Fokusartikel

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Die Bäuerinnen werden im Umgang mit Permakulturen geschult (Bild: Pelum)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 110

Lebensmittelproduktion und Ernährungssicherheit

Der Klimawandel ist auf dem Vormarsch und bringt beträchtliche Veränderungen mit sich. Wetterextreme wie Dürren und Stürme häufen sich und haben unmittelbare Konsequenzen auf die Lebensmittelproduktion und die Ernährungssicherheit. Bereits vulnerable Regionen und Bevölkerungsgruppen, wie Kleinbauern im Königreich Eswatini, sind davon bereits stark betroffen. Die Agrarindustrie setzt auf Gentechnik. Doch es sind naturnahe agrarökologische Methoden wie Permakultur, die sich tatsächlich bewähren. Sie tragen nicht nur zur Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung bei, sondern verbessern und diversifizieren deren Lebensunterhalt bedeutend. Eine Fallstudie im Königreich Eswatini.

Text: Alisa Autenried

Im Königreich Eswatini (ehemals Swasiland) im südlichen Afrika betreibt ein Grossteil der Bevölkerung Subsistenzlandwirtschaft – der Anbau von Lebensmitteln und das Halten von Nutztieren zur Selbstversorgung. Gerade in ländlichen Regionen, wo die Chance, eine geregelte Einkommensquelle zu haben, und somit die Kaufkraft gering sind, sind die Menschen auf den Eigenanbau der Lebensmittel angewiesen. So ist beinahe jede Behausung von kleinen Feldern umgeben. Und trotzdem leidet jeder dritte Swazi an Unterernährung, denn nebst wirtschaftlichen und sozialen Missständen stellt auch die Lebensmittelproduktion eine Herausforderung dar: Diverse Schädlinge zerstören die Ernte und heftige Regenfälle tragen den bereits nährstoffarmen Boden ab und hinterlassen unfruchtbare Felder. Hinzu kommt das heisse, trockene Klima, das vor allem in den tiefergelegenen Regionen herrscht und für starke Wasserknappheit sorgt. Der Mangel an Wasser reduziert die Auswahl an anbaubaren Pflanzen erheblich und beschränkt sie hauptsächlich auf Mais, Bohnen, Süsskartoffeln, Erdnüsse und Sorghum. Besonders schwierig gestaltet sich das Halten von Nutztieren und den Anbau von Gemüse, da deren Wasserbedarf sehr hoch ist. In den letzten Jahren haben sich die Dürre- und Sturmperioden verstärkt – gemäss Experten eine Folge des Klimawandels. Eine weitere Auswirkung der Klimaveränderung ist in Eswatini die Verlagerung der Jahreszeiten: Die sonst regenreiche Anbausaison (Oktober bis Dezember) wird zunehmend von Dürren heimgesucht, welche Jungpflanzen austrocknen lassen. Starker Regen im normalerweise trockenen Sommer (Januar bis April) lässt erntereife Pflanzen verfaulen. Verunsichert durch diese neuen unberechenbaren klimatischen Bedingungen werden Samen und Setzlinge zum falschen Zeitpunkt angepflanzt oder es wird gänzlich auf den Anbau verzichtet. Die Ernährungssicherheit im Königreich Eswatini wird jetzt, zur Zeit der Corona-Krise, noch stärker bedroht: Das Königreich Eswatini ist stark von Lebensmittelimporten aus Südafrika abhängig. Doch nun wurden die Grenzen geschlossen, Lieferketten unterbrochen und die dringend benötigte Lebensmittelzufuhr ist nicht mehr garantiert. Zusätzlich können sich wegen der steigenden Arbeitslosigkeit viele Familien den Kauf von Lebensmitteln nicht mehr leisten. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, die FAO, befürchtet, dass sich aufgrund der Corona-Krise die Zahl der Hungernden weltweit verdoppeln könnte. Besonders besorgniserregend ist die Lage in trockenen Regionen Afrikas. In Krisensituationen wie Corona-Zeiten und Klimawandel ist die Subsistenzlandwirtschaft umso wesentlicher. Dafür braucht es aber geeignete Landwirtschaftstechniken, die der Bevölkerung erlauben – trotz trockenen und unberechenbaren Bedingungen – ihre Lebensmittel zu produzieren und Überschüsse als Einkommensquelle zu verkaufen.

 Landwirtschaftstechniken und Wege zur Widerstandsfähigkeit

ACAT_PermakulturKleinbäuerinnen werden Kenntnisse zu Permakultur, Wassersammlungssystemen, Bodenbearbeitung und Lagerung von Saatgut vermittelt. (Bild: EcoSolidar)

Diverse Akteure entwickeln Strategien zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels. Agrarkonzerne beispielsweise setzen hier an und propagieren, dass gentechnisch veränderte Nutzpflanzen durch ihre Hitzetoleranz, Dürreresistenz oder insektizidale Wirkung die Ernährungssicherheit in Afrika gewährleisten können. Doch diverse Fallstudien beweisen, dass Gentechnutzpflanzen langfristig weder ertragreicher noch gegen Insektenschädlinge wirksam sind. Vielmehr treiben sie Kleinbauern in eine starke Abhängigkeit von Agrarmultis und schliesslich in die Verschuldung. Denn das teure GV-Saatgut, Dünger und die dazu passenden Pflanzenschutzmittel müssen jährlich teuer erstanden werden: Aufgrund der Patentierung von Saatgut ist es den Bauern untersagt, die Samen der GV-Pflanze aufzubewahren und sie in der nächsten Saison zu säen. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) ACAT Swaziland zeigt, dass biologische und agrarökologische Landwirtschaftstechniken die bessere Option zur Verbesserung der Ernährungssicherheit in Eswatini sind. Unterstützt durch die Basler NGO EcoSolidar vermittelt ACAT KleinbäuerInnen Kenntnisse zu Permakultur, Wassersammlungssystemen, konservierender Bodenbearbeitung, Lagerung von Saatgut und Haltung von einheimischem Geflügel.

Der Permakultur-Gemüsegarten

Nicht viele der in den trockenen Regionen wohnhaften Swazi bauen Gemüse an, denn nebst der Wasserknappheit sind Samen, Setzlinge und synthetische Pflanzenschutzmittel oft nicht erschwinglich. Tatsächlich wird der Einsatz von synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln von einem Grossteil der KleinbäuerInnen für den Gemüseanbau als notwendig erachtet. Daher lädt ACAT seit 2017 Kleinbäuerinnen aus den trockensten und ärmsten Regionen Eswatinis zu einem dreitägigen Permakulturgarten-Training ein, bei dem naturbasierte, preisgünstige Alternativen aufgezeigt werden. Das Training setzt sich aus sechs ergänzenden theoretischen und praktischen Lektionen zusammen: Kompost, Gülle, Pflanzungstechniken, Schädlingsbekämpfung, Fruchtfolge und Grauwasserfilterung. Die Gartentechniken sind lokal angepasst und helfen KleinbäuerInnen ressourcenschonend und naturnah Gemüse zu produzieren, ihren Lebensunterhalt zu diversifizieren und nachhaltig zu verbessern. Permakultur ist eine agrarökologische Landwirtschafts- und Gartenbaumethode. Ihr Ziel ist es, die Lebensgrundlagen der Menschen dauerhaft zu sichern – ökologisch, sozial und ökonomisch. Gleichzeitig werden Fruchtbarkeit und Biodiversität gefördert. Es werden dabei natürliche Ökosysteme und Kreisläufe nachgeahmt. Das Design spielt deswegen in Permakulturgärten eine zentrale Rolle: Indem gewisse Pflanzenarten spezifisch angeordnet werden, können sie ihre Energie, Eigenschaften und Ressourcen austauschen, sich so gegenseitig unterstützen und schaffen dadurch ein produktives Ökosystem. Diese Wechselwirkung ersetzt menschlichen Arbeits- und Materialeinsatz weitgehend. Schichten organischer Materialien, das Beifügen von Kompost, die Streuung von Holzasche und Fruchtfolgen fügen dem Boden eines Gemüsebeetes wichtige Nährstoffe zu. Dieser fruchtbare Boden, kombiniert mit Sonne und ausreichender Feuchtigkeit, ist die ideale Basis für einen gedeihenden Gemüsegarten. Die benötigte Feuchtigkeit wird generiert, indem dem Gemüsebeet eine Schicht Zeitungspapier unterlegt wird und Mulch die Oberfläche abdeckt. Dies speichert Wasser und verhindert eine rasche Evaporation. Die Grauwasserfilterung – die Reinigung von Koch- oder Abwaschwasser – erlaubt, bereits gebrauchtes Wasser zum Bewässern des Gemüsegartens zu nutzen. Da in der Permakultur gänzlich auf chemische Pflanzenschutz- oder Düngemittel verzichtet wird, muss das Gemüse ausserdem vor dem Verzehr nicht gewaschen werden. Dank dieser optimalen Nutzung der verfügbaren Wasserressourcen kann auch in den trockenen Regionen Gemüse angebaut werden. Aber auch im Königreich Eswatini gibt es zahlreiche Schädlinge, die sich gerne über das Gemüse hermachen. Daher hat die Permakultur viele lokal angepasste, natürliche Methoden der Schädlingsbekämpfung entwickelt. Indem Zwiebelgewächse das Gartenbeet umrunden und in Linien zwischen Blatt- und Wurzelgemüse gepflanzt werden, werden einerseits Insekten durch den stechenden Geruch ferngehalten und andererseits sind Krankheiten an der Verbreitung gehemmt. Eine insektenabwehrende Wirkung hat auch der botanical Spray – Wasser, in das bittere und scharfe Pflanzen wie Chili, Knoblauch, Aloe Vera, Pfeffer und einheimische Kräuter eingelegt werden und mithilfe eines Blattes auf das Gemüse gepinselt wird. Weitere simple Massnahmen wie beispielsweise das Umstellen der Setzlinge mit Holzstäbchen verhindern eine Zerstörung durch Erdraupen.

Permakultur verbessert Lebensgrundlagen in Eswatini

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Durch heftige Regenfälle wird der bereits nährstoffarme Boden abgetragen, was die Lebensmittelproduktion erschwert. Fehlende Vegetation, ausgelöst durch Überweidung und Trockenheit, unterstützt die Bodenerosion zusätzlich. (Bild: Alisa Autenried)

Diese Techniken helfen, dem Boden Nährstoffe zuzufügen, die knappen Wasserressourcen optimal zu nutzen und Schädlinge vom Gemüse fernzuhalten. So wird es möglich, auch in trockenen Regionen einen Gemüsegarten zu haben – ohne chemische Pflanzenschutz- oder Düngemittel und ausschliesslich mit verfügbaren, natürlichen Materialien. Im Rahmen einer unabhängigen Forschungsarbeit habe ich die Auswirkungen dieser Permakulturmethoden auf die Lebensgrundlagen der Kleinbäuerinnen untersucht. Die Befragten sind sich einig: Permakultur hat ihr Leben positiv verändert, und zwar in diversen Aspekten. Die bedeutendste Veränderung ist die gesteigerte Produktion von Lebensmitteln. Die Kleinbäuerinnen beobachteten Zunahmen sowohl in Quantität wie auch in Qualität des Gemüses im Vergleich zu herkömmlichen Gemüsegärten, in denen chemische Pflanzenschutz- und Düngemittel eingesetzt wurden: Permakulturgemüse wächst nicht nur schneller, ist grösser und hat eine höhere Ertragssicherheit, es kann auch länger gelagert werden und hat einen besseren Geschmack. Die gesteigerte Ernährungssicherheit führt zu verbesserter Gesundheit: Die Ernährung der Kleinbäuerinnen und ihrer Familien ist durch den Konsum von Gemüse ausgewogener und vitaminreicher als zuvor und dank des biologischen Anbaus frei von gesundheitsschädigenden Chemikalien. Dadurch, dass die Kleinbäuerinnen für den Gemüsegarten ausschliesslich verfügbare Materialien benutzen, Pestizide und Dünger auf natürliche Weise selbst herstellen und keine teuren synthetischen Mittel mehr erstehen müssen, können sie viel Geld sparen. Der Gemüseanbau bessert die Haushaltskasse weiter auf, da sie weniger Lebensmittel kaufen müssen. Zusätzlich verkauften viele der Befragten Ernteüberschüsse an Nachbarn und Bekannte. Das zusätzliche Geld kann anderweitig investiert werden, etwa in Schulgebühren, in Zäune oder in den Aufbau eines kleinen Geschäftes.

Agrarökologie statt Gentechnologie

Krisensituationen, wie heute die Corona- Pandemie, in denen beispielsweise Lieferketten unterbrochen werden, verdeutlichen die Wichtigkeit, Lebensmittel lokal produzieren zu können, um die Ernährungssicherheit der Menschen zu gewährleisten. Ist die Lebensmittelproduktion jedoch durch klimawandelbedingte Wetterextreme dauerhaft erschwert, müssen die lokalen Anbausysteme neu überdacht und den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Die Agrarindustrie und die mit ihr verbandelte Forschung wirbt für teure gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, die eigene Insektizide produzieren oder dürreresistent sind. Doch die Kosten und die Risiken sind hoch, für Mensch und Umwelt gleichsam. Agrarökologische Anbaumethoden wie die Permakultur aber haben das Potenzial, auch mittellosen Menschen in trockenen Gebieten mit nährstoffarmen Böden zu mehr Ernährungssicherheit zu verhelfen. Es braucht keine Gentechnologie in Afrikas Landwirtschaft.

Alisa Autenried

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(Bild: Alisa Autenried)

Im Rahmen meiner Masterarbeit in Geografie (Entwicklung und Umwelt) an der Université de Lausanne untersuchte ich in dreimonatiger Feldforschung den Wissenstransfer von agrarökologischen Ansätzen zwischen KleinbäuerInnen im Königreich Eswatini. Mittels 43 tiefgreifenden Interviews mit KleinbäuerInnen, die das Permakulturtraining der Entwicklungsorganisation ACAT Swaziland besuchten oder das Wissen durch eine TrainingsbesucherIn erlangten, gewann ich Einblick in die lokalen Gegebenheiten und konnte die tatsächlichen Auswirkungen der Permakultur auf den Lebensunterhalt ermitteln. Zusätzlich erlaubte mir diese unabhängige Forschung, die Funktionalität des «Farmer to Farmer»-Ansatzes und die Tragweite des Projektes zu untersuchen. Mein Interesse für Wissenstransfer in der Landwirtschaft hat mich im September 2019 zur SAG geführt, wo ich eine einjährige Projektassistenz absolviere.
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(Bild: Greenpeace/Stutz)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 95

Die Schweiz bleibt weiterhin gentechfrei — oder doch nicht?

In der Schweiz wachsen keine genmanipulierten Pflanzen. Dies ist ein Erfolg des zum dritten Mal verlängerten Anbaumoratoriums der Gentechfrei-Initiative aus dem Jahre 2005, welche die SAG mit ihren Partnerorganisationen lanciert hatte. Doch nun drängen neue gentechnisch veränderte Pflanzen auf den Markt – ob sie dem Moratorium unterstellt werden, ist noch unklar.

Text: Denise Battaglia, Paul Scherer

Zum dritten Mal hat das eidgenössische Parlament das Gentech-Moratorium verlängert, es dürfen in der Schweiz weiterhin keine genmanipulierten Pflanzen angebaut werden. Das Verbot gilt bis ins Jahr 2021. Auch die Koexistenz wurde abgelehnt.

Die Unschuld (noch einmal) bewahrt

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(Bild: Yoshiko Kusano)

Die Schweiz sei zu klein für ein Nebeneinander von gentechnisch veränderten und konventionellen Pflanzen, lautete der Tenor im Ständerat in der Frühlingssession. Würden gentechnisch manipulierte Pflanzen einmal zugelassen, liessen sich Verunreinigungen nie mehr rückgängig machen. «Man kann die Unschuld nur einmal verlieren», sagte der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann treffend. Die Schweiz hat sich die Unschuld (noch einmal) bewahrt. Martina Munz, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG), freut sich über die Verlängerung des Verbots um vier Jahre. «Dass die Schweiz bis heute gentechfrei ist, verdanken wir dem Engagement der SAG und den Partnerorganisationen.» Ein Verbot auf unbestimmte Zeit wäre Martina Munz allerdings lieber gewesen: «Unser Ziel haben wir erst dann erreicht, wenn wir den Grundsatzentscheid für eine ökologische, ganzheitliche, risikofreie Landwirtschaft gefällt haben.»

Das Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO) geht auf die von der SAG und ihren Partnern lancierte Gentechfrei-Initiative aus dem Jahr 2005 zurück, die ein Verbot für gentechnisch veränderte Pflanzen für fünf Jahre forderte. Für die Initiative spannten Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum von links bis rechts und Organisationen aus der Landwirtschaft, aus dem Umwelt-, Tier- und Konsumentenschutz zusammen. Trotzdem war die Volksabstimmung ein Kampf Davids gegen Goliath: Hier die nicht profitorientierten Umwelt- und Bauernorganisationen, dort die finanzstarke Wirtschaft, mit den Chemie- und Agrokonzernen im Rücken.

Obwohl Bundesrat und Parlament die Initiative zur Ablehnung empfohlen hatten, stimmten ihr 55,7 Prozent der Bevölkerung und alle Kantone zu. Es gab auch keinen Röstigraben, keine Kluft zwischen den Stadt- und Landkantonen. Die Annahme der Initiative gehört zu den grössten Erfolgen der im Jahre 1990 gegründeten SAG und ihrer Partner.

Bevölkerungsumfrage zeigt hohe Ablehnung

Fokus 95 Applaus
(Bild: Monika Flückiger)

Dank dieses Volksentscheides und des nun zum dritten Mal verlängerten Moratoriums ist die Schweiz gentechfrei. Dies entspricht noch heute dem Willen der Bevölkerung.

Die Befragten wollen keine Gentechnik auf dem Feld und keine Pestizide auf dem Teller. Aber gerade die gentechnisch veränderten Kulturpflanzen, die seit gut 30 Jahren auf dem Markt sind, wurden im Labor so verändert, dass sie entweder Schädlingsgifte absondern (sogenannte Bt-Pflanzen) oder gegen die Besprühung mit Unkrautvernichtungsmitteln (Herbizide) immun sind. «Weit über 90 Prozent der Gentech-Pflanzen mit einer Herbizidresistenz sind gegen ein einziges Herbizid immun – gegen Round-up von Monsanto», kritisiert die Basler Biologin Florianne Koechlin, Mitinitiantin der Gentechfrei-Initiative und Gründungsmitglied der SAG. «Wir sind heute mit einer gigantischen weltweiten Pestizidmonokultur konfrontiert, das hat es noch nie gegeben.» Diese Monopolstellung, die durch die geplanten Fusionen unter den grössten Agro- und Chemiekonzernen (siehe gentechfrei, Nr. 94, Mai 2017) und durch Patentierungen von Saatgut noch verstärkt werde, zerstöre auch die Vielfalt auf dem Feld, sagt die Biologin. Auch Florianne Koechlin freut sich über die erneute Moratoriumsverlängerung, «aber eigentlich braucht es ein Verbot. Wir brauchen diese Technologie nicht.»

Mehrheit der EU-Länder will keine Gentech-Pflanzen

Fokus 95 Sommaruga
(Bild: Yoshiko Kusano)

Transgene Pflanzen will auch die Mehrheit der EU-Staaten nicht. 17 von 28 EU-Staaten haben von der sogenannten Opt-out-Regelung Gebrauch gemacht. Mit ihrem Moratorium ist die Schweiz somit in bester Gesellschaft, sie ist keine gentechfreie Insel, wie die Wirtschaftsverbände gern behaupten. Womöglich stand die Schweiz mit ihrem Moratorium den EU-Ländern sogar Modell: Bereits vor acht Jahren nannte die 5. Europäische Konferenz der gentechnikfreien Regionen die Schweiz einen «Leuchtturm», der «mit dem Gentech-Moratorium Europa den Weg weist».

USA: Erster Widerstand gegen Gentech-Nahrungsmittel

Auch die amerikanischen Konsumentinnen und Konsumenten sind skeptischer geworden. Die Nachfrage nach gentechfreien Produkten wächst so stark, dass bei einigen Pflanzen Rohstoffe oder gentechfreies Saatgut aus Europa und Asien importiert werden müssen. In verschiedenen Bundesstaaten kamen Initiativen zur Abstimmung, die ein Anbauverbot oder eine Deklarationspflicht für GVO forderten. Als erster US-Bundesstaat hat Vermont 2014 eine Deklarationspflicht eingeführt. Grosse amerikanische Lebensmittelkonzerne wie Campbell Soups, Mars und Kellogg’s wollen ihre Produkte kennzeichnen, wenn sie gentechnisch veränderte Pflanzen enthalten.

Gentechnisch veränderte Pflanzen durch die Hintertür?

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Gemäss der UNIVOX-Umwelt-Studie von 2015 nehmen 70 Prozent der Befragten gentechnisch veränderte Lebensmittel als Gefahr wahr. Nur Klimawandel, Kernkraftwerke und vor allem Chemikalien und Pestizide werden als noch gefährlicher bewertet. (Bild: Yoshiko Kusano)

Verschwinden genmanipulierte Pflanzen folglich bald wieder vom Markt? Das Gegenteil ist zu befürchten. Den Forschern stehen heute einfach zu handhabende und billige Instrumente zur Verfügung, wie das Genome Editing, mit denen sie gezielt Mutationen in ganz bestimmten Abschnitten der DNA herbeiführen, ganze Genabschnitte ausschneiden, ersetzen oder verändern können. Die Veränderungen seien im Endprodukt nicht nachzuweisen, sagen die Forscher. Das heisst: Würde ein Agrokonzern das Erbgut im Apfelbaum mit Genome Editing verändern, wäre die Manipulation im Apfel nicht mehr nachweisbar (vgl. gentechfrei Nr. 93, Januar 2017). Deshalb sprechen die Forscher, die Agrokonzerne und inzwischen auch die Bundesbehörden bei diesen neuen Techniken nicht mehr von «Gentechnik», sondern von «neuen Pflanzenzüchtungs-verfahren». «Dieses neue Wording soll den Laien davon ablenken, dass auch hier das Genom von Menschenhand manipuliert wurde», ärgert sich SAG-Präsidentin Martina Munz.

Weil – um bei obigem Beispiel zu bleiben – im Apfel die Genmanipulation nicht mehr nachzuweisen wäre, ist noch unklar, ob ein solcher Apfel unter das Gentechnikgesetz fallen würde. Der Bund, der diesen Entscheid fällen muss, scheint abzuwarten, was die Europäische Kommission macht, die den Entscheid ihrerseits hinauszögert. Fallen sie nicht unter das Gentechnikgesetz, könnten mit Genome Editing hergestellte Pflanzen ohne weitere Sicherheitsprüfung freigesetzt und angebaut werden.
Bewertet der Bund mit Genome Editing hergestellte Pflanzen nicht als GVO, fallen sie nicht unter das Gentechnikgesetz und könnten trotz Gentech-Moratorium angebaut und ohne Deklaration verkauft werden. «In diesem Fall wäre die Moratoriumsverlängerung, über die wir uns jetzt freuen, eine bröckelnde Teillösung», sagt Daniel Ammann, der die SAG mit gegründet hat und sie bis 2012 leitete. Er hofft, dass die neuen Verfahren auch unter das Gentechnikgesetz fallen, denn «sie eröffnen einen grossen Manipulationsspielraum mit derzeit nicht abschätzbaren Folgen». Tatsächlich haben Wissenschaftler bereits zugeben müssen, dass die neuen chirurgischen Genominstrumente doch nicht so präzise sind wie gewünscht und bereits propagiert.

Wie weit wollen wir in die Natur eingreifen?

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Greenpeace unterstützte die Moratoriumsinitiative ebenso wie die SP, die Grünen, der Schweizer Landfrauenverband, der Schweizerische Bauernverband, die Kleinbauernvereinigung, der Tierschutz, der Schweizer Vogelschutz, Bio Suisse, IP Suisse, die Erklärung von Bern (heute Public Eye), SWISSAID, die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, Pro Natura und WWF. (Bild: Greenpeace Ex-Press Adair)

Herbert Karch, der 2005 die Kampagne für die Gentechfrei-Initiative erfolgreich leitete, findet es auch höchste Zeit, «dass sich die Wissenschaftsgemeinde fragt, ob es für sie ethische Grenzen gebe und wie sie es mit der Selbstverantwortung halte». Eine Wissenschaft, der es um Erkenntnisse gehe, müsse sich selbstkritisch mit ihrem Handeln auseinandersetzen. «Stattdessen diffamiert die Wissenschaftsgemeinde rund um die Gentechnik jeden, der sich kritisch äussert als wissenschafts- und fortschrittsfeindlich», moniert Karch. «Sie sollte sich vielleicht einmal fragen, wem sie eigentlich dient: dem Wohl der Menschheit oder einzelnen Kapitalinteressen?»

«Deshalb», sagt SAG-Präsidentin Martina Munz, «müssen wir kritisch bleiben und nun gemeinsam gegen die Einführung der Gentechnik durch die Hintertür kämpfen.»

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(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 106

UN-Bericht zu weltweitem Biodiversitätsverlust

Zuerst die schlechte Nachricht: Eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen veröffentlicht Besorgniserregendes zum Thema Biodiversität: Das Artensterben kann nicht mehr verneint werden. Der Mensch und seine Lebensweise sind für die beschriebene Entwicklung verantwortlich, das geht aus dem Bericht zweifelsfrei hervor. Die zunehmende Überbauung der Landschaften und der weiter wachsende Konsum belasten die Erde und damit auch die Biodiversität. In einem 1500 Seiten starken Dokument wurden weltweit Daten aus verschiedensten Quellen gesammelt und zusammengefasst. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Für Gegenmassnahmen ist es noch nicht zu spät.

Text: Kathrin Graffe

Speziell das Insektensterben ist ein immer wieder kontrovers diskutiertes Thema, befeuert von persönlichen Beobachtungen wie weniger Insekten auf der Windschutz­scheibe, weniger Mücken beim Apéro oder Wespen am Esstisch. Ist es nun ein Gerücht, oder ist was dran an diesen persönlichen Beobachtungen oder Meldun­gen in der Presse? Seit Mai gibt es nun handfeste Fakten zum Thema Artensterben und Biodiversität.

Der «Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services», der vom Weltbiodiversitätsrat IPBES (Inter­governmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) veröffentlicht wurde, stellt Forschungsergebnisse zumVerlust der Biodiversität in Afrika, Amerika, Europa, Zentralasien und Asien Pazifik zusammen. Das Ziel war es, ein möglichst globales Bild aus verschiedenen Perspekti­ven zu schaffen und eine Grundlage zu schaffen, um Probleme gemeinsam inter­national angehen zu können. Lokale Projekte und Ideen sind sinnvoll und wichtig, aber eine Vernetzung ist unerlässlich und erhöht die Wirksamkeit von Massnahmen. «Politik, Anstrengungen und Aktionen – auf allen Ebenen – werden jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf dem besten Wissen und den besten Erkenntnissen basieren. Das bietet das IPBES Global Assessment», ist der IPBES­ Vorsitzende Robert Watson überzeugt. 2012 gegründet, ist IPBES ist ein relativ junges UN-­Organ, ein zwischenstaatliches Gremium, das helfen soll, umweltpolitische Entscheidungen nach bestem Stand des Wissens zu treffen. IPBES hat bereits mehrere Veröffentlichun­gen zu regional und thematisch beschränkten Themen gemacht, zum Beispiel auch zum Thema Bestäuber und Nahrungsmittel­produktion, und legt nun zum ersten Mal einen globalen Bericht vor. 150 Wissen­schaftler aus 50 Ländern waren beteiligt und zwar, das ist neu, nicht nur Natur­wissenschaftler, sondern auch ein grosser Teil Sozialwissenschaftler und Praktiker. So wurde auch indigenes und lokales Wissen berücksichtigt.

Artensterben in Zahlen

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(Bild: Shutterstock)

Die Hauptaussage des Assessments: Das Artensterben, der Rückgang der Biodi­versität, kann nicht mehr verneint werden. Die Schnelligkeit, mit der Arten ausster­ben, liegt mindestens 10­mal höher als im Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre. Eine Million der derzeit existierenden acht Millionen Tier­- und Pflanzenarten drohen auszusterben, viele in den kom­menden Jahrzehnten. Dabei trifft es beson­ders die Amphibien wie Molche, Kröten oder Frösche, die zu 40 Prozent als bedroht gelten. Nicht viel besser geht es den Korallen, Haien und Meeressäugern mit etwa 30 Prozent. Die Zahl der bedrohten Insektenarten liegt bei etwa 10 Prozent. Waldflächen sind enorm zurück­gegangen. In 13 Jahren (2000 bis 2013) nahm die Waldfläche international um 7 Prozent ab. Zwischen 1980 und 2000 wurden in den Tropen 100 Millionen Hektar in Landwirtschaftsfläche umgewandelt, die Hälfte davon war vorher Wald. Das sind die Ergebnisse. Man fragt sich: Warum ist es so weit gekommen? Und noch wichtiger: Haben wir noch eine Chance, das Ruder herumzureissen? Der Mensch und seine Lebensweise sind für die beschriebene Entwicklung verantwortlich, das geht aus dem Bericht zweifelsfrei hervor. Die immer weiter wachsende Bevölkerung und der zunehmende Konsum belasten die Erde und damit auch die Bio­diversität. Konkret zurückzuführen ist dies auf den Verlust von Lebensraum bezie­hungsweise die Landnutzungsänderung durch die zunehmende Überbauung der Landschaften, die landwirtschaftliche Nutzung, den Abbau natürlicher Ressourcen (Jagd und Fischerei), Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten.

Intensive Landwirtschaft ist die Hauptursache

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Der grösste Teil der Erdoberfläche ist in irgendeiner Form durch den Menschen verändert worden. Die Fläche der angebauten Nutzpflanzen hat sich seit 1970 vervierfacht. Man zielt auf besonders hohe Erträge ab, weshalb grosse Mengen an Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt werden. (Bild: Shutterstock)

Der Verlust von Lebensraum steht dabei in Bezug auf die Auswirkungen an erster Stelle. 75 Prozent der Erdoberfläche sind in irgendeiner Form durch den Menschen verändert worden und die Fläche der ange­bauten Nutzpflanzen hat sich seit 1970 vervierfacht, so steht es im Bericht. Das Fazit von Prof. Dr. Ralf Seppelt – Leitautor im Kapitel «Szenarien und Wege in eine nach­haltige Zukunft»: «Neben dem Klimawandel spielt die Ausbreitung invasiver Arten in Gebieten, in denen diese normalerweise nicht vorkommen, eine Rolle. Den grössten Einfluss hat eine intensive Landwirtschaft und die damit verbundenen Emissionen: Mehr Fläche wird für Weidewirtschaft und Ackerbau genutzt. Und man zielt auf besonders hohe Erträge ab, weshalb man massiv Dünge­- und Schädlingsbekämp­fungsmittel nutzt.» Der vorherrschende Anbau in Monokulturen – nur etwa 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird derzeit als kleinräumige Fläche genutzt, wo besonders häufig Gentechsaat­gut kultiviert wird, impliziert an sich schon weniger Diversität. Entgegen der Versprechen der klassischen Gentechnik brauchen diese Kulturen nicht weniger, sondern mehr Dünger und Pestizide und bieten eine einseitige Nahrungsgrundlage für wenige Arten, wie Erhebungen, bei­spielsweise auch des US-­Landwirtschafts­ministeriums, zeigen.

Agrarökologie statt Biotechnologie

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Die Schnelligkeit, mit der Arten aussterben, hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Bei den bedrohten Arten trifft es besonders die Amphibien wie Molche, Kröten oder Frösche, die zu 40 Prozent als bedroht gelten. Auch rund 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind akut gefährdet. (Bild: Shutterstock)

Jetzt kommt die gute Nachricht: Laut der IPBES-­Studie haben wir eine Chance, den Zerfall der Biodiversität zu stoppen. Die Botschaft ist allerdings, dass ein radikales Umdenken notwendig ist, um die prog­nostizierte Entwicklung zu verhindern. So halten es die Wissenschaftler beispielsweise für essentiell, das Bewusstsein, dass die Natur durch unseren Konsum belastet wird, zu stärken, den Naturschutz und lokale nachhaltige Wirtschaft zu fördern und Anreize und aber auch Sanktionen zu schaffen, um die Umweltverschmutzung zu reduzieren. In der Landwirtschaft plädieren die Autoren für ökologische Anbaumethoden und eine Landschaftsplanung, die Nahrungssicherheit, Sicherung des Lebens­unterhalts und Arterhaltung berücksichtigt. Josef Settele vom Helmholtz­-Zentrum für Umweltforschung, sagt dazu konkret in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung», er sei nicht für ein generelles Ver­bot von Pestiziden, jedoch sei er der Meinung, dass «der Einsatz dieser Mittel deutlich zurückgefahren werden könnte, ohne dass die Produktion darunter leidet». Der Bericht fordert also unter anderem eine nachhaltigere Landwirtschaft ohne Pestizide, die vor allem Insekten schaden. Weniger Insekten bedeutet weniger Bestäuber mit den bekannten dramatischen Folgen für die Landwirtschaft, weniger Nahrung für insektenfressende Tiere und natürlich schädliche Auswirkungen auf das Ökosystem als Ganzes.

Das hat direkte Auswirkungen auf die Biodiversität. Die FAO unterstützt diese Haltung in ihrem neuen «10-­Punkte­-Pro­gramm für die globale Landwirtschaft der Zukunft»: Demnach sind diversifizierte agroökologische Systeme widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten oder extremen Wetterbedingungen. Nach dem Hurricane Mitch 1998 beispielsweise konnten mess­bare Unterschiede in Bezug auf Erosion und Ertrag beim Vergleich verschiedener Anbaumethoden ermittelt werden. Auch sehen sie Regierungen in der Pflicht, Land­wirtschaftsbetriebe beim Umbau zu nachhaltiger Landwirtschaft zu unterstützen und dafür Anreize zu schaffen – lokal, national und global.

Synthetische Biologie wird zum Umweltrisiko

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die Studie «Frontiers 2018/19» der UN. Darin wird die synthetische Biologie als eine von fünf Hauptbedrohungen für die Umwelt gewertet, besonders die Ver­wendung von Gene Drives: «Die Freisetzung von genmanipulierten Organismen, die zufällig oder absichtlich in die Umwelt gelangen, hat berechtigte Besorgnis betref­fend Biosicherheit und unvorhersehbaren Konsequenzen hervorgerufen.» Für die Sorge wegen möglicher artenübergreifen­der Kreuzkontaminationen, unbekannter ökologischer Wechselwirkungen und Effekte auf Ökosysteme gibt es noch keine Lösung. Ähnlich kritisch äussert sich der Bericht zur Möglichkeit, mit Hilfe von Klonen und Rückzüchtungen bereits aus­gestorbene Tiere wieder zum Leben zu erwecken. Bis jetzt waren solche Projekte noch erfolglos. Sollte dies aber einst gelingen, ist nicht vorauszusehen, wie ein vormals ausgestorbenes Tier auf die jetzige Umwelt reagieren wird, unter anderem in Bezug auf Krankheiten. In solchen techno­logischen Ansätzen scheint also keine Lösung für das Artensterben zu schlummern.

All dies erweckt den Eindruck, dass alle erkannt haben, dass die Lage ernst ist. Man scheint zu wissen, was zu tun ist und was nicht. Ob auch Taten folgen, wird sich weisen. Anstatt auf diese zu warten, kön­nen wir schon mal bei uns selbst anfangen und uns überlegen, welchen Beitrag wir selbst leisten können. Zum Beispiel die Unterstützung der Doppelinitiative Biodi­versität und Landwirtschaft. Sie wurde kürzlich lanciert und zielt auf den Schutz der Biodiversität.


Biodiversität kurz erklärt:
Die Biodiversität lässt sich auf drei Ebenen beschreiben: die Vielfalt der Gene, die Vielfalt der Arten und die Vielfalt der Lebensräume. Die drei Ebenen der Biodiversität sind eng und dynamisch miteinander verknüpft. Die Arten brauchen zum Überleben geeignete Lebensräume. Innerhalb der Arten ist eine ausreichende genetische Variabilität unerlässlich. Die Vielfalt der Wechselbeziehungen innerhalb und zwischen den drei Ebenen wird auch als funktionale Biodiversität bezeichnet.
Quelle: naturwissenschaften.ch


Biodiversitäts- und Landschaftsinitiative:
Politik und Behörden versagen beim Schutz von Biodiversität und Landschaft. So kann es nicht wei-tergehen! Mit zwei Volksinitiativen geben die Umweltverbände jetzt Gegensteuer. Die Sammlung läuft.
Die Biodiversitätsinitiative fordert mehr Fläche und mehr Geld für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität und sorgt dafür, dass Natur, Landschaft und das baukulturelle Erbe stärker be-rücksichtigt werden.
Die Landschaftsinitiative stellt dieTrennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet sicher. Die Zahl undder Flächenverbrauch der Gebäudeausserhalb von Bauzonen sollen künftig nicht mehr zunehmen.
Mehr dazu: biodiversitaet-landschaft.ch


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(Bild: Clipdealer)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 100

Ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt

Die industrielle Landwirtschaft und die Varroa-Milbe haben den Bienenbestand weltweit stark dezimiert. Nun wollen Forscher die Bienen mit den neuen gentechnischen Verfahren an die industrielle Landwirtschaft anpassen. Gentechnikexperte Christoph Then warnt vor diesen unberechenbaren Eingriffen am wichtigsten Bestäuber.

Text: Denise Battaglia

Bienen bestäuben rund 80 Prozent der Pflanzen. Wir verdanken ihrem Pollentransport Früchte und Obst, Ölsaaten wie Raps, auch Nüsse und Gemüse. Seit der Ausstrahlung des Dokumentarfilms «More than Honey» des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof weiss auch jeder Nichtimker: Den Bienen geht es nicht gut. In China müssen in bestimmten Regionen die Blüten von Menschenhand bestäubt werden, weil es keine Bienen mehr gibt. Im Jahr 2016 riefen die USA die Biene zur gefährdeten Art aus. Auch hierzulande hat der Bundesrat einen Massnahmenplan «für die Gesundheit der Bienen» verabschiedet, weil der Bestand an Honigbienen und Wildbienen stark rückläufig ist.

Frühere Hochkulturen haben die Biene verehrt. Für die Ägypter, die schon vor 3000 Jahren Honigbienen züchteten, war der Honig eine Götterspeise. Die Bienen sind in den Heiligtümern ägyptischer Tempel abgebildet. Nach der Überlieferung sind die Bienen göttlicher Herkunft: Sie entstanden aus den Tränen des Sonnengottes Re, dem wichtigsten altägyptischen Gott. Auch im antiken Griechenland galten die Bienen als «Boten der Götter».

Nun steht die Biene im Fokus der Gentechnik

Fokus 100 Imker
(Bild: Fotolia)

Für den modernen Menschen ist die Biene, die rund 17 Millionen Jahre vor dem Menschen die Erde bevölkert hat, kein Götterbote mehr, sondern bestenfalls ein Mittel zum Zweck (der effizienten Bestäubung und Honigproduktion). Die industrielle Landwirtschaft mit ihren (gentechnisch veränderten) Monokulturen und ihrem Pestizid einsatz steht im Verdacht, neben der Varroa-Milbe mit verantwortlich für das weltweite Bienensterben zu sein: Die Monokulturen haben die Vielfalt des Bienenfutters reduziert und Studien verweisen darauf, dass die in den Pestiziden enthaltenen Wirkstoffe wie Neonicotinoide und Glyphosat die Bienen schwächen könnten. «Bienen hatten über Millionen von Jahren eine wunderbare Nahrung, die genau ihre Ansprüche erfüllte», sagte der Bienen forscher Jay Evans vom US-Landwirtschaftsministerium in einem Interview gegenüber dem deutschen Fernsehsender ARD. «Mit zusätzlichen Chemikalien kommen sie deshalb nicht klar.» Doch die Konsequenz dieser Erkenntnis ist nicht, die industrielle Landwirtschaft in Frage zu stellen. Die Konsequenz des modernen Menschen ist, zu versuchen, neue Bienen herzustellen, die mit den Chemikalien «klarkommen». Mit den neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas9 will man die Insekten zum Beispiel resistenter gegen Pestizide machen. Christoph Then vom deutschen Institut Testbiotech warnt vor Eingriffen in das Erbgut der Biene. «Wir haben eine Dimension der gentechnischen Manipulierbarkeit erreicht, die ich für sehr gefährlich halte.»

Herr Then, in den USA, wo gentechnisch veränderte Pflanzen grossflächig angebaut werden, steht die Biene auf der Liste der gefährdeten Arten. Schädigen gentechnisch veränderte Pflanzen die Bienen doch?
Christoph Then: Der Zusammenhang zwischen dem Bienensterben in den USA und dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen wurde meines Wissens nicht nachgewiesen. Womöglich ist es in den USA gar nicht mehr möglich, neben Bienen, die Gentechpflanzen anfliegen, noch eine Kontrollgruppe zu untersuchen, die keinen Kontakt zu Gentechpflanzen hat. Vermutlich sind die Bienen gegenüber dem Bt-Gift alleine relativ unempfindlich. Studien weisen aber darauf hin, dass Bienen auf das vom Bt-Mais permanent produzierte Insektengift empfindlich reagieren, wenn sie von Darmparasiten befallen, also geschwächt sind. Andere Studien zeigen, dass sich die Wirkung des Bt-Insektengiftes verstärken kann, wenn sie mit Umweltgiften, Krankheitserregern oder Pestiziden interagieren. Das könnte auch Bienen betreffen.

Die Frage, ob das Bt-Toxin Bienen mit Darmparasiten schädigt, wurde bis heute nicht geklärt. Warum?
Eine Studie von Forschern der Universität Jena konnte nicht weitergeführt werden. Nach den Hinweisen darauf, dass die Wirkung des Insektengifts auf Bienen durch Wechselwirkung mit Darmparasiten verstärkt wird, wurden keine weiteren Mittel für das Projekt bewilligt.

Nach anderen Studien beinträchtigt das Bt-Gift die Lernfähigkeit von Bienen.
Ja, aber die Industrie sagt, dass den Bienen in diesen Untersuchungen mehr Bt-Gift verabreicht worden sei, als sie auf ihrem Pollenflug aufnehmen würden. Auch hier bräuchte es weitere Untersuchungen.

Die Biene soll nun mittels Gentechnik vor dem Aussterben gerettet werden.
Monsanto will unter anderem biologisch aktive Stoffe, sogenannte mikroRNA, die mit Hilfe von Gentechnik hergestellt wird, in das Futter von Bienen mischen. Die Idee dahinter: Die Bienen nehmen diese Stoffe auf und geben sie an Parasiten wie die Varroa-Milben weiter, wenn diese den Bienenstock befallen. Bei den Milben sollen diese Stoffe dann in die Genregulation eingreifen und so die Parasiten abtöten. Das ist ein Verfahren, das mit vielen Risiken behaftet ist. Diese Stoffe würden auch im Honig landen. Insgesamt will die Industrie die Bienen an die Umweltbelastungen anpassen und nicht umgekehrt eine bienenfreundliche Umwelt schaffen. Dafür sollen auch die neuen Gentechnikverfahren verwendet werden.

Fokus 100 BienenMit gentechnischen Eingriffen bei Bienen und anderen Insekten wird eine wichtige Grenze überschritten. Man versucht, wildlebende Populationen gentechnisch zu verändern, die auf vielen Ebenen mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Dies ist eine neue Dimension der Risiken. Ein solcher Eingriff kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, sollte etwas schieflaufen. (Bild: Fotolia)

Sie meinen die neuen Gentechnikmethoden wie CRISPR/Cas9?
Genau. Diese neuen Gentechniken haben das Spielfeld massiv erweitert. Man will jetzt auch natürliche Populationen gentechnisch verändern, nicht wie bisher Ackerpflanzen. So will man unter anderem Mücken und Fruchtfliegen bekämpfen oder Bienen resistent gegen Pestizide oder die Varroa-Milbe machen. Diese Entwicklung hat eine ungeheure Dynamik und eine neue Dimension der Risiken. Wenn nun frei fliegende Insekten gentechnisch verändert werden, dann verlieren wir die Kontrolle – wir können nicht mehr eingreifen, wenn etwas schiefgeht.

Die Anwender sagen, es gehe ihnen bei den Bienen um deren Schutz.
Letztlich geht es oft um kurzfristige Profite. Mit der alten Gentechnik wollte man den Einsatz von Pestiziden verringern. Mit den neuen Gentechniken will man angeblich bedrohte Arten retten. Dass es aber um Profite geht, erkennt man daran, dass die Firmen Patente auf die Technologien und die Organismen anmelden – jüngst zum Beispiel ein Patent auf gentechnisch veränderte Bakterien, die den Darm von Bienen besiedeln sollen. Und auch die gentechnisch veränderten Insekten werden patentiert.

Ist es etwas anderes, ob man Pflanzen gentechnisch verändert oder Bienen?
Mit Insekten wie Bienen wird eine wichtige Grenze überschritten. Man versucht nun, wildlebende Populationen gentechnisch zu verändern, die auf vielen Ebenen mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Bisher hat man versucht, die Gentechnik auf das Labor oder den Acker zu begrenzen.

Die Anwender von CRISPR/Cas9 sagen, dass diese Technik sehr präzise sei.
Man beruhigt die Politiker und die Bevölkerung mit der angeblichen Präzision der neuen Gentechniken. Tatsächlich sind die neuen Verfahren präziser – aber keineswegs fehlerfrei. Mit der Behauptung der «Präzision» – die Medien und Politiker oft zu unkritisch von der Gentechlobby übernehmen – soll verhindert werden, dass man über die Risiken diskutiert.

Welche Risiken bergen denn die neuen Gentechverfahren?
Wie bei den alten Gentechnikverfahren greift man auch bei den neuen – anders als bei der konventionellen Züchtung – direkt ins Erbgut ein und umgeht so die natürlichen Mechanismen der Vererbung und der Genregulation. Dabei kann es zu ungewollten Veränderungen der Struktur der Gene, der Genregulation, der Wechselwirkungen und der genetischen Netzwerke kommen. Das kann bei gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren − unabhängig davon, ob diese mit neuer oder alter Gentechnik manipuliert werden − sehr unterschiedliche Folgen haben. Grundsätzlich ist das Risiko höher, wenn man die Gentechnik bei wildlebenden Populationen anwendet. Aber auch ein Gentechnikpilz, der nach dem Schneiden nicht mehr braun wird, weil natürliche Genanlagen mit der Genschere entfernt wurden, kann in seinem Stoffwechsel so verändert sein, dass er für Menschen ungeniessbar wird.

Vielleicht funktioniert das, was sich die Anwender vorstellen, gar nicht? Die alte Gentechnik hat auch nicht, wie von der Industrie prophezeit, den Welthunger beseitigt oder den Pestizideinsatz verringert.
Ob die Technik das bringt, was die Anwender sich ausdenken, ist oft gar nicht entscheidend. Der Punkt ist: Die neuen Gentechniken haben die Möglichkeiten zur Manipulation des Erbguts erheblich ausgeweitet. Diese Machbarkeit ist eine grosse Herausforderung für die Gesellschaft. Denn damit nehmen die Einsatzmöglichkeiten wie die Risiken zu. Eine Biene, die in ihrem Darm gentechnisch veränderte Bakterien transportiert und in der Umwelt verteilt, ist ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt. Das gilt auch dann, wenn die Bakterien sich im Darm der Bienen nicht so verhalten, wie eine Firma dies gerne hätte. Wir haben eine Dimension der gentechnischen Manipulierbarkeit erreicht, die ich für sehr gefährlich halte.

Was wäre zu tun?
Wir müssen über diese neuen Technologien eine gesamtgesellschaftliche Debatte führen: über Risiken, Verantwortung, Interessen, über Werte und Grenzen. Politik und Medien sind oft nicht auf dem aktuellen Wissensstand und unterschätzen die Risiken. Insgesamt erhält die neue Gentechnik noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigte. Diese Technologien entwickeln sich sprunghaft weiter. Mit der grossen Dynamik der Entwicklung droht der Gesellschaft die Kontrolle zu entgleiten. Die moderne Gesellschaft steht hier vor grossen Herausforderungen.


Fokus 100 Then
Testbiotech ist ein im Jahre 2008 von Tierarzt Christoph Then mitgegründetes Institut in München, das den Einsatz von Gentechnik kritisch hinterfragt und sich mit möglichen Auswirkungen und Folgen für Mensch und Umwelt auseinandersetzt. Testbiotech stellt von der Gentechnikindustrie unabhängige, wissenschaftliche Expertisen bereit und leistet damit einen Beitrag, die Entscheidungskompetenz von Politik und Gesellschaft zu stärken.
www.testbiotech.org


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(Bild: Wikipedia)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 123

Kommen bald Gentech-Mikroben auf die Felder?

Noch spielen Produkte mit gentechnisch veränderten Mikroben in der Landwirtschaft kaum eine Rolle – nur eine Handvoll davon sind bisher auf dem Weltmarkt erhältlich. Doch jetzt beginnen immer mehr Firmen damit, Dünger und Pflanzenschutzmittel zu entwickeln, die aus Gentech-Mikroben bestehen. In der Schweiz wären diese Produkte nicht vom GVO-Moratorium erfasst. Zeit, einen Blick auf die Entwicklungen zu werfen.

Text: Benno Vogel

Selten ist so viel Geld in ein Start-up der Agrarforschung geflossen wie in Pivot Bio: 600 Millionen US-Dollar hat die kalifornische Firma in den letzten vier Jahren erhalten – unter anderem von Microsoft-Gründer Bill Gates und Amazon-Chef Jeff Bezos. Dass das Interesse der Investoren so gross ist, liegt an Proven und Return, den beiden Produkten, die Pivot Bio bislang in den USA auf den Markt gebracht hat. Beide Produkte sind Dünger für Getreide – Proven für Mais, Return für Hirse und Weizen. Und beide Produkte bestehen aus Bodenbakterien, die Stickstoff aus der Luft fixieren und an die Pflanzen weitergeben. Das Besondere daran? Bisher waren Dünger aus stickstofffixierenden Bakterien weitgehend auf Gemüse wie Soja, Erbsen und Bohnen beschränkt. Bei Getreide hingegen sind sie ein Novum. Damit öffnet sich ein riesiger Markt, der bislang auf die Düngung mit chemisch erzeugtem Stickstoff setzte. Eine weitere Besonderheit von Proven und Return: Die Bakterien, die sie enthalten, sind gentechnisch verändert.

Marktpotenzial für Gentech-Mikroben steigt

Noch sind Produkte mit Gentech-Mikroben in der Landwirtschaft eine Rarität; weltweit sind nur eine Handvoll davon auf dem Markt erhältlich. Doch jetzt dürfte sich das ändern. Denn neben Pivot Bio haben weitere Firmen begonnen, gentechnisch veränderte Mikroorganismen für die Landwirtschaft zu entwickeln. Dass das Interesse an Gentech-Mikroben derzeit steigt, liegt vor allem an drei Faktoren: Erstens ist die Entwicklung neuer Mikrobenstämme dank technischer Fortschritte so leicht und kostengünstig wie noch nie. Zweitens haben in den letzten Jahren etliche Länder entschieden, neue Verfahren wie die Genomeditierung nicht mehr als Gentechnik zu regulieren. Damit ist etwa die Zulassung von Gentech-Mikroben, die keine artfremden Gene besitzen, ebenfalls so leicht und kostengünstig geworden wie nie zuvor. Die in Proven und Return enthaltenen Bakterien beispielsweise konnten in den USA ohne gentechnikrechtliche Zulassung auf den Markt kommen. Der dritte und vielleicht wichtigste Grund: Der potenzielle Markt für Gentech-Mikroben wächst ständig. Bisher war er klein, weil Dünger und Pestizide, die aus Pilzen, Viren oder Bakterien bestehen, vor allem im Biolandbau zum Einsatz kommen und dort gentechnisch veränderte Organismen generell verboten sind. Wachsen tut er jetzt, weil Politik und Gesellschaft verstärkt die Abkehr von Kunstdüngern und chemisch-synthetischen Pestiziden fordern und mikrobielle Produkte nun als Alternative zunehmend auch in der konventionellen Landwirtschaft Verwendung finden.

Knöchelbakterien

Knöllchenbakterien bilden an den Wurzeln der Hülsenfrüchtler Knöllchen, in denen sie den Stickstoff der Luft binden und für die Pflanze verfügbar machen. Gentech-Mikroben werden u. a. als Stickstoffdünger für Kulturpflanzen entwickelt, die keine solchen Symbionten besitzen (Bild: Shutterstock).

Stickstoffdüngung

Wie gross das Interesse an der Entwicklung von Gentech-Mikroben ist, zeigt sich vor allem bei Düngern. Hier sind nebst Pivot Bio eine Reihe von Konzernen aktiv. Einer davon ist Novozymes. Das dänische Unternehmen, das mit der Herstellung von Enzymen gross geworden ist, forscht seit einigen Jahren auch an mikrobiellen Agrarprodukten. In einem seiner Projekte will der Konzern dabei stickstofffixierende Bakterien durch Genomeditierung so verändern, dass sie 25 Prozent des für Mais benötigten Kunstdüngers ersetzen können. Auch Bayer hat die Stickstofffixierung im Visier. In Kooperation mit Pivot Bio arbeitet der deutsche Multi etwa an neuen Stämmen von Bradyrhizobium. Bakterien9 dieser Art leben in Wurzelknöllchen von Soja und versorgen die Pflanze mit Stickstoff aus der Luft. Mit Gingko Bioworks wiederum, einem führenden Unternehmen der Synthetischen Biologie, will Bayer Gentech-Bakterien kreieren, die bei Getreide für die Stickstoffdüngung einsetzbar sind. Die Zusammenarbeit begann 2018 mit einem Startkapital von 100 Millionen US-Dollar. 2020 ist auch der zweitgrösste Düngerhersteller der Welt, Mosaic Company, in die Entwicklung stickstofffixierender Bakterien eingestiegen. Der US-Konzern unterstützt seither das Start-up BioConsortia, das Bakterien für die Düngung von Mais und Weizen herstellt und dabei neben Methoden der traditionellen Stammverbesserung auch Genomeditierung einsetzt.

Fokus Nr 123 Bacillus thuringiensis

Gentech-Varianten von Bacillus thuringiensis werden als Pestizide gegen Schädlinge entwickelt. Gentechfreie Stämme des giftbildenden Bakteriums werden auch im Biolandbau verwendet – etwa gegen Raupen des Grossen Kohlweisslings (Bild: Shutterstock).

Giftbildende Bakterien

Ein weiterer Bereich, in dem Firmen Gentech-Mikroben entwickeln, ist der Pflanzenschutz. Auch hier sind bereits erste Produkte auf dem Markt – so etwa Jinweijun von Wuhan Kernel Biotech, das in China seit 2017 als Insektizid zugelassen ist, oder Crymax und Lepinox von Certis, die im Obst- und Gemüsebau der USA bereits seit mehreren Jahren zum Einsatz kommen. Die drei Produkte haben gemeinsam, dass sie Bacillus thuringiensis enthalten, ein Bodenbakterium, das natürlicherweise Insektengifte bildet. Indem die Firmen Giftgene unterschiedlicher Bacillus-Stämme in einem einzelnen Stamm vereint haben, haben sie jeweils Produkte erzeugt, die mehrere Gifte bilden und deshalb stärker wirken oder auch ein breiteres Wirtsspektrum haben. Giftbildende Bakterien will auch die US-Firma Pebble Labs auf den Markt bringen. Für die Entwicklung ihrer Directed Biotics genannten Pestizide setzt sie auf ein Konzept, das derzeit viel Beachtung findet: Die Verwendung von Gentech-Mikroorganismen, die doppelsträngige RNA – kurz dsRNA – bilden. Dieser Stoff löst in Zellen den RNAi-Prozess aus, was sich nutzen lässt, um in Schädlingen gezielt lebenswichtige Gene stillzulegen. Pebble Labs testet derzeit, welche Arten von Bakterien sich eignen, um giftige dsRNA zu den Schädlingen zu bringen. Während Pebble Labs auf den Einsatz lebender Gentech-Mikroben setzt, arbeiten Firmen wie TransAlgae oder Renaissance Bioscience mit abgetöteten Organismen. Sie hoffen, ihre Produkte damit leichter durch die Zulassungsverfahren zu bringen, fallen inaktivierte Gentech-Mikroben doch in vielen Ländern nicht unter die strengen Gentechnikgesetze. Das israelische Startup TransAlgae stellt dsRNAbildende Mikroalgen her und inaktiviert sie dann im Gefriertrockner, bevor es sie als Pulver aufs Feld bringt. Die kanadische Firma Renaissance Bioscience wiederum entwickelt dsRNA-bildende Bierhefe, die sie vor dem Ausbringen mit Alkohol abtötet. Dass dieser Weg funktionieren könnte, zeigte sich 2021 bei Versuchen mit dem Kartoffelkäfer. Auch chromosomenfreie Minizellen, die von Gentech-Bakterien stammen, könnten vielerorts von der Gentechnikregulierung ausgenommen sein. Firmen testen sie derzeit als Behälter, um dsRNA oder auch giftige Peptide auf die Felder zu bringen. Die US-Firma AgroSpheres zum Beispiel hat in ihrer Produktepipeline Minizellen mit dsRNA, die Erdbeeren vor Grauschimmel schützen.

Fokus nr 123 erdbeere schimmel

Der vom Pilz Botrytis cinerea verursachte Grauschimmel kann bei Erdbeeren unter ungünstigen Witterungsbedingungen den gesamten Fruchtbesatz zunichtemachen. Grauschimmel ist eine der Krankheiten, wogegen dsRNA-bildende Mikroben entwickelt werden (Bild: Shutterstock).

Neben Düngern und Pestiziden gehören auch Biostimulanzien zu den Betriebsmitteln, für die Gentech-Mikroben in Entwicklung sind. Der deutsche Konzern BASF etwa will in Brasilien Bacillus-Präparate auf den Markt bringen, die im Boden mehr Nährstoffe für Pflanzen verfügbar machen. Dazu hat er die Bakterien so verändert, dass sie Enzyme bilden, die die organische Substanz um die Wurzeln herum abbauen. Da beim Eingriff keine gattungsfremden Gene zum Einsatz kamen, haben die zuständigen Behörden 2021 entschieden, dass das Präparat in Brasilien ohne gentechnikrechtliche Zulassung vermarktet werden kann. Auch die US-Firma Elemental Enzymes hat Biostimulanzien mit Bacillus-Arten in der Pipeline. Gingko Bioworks wiederum besitzt ein Patent für veränderte Paenibacillus-Bakterien, mit denen sich wachstumsfördernde Proteine in Pflanzen bringen lassen.

Moratorium auch für Gentech-Mikroben?

Ob und wann Zulassungsgesuche für Gentech-Mikroben auch in der Schweiz eingereicht werden, ist unklar. Klar ist hingegen, dass sie vom geltenden GVOMoratorium nicht erfasst wären. Denn das gilt nur für Pflanzen und Tiere. Ob die Reichweite des Moratoriums auf Mikroben auszudehnen ist? Das ist eine der Fragen, die die Politik diskutieren dürfte, wenn 2025 über die erneute Verlängerung des Moratoriums entschieden wird. Bisher spielen Mikroben in der Debatte über das Für und Wider von Gentechnik in der Schweizer Landwirtschaft kaum eine Rolle. Damit bleiben auch die Fragen, die mit ihrer möglichen Markteinführung einhergehen, unbesprochen. Welche Risiken bergen Gentech-Mikroben? Sind Produkte denkbar, die der hiesigen Landwirtschaft einen Mehrwert bringen? Gibt es Wissenslücken, die vor der Markteinführung zu schliessen sind? Absehbar ist, dass die Industrie wie es aktuell bei Pflanzen der Fall ist, bald auch bei Mikroben fordern wird, genomeditierte Varianten aus der Gentechnikgesetzgebung herauszunehmen. Wahrscheinlich ist auch, dass beim Ausgang der hiesigen Diskussionen die Situation in der EU eine Rolle spielen wird. Dort hat die EU-Kommission jüngst zwar den Entscheid über eine Deregulierung genomeditierter Mikroben erst mal auf unbestimmte Zeit vertagt. Sie hat aber ihre Behörden damit beauftragt, sich auf die Markteinführung von Gentech-Mikroben vorzubereiten: Die Gemeinsame Forschungsstelle befasst sich mit Nachweisverfahren für genomeditierte Mikroben und die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA geht der Frage nach, ob die bestehenden Leitlinien für die Risikobewertung von Gentech-Mikroben ausreichen.

Gentherapiemittel für Pflanzen

Während die Debatte über Gentech-Mikroben in der Landwirtschaft erst beginnt, arbeitet die Forschung bereits an einer nächsten Generation von Hightech-Mikroorganismen. So zum Beispiel an Bakterien für Trait-Sprays, das sind Mittel zur gezielten Beeinflussung der Aktivität von Pflanzengenen: Forschende der Chinesischen sischen Akademie der Agrarwissenschaften haben hierzu Bakterien so verändert, dass sie ein künstliches Protein bilden, das sich im Erbgut von Reiszellen gezielt an den Schalter eines Gens namens NOG1 heftet und damit dessen Aktivität erhöht. Wird Reis mit diesen Bakterien besprüht, bildet er – dank der Aktivierung des NOG1-Gens – 10 Prozent mehr Körner als üblich. In der Entwicklung sind zudem Mikroben, die wie eine Art Gentherapie für Pflanzen wirken. Dazu sollen Agrobakterien und Viren als Fähren nutzbar gemacht werden, um auf den Feldern DNA oder mRNA in Pflanzen einzubringen. Da sich damit steuern lässt, welche Proteine eine Pflanze bildet, sollen so Mittel entstehen, mit denen sich Eigenschaften von Pflanzen je nach Bedarf ändern lassen. Der deutschen Firma Nomad Bioscience ist es in Freisetzungsversuchen bereits gelungen, auf diese Weise Tomaten mit Zwergwuchs zu kreieren. Ein ähnliches Konzept verfolgen Forschende, die im Bereich der sogenannten In-situ-Gentechnik arbeiten: Sie wollen Viren mit der Anleitung für die Bildung der Genschere CRISPR auf die Felder bringen, um damit Pflanzen oder auch Bodenbakterien je nach Bedarf direkt in der Umwelt gentechnisch zu verändern. Bis Trait-Sprays und Gentherapiemittel kommerzielle Realität werden, dürfte es noch eine paar Jahre dauern. Klar ist aber jetzt schon, dass diese Mittel die Möglichkeiten zur Kontrolle und Manipulation der Natur massiv erweitern könnten.


Autor

Benno Vogel ist freischaffender Biologe in Winterthur und Berlin. Seit 25 Jahren bietet er Beratungen zu Gen- und Biotechnologie für NGOs und Behörden an.

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