auch die Herbizidanfälligkeit der resistenten Pflanze wiederhergestellt werden, wodurch auch die Wirksamkeit alter Chemikalien wiederhergestellt wäre.
Ob Gentechnik die Lösung für Probleme sein soll, die durch Gentechnik, Herbizideinsatz und Monokulturen ausgelöst wurden, ist jedoch – auch hinsichtlich der Vielzahl unplanbarer Auswirkungen – fraglich.
Die Genschere macht es möglich
Grundlage der patentierten Gene-Drive-Verfahren ist die Genschere CRISPR/Cas. In diesem Fall schaltet sie natürliche Gene aus, die für die Bildung von männlichen Pollen und/oder weiblichen Eizellenund damit für die Fortpflanzung der Pflanzen unverzichtbar sind. Das Team aus den USA nennt das Verfahren deswegen «Keimzellen-Killer».
Bei diesen Studien wurde ausserdem ein Gen eingeführt, das dafür sorgt, dass nur die gentechnisch veränderten Pflanzen überleben. Mit jeder weiteren Generation stieg so der Anteil der Gentechnikpflanzen in den Testpopulationen. Würden derart veränderte Pflanzen in der Natur freigesetzt, könnten diese den eingefügten Gene Drive in der Umwelt verbreiten und so die natürlichen Populationen verändern oder ausrotten.

Biologische und technische Einschränkungen
Die neuen Forschungsergebnisse versprechen laut den Forschenden eine robuste Übertragungsrate von 88 bis 99 Prozent über zwei aufeinanderfolgende Generationen. Resistenzallele, welche die Ausbreitung des Gene-Drive-Konstrukts in den Populationen hemmen könnten, sollen kaum gebildet werden. Der Ansatz biete daher eine solide Grundlage für die schnelle gentechnische Veränderung oder Unterdrückung von fremdbestäubten Populationen, so die Forschungsteams. Zahlreiche Einschränkungen verhindern aber, dass die Methode zuverlässig funktioniert und die notwendige Wirksamkeit für ein nachhaltiges Erreichen des gewünschten Ziels (bspw. die Unkrautunterdrückung) gewährleisten kann.
So etwa die bemerkenswerte Vielfalt an Lebenszyklen in der Pflanzenwelt. Die Samen vieler Pflanzenarten können im Boden für längere Zeit keimfähig bleiben (Samenruhe). Die so entstehenden Samenbanken können die Ausbreitung und Aufrechterhaltung eines Gene-Drive-Systems erheblich beeinflussen. Beispielsweise ist es nicht auszuschliessen, dass Samen im Boden überleben, die keine Gene Drives enthalten. Als eine Art demografischer Puffer wirken sie gegen das Aussterben oder die Veränderung der Population und können die Wirkung der Technologie verzögern oder gar verhindern.
Eine andere grundlegende biologische Einschränkung entsteht bei der Bestäubung. Denn Gene Drives funktionieren nur bei Pflanzen, die fremdbestäubt sind – viele lästige Unkräuter sind es aber nicht. So etwa der Zurückgekrümmte Amarant (Amaranthus retroflexus) oder der Bastard- Amarant (Amaranthus hybridus). Beide Arten sind selbstbestäubt, was die Weitergabe des Gene Drives verhindert. Auch polyploide Arten, die mehrere Kopien des Erbguts besitzen, bereiten den Forschenden Kopfzerbrechen, da hier ein Mechanismus notwendig wäre, der fähig ist, alle Kopien gleichzeitig zu verändern. Letztendlich können Pflanzen – so wie sie dies gegen Herbizide tun – eine Resistenz gegen das eingefügte Gene-Drive-System entwickeln. Gene Drives als nachhaltiges Allheilmittel für die Unkrautbekämpfung zu betrachten, wäre also blauäugig. Bedenken In der Öffentlichkeit bestehen zudem grosse Bedenken gegen die Einführung von gentechnischen Veränderungen in Wildpopulationen. Einsätze von Gene Drives sind hoch riskant – darüber sind sich zahlreiche Organisationen und Behörden einig. Denn die ökologischen Folgen der Freisetzung von Gene-Drive-Pflanzen sind unvorhersehbar und unkontrollierbar.

gegen das weitverbreitete
Herbizid Glyphosat geworden
und breitet sich in den USA
als Superunkraut aus. Daher
müssen immer giftigere Herbizide gesprüht werden. Ob eine
aggressive gentechnische
Kettenreaktion dieses Problem
lösen kann, ist fraglich.
So könnten sich etwa die manipulierten Gene im Laufe der Zeit auf andere Arten ausbreiten. Da viele Unkräuter unter anderem auch wichtige Weidearten sind, wie zum Beispiel Weidelgras (Lolium spp.), – manchmal auf demselben Betrieb – tauchen hier komplexe regulatorische, verwaltungstechnische und ökologische Bedenken auf. Eine unkontrollierte Weitergabe des Gene-Drive-Konstrukts könnte zu einem unerwünschten Rückgang oder zum Aussterben von Arten führen, die für die Landwirtschaft wichtig sind. Invasive Pflanzen sind ausserdem nur an ihrem neuen Standort lästig – in ihrem Heimatgebiet sind sie wichtige Bestandteile der Flora und spielen eine wichtige Rolle in den lokalen Ökosystemen. Mitgeschleppte Pflanzen mit Gene-Drive-Systemen könnten diese Funktionen zerstören.
In freier Natur zufällig entstandene Mutationen und Wechselwirkungen können ebenfalls unvorhergesehene Auswirkungen haben, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Dadurch ausgelöste Schäden an der Artenvielfalt sind möglicherweise irreversibel. Die rasche Veränderung oder Dezimierung von wildlebenden Populationen wirft zudem auch ethische Fragen auf.
Letztendlich stellen die vielfältigen Lebensstrategien der Pflanzen nicht nur technische Hürden dar, sondern werden auch zur Gefahr: Im Boden gelagertes Gene-Drive- Vermehrungsmaterial von Arten mit einer langlebigen Samenbank könnte etwa bei der Bodenbearbeitung durch landwirtschaftliche Maschinen leicht mitverschleppt werden.
In den aktuellen Publikationen werden diese Risiken teilweise angesprochen. Die beteiligten Forschungsteams sind der Ansicht, dass die Verfahren trotzdem funktionieren und eingesetzt werden könnten.Testbiotech, das unabhängige Institut für die Folgenabschätzung im Bereich Gentechnik fordert hingegen ein Verbot der Freisetzung von Gentechnikorganismen, die das Ziel haben, natürliche Populationen zu verändern. Das Europäische Parlament hält das Gene-Drive-Verfahren für nicht vereinbar mit dem Vorsorgeprinzip der EU und hat 2021 ein Verbot verlangt, um die Artenvielfalt nicht weiter zu beeinträchtigen. Und auch die SAG hat den Bundesrat bereits 2020 aufgefordert, sich für ein globales Moratorium einzusetzen. Zu Recht, denn geht es nach den Deregulierungsplänen der Industrielobby, könnten auch solche aggressiven Anwendungen der Genschere Rückenwind bekommen und aus dem Proof-of-Concept-Stadium herauswachsen, um Realität zu werden. Davon profitieren wird aber weder die Landwirtschaft noch die Natur.
1 ENSSER 2019 Gene Drives. A report on their science, applications, social aspects, ethics and regulations
https://ensser.org/publications/2019-publications/gene-drives-a-report-on-their-scienceapplications-social-aspects-ethics-and-regulations/
2 Oberhofer G et al. 2024 Cleave an Rescue gamete killers create conditions for gene drive in plants. Nature Plants 10: 936–953
https://www.nature.com/articles/s41477-024–01701‑3
Macilwain C 2005 US launches probe into sales of unapproved transgenic corn. Nature 434 (7032):423–424.
https://www.nature.com/articles/nature03570
3 Liu Y et al. 2024 Overriding Mendelian inheritance in Arabidopsis with a CRISPR toxin-antidote gene drive that impairs pollen germination. Nature Plants 10: 910–922
https://www.nature.com/articles/s41477-024–01692‑1