genedrivenews Die Larven der invasiven Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) zerstören reifende Früchte von innen. Gene Drives sollen helfen, den Schädling auszumerzen. Bild: Wikimedia Commons       

Die Risikobeurteilung für Gene Drives, eine der gefährlichsten Anwendungen der synthetischen Biologie, steckt noch in den Kinderschuhen. Gene-Drive-Organismen (GDO) wurden für die aggressive Verbreitung künstlich beigefügten Gene in natürlichen Populationen konzipiert. Eine Vorhersage, wie sie sich auf natürliche Ökosysteme auswirken, ist angesichts deren Komplexität praktisch nicht möglich. Anhand bereits vorhandener Erfahrungen mit anderen Verfahren der biologischen Schädlingsbekämpfung liefert ein neuer in der Fachzeitschrift Environmental Science and Policy publizierter Artikel einen Ausgangspunkt dafür, worauf bei der Risikobeurteilung geachtet werden soll. Bedauerlicherweise weckt eine Medienmitteilung der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope, Mitverfasserin des besagten Artikels, fälschlicherweise einen anderen Eindruck. Die Risiken würden sich nicht von denjenigen anderer bereits etablierter biologischen Schädlingsbekämpfungsmethoden unterscheiden, die auf der Freisetzung von lebenden Organismen beruhen, schreibt Agroscope. Doch gerade bei einer Technologie, bei welcher die Ausbreitung der veränderten Gene zur Strategie wird, ist dies eine gefährliche Verharmlosung. Gene Drives besitzen ein bisher unbekanntes Ausbreitungs- und Wirkungspotenzial. Die von Agroscope verbreitete Botschaft steht zudem im Widerspruch zur Kernaussage des Artikels: nämlich, dass die Entwicklung wissenschaftlich fundierter Risikomanagementstrategien unerlässlich ist für einen sicheren, dem Vorsorgeprinzip entsprechenden Umgang mit der Technologie und dass dazu noch wenig Wissen vorhanden sei.

Gene Drives sind die extremsten Anwendungen der neuen gentechnischen Verfahren. Sie erlauben es, künstlich veränderte Gene in ganzen Populationen zu verbreiten, rascher als dies über natürliche Vererbung der Fall wäre. Die potente gentechnische Kettenreaktion wurde bislang als effektive Mittel zur Bekämpfung von insektenübertragenen Krankheiten wie Malaria beworben. Dass die, auf der Genschere CRISPR/Cas basierende Technologie auch in der Landwirtschaft Verwendung finden könnte und das nicht nur in fernen Ländern Afrikas oder Südamerikas, wurde bislang meistens verschwiegen. Doch sie könnte dereinst auch hierzulande zum Einsatz kommen, zum Beispiel, um die aus Ostasien eingeschleppte Kirschessigfliege auszumerzen. Deshalb ist eine vorgängige Risikobeurteilung ein Must.

Da sich dies aufgrund der Komplexität der möglichen Interaktionen mit den verschiedenen Elementen eines Ökosystems sehr schwierig gestaltet, setzen sich Umweltorganisationen weltweit für ein globales Moratorium auf GDO ein. Solange kein Rahmen für eine angemessene Risikobeurteilung vorhanden ist, soll dies die Umwelt vor unerwarteten und unwiderruflichen Nebeneffekten schützen.

Dass diese Vorsicht berechtigt ist, bestätigt auch die oben erwähnte Konzeptstudie, die ein Experte des Niederländischen Institut für Gesundheit und Umwelt RIVM mitverfasst hat. Das RIVM war bereits 2018 an einer internationalen Studie beteiligt, die wichtige Erkenntnisse zur Risikoeinschätzung bei Gene Drives erbracht hatte. Aufgrund dieser früheren Studie (zur Studie) sind Aktivitäten mit Gene Drives in den Niederlanden selbst in geschlossenen Systemen der höchsten Sicherheitsstufe zugeordnet und bewilligungspflichtig.

Die neue Konzeptstudie benutzt bereits vorhandene Erfahrungen aus der biologischen Schädlingsbekämpfung als Grundlage für die Risikoeinschätzung der Freisetzung von GDO. Da solche Risikoeinschätzungsansätze bislang lediglich für krankheitsübertragende Insekten – wie die Anopheles-Mücke als Vektor von Malaria – existierten, ist dies ein wichtiger Schritt. Bei der Entwicklung eines Risikobeurteilungskonzeptes berücksichtigten die Autoren unter anderem bereits bekannte potenzielle Gefahren, die aus der Freisetzung natürlicher Feinde der unerwünschten Art, der Freilassung gentechnisch veränderter Insekten oder der sogenannten Sterile-Insekten-Technik hervorgehen. Die Konzeptstudie zeigt auf, dass all diese Gefahren auch bei Gene-Drive-Organismen auftreten könnten. Bestehende Rahmenwerke können also zur Bewertung der potenziellen schädlichen Auswirkungen von GD-Insekten in der Landwirtschaft verwendet werden, so die Autoren. Sie weisen jedoch darauf hin, dass die Auswirkungen der Freisetzung von GDO schwerwiegender sein könnten, weil die beigefügten Eigenschaften sich auch dann verbreiten, wenn sie für das Individuum unvorteilhaft sind. GDO respektieren keine Landesgrenzen und können ganze Populationen negativ beeinflussen. Deshalb betonen die Autoren, dass es von grösster Bedeutung ist, das zufällige Entweichen von GDO auf jeder Stufe der Entwicklung zu verhindern.

Mit agroindustriellen Anwendungen der Gene-Drive-Technologie könnte sich jedoch dereinst das grosse Geld machen lassen. Neben der Schädlingsbekämpfung erhofft man sich mit Gene Drives auch eine Beschleunigung der Züchtung. Das lukrative neue Geschäftsfeld bewegt Agrarmultis dazu, sich gegen eine strenge Risikoprüfung der Technik zu positionieren und Informationen so zu vermitteln und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen bestätigen. Angesichts der Aggressivität und des enormen Wirkungsradius der Gene-Drive-Technologie ist es besonders bedauerlich, dass sich auch eine nationale Forschungsanstalt in ihrer Kommunikation diesen einseitigen Interpretationen anschliesst und die zentralen Aussagen und Empfehlungen der Konzeptstudie ausblendet.