Die EU-Kommission plant, Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT), die weniger als 20 gentechnische Veränderungen tragen, ohne Risikoprüfung sowie ohne Kennzeichnung zuzulassen. Erschreckend: Mittels öffentlich zugänglicher KI-Tools wie ChatGPT können ganz einfach NGT-Pflanzen konzipiert werden, die unterhalb dieses Schwellenwerts bleiben.
Weltweit arbeiten Labore an der Verknüpfung von künstlicher Intelligenz und Gentechnik. Die ohnehin bereits dynamische technologische Entwicklung wird sich dadurch noch weiter beschleunigen. Dabei ist es wichtig, nicht nur mögliche Vorteile zu sehen, sondern auch die Risiken.
Drei NGOs aus Deutschland – die Stiftung Aurelia, Save our Seeds und Testbiotech – haben im Rahmen eines Pilotprojekts mithilfe von ChatGPT 4o ein genetischer Bauplan für eine Maissorte entwickelt, die anschliessend theoretisch mit neuer Gentechnik (NGT) realisiert werden könnte.
Ziel des Projekts war es zu zeigen, dass es mit ausreichend Fachwissen möglich ist, in kürzester Zeit diverse NGT-Pflanzen am Computer zu entwerfen, die unterhalb der gesetzlichen Schwelle für eine verpflichtende Risikoprüfung liegen.
Im Projekt wurde eine Bauanleitung für eine Maispflanze entwickelt, die einen erhöhten Gehalt an Eiweissstoffen aufweist, die für Insekten aus der Ordnung der Schmetterlinge (Lepidoptera) giftig sein können. Zu dieser Insektengruppe gehören auch wirtschaftlich bedeutende Schädlinge, etwa der Maiszünsler (Ostrinia nubilalis). ChatGPT wurden die von der Kommission vorgeschlagenen Kriterien als Bauanleitung angegeben, um gezielt eine Pflanze zu konzipieren, die auf keinen Fall eine verpflichtende Risikoprüfung durchlaufen müsste.
Für den ganzen Prozess haben die Forschenden weniger als eine Woche benötigt: eine deutliche Beschleunigung, die ohne KI nicht möglich gewesen wäre. Fachwissen war jedoch gefragt. Die Experimente zeigten auch: Ohne Verständnis der Pflanzengenetik wäre das Experiment nicht gelungen. KI könnte solche Pflanzen nicht entwickeln, wenn sie von einem Laien angeleitet würde.

Um die insektengiftigen Pflanzen zu konzipieren, wurden diverse Ansätze getestet. Einer davon griff auf das Einfügen mehrerer kleinen Punktmutationen zurück (sogenanntes Multiplexing) – jedoch weniger als der vorgeschlagene Grenzwert (20).
Tatsächlich gibt es aber keine belastbare wissenschaftliche Begründung dafür, dass NGT-Pflanzen, die unterhalb eines «magischen Schwellenwerts» von 20 genetischen Veränderungen bleiben, sicherer sind als andere gentechnisch veränderte Pflanzen.
Vorsorgeprinzip und Wahlfreiheit in Gefahr
NGT-Pflanzen, die ein Insektizid produzieren sind nicht risikofrei – unabhängig davon, wie viele gentechnische Veränderungen sie beinhalten. Sie können nicht nur für die anvisierten Schädlingsarten giftig sein, sondern auch ernsthafte Risiken für Nichtzielorganismen, Nahrungsnetze, Ökosystemfunktionen und Biodiversität darstellen.
Eine Vernachlässigung der Umweltverträglichkeitsprüfung vor der Freisetzung oder vor der Vermarktung, wie in den EU-Gesetzesvorschlägen, könnte schwerwiegende Folgen für Umwelt und Mensch haben und widerspricht dem Vorsorgeprinzip. Lebensmittel, die aus solchen NGT-Pflanzen gewonnen werden, wären zudem nicht kennzeichnungspflichtig. Dieser Mangel an Transparenz würde die Wahlfreiheit der Konsumierenden massiv einschränken.
Testbiotech sieht den insektengiftigen Mais als eine Art experimenteller Beweis dafür an, dass die EU-Vorschläge für die künftige Regulierung von NGT-Pflanzen unzureichend und bereits überholt sind, noch bevor sie in Kraft treten könnten. Deswegen fordert die Organisation, dass der Vorschlag der EU-Kommission zurückgezogen wird.
Die Bedenken von Testbiotech sind nicht unbegründet: Bereits jetzt setzen mehrere Unternehmen auf KI bei der Entwicklung von NGT-Pflanzen. Es ist davon auszugehen, dass ihre Algorithmen viel effektiver sind als die öffentlich verfügbare Version von ChatGPT. Während die Potentiale von KI, für böswillige Zwecke missbraucht zu werden und Risiken für die Biosicherheit (Biosecurity) zu verursachen, oft diskutiert werden, zeigt dieses Beispiel, auch Risiken für die Biodiversität (Biosafety). Die Bedeutung und Funktion der KI für das Design und die Entwicklung des Bauplans von NGT-Pflanzen und anderen NGT-Organismen ist in jedem Fall offensichtlich, wurde aber bisher im Vorschlag der Kommission nicht berücksichtigt.