Label
"Sind Sie auf den CRISPR-Hype-Zug gesprungen? Haben sie dem Versprechen "CRISPR wird die Welt und das Leben verändern" geglaubt? Dann ist es Zeit diesen Hype aufzulösen!" Was gentechnikkritisch tönt, ist in der Wahrheit die Werbung eines Biotechnologieunternehmens für eine neue, verbesserte Version der Genschere CRISPR/Cas9 aus dem Jahr 2018. Die zahlreichen Versuche, dieses Werkzeug zu verbessern, beweisen wir fehlerhaft es tatsächlich ist. Prime Editing is auch eines dieser Optimierungsvorhaben. Bild: Shutterstock.

Eine neue Variante der Genom Editierung, das sogenannte Prime Editing, wird seit ihrer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Nature Ende Oktober 2019 von den Medien hochgejubelt. Auch wenn sich Prime Editing erst in der Anfangsphase der Entwicklung befindet, wird sie von der Presse schon als Erfolgsmethode angepriesen, die die Gentechnologie und die Medizin revolutionieren und Gentherapien für über 80% der bisher unheilbaren Erbkrankheiten wie die Sichelzellanämie ermöglichen soll. Auch für die Sortenentwicklung könnte sie infrage kommen. Besonders gelobt wird ihre erhöhte Präzision. Was dabei ins Auge sticht: die bis anhin als hochgenau propagierte Genschere CRISPR/Cas9 wird plötzlich in ein schlechtes Licht gerückt. Statt als exaktes chirurgisches Werkzeug wird sie nun eher als grobe Küchenschere mit grossem Sicherheitsrisiko dargestellt. Ein Bild, dass die Gentechnik-Befürworter paradoxerweise bisher zu bekämpfen versuchten. Bei Gentechnikkritikern löst diese Darstellung ein gewisses Déjà-vu aus: auch bei der Entdeckung von CRISPR/Cas9 wurde die bislang als Alleskönner bezeichnete klassische Gentechnik rasch als grob und unzuverlässig abgestempelt.

Doch auf welchen Eigenschaften des neuen Werkzeugs „Prime Editing“ basieren diese lobenden Aussagen? Und was kann die neue Methode besser als das bisherige Standard-Instrument, CRISPR/Cas9?

Ein Nachteil der Genschere CRISPR/Cas9 ist, dass sie beide Stränge der DNA durchschneidet und die anschliessende Reparatur des entstandenen Schadens unkontrolliert der Zelle überlässt. Ein Doppelstrangbruch ist in einer Zelle nämlich ein fataler Fehler, weshalb sofort der zelleigene automatische Reparaturmechanismus in Gang gesetzt wird. Dieser ist jedoch sehr unpräzise und fügt zufällig vorhandene Erbgutschnipsel, die zusammen mit der Genschere als Vorlage in die Zelle eingeschleust wurden, in die offene Stelle ein. Dabei entstehen – nebst den gewünschten Veränderungen - oft auch unerwünschte Mutationen, weshalb die Methode sich vor allem zum Ausschalten bestimmter Gene eignet.

Prime Editing soll es nun ermöglichen, diesen Reparaturvorgang grösstenteils zu umgehen. Dazu wird ein verändertes Schneideenzym verwendet, das lediglich einen der beiden Stränge durchschneidet. Da kein Doppelstrangbruch entsteht, wird das fehleranfällige zelleigene Reparatursystem nicht eingeschaltet. Dies bedeutet eine bessere Kontrolle über die Editierung, die nicht mehr dem Zufall überlassen wird.

Zwar ist Prime Editing nicht die erste Methode, die keinen Doppelstrangbruch auslöst und damit eine erhöhte Präzision anbietet. Die bisherigen Ansätze (z.B. die von der gleichen Forschungsgruppe entwickelten Basen-Editoren) konnten jedoch bisweilen nur begrenzt angewendet werden. Sie waren zwar fähig einzelne Buchstaben der DNA gezielt zu verändern und damit allfällige, zu Krankheiten führende Fehler zu korrigieren, konnten jedoch nicht alle Buchstaben des genetischen Codes beliebig in einen anderen umwandeln. Ein Austauschen war nur zwischen zusammengehörenden Elementen (sogenannten komplementären Bausteinen), etwa zwischen Guanin und Cytosin oder zwischen Adenin und Thymin machbar. Prime Editing soll es nun ermöglichen, dass jeder der vier Bausteine der DNA beliebig durch einen anderen ersetzt werden kann.

 Wie funktioniert Prime Editing?  

Um den Schnitt genauer steuern zu können, wurde sowohl das Molekül, das den Zielbereich des Schneideenzyms auf der DNA findet (Leit-DNA), als auch das Schneideprotein selbst verändert.

Im Gegensatz zu CRISPR/Cas9, wird beim Prime Editing die Vorlage für die neue genetische Information nicht mehr in Form von DNA-Schnipseln mit in die Zelle eingeschleust. Stattdessen wird sie neu ins Leit-RNA-Molekül eingebaut. Somit erkennt dieses nicht nur die zu schneidende Stelle im Genom und lotst das Schneideenzym Cas9 dorthin, sondern dient auch als Vorlage für die geplante Veränderung. Um diese RNA-Vorlage in DNA übersetzen zu können, musste das Schneideprotein Cas9 mit einem anderen Enzym (einer sogenannten reversen Transkriptase) verknüpft werden, das in der Lage ist, RNA-Sequenzen in DNA umzuschreiben. Der Prozess verläuft dann relativ einfach: findet die Leit-RNA die Zielsequenz, schneidet die veränderte Genschere einen Strang der DNA durch. Die in die Genschere integrierte reverse Transkriptase übersetzt die in der Leit-RNA mitgelieferte neue Erbinformation in DNA. Diese wird ins Erbgut des Zielorganismus eingebaut, während die ursprüngliche DNA-Sequenz von einer zelleigenen Schneideenzyms als überflüssig erkannt und abgeschnitten wird. Da sich nun aber auf den beiden Strängen der DNA zwei nicht übereinstimmende Sequenzen gegenübersitzen, wird der Schneideenzymkomplex von einer anderen Leit-RNA zur entsprechenden Stelle des bisher unveränderten DNA-Stranges geleitet und durchschneidet diesen. Nur hier wird auf die zelleigene Reparaturmechanismen zurückgegriffen, die die künstlich beigefügte Sequenz als Vorlage anwenden und anhand dieser die komplementäre Basenabfolge auf dem gegenüberliegenden Strang herstellen.

Dieses Verfahren erlaubt eine bessere Kontrolle des Transformationsprozesses und soll die Zahl der unerwünschten Nichtzieleffekte (Off-Targets) reduzieren. Solche sollen nur noch in einem Zehntel der editierten Zellen vorkommen, während bei CRISPR/Cas 90% der Zellen davon betroffen war.

 Risiken noch nicht getestet

Doch reduzierte Risiken heisst noch nicht inexistente. Prime Editing ist weder frei von Risiken, noch von unerwünschten Mutationen. Da Gene Teile eines grösseren Netzwerkes sind, dessen Elemente miteinander interagieren, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Probleme mit dieser Methode auftauchen und auch sie als „Axt im Genwald“ diskreditiert wird. Wie ihre Entdecker selber betonen, muss, um die Folgen des Eingriffes abschätzen zu können, das gesamte Genom nach unerwünschten Veränderungen abgesucht werden. Bisher wurde die neue Technik an wenigen menschlichen Zelltypen und an Nervenzellen aus Mäusen getestet. Ob und wie effizient die neue Genschere in anderen Zelltypen, beziehungsweise „in vivo“ arbeiten würde, bleibt unklar. Für einen Einsatz an Patienten ist das neue Werkzeug daher noch unreif.

Doch in der Forschung könnte es sich schnell grosser Beliebtheit erfreuen. Bereits wird über einen Einsatz in der Pflanzenzüchtung spekuliert. Das Problem dabei bleibt das gleiche wie bei anderen Werkzeugen der Genom Editierung. Nämlich eine ungenügende Risikoprüfung auf unerwünschte Nebeneffekte der gentechnischen Veränderung. Solche können nicht nur aus der neuen Methode resultieren, sondern, wie bei allen anderen bisherigen gentechnischen Eingriffen, auch aus dem Einschleusen des neuen genetischen Materials oder aus der anschliessenden Kultivierung der Pflanzen.

Die verbesserte Präzision als Grund für eine verstärkte Lobbyaktivität gegen eine strenge Regulierung der Gentechnik in der Landwirtschaft zu verwenden, wäre also verfrüht und unverantwortlich.

Auf der kommerziellen Ebene scheint Prime Editing enormes Potential zu bieten, was es auch für die Agrarindustrie attraktiv machen könnte. Prime Medicine, ein von David Liu, dem Entdecker der Methode mitgegründetes Unternehmen, ist Linzenzinhaber an der von der Forschungsgruppe getesteten Anwendungen. Während nicht-kommerzielle Nutzung und die weitere Erforschung des Ansatzes erlaubt sind, könnten kommerzielle Anmeldungen für das zum Patent angemeldete System teuer werden.

 

Informationsdienst Gentechnik zu Prime Editing