Screenshot 2024 03 15 133229Marktüberwachung in der EU: Erneut Antibiotikaresistenzgene aus GVO in Lebensmittelenzymen entdeckt. Bild: Shutterstock

In der EU erhältliche Produkte mit dem Lebensmittelenzym Alpha-Amylase sind häufig mit Antibiotikaresistenzgenen aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen (GVM) verunreinigt. Das zeigt eine aktuelle Marktüberwachung der belgischen Gesundheitsbehörde Sciensano. In knapp 48 Prozent der untersuchten Enzympräparate fand sie intakte Antibiotikaresistenzgene. Da diese Gene auf Krankheitserreger oder Mikroorganismen des Darmmikrobioms übertragen werden könnten, warnt Sciensano vor Gesundheitsrisiken. Zudem ist laut der Behörde zu klären, ob Kontaminationen mit DNA aus GVM in der EU unter die GVO-Verordnung 1829/2003 fallen oder nicht.

Alpha-Amylasen gehören zu den beliebtesten Enzymen der Lebensmittelindustrie. Da sich mit ihnen Stärke aufspalten lässt, setzen Firmen sie in verschiedenen Bereichen als Verarbeitungshilfsstoff ein – so etwa bei der Herstellung von Bier, Wein, Spirituosen, Fruchtsäften oder Backwaren. In der EU sind gemäss Datenbank FEDA derzeit 38 verschiedene, aus Mikroorganismen gewonnene Alpha-Amylasen verkehrsfähig. Die Hälfte davon stammt aus GVM. Gemäss eines Leitfadens der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) müssen Firmen, die Lebensmittelenzyme mit GVM herstellen, im Zulassungsverfahren nachweisen, dass ihre Produkte aufgereinigt und frei von GVM und deren DNA sind. Mit der Marktüberwachung hat Sciensano nun geprüft, ob in der EU erhältliche Alpha-Amylase-haltige Produkte tatsächlich frei von GVM-Spuren sind. Die Behörde hat dazu insgesamt 40 Präparate aus dem EU-Markt mit einer in Eigenregie entwickelten Methode untersucht und die Ergebnisse jüngst in der Zeitschrift Food Chemistry: Molecular Sciences veröffentlicht. In 55 Prozent der untersuchten Produkte wies Sciensano DNA von GVM nach. 48 Prozent der Präparate enthielten Antibiotikaresistenzgene aus den Produktionsorganismen in voller Länge. Bei zwei Produkten fanden sich zudem DNA-Spuren, die von einem noch unbekannten GVM stammen könnten.

Bereits 14 Meldungen im Schnellwarnsystem

Die jetzigen GVM-Funde sind nicht die ersten, die Sciensano zu Tage führt. Die belgische Behörde führt seit 2018 ein Monitoring bei Lebensmittelenzymen durch und hat dabei wiederholt Präparate entdeckt, die DNA aus GVM enthalten. Im Europäischen Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF) führten diese DNA-Funde bisher zu insgesamt 14 Meldungen (2020.2570, 2020.2572, 2020.2576, 2020.2577, 2020.2579, 2020.2582, 2020.2846, 2020.2870, 2020.3731, 2020.6004, 2021.1641, 2021.4764, 2021.6319, 2021.6769). Wie Sciensano in einem Bericht aus dem Jahr 2022 darlegt, enthielten 30 Prozent der bis dahin beprobten Enzym-Präparate intakte Antibiotikaresistenzgene aus den GVM. Mindestens in einem Fall hat die Behörde zudem auch schon lebende GVM in Lebensmittelenzymen gefunden: 2019 isolierte sie aus einem Protease-Präparat Sporen des Produktionsstammes Bacillus velezensis.

 Gefahr für öffentliche Gesundheit und fehlende Methoden

Seit den ersten GVM-Funden weist Sciensano immer wieder darauf hin, dass Kontaminationen mit intakten Antibiotikaresistenzgenen eine mögliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen. Grund ist der mögliche Transfer dieser Gene auf Mikroorganismen. Nach Einschätzung der Behörde könnte er Antibiotikabehandlungen unwirksam machen oder das normale Funktionieren von Darmmikrobiomen stören. Seit den ersten GVM-Funden kritisiert Sciensano zudem das Fehlen von Nachweisverfahren. Anders als bei Produkten, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen gewonnen werden, sind Firmen bei der Zulassung von Lebensmittelenzymen aus GVM nicht verpflichtet, ein Nachweisverfahren für den Produktionsorganismus bzw. dessen DNA zu liefern. Die zuständigen Behörden müssen die Methoden deshalb selber entwickeln – ein Unterfangen, das sehr schwierig und aufwendig ist, weil Firmen die für den Nachweis notwendigen Sequenzdaten üblicherweise geheim halten (siehe Abbildung).

EFSA

Sciensano hat seit 2018 erst für vier verschiedene GVM ein Nachweisverfahren entwickeln können – eine sehr bescheidene Anzahl angesichts der mehr als 150 zugelassenen Lebensmittelenzyme, die aus GVM gewonnen werden. Wie weit verbreitet GVM-Kontaminationen und die Gefahr einer Übertragung von Antibiotikaresistenzgenen sind, lässt sich damit nicht untersuchen.

Rechtsunsicherheit

Die Funde von DNA-Spuren lösen nicht allein Sicherheitsbedenken aus, sie werfen auch die Frage auf, wie aus rechtlicher Sicht mit diesen Spuren umzugehen ist. Mitarbeitende von Sciensano zum Beispiel vertreten die Auffassung, dass Lebensmittelenzyme mit DNA-Spuren von GVM immer unter die EU-Verordnung 1829/2003 und damit unter die Vorschriften für GVO-Lebensmittel fallen. DNA-haltige Enzyme wären demnach als GVO-Produkt zu kennzeichnen. Die Industrie wiederum spricht sich dagegen aus, Enzyme mit DNA-Rückständen als GVO-Erzeugnisse zu regulieren. Aus ihrer Sicht fehlt dazu die rechtliche Grundlage. Eine Rechtsanalyse stützt diese Meinung. Da einzelne EU-Länder DNA-Spuren von GVM in Lebensmittelenzymen unterschiedlich bewerten, hat sich auch die EU-Kommission dem Thema angenommen. Gemeinsam mit EFSA und den zuständigen Behörden der EU-Länder arbeitet sie derzeit an einem einheitlichen Umgang mit DNA-Rückständen in Produkten, die mit GVM gewonnen werden.

Schweiz bisher ohne Monitoring

In der Schweiz sind derzeit 82 aus GVM gewonnene Produkte als Lebensmittel verkehrsfähig. Dazu gehören neben Enzymen, die als Verarbeitungshilfsstoffe zugelassen sind, auch Substanzen wie etwa Vitamine, Citoline oder Oligosaccharide, die als Zutaten oder Nahrungsergänzungsmittel für den direkten Verzehr erlaubt sind. Wenn diese Produkte so aufgereinigt sind, dass sie keine DNA der GVM enthalten, müssen sie nicht als GVO-Erzeugnis gekennzeichnet werden. Eine Pflicht zur Kennzeichnung besteht jedoch, wenn Rest-DNA enthalten ist. Ein Monitoring nach GVM-Spuren in Lebensmittelenzymen gibt es hierzulande bisher nicht. Laut den RASFF-Meldungen sind mit GVM-DNA kontaminierte Enzympräparate mindestens in zwei Fällen auch in die Schweiz geliefert worden (2020.2870, 2021.6319).