Grundlegend verschiedene biologische und soziologische Hintergrundprozesse. Bild: Wikimedia
Grundlegend verschiedene biologische und soziologische Hintergrundprozesse. Bild: Wikimedia

Neue Gentechnik: Keine Fortsetzung der Domestikation

Die gen­tech­ni­sche Ver­än­de­rung von Nutz­pflan­zen wird von ihren Befür­wor­tern häu­fig als Fort­set­zung des uralten Pro­zes­ses der Dome­sti­ka­ti­on ange­prie­sen, um die Öffent­lich­keit für ihre Pro­duk­te zu gewin­nen. War­um die­se Pro­zes­se nicht gleich­ge­setzt wer­den kön­nen, zei­gen US-Wis­sen­schaft­ler in einem neu­en Arti­kel in der Fach­zeit­schrift Agri­cul­tu­re and Human Values. Bedeu­ten­de Unter­schie­de bestehen unter ande­ren in den bio­lo­gi­schen und sozio­po­li­ti­schen Pro­zes­sen, durch wel­che die Ver­än­de­rung erfolgt, sowie in den Aus­wir­kun­gen auf die Agro­bio­di­ver­si­tät und die Saat­gut­sou­ve­rä­ni­tät.

Gen­tech­nik führt zur Zen­tra­li­sie­rung und Ent­eig­nung von Wis­sen und Besitz­rech­ten

Die Dome­sti­ka­ti­on ist ein lan­ger evo­lu­tio­nä­rer Pro­zess, bei dem die Ver­än­de­rung von Öko­sy­ste­men durch den Men­schen und der dar­aus resul­tie­ren­de Selek­ti­ons­druck zu Ver­än­de­run­gen des Genoms, des Erschei­nungs­bilds und des Ver­hal­tens von Pflan­zen und Tie­ren füh­ren. Die Dome­sti­ka­ti­on fin­det in loka­len land­wirt­schaft­li­chen Betrie­ben statt, gesteu­ert durch die loka­len Bedürf­nis­se. Sowohl Pflan­zen­züch­tung als auch Gen­tech­nik unter­schei­den sich grund­le­gend von die­sem Pro­zess indem sie die Pflan­zen­evo­lu­ti­on von den land­wirt­schaft­li­chen Betrie­ben weg und hin zu zen­tra­li­sier­ten Insti­tu­tio­nen ver­la­gern. Die­ser Trend, der mit der insti­tu­tio­na­li­sier­ten Züch­tung ange­fan­gen hat, wird von der Gen­tech­nik auf das Extrem­ste ver­stärkt: nicht nur domi­nie­ren die von der Agrar­in­du­strie als nütz­lich erach­te­ten Merk­ma­le die For­schung und Ent­wick­lung, son­dern auch das Wis­sen und die Arbeit rund um die pflan­zen­geneti­schen Res­sour­cen fin­den aus­ser­halb des land­wirt­schaft­li­chen Betriebs statt. Zudem wird das patent­ge­schütz­te Saat­gut zum gei­sti­gen Eigen­tum und ist somit nicht mehr frei aus­tausch­bar oder wei­ter­ent­wickel­bar.

Grund­le­gend ver­schie­de­ne bio­lo­gi­sche und sozio­lo­gi­sche Hin­ter­grund­pro­zes­se

Im Sin­ne der Zen­tra­li­sie­rung und der Ent­eig­nung des Wis­sens und der Rech­te rund um das Saat­gut ist tat­säch­lich eine gewis­se histo­ri­sche Kon­ti­nui­tät zu ver­mer­ken – nicht aber im sozio­lo­gi­schen und bio­lo­gi­schen Sinn. Wäh­rend bei der Dome­sti­ka­ti­on die Bäuer:innen über das Saat­gut sowie über das damit ver­bun­de­ne Wis­sen ver­füg­ten und die Evo­lu­ti­on der Pflan­zen auf dem Feld statt­fand, wur­de die­ses Pri­vi­leg von den land­wirt­schaft­li­chen Betrie­ben zuerst in staat­li­che Insti­tu­tio­nen, und mit der Ent­wick­lung der Gen­tech­nik in die Hän­de weni­ger Gross­kon­zer­ne ver­la­gert. Auch das Tem­po der Ver­än­de­run­gen wird bei der Pflan­zen­züch­tung, und vor allem bei der Gen­tech­nik beschleu­nigt. Wäh­rend Züchter:innen und Gentechniker:innen aus gene­tisch gese­hen viel­fäl­ti­gen Popu­la­tio­nen schöp­fen, um dann gene­tisch homo­ge­ne Pflan­zen mit spe­zi­fi­schen Merk­ma­len her­zu­stel­len, geschieht dies bei der Dome­sti­ka­ti­on anders: Aus gene­tisch gese­hen diver­sen Popu­la­tio­nen ent­ste­hen neue, eben­so viel­fäl­ti­ge Popu­la­tio­nen. Auch die Selek­ti­ons­kräf­te, wel­che die Evo­lu­ti­on der Pflan­zen beein­flus­sen, sind unter­schied­lich: Bei der Dome­sti­ka­ti­on war es oft das Weg­fal­len gewis­ser Selek­ti­ons­kräf­te, die in der Natur noch wich­tig waren, wel­che zur Wei­ter­ent­wick­lung der Pflan­zen geführt hat­ten – ein indi­rek­ter Weg. So haben Kul­tur­ar­ten bei­spiels­wei­se Eigen­schaf­ten ver­lo­ren, wel­che ihre Ver­brei­tung ohne mensch­li­che Hil­fe erleich­ter­ten. In der Pflan­zen­züch­tung und in der Gen­tech­nik hin­ge­gen, wird im Gegen­satz dazu im All­ge­mei­nen auf die direk­te Selek­ti­on der wün­schens­wer­ten Eigen­schaf­ten gesetzt.

“Alle Kul­tur­pflan­zen sind gen­tech­nisch ver­än­dert” — ein irre­füh­ren­des Bild. Bild: Wiki­me­dia

Irre­füh­ren­de Gehirn­wä­sche

Aus­sa­gen wie “alle Kul­tur­pflan­zen sind gen­tech­nisch ver­än­dert“, „die Mensch­heit hat bereits vor 10’000 Jah­ren ange­fan­gen Pflan­zen für die Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on gen­tech­nisch zu ver­än­dern“ oder „fast alle aktu­ell kon­su­mier­ten Nah­rungs­pflan­zen sind grund­le­gend anders als ihre natür­li­chen Vor­fah­ren – sie sind über Tau­sen­de von Jah­ren mani­pu­liert wor­den“ lei­ten vie­le Arti­kel indu­strie­na­her Wis­sen­schaft­ler ein und sind mitt­ler­wei­le im öffent­li­chen Dis­kurs weit ver­brei­tet.

Autoren und Wissenschaftsjournalist:innen, die Dome­sti­zie­rung und GVO in einen Topf wer­fen, wol­len ihrer Leser­schaft ein­re­den, dass die Äng­ste der GVO-skep­ti­schen Öffent­lich­keit irra­tio­nal und das Resul­tat eines Man­gels an Wis­sen über Pflan­zen­bio­lo­gie sind. Somit wird ver­sucht, von Beden­ken bei­spiels­wei­se über die unbe­ab­sich­tig­ten Fol­gen der Tech­no­lo­gie abzu­len­ken. Doch sol­che Aus­sa­gen igno­rie­ren nicht nur die kom­ple­xen Mei­nun­gen der Landwirt:innen, son­dern auch die Kri­tik an den sozio­po­li­ti­schen Aspek­ten des inten­si­ven land­wirt­schaft­li­chen Systems, das u.a. weit­ge­hen­de Aus­wir­kun­gen auf das umstrit­te­ne Recht auf Besitz und Nut­zung von pflan­zen­geneti­schen Res­sour­cen hat.

Die Autoren zei­gen die wich­tig­sten Unter­schie­de zwi­schen die­sen Pro­zes­sen am Bei­spiel der USA auf. Da die Ent­wick­lun­gen in den USA einen gros­sen Ein­fluss auf inter­na­tio­na­le For­schungs­agen­den und regu­la­to­ri­sche Rah­men­wer­ke aus­üben und dort Gen­tech­no­lo­gie sowie insti­tu­tio­na­li­sier­te Pflan­zen­züch­tung die On-Farm-Züch­tung fast voll­stän­dig ersetzt haben, lässt sich aus die­sem Bei­spiel ein mög­li­ches glo­ba­les Sze­na­rio des tech­no­lo­gi­schen Wan­dels beson­ders gut ablei­ten.

Die Erobe­rung der Mehr­heit der Anbau­flä­chen durch kom­mer­zi­el­le und GV-Sor­ten hat die Züch­tungs­tä­tig­keit zen­tra­li­siert. Die pro­fes­sio­nel­le Pflan­zen­züch­tung hat die Ver­fü­gungs­rech­te über Sor­ten ein­ge­engt: Durch Paten­te geschütz­te Sor­ten sind nicht mehr Gemein­gut, das durch die Bäuer:innen frei wei­ter­ent­wickelt wer­den kann, um noch mehr Viel­falt zu erschaf­fen – die Nut­zungs­rech­te kon­zen­trier­ten sich bei begrenz­ten staat­li­chen und pri­va­ten Kör­per­schaf­ten. Damit ging wert­vol­les Wis­sen ver­lo­ren und das dezen­tra­li­sier­te System der bäu­er­li­chen Züch­tung, der Schlüs­sel zur Erhal­tung der bio­lo­gi­schen Viel­falt wur­de gesprengt. Der Ver­lust der land­wirt­schaft­li­chen Bio­di­ver­si­tät ist also weni­ger von bio­lo­gi­schem Ursprung, son­dern lässt sich viel­mehr auf sozio­po­li­ti­sche Aus­lö­ser zurück­füh­ren.

Es ist genau die Unein­heit­lich­keit der land­wirt­schaft­li­chen Prak­ti­ken über Tau­sen­de von Jah­ren, wel­che die uner­mess­li­che Agro­bio­di­ver­si­tät geschaf­fen hat, aus der heu­ti­ge Pflanzenzüchter:innen und Biotechnolog:innen schöp­fen. Der wert­vol­le und fort­lau­fen­de Pro­zess des Dome­sti­zie­rens wird jedoch von der auf gleich­för­mi­ge und ertrag­rei­che Sor­ten fokus­sie­ren­den Pflan­zen­züch­tung und der Seman­tik der gewinn­ori­en­tier­ten Gen­tech­nik bedroht. Des­halb ist es wich­tig, die Dome­sti­ka­ti­on ein­deu­tig von Pflan­zen­züch­tung und Gen­tech­nik abzu­gren­zen, um die Pflan­zen­viel­falt und die sozio­po­li­ti­schen Bezie­hun­gen, die sie för­dern und erschaf­fen, zu erhal­ten.

Aktuelle Beiträge zum Thema

Erste CRISPR-Polopferde: Kontroversen und ethische Bedenken

«Ohne GenTechnik»-Label auf dem Vormarsch

«NGT1»-Pflanzen: Risiken nicht geringer

Bürozimmer an zentraler Lage in Zürich zu vermieten

Ich mach mit:

Saatgut und Lebensmittel aus neuer Gentechnik könnten bald ohne Kennzeichnung und Risikoprüfung verkauft werden. Was halten Sie davon?

Damit wir wissen, was auf unseren Tellern landet, sammeln wir Stimmen aus der Praxis.

So geht's:

  1. Laden Sie den passenden Fragebogen herunter.
  2. Beantworten Sie 1-3 Fragen.
  3. Senden Sie uns Ihre Antworten, den Namen Ihres Betriebs und ein hochauflösendes Foto per Email an info@gentechfrei.ch.

 

Kurzumfrage für Akteur:innen aus den Bereichen:

 

Alternativ können Sie die Fragen als Word-Dokument anfordern: info@gentechfrei.ch.


Wir veröffentlichen Ihre Einsendung auf unserer Kampagnenseite und teilen sie in den sozialen Medien. Helfen Sie uns, Transparenz, Wahlfreiheit und Nachhaltigkeit zu sichern! Danke für Ihre Unterstützung.

Fragen?
E-Mail an info@gentechfrei.ch oder 044 262 25 76.

Veranstaltung:

Zürich isst! Sichern Sie sich Ihr Ticket für unsere Filmvorführungen mit anschliessenden Podien!

Im September 2015 steht ganz Zürich im Zeichen von Ernährung, Umwelt und Genuss. «Zürich isst» bietet der Bevölkerung mit vielfältigen Veranstaltungen die Gelegenheit, sich mit Fragen einer nachhaltigen Ernährung auseinanderzusetzen. Zum Programm: www.zuerich-isst.ch. DIE ZUKUNFT PFLANZEN – BIO FÜR 9 MILLIARDEN       
23. September 2015, 18 bis 21.30, Riffraff Kino Zürich