Polen will Entscheidungsprozess um Deregulierung vorantreiben. Bild: Shutterstock

Polens Vorschlag zur Patentregelung für neue Gentechnik unbrauchbar

Polen gibt Gas. Kaum hat das Land am 1. Janu­ar die EU-Rats­prä­si­dent­schaft über­nom­men, legt es schon einen Kom­pro­miss­vor­schlag vor, um die Regeln für Pflan­zen aus neu­en gen­tech­ni­schen Ver­fah­ren (NGT) zu lockern. Der Vor­schlag baut auf der Ver­si­on der bel­gi­schen Rats­prä­si­dent­schaft auf. Er adres­siert kei­nen ein­zi­gen Kri­tik­punk­te gen­tech­kri­ti­scher Orga­ni­sa­tio­nen. Dafür wer­den Schein­lö­sun­gen im Hin­blick auf Paten­te auf NGT-Pflan­zen vor­ge­legt: Dem­nach soll das Saat­gut von paten­tier­ten NGT-Pflan­zen gekenn­zeich­net wer­den. Zudem sol­len die EU-Mit­glied­staa­ten den Anbau sol­cher Pflan­zen ver­bie­ten kön­nen (Opt-out).

Polen will Zustim­mung zum Ver­ord­nungs­vor­schlag errei­chen

Polen hat­te den ent­spre­chen­den Ver­ord­nungs­ent­wurf der EU-Kom­mis­si­on aus dem Jahr 2023 bis­her wegen unge­lö­ster Patent­fra­gen abge­lehnt. Sein aktu­el­ler Vor­schlag besteht im Wesent­li­chen aus der Rats­fas­sung von 2024, die um Regeln zu Paten­ten ergänzt wur­de. Er soll nun am 20. Janu­ar in einer Arbeits­grup­pe der euro­päi­schen Agrar­mi­ni­ster zu Gen­tech­nik in der Land­wirt­schaft dis­ku­tiert wer­den. Polens Ziel dabei: eine qua­li­fi­zier­te Mehr­heit unter den 27 EU-Mit­glied­staa­ten zu errei­chen. Dafür müss­ten im Agrar­mi­ni­ster­rat 55 Pro­zent der Mit­glie­der zustim­men. Erst dann kann der Gesetz­ge­bungs­pro­zess – der soge­nann­te Tri­log mit EU-Par­la­ment und Kom­mis­si­on – wei­ter­ge­hen. Zeich­net sich kei­ne sol­che Mehr­heit ab, muss der Ent­wurf wei­ter modi­fi­ziert und ver­han­delt wer­den.

Rück­blick

Der ursprüng­li­che Ver­ord­nungs­ent­wurf der EU-Kom­mis­si­on vom Som­mer 2023 sah vor, dass die mei­sten mit NGT erzeug­ten Pflan­zen und die dar­aus her­ge­stell­ten Pro­duk­te ohne Risi­ko­prü­fung und Kenn­zeich­nung auf den Markt kom­men könn­ten. Die­sem Vor­schlag stimm­te das EU-Par­la­ment Ende 2023 zu – mit eini­gen Ände­run­gen: u.a. mit einer Kenn­zeich­nungs­pflicht für Lebens­mit­tel aus NGT-Pflan­zen oder mit NGT-Zuta­ten. Trotz inten­si­ver Bemü­hun­gen der bel­gi­schen Rats­prä­si­dent­schaft fand der Vor­schlag jedoch kei­ne qua­li­fi­zier­te Mehr­heit unter den 27 Mit­glied­staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on. Meh­re­re klei­ne EU-Staa­ten lehn­ten ihn grund­sätz­lich ab, Deutsch­land und Polen ent­hiel­ten sich der Stim­me. Die gen­tech­nik­kri­ti­sche unga­ri­sche Rats­prä­si­dent­schaft leg­te das The­ma dar­auf­hin vor­erst auf Eis.

Patent­fra­ge – die pol­ni­sche Ergän­zung

Polen hat­te sei­ne bis­he­ri­ge Ent­hal­tung vor allem mit der unzu­rei­chend gere­gel­ten Patent­fra­ge begrün­det. Eine Auf­fas­sung, die auch von Mit­glieds­staa­ten geteilt wur­de, die anson­sten für eine Dere­gu­lie­rung der NGT ein­tre­ten. Nun hat Polen zwei Ergän­zun­gen zum ursprüng­li­chen Ver­ord­nungs­vor­schlag hin­zu­ge­fügt:

  1. Kenn­zeich­nung nur für Paten­tier­te NGT-Pflan­zen: Neu­lich wird zwi­schen NGT-Pflan­zen unter­schie­den, die frei von allen Patent­an­sprü­chen sind, und sol­chen, für die Paten­te von EU-Mit­glied­staa­ten oder vom Euro­päi­schen Patent­amt erteilt oder dort bean­tragt wur­den. Nur letz­te­re sol­len gekenn­zeich­net wer­den. Das Saat­gut der paten­tier­ten Pflan­zen soll zusätz­lich zur bis­lang vor­ge­se­he­nen Kenn­zeich­nung „Kate­go­rie NGT 1“ auch mit einer Aus­lo­bung „patent­ge­schützt“ oder „Patent ange­mel­det“ ver­se­hen wer­den.
  2. Opt-out: Mit­glied­staa­ten sol­len den Anbau paten­tier­ter NGT-Pflan­zen auf ihrem Hoheits­ge­biet ganz oder teil­wei­se ver­bie­ten dür­fen – für NGT-Pflan­zen ohne Patent­an­sprü­che soll die­se Mög­lich­keit nicht bestehen. Eine Opt-out-Rege­lung, gibt es in der EU bereits seit 2015 für den Anbau von Gen­tech­pflan­zen aus klas­si­cher Gen­tech­nik. Für die neue Gen­tech­nik war bis­lang gar kei­ne sol­che Rege­lung vor­ge­se­hen.

In der Dis­kus­si­on waren bis­her auch Vor­schlä­ge, die Paten­tier­bar­keit von NGT-Pflan­zen gene­rell zu ver­bie­ten oder per Defi­ni­ti­on klar­zu­stel­len, dass nur nicht paten­tier­te NGT-Pflan­zen von den Anfor­de­run­gen des Gen­tech­nik­rechts aus­ge­nom­men wer­den. Dem­ge­gen­über ist der pol­ni­sche Vor­schlag deut­lich offe­ner, da er als ein­zi­ge mög­li­che Kon­se­quenz ein natio­na­les Anbau­ver­bot für paten­tier­te NGT-Pflan­zen vor­sieht.

NGT-Pflan­zen vom Patent­schutz aus­neh­men – ein Ding der Unmög­lich­keit?

Kön­nen Paten­te auf NGT-Pflan­zen gänz­lich ver­bo­ten wer­den? Ein im Dezem­ber 2024 von der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on prä­sen­tier­tes Gut­ach­ten kommt zu dem Schluss, dass dies gegen das Euro­päi­sche Paten­tüber­ein­kom­men (EPÜ) ver­stos­sen wür­de. Völ­ker­recht­lich zuläs­sig sei es hin­ge­gen, natür­li­che Pflan­zen und ihre Gen­se­quen­zen von der Paten­tier­bar­keit aus­zu­schlies­sen. Patent­recht­lich zuläs­sig sei es zudem auch, paten­tier­te Pflan­zen von der NGT-Dere­gu­lie­rung aus­zu­schlies­sen.

Kri­tik am pol­ni­schen Vor­schlag

«Ein schwa­cher Vor­schlag», kri­ti­siert Chri­stoph Then vom gen­tech­nik­kri­ti­schen Insti­tut Test­bio­tech, der «vie­le recht­li­che und poli­ti­sche Pro­ble­me für die Mit­glieds­staa­ten» auf­wer­fe und den Unter­neh­men kei­ne Rechts­si­cher­heit bie­te. Denn natio­na­le Rege­lun­gen könn­ten jeder­zeit von einer neu­en Regie­rung geän­dert wer­den. Zudem feh­le eine Brem­se für die fort­schrei­ten­de Macht­kon­zen­tra­ti­on auf dem Saat­gut­markt. Die­ser Mei­nung ist auch die Umwelt­or­ga­ni­sa­ti­on Fri­ends of the Earth Euro­pe. Denn auch der pol­ni­sche Vor­schlag wür­de klei­nen und mitt­le­ren Züch­tern den Zugang zu wich­ti­gen gene­ti­schen Res­sour­cen ver­weh­ren. Die pol­ni­sche Rats­prä­si­dent­schaft begrün­de­te ihr Vor­ge­hen in einem Begleit­schrei­ben zu dem Vor­schlag damit, dass weder die Mit­glied­staa­ten noch die EU-Kom­mis­si­on die euro­päi­schen Patent­re­ge­lun­gen ändern woll­ten.

Wei­te­re Defi­zi­te des poli­schen Vor­schlags

Jen­seits der Patent­fra­ge hat die pol­ni­sche Rats­prä­si­dent­schaft kei­nen der zahl­rei­chen Kri­tik­punk­te der Mit­glied­staa­ten am NGT-Vor­schlag der EU-Kom­mis­si­on auf­ge­grif­fen. So gibt es:

-kei­ne umfas­sen­de Kenn­zeich­nung von Lebens­mit­teln aus oder mit NGT-Pflan­zen

-kei­ne Rege­lun­gen zur Siche­rung der Koexi­stenz zwi­schen NGT-Pflan­zen und gen­tech­nik­frei­er Land­wirt­schaft

-kei­ne Haf­tungs­re­ge­lun­gen zur Siche­rung der Gen­tech­nik­frei­heit unse­rer Lebens­mit­tel­pro­duk­ti­on

-kei­ne Risi­ko­prü­fung aller NGTs, kei­ne Rück­ver­folg­bar­keit und kei­ne Kenn­zeich­nung bis zum End­pro­dukt

Aus­sich­ten – EU/Schweiz

Ange­sichts die­ser Kri­tik­punk­te for­der­ten ver­schie­de­ne euro­päi­sche Orga­ni­sa­tio­nen die pol­ni­sche Rats­prä­si­dent­schaft auf, sich für Min­dest­si­cher­heits­stan­dards, Trans­pa­renz und Fair­ness gegen­über den Land­wir­ten ein­zu­set­zen. Es ist frag­lich, ob der Vor­schlag der vier­ten Rats­prä­si­dent­schaft seit dem Kom­mis­si­ons­ent­wurf von 2023 eine qua­li­fi­zier­te Mehr­heit fin­den wird. Zwar fehl­te zuletzt nicht mehr viel und Polen wird nun für sei­nen Vor­schlag stim­men. Die Opt-out-Rege­lung dürf­te aber umge­kehrt bis­he­ri­ge Befür­wor­ter zu Geg­nern machen. Der Aus­gang der Abstim­mung bleibt also unge­wiss.

Auch in der Schweiz ste­hen 2025 wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen zur Regu­lie­rung der Gen­tech­nik an. Die EU-Gesetz­ge­bung gilt dabei gemein­hin als Vor­bild. Doch die Schweiz kann anders. Mit der Lebens­mit­tel­schutz-Initia­ti­ve will die SAG die Wahl­frei­heit der Kon­su­mie­ren­den und die Ein­hal­tung des Vor­sor­ge­prin­zips sicher­stel­len – zum Schutz der gen­tech­frei­en Land­wirt­schaft, der Umwelt und unse­rer Gesund­heit. Unter­schrei­ben auch Sie!

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