Tage der Agrarökologie
Ausstellung: Vielfalt statt Gentechnik
Im Rahmen der «Tage für Agrarökologie» kreieren wir einen offenen Raum, in dem wir zum Dialog über Vielfalt und Gentechnik einladen.
Für eine Welt ohne Gentechnik
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Schweizer Allianz Gentechfrei, 8032 Zürich
Die SAG beobachtet die Entwicklungen in der Nanotechnologie bei Lebensmitteln, Gebrauchsartikeln und in der Landwirtschaft seit Längerem kritisch. Ausführliche Informationen dazu auf der Unterseite Nanotechnologie.
(Bild: Shutterstock)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 114
Sie wecken Hoffnung, sorgen aber auch für Ängste und Bedenken.Hoffnung, weil sie Menschen vor Covid-19 schützen und damit den Weg aus den Lockdowns und der Pandemie ebnen können. Ängste und Bedenken, weil ihre schnelle Entwicklung, ihre neuartigen Wirkstoffe und ihre gentechnische Herstellung Zweifel an ihrer Sicherheit wecken. Die Rede ist von den genbasierten Impfstoffen, die derzeit in mehreren Ländern bei der Bekämpfung von Corona Verwendung finden. So auch in der Schweiz: Fünf der sechs Vakzine, auf die der Bund bei seiner Impfkampagne gegenwärtig setzt, sind genbasiert (siehe Übersicht auf Seite 15). Rund 33 Millionen Dosen dieser modernen Fabrikate sind laut BAG bestellt.
Text: Benno Vogel
Geht es nach den Plänen des Bundes, sollen sich bis im Sommer alle damit impfen können, die das wollen. Wie viele das sein werden, ist unklar. Für eine Herdenimmunität müssten 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung impfwillig sein. Die Bereitschaft steigt zwar stetig an und mehr als die Hälfe ist derzeit parat für den Piks. Aber auch die Skepsis bleibt verbreitet. Je nach Umfrage geben 15 bis 30 Prozent der Befragten an, noch unschlüssig zu sein.
Wenn die genbasierten Vakzine Skepsis wecken, dürfte das vor allem an ihren neuartigen Wirkstoffen liegen. Sie bestehen nämlich aus mRNA oder gentechnisch veränderten Viren und basieren somit auf zwei Stoffklassen, die bisher gar nicht oder nur sehr begrenzt in Impfstoffen zum Einsatz kamen (siehe Kasten). Dass die fehlende Erfahrung manch einen an der Sicherheit zweifeln lässt, erstaunt nicht. Doch wie berechtigt sind diese Zweifel? Zeit, einen Blick darauf zu werfen, wie genbasierte Impfstoffe wirken, wie sie hergestellt werden und nach welchem neuen Wirkprinzip sie funktionieren.
(Grafik: SAG/ Bivgrafik)
Neues Wirkprinzip: Genetische Baupläne statt Proteine
Bisher beruht das Wirkprinzip von Impfstoffen im Wesentlichen darauf, Proteine von Krankheitserregern in den Körper zu bringen, die dort als Antigene wirken und das Immunsystem dazu anregen, Antikörper und Gedächtniszellen zu bilden. Das Einbringen erfolgt dabei mit einer von drei Möglichkeiten: mit lebenden, aber abgeschwächten Erregern, mit abgetöteten Erregern oder mit isolierten Erregerproteinen. Anders ist das Prinzip der genbasierten Impfstoffe: Sie bringen nicht die als Antigen wirkenden Proteine in den Körper ein, sondern die genetische Anleitung für deren Herstellung; Geimpfte bilden dann die Antigene selber. Möglichkeiten für das Einbringen der Anleitung gibt es wiederum drei: mit mRNA, mit gentechnisch veränderten Viren oder mit Plasmiden. Letzteres sind ringförmige DNA-Moleküle. In den Corona-Impfprogrammen spielen sie derzeit noch keine Rolle. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind global zwar 25 dieser DNA-Impfstoffe in der Entwicklung, aber marktreif ist noch keiner.
Bereits verimpft wird hingegen mRNA. Sie ist in den zugelassenen Präparaten von Moderna und Pfizer/Biontech enthalten. Mit dem Vakzin von Curevac dürfte zudem bald ein dritter RNA-Impfstoff folgen. Allen drei gemeinsam ist, dass ihre mRNA den Bauplan für das Spike-Protein des Coronavirus Sars-CoV-2 enthält. Wird diese mRNA in Muskeln gespritzt, bauen dort die Zellen daraus das Virusprotein. Der Körper kurbelt die Immunantwort dagegen an und sollte deshalb vor einer schweren Covid-19-Erkrankung geschützt sein, falls es später zur Infektion kommt. Allen drei Präparaten gemeinsam ist auch, dass die Produktion ihrer mRNA synthetisch erfolgt: In zellfreien Bioreaktoren bauen Enzyme die mRNA zusammen. Als Schablone wirken dabei DNA-Moleküle, die den Code für das Spike-Protein enthalten und zuvor aus gentechnisch veränderten Bakterien isoliert worden sind.
Schon bald verimpft werden könnten hierzulande auch gentechnisch veränderte Viren. Sie sind in den sogenannten Vektor-Impfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson enthalten, die derzeit im Zulassungsverfahren sind. Beide Präparate basieren auf Erkältungsviren – AstraZeneca setzt auf Schimpansen-Adenoviren, Johnson & Johnson nutzt Adenoviren des Menschen. In beiden Fällen sind die Viren doppelt gentechnisch verändert: Einmal so, dass sie sich im Körper nicht mehr vermehren können. Diese Veränderung dient der Sicherheit. Und noch einmal so, dass sie in ihrem Erbgut die Information für den Bau des Spike-Proteins tragen. Wie bei den RNA-Impfstoffen können die veränderten Viren die Körperzellen damit dazu bringen, das fremde Spike-Protein herzustellen, das dann wiederum eine Immunreaktion auslöst. Um genügend der Vektor-Viren zur Verfügung zu haben, werden sie in Bioreaktoren in gentechnisch veränderten Humanzellen vermehrt. Die Nutzung menschlicher Zellen ist in der Arzneimittelproduktion zwar selten, aber seit längerem üblich. In der Schweiz sind acht Medikamente aus gentechnisch veränderten Humanzellen zugelassen.
(Grafik: SAG/ Bivgrafik)
Neuartige Wirkstoffe = neuartige Risiken?
Wie steht es um die Sicherheit der genbasierten Impfstoffe? Bergen sie im Vergleich zu klassischen Vakzinen neuartige Risiken? Daten aus den präklinischen und klinischen Prüfungen und laufenden Impfkampagnen legen nahe, dass genbasierte Impfstoffe sicher sind und im Allgemeinen gut vertragen werden. Neuartige Risiken sind hier bislang nicht bekannt geworden. Zwar gibt es kurzfristige Nebenwirkungen wie Fieber, Rötungen oder Kopfschmerzen. Doch sie kommen auch bei klassischen Impfstoffen vor und sind oft ein Zeichen dafür, dass der Impfstoff das Immunsystem aktiviert.*
In seltenen Fällen sind bisher schwere allergische Reaktionen aufgetreten. Menschen mit Anaphylaxien in der Vorgeschichte sollten deshalb vor der Impfung ärztlichen Rat einholen. Als Auslöser der Allergien gelten weder die mRNA noch die gentechnisch veränderten Viren. Im Verdacht stehen vielmehr Hilfsstoffe. Anders als klassische Vakzine kommen genbasierte Präparate zwar ohne Adjuvanzien aus, die es üblicherweise braucht, um die Wirkung von Impfstoffen zu verstärken. Doch ganz ohne Hilfsstoffe geht es nicht. So braucht es bei RNAVakzinen Lipidnanopartikel, um die mRNA in die Zellen zu bringen und vor einem raschen Abbau zu schützen. Ein Bestandteil dieser winzigen Fettkügelchen ist Polyethylenglykol – ein Stoff, der in vielen Medikamenten und Kosmetika vorkommt, als Allergen bekannt ist und zurzeit als Hauptverdächtiger für allergische Reaktionen auf die RNA-Impfstoffe gilt. Die beiden Vektor-Impfstoffe wiederum enthalten Polysorbat 80 zur Stabilisation und somit ebenfalls einen Stoff, der mit Allergien in Verbindung steht.
Sind Spätfolgen genügend abgeklärt?
Während die vorhandenen Daten den genbasierten Impfstoffen erstmal eine weitgehend gute Verträglichkeit bescheinigen, bleibt die Frage nach möglichen Spätfolgen offen. Bei klassischen Impfstoffen sind Spätfolgen sehr selten. Ob das auch für die neuen Präparate gilt? Da bisher keine Nebenwirkungen beobachtbar waren, die zu dauerhaften oder erst lange nach der Impfung auftretenden Schäden führen könnten, bleiben Fachleute gelassen: Eine 100-prozentige Sicherheit, dass Spätfolgen bei genbasierten Impfstoffen ausbleiben, gebe es zwar nicht, aber das Risiko, schwer und lange an Covid-19 zu erkranken, sei um vieles grösser als das Risiko, späte oder dauerhafte Impffolgen zu erleiden.
Entwarnung geben Fachleute denn auch, wenn es um die breit diskutierte Befürchtung geht, dass sich das genetische Material der neuen Vakzine ins Erbgut von Geimpften einbaut und dadurch als Spätfolge Krebs verursacht. Bei RNA-Impfstoffen gilt ein Einbau als unmöglich. Da die mRNA bloss ins Zellplasma gelangt, und nicht in den Zellkern, hat sie keinen Kontakt mit dem Erbgut der Geimpften. Sollte die mRNA unerwartet doch in den Zellkern gelangen, wäre ein direkter Einbau ausgeschlossen, da unser Erbgut nicht aus RNA sondern DNA besteht. Dass die RNA im Zellkern erst in DNA umgeschrieben und dann eingebaut wird, ist wiederum unwahrscheinlich, weil menschlichen Zellen die Enzyme für die Umschreibung in der Regel fehlen.
Anders ist die Situation bei den Vektor- Impfstoffen. Hier gelangt die DNA der gentechnisch veränderten Adenoviren bis in den Zellkern. Ein Einbau ins Erbgut ist deshalb grundsätzlich möglich. Versuche an Zellkulturen und Tieren zeigen jedoch, dass er äusserst selten passiert und etwa 1000- mal weniger häufig vorkommt als spontane Veränderungen im Erbgut. Sollte es zu einem Einbau kommen, ist es wiederum wenig wahrscheinlich, dass er genau dort im Erbgut erfolgt, wo Änderungen zu Krebs führen. Diese Überlegungen werden durch die Lebenserfahrung bestärkt: So haben Menschen regelmässig Erkältungen wegen Infektionen mit Adenoviren, ohne dass Krebs als Spätfolge bekannt geworden ist.
Ein Einbau von DNA ist theoretisch auch möglich, weil die Herstellung der neuen Vakzine gentechnisch erfolgt und DNA aus dem Produktionsprozess in den Präparaten zurückbleiben kann. Hohe Qualitätsanforderungen, Grenzwerte und Kontrollen der Impfchargen sollten jedoch dafür sorgen, dass daraus keine Gefahr für Impflinge entsteht. Dass dieses Qualitätssicherungssystem funktioniert, zeigt die Erfahrung: In der Schweiz sind über 200 Medikamente aus gentechnischer Produktion zugelassen. Probleme wegen DNA-Rückständen sind bei deren Verwendung bisher nicht bekannt geworden.
(Grafik: SAG/ Bivgrafik)
Anforderungen an Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Impfstoffen sehr hoch
Wer sich gegen Covid-19 impfen lassen möchte, genbasierte Präparate aber ablehnt, dürfte in nächster Zeit keine grosse Wahl haben. Impfstoffe aus abgetöteten Sars-CoV-2-Viren, wie sie in China und Indien entwickelt worden sind, spielen in der Schweiz derzeit keine Rolle. Mit dem Produkt der US-Firma Novavax ist nur eines der sechs Vakzine, auf die der Bund setzt, ein klassischer Impfstoff. Er besteht aus dem gentechnisch hergestellten Spike-Protein von Sars-CoV-2 und enthält zudem eine Substanz aus dem Seifenrindenbaum als Adjuvans und Polysorbat 80 als Stabilisator. Besondere Risiken sind hier nicht zu erwarten. Protein-Impfstoffe aus gentechnischer Produktion gibt es seit mehr als 25 Jahren. In der Schweiz sind entsprechende Vakzine gegen Hepatitis B, Gürtelrose und Hirnhautentzündung zugelassen.
Ob klassisch oder neuartig – die Anforderungen an Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Impfstoffen ist sehr hoch, unabhängig davon, wie die Präparate hergestellt sind oder auf welche Art sie wirken. In der Schweiz sorgt Swissmedic für die Einhaltung der Anforderungen. In der EU ist es die Arzneimittelbehörde EMA. Auch wenn beide Behörden wegen der Pandemienotlage bei der Zu-lassung von Covid-19-Impfstoffen auf ein Schnellprüfverfahren setzen, machen sie bei der Prüfung der Sicherheit keine Abstriche. Anders als üblich bewerten sie bei dieser «rollenden» Prüfung Daten bereits dann schon, wenn der Zulassungsantrag und einzelne Testergebnisse noch ausstehen. Wie gewohnt lassen die Behörden Covid-19-Impfstoffe aber nur dann zu, wenn sie es als hinreichend belegt erachten, dass die Mittel mehr nutzen als schaden.
Diese positive Risikobilanz spielt auch in den Stellungnahmen eine wichtige Rolle, die Biorespect aus Basel und das Gen-ethische Netzwerk in Berlin zu den neuen Impfstoffen geschrieben haben. Beides sind Vereine, die sich seit mehr als 30 Jahren kritisch mit Gentechnik in der Medizin beschäftigen. Aus ihrer Sicht ist ein generelles Misstrauen gegenüber Covid-19-Impfungen unangebracht.
Klar ist, dass schlussendlich jede und jeder für sich selbst entscheiden muss, ob er oder sie sich mit einem der Impfstoffe, die aktuell zur Verfügung stehen,vor Covid-19 schützen will.
Genbasierte Impfstoffe: ein Novum
RNA-Impfstoffe sind weltweit eine Neuheit. Das Prinzip, das Immunsystem mit mRNA auf Erreger vorzubereiten, ist zwar bereits seit 30 Jahren in der Erforschung und auch klinische Versuche fanden schon statt, aber Zulassungen gab es vor den Covid-19-Impfstoffen noch nie. Auch die gentechnisch veränderte Viren enthaltenden Vektor-Impfstoffe sind weitgehend neu. In der Schweiz gib es bisher noch keine solche Vakzine. In der EU sind seit 2019 erste Produkte erhältlich: drei Impfstoffe gegen Ebola und einer gegen Denguefieber. Bis Mitte März 2021 haben sich weltweit mehr als 70 Millionen Menschen mit den genbasierten Covid-19-Vakzinen impfen lassen. Anlass für ernste Sicherheitsbedenken gab es bis dahin nicht.*
RNA bald auch auf den Feldern
Nicht nur beim Impfen, sondern auch in der Landwirtschaft sind RNA-basierte Produkte im Kommen. Agrarfirmen arbeiten nämlich an Spritzmitteln aus RNA, die eine gezielte Schädlingsbekämpfung ermöglichen sollen (siehe dazu gentechfrei Nr. 109/April 2020). Anders als bei den Impfstoffen bestehen die Sprays nicht aus mRNA, sondern aus dsRNA – kurzer doppelsträngiger RNA. Anders ist auch die Wirkweise: Im Unterschied zur mRNA enthält dsRNA keine genetische Bauanleitung, sondern unterbindet in Schädlingen durch einen RNA-Interferenz genannten Prozess die Bildung lebenswichtiger Proteine. Welche Umweltfolgen es hat, wenn dsRNA wiederholt auf die Felder kommt, ist umstritten. Laut einem Bericht der Friends of Earth fehlen oft Daten, um Risiken ausreichend abschätzen zu können.
* Mitte März – kurz nach Redaktionsschluss – haben mehrere EU-Länder die Verabreichung des Vektor-Impfstoffs von AstraZeneca ausgesetzt, da vereinzelt Blutgerinnsel im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten sind. Ob der Impfstoff die Ursache ist, wird geprüft, war aber zum Zeitpunkt des Drucks unseres Magazins noch ungeklärt.
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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 115
Eine neue Studie der EU-Kommission zur Genomeditierung betont vor allem deren Chancen. Auch in der Schweiz lobbyieren Wissenschaftskreise aus dem Bereich der Biotechnologie, wirtschaftsnahe Parteien und auch der Detailhandel für die neue Gentechnik und eine Verw sserung der Gentechnikregulierung. Das Vorsorgeprinzip droht einem kurzfristigen Streben nach Profit geopfert zu werden. Mahnende Stimmen werden nicht gehört, auch wenn juristische Gutachten zeigen, dass auch die Genomeditierung als Gentechnik eingestuft werden muss.
Text: Zsofia Hock, Paul Scherer
Ein neuer Bericht der Europäischen Kommission von Ende April 2021 preist die Genomeditierungsverfahren als vielversprechende Waffe gegen die vielfältigen Probleme, mit denen sich die Landwirtschaft heute konfrontiert sieht. Sie rät daher, das Gentechnikgesetz entsprechend zu lockern. Laut IFOAM Organics Europe basiert dieser Bericht der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (DG SANTE) grösstenteils auf Annahmenzum zukünftigen „Nutzen für die Gesellschaft“, der den neuen gentechnischen Verfahren zugeschrieben wird. Er enthält aber keine soliden Argumente, um die Schlussfolgerung zu untermauern, dass die derzeitige GVO-Gesetzgebung der EU für die neuen Techniken „nicht geeignet“ ist. Auf Grundlage dieser Annah-men will die Kommission neue Rechtsvorschriften zur Förderung neuer gentechnischer Verfahren vorschlagen und eine breit angelegte Konsultation mit Interessengruppen und Mitgliedstaaten einleiten, um einen künftigen Rechtsrahmen zu diskutieren. IFOAM befürchtet, dass der Prozess mit einer gefährlichen Deregulierung dieser Verfahren enden könnte.
Der Bericht der EU-Kommission wird auch die Diskussion in der Schweiz beeinflussen. Hier schickte der Bundesrat Ende November 2020 eine Anpassung des Gentechnikgesetzes in die Vernehmlassung.Er rät, das Gentechnikmoratorium, das Ende 2021 ausläuft, um weiterevier Jahre zu verlängern. Eine solche Verlängerung schien vorerst unbestritten – in der Politik ebenso wie in der Landwirtschaft und bei den Konsumierenden. Doch der bundesrätliche Vorschlag stiess auf unerwartet heftige Kritik – vor allem in Wissenschafts- und Wirtschaftskreisen. Stein des Anstosses war eine klare An-sage: Das Moratorium bezieht sich auch auf die neuen Gentechnikverfahren. Damit folgte der Bundesrat überraschend deutlich der Motion von SVP-Nationalrat Andreas Aebi vom 26.9.2019. Die GVO- Freiheitsei ein wichtiges Element für die Positionierung der Schweizer Lebensmittel im Markt und werde über das Gentechmoratorium abgesichert, so Aebi. Das Moratorium müsse um weitere 4 Jahre verlängert werden, insbesondere weil inden kommenden Jahren der Umgang mit den neuen Züchtungsmethoden im Gentechnikgesetz geregelt werden müsse. Die Verlängerung des Moratoriums schaffe dafür die nötige Zeit. Die rasche Entwicklung der Gentechnologie in der jüngsten Vergangenheit werfe prioritäre rechtliche und technische Fragen auf.
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Die Agrarkonzerne rechnen mit einem Milliardenmarkt, der sich ihnen mit genomedierten Pflanzen und Tieren eröffnen könnte.
Rechtsgutachten: Ausnahmeregelungfür die neuen Mutageneseverfahren nicht begründet
Jemand, der sich seit vielen Jahren mit den rechtlichen Aspekten der Gentechnik auseinandersetzt, ist Christoph Errass, Titularprofessor für öffentliches Recht an der Hochschule St. Gallen. Für Errass ist klar: Die neuen Verfahren der Genomeditierung sind Gentechnik und müssen daher gemäss den Bestimmungen des bestehenden Gentechnikgesetzes reguliert werden. Einzelne Anwendungen der neuen Gentechnik von der Regulierung auszunehmen, wie dies für die herkömmlichen Mutageneseverfahren gemäss der Schweizer Freisetzungsverordnung der Fall ist, wäre rechtlich nicht zulässig. In Anlehnung an die GV-Richtlinie der EU werden in der Schweiz die herkömmlichen Mutageneseverfahren, bei denen mit Hilfe chemischer oder radioaktiver Substanzen Mutationen ausgelöst werden, aktuell nicht als Gentechnik geregelt. Würde das Gentechnikgesetz jedoch eng ausgelegt, könnte nach Einschätzung von Errass auch die Rechtmässigkeit dieses Ausschlusses der Mutageneseverfahren von den Regulierungen des Gentechnikrechts in Frage gestellt werden.
Der alleinige Grund, warum die herkömmlichen Mutageneseverfahren von den EU-Richtlinien für Gentechnik ausgeschlossen worden waren, lag inderen bereits lang andauernder Sicherheit („history of safe use“). Umgekehrt bedeutet dies nach Einschätzung des Rechtsexperten, dass „Mutageneseverfahren, die noch nicht seit langem angewandt werden und als sicher gelten, nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen werden können“. Analog der Strassburger Rechtsprechung zu Asbest dürfe man davon ausgehen, „dass mindestens30 Jahre zugewartet werden muss, bevor ausreichend sicheres Wissen zu den 2012 entdeckten Genomeditierungsverfahren vorliegt und diese deshalb den herkömmlichen Mutageneseverfahren gleichgestellt werden können“, folgert Errass.
Ist die Genomeditierung als gentechnisches Verfahren reguliert, sind die materiellen und formalen Bestimmungen des GTG über den Umgang mit GVO anwendbar. Wer diese Regelungen nicht einhalte, könne strafrechtlich belangt werden – dies gelte auch für Gemeinwesen. Daraus könnten auch Schadenersatzansprüche entstehen, schreibt Errass.
Zum gleichen Schluss kommt das von der SAG bereits 2017 in Auftrag gegebene Gutachten Stauber. Sowohl die europäische wie auch die Schweizer Politik bezüglich GVOs beruhen auf dem Vorsorgeprinzip. „Im Allgemeinen – und umso mehr, falls das Moratorium über die Anwendung von GVOs in der Landwirtschaft aufgehoben wird – sollte ein verantwortungsbewusste Staat eine gewisse Kontrolle über die aus moderner Biotechnologie entstehenden Produkte bewahren. Eine Definition im weitesten Sinn des Rechtsgegenstands GVO bildet hierbei eine unabdingbare Bedingung“ , schreibt der Autor des Gutachtens, der Jurist Maximilian Stauber.
Nur Verfahren, die sich über lange Zeit bewährt haben, sollten von dieser Kontrolle ausgenommen werden. Die neuen Techniken müssen so lange einer Überprüfung unterzogen werden, bis sie gut verstanden werden, ihr Gegenstand genügend bekannt ist und mögliche ökologische oder chronische Gesundheitsschäden Zeit hatten aufzutreten und festgestellt zu werden, folgert das Gutachten. Selbstverständlich ist ein Nullrisiko nicht möglich, doch sind strengeAuflagen umso notwendiger, als bisher die möglichen Risiken den erwarteten (mageren bis nicht vorhandenen) Nutzen der GVO übersteigen.
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Die Genomeditierung beschränkt sich nicht auf die Pflanzenzucht. Auch mit dem Genom von Kühen, Hühnern, Schweinen und Fischen wird im Labor experimentiert, und mit Gene Drives sollen Wildtiere nach Gutdünken genetisch angepasst werden. Eine Deregulierung des Gentechnikrechts wäre daher äusserst fahrlässig.
Industrienahe Wissenschaft blendet Risiken aus – in der Hoffnung auf Profit
Geradezu fahrlässig mutet in diesem Licht die Folgerung der Schweizer Akademien (SCNAT) der Naturwissenschaften an, welche die Wissenschaftsvereinigung in ihrer Stellungnahme vom 25. Februar zur Änderung des Gentechnikgesetzes und zur Verlängerung des Moratoriums für gentechnisch veränderte Organismen veröffentlichte. Die unterzeichnenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren, dass der Bundesrat gesetzliche Erleichterungen für die Produkte bestimmter gentechnischer Verfahren ablehnt. Laut SCNAT greife das geltende Gentechnikgesetz zu kurz und erlaube keine verantwortungsvolle und inklusive Nutzung der neuen gentechnischen Verfahren.
Das Pikante daran: Die vom Forum Genforschung der SCNAT initiierte Stellungnahme soll die Meinung der gesamten SCNAT repräsentieren. Doch Forschende, die der Gentechnik kritisch gegenüberstehen, wurden in die Unterschriftensammlung nicht miteinbezogen, wie der SAG aus gentechnikkritischen Forschungskreisen zugetragen wurde. So ernennen sich die Pro-Gentech-Lobbyierenden, die im Forum Genforschung der SCNAT organisiert sind, selbst zu alleinigen Repräsentierenden der Wissenschaft, obwohl sie nur einen kleinen Teil der Akademien ausmachen. Mehrere der in der Stellungnahme aufgeführten Expertinnen und Experten besitzen Patente im Bereich der Biotechnologie und sie oder ihre Institute profitieren direkt von einer schwachen Regulierung.
Weiter erachtet das Forum im Gegensatz zu unabhängigen Wissenschaftsorganisationen, (beispielsweise Critical Scientists Switzerland) und zum Bundesrat „die naturwissenschaftlichen Grundlagen als ausreichend, um bereits heute die Risiken der neuen gentechnischen Verfahren so weit zu beurteilen, dass risikobasierte Anpassungen des Gentechnikrechts möglich sind“, wie sie in ihrer Stellungnahme schreiben. Die Praxis zeigt jedoch das Gegenteil: Sogar bei der klassischen Gentechnik, bei der bereits 30 Jahre Erfahrung besteht, werden die Risiken nur ungenügend eruiert, wie das internationale Forschungsprojekt RAGES bestätigt. Vor allem mangelt es an Langzeitstudien. Die sich dynamisch entwickelnden Genomeditierungsverfahren verfügen über gar keine Geschichte der sicheren Nutzung. Nachweise hingegen, dass die Genschere unbeabsichtigte Nebeneffekte verursacht, die sich erst nach längerer Zeit manifestieren, häufen sich.
Strenge Regulierung fördert die Entwicklung von nachhaltigeren Alternativen
Eine strenge Regulierung könne Innovationen negativ beeinflussen, diese viel gehörte Klage wird auch von SCNAT ins Feld geführt. Doch gerade die vorschnelle Anwendung und der Mangel an kritischer Bewertung von lediglich theoretisch auf ihre Machbarkeit überprüften Biotechnologien ist der zentrale Faktor, durch den Innovation verzögert und das öffentliche Vertrauen gefährdet wird, schreiben zwei Biotechnologen in „Nature Reviews“. Neue Anwendungen der Genschere CRISPR/Cas werden oft an Modellpflanzen unter standardisierten Bedingungen getestet. Aus solchen im Labor durchgeführten Experimenten entstehen Hypothesen zur Anwendung beim Anbau von Kulturpflanzen. Oft zeigen sich aber die Schwachstellen der neuen Technologien erst dann, wenn die darauf basierenden Produkte grossflächig angebaut werden.
Würden die neuen gentechnischen Verfahren nicht streng reguliert, kann dieser natürliche, selbstkorrigierende Prozess der wissenschaftlichen Innovation Umwelt und Gesundheit gefährden und zu Verlusten seitens der Nutzer der so entstandenen Produkte führen. Eine strenge Regulierung fördert hingegen Innovationen im Bereich der Alternativen, wie beispielsweise der Agrarökologie, die auch laut Weltklimarat und der Welternährungsorganisation FAO nachhaltigere Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft bietet.
Lukrative Geschäftsaussichten als Motor der Lobbywelle
Neuerdings wirbt die Website sciencebased.ch für die Liberalisierung der neuen gentechnischen Verfahren. Mit fragwürdigen Begründungen: Bis 2050 müsse die Landwirtschaft 50 Prozent mehr Nahrungsmittel bereitstellen. Angesichts von Klimawandel und globalem Bevölkerungswachstum seien innovative Ideen zur Nahrungsmittelproduktion dringend gefragt.Ansätze der Grünen Biotechnologie würden einen wichtigen Beitrag leisten, die Welt nachhaltiger zu ernähren. „So hat die Genschere CRISPR/Cas9, für die Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 den Chemie-Nobelpreis erhielten, die Pflanzenzucht bereits heute zum Wohle aller revolutioniert. Es wird Zeit, dass auch die Schweiz diese Errungenschaften der modernen Biotechnologie anerkennt“, heisst es auf der Plattform. Ausser der Tatsache, dass Charpentier und Doudna für die Entdeckung der Genschere den Nobelpreis erhalten haben, erscheint die Faktenlage dieser Aneinanderreihung von Schlagworten äusserst fragwürdig – und wenig wissensbasiert zu sein. Betrieben wird die Seite von einer Kommunikationsorganisation, zu deren Kunden unter anderem Bayer, BASF und Syngenta, drei Schwergewichte der Agrarindustrie, gehören. Daneben werden auch Economiesuisse und Scienceindustries als Kunden aufgeführt. Ob diese Kunden auch für die neue Werbeplattform finanziell aufkommen, wird leider nicht transparent gemacht.
Ein genauerer Blick auf die Liste möglicher genomeditierter Pflanzen läst Fragen aus. Wo sind diese Wunderpflanzen? Welche Eigenschaften haben sie und wann werden sie auf dem Markt verfügbar sein? Wieso wird derart heftig für sie lobbyiert und wieso lässt sich die Wissenschaft von der Agrarindustrie derart unkritisch einspannen?
Wie eine Studie im Auftrag von Global 2000 zeigt, bringt die neue Gentechnik lediglich viele leere Versprechen. Mit Eigenschaften wie einer veränderten Fettsäure oder einem erhöhten Ballaststoffgehalt versuchen die Unternehmen eine zahlungskräftige Kundschaft in den reichen Industrienationen anzusprechen, die bereit ist, für (vermeintlich) gesündere Produkte mehr Geld auszugeben. Davon profitieren vor allem jene Grossunternehmen, deren Geschäftsmodell auf der Nutzung geistiger Eigentumsrechte aufgebaut ist. CRISPR/Cas ist kein „demokratisches Verfahren“ für den Mittelstand, sondern Big Business für die Grossen. Jedes Unternehmen, ob klein oder gross, das die Technologie nutzen will, muss zuerst mit den Patentinhaberinnen verhandeln und Lizenzen zahlen. Den Bäuerinnen und Bauern bringen Patente nur steigende Saatgutpreise, eine beschränkte Auswahl und neue Abhängigkeiten.
Klar ist, dass sehr viel Geld im Spiel ist. Gemäss den sogenannten CRISPR Files rechnen die Saatgutunternehmen mit einem Milliardenmarkt. Entsprechend kräftig wird weltweit in Lobbyingmassnahmen investiert. In der EU wird damit Druck auf die EU-Kommission aufgebaut, in der Schweiz auf Bundesrat und Parlament in Hinblick auf die Moratoriumsverlängerung und die zukünftige Regulierung der Genomeditierung. Die einzige Pflanze, für die bislang in Europa ein Zulassungsantrag gestellt wurde, ist gemäss Testbiotech ein herbizidresistenter Mais der Firma Pioneer, der zudem ein Insektengift produziert – ganz nach dem alten Muster. Pioneer hat sich die CRISPR/Cas-Pflanzen in Europa durch Patente schützen lassen und bereits zahlreiche weitere Patentanträge auf die Technologie und entsprechende Pflanzen angemeldet.