Noch ist die Deregulierung nicht gegessen. Der Deregulierungsvorschlag kann nach dem Trilog zwischen EU-Parlament, Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission noch scheitern. (Bild: SAG)
Am 14. März erhielt der Kompromissvorschlag der polnischen Ratspräsidentenschaft zur künftigen Deregulierung von Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT) beim Treffen der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel eine knappe Mehrheit. Ein bedauerlicher Entscheid, der auch die Zukunft der gentechfreien Züchtung düster erscheinen lässt. Doch das Spiel ist noch lange nicht zu Ende. Der Vorschlag stösst bei den Mitgliedsstaaten nämlich auf erhebliche Kritik. Auch das EU-Parlament erhebt teilweise abweichende Forderungen, etwa in Bezug auf Patente. Der Gesetzesvorschlag könnte also in den Abstimmungen nach dem kommenden Trilog zwischen EU-Parlament, Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission durchaus noch scheitern.
Eine Mehrheit wurde möglich, weil Polen und Belgien ihren bisherigen kritischen Standpunkt aufgaben. Jetzt muss der Entwurf des Rates mit dem des EU-Parlaments in Einklang gebracht werden. Das Parlament ist weniger locker: Es fordert Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und ein Patentverbot.
Sollte der Vorschlag jedoch in seiner aktuellen Form durchkommen, müssten die meisten NGT-Pflanzen weder einer Risikoprüfung unterzogen noch durchgehend gekennzeichnet oder rückverfolgbar sein. Zudem wären sie ohne Einschränkung patentierbar. Von der Deregulierung wären nicht nur Nutzpflanzen, sondern auch wild lebende Arten betroffen. Neue Entwicklungen und ihre möglichen Auswirkungen, die die gentechnische Veränderung beschleunigen, wie etwa künstliche Intelligenz, würden dabei unbeachtet bleiben.
Gegen den Vorschlag formiert sich Widerstand: Mehrere EU-Länder haben bereits angekündigt, dass sie keine Kompromisse eingehen werden. Sollte das Ergebnis nach dem Trilog zu stark von ihren ursprünglichen Positionen abweichen, könnte der Gesetzesvorschlag in den finalen Abstimmungen nach dem Trilog noch scheitern.
Dies ist dringend zu hoffen. Denn der aktuell angenommene Vorschlag ist besorgniserregend. Er missachtet das Vorsorgeprinzip, schränkt die Wahlfreiheit der Produzent:innen und der Konsument:innen ein und führt zur Monopolisierung des Saatguts. Unter anderem weil Anwendungen und Produkte der NGT weiterhin patentierbar wären. Der Vorschlag ist nicht mit der Sicherung der Ernährungssouveränität und der Ernährungssicherheit vereinbar und gewährleistet keinen sicheren Umgang mit der NGT.
Die eingeführten Kriterien, wie etwa ein Schwellenwert von 20 zugelassenen gentechnischen Veränderungen, unterhalb dessen keine Risikoprüfung erforderlich wäre, sind wissenschaftlich nicht haltbar, wie auch Testbiotech feststellt. Expert:innen, die sich mit dem Gesetzesvorschlag näher befasst haben, sind sich einig: Es handelt sich lediglich um ein politisches Manöver, um lukrative Geschäfte für einige Grosskonzerne zu sichern. Mit diesem Schachzug gefährdet die EU-Kommission jedoch ihre eigene Glaubwürdigkeit, da sie weitgehend die Positionen der Industrielobby übernommen hat. Dabei lässt sie negative Auswirkungen für die Allgemeinheit, die Umwelt, den Menschen und die Züchtung ausser Acht.
Diese einseitige und voreingenommene Meinung spiegelt sich auch in der Berichtserstattung der wichtigsten Medien wider. Diese ist sowohl in der EU als auch in der Schweiz leider weit davon entfernt, eine ausgewogene und informierte wissenschaftliche Diskussion zu fördern.
Auch hierzulande wird demnächst ein Spezialgesetz zur Vernehmlassung vorgelegt – mit ähnlichen Deregulierungsvorhaben. Die Schweiz darf und kann jedoch anders regulieren als die EU. Wir müssen zeigen, dass Vernunft wichtiger ist als kurzfristige wirtschaftliche Vorteile. Denn es geht um die Zukunft unserer Ernährungsgrundlage und um unsere Wahlfreiheit. Deshalb unterstützt die SAG die Lebensmittelschutz-Initiative tatkräftig. Unterschreiben auch Sie!
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