Tage der Agrarökologie
Ausstellung: Vielfalt statt Gentechnik
Im Rahmen der «Tage für Agrarökologie» kreieren wir einen offenen Raum, in dem wir zum Dialog über Vielfalt und Gentechnik einladen.
Für eine Welt ohne Gentechnik
IBAN: CH07 0900 0000 8000 0150 6
Schweizer Allianz Gentechfrei, 8032 Zürich
Die SAG beobachtet die Entwicklungen in der Nanotechnologie bei Lebensmitteln, Gebrauchsartikeln und in der Landwirtschaft seit Längerem kritisch. Ausführliche Informationen dazu auf der Unterseite Nanotechnologie.
Die Bäuerinnen werden im Umgang mit Permakulturen geschult (Bild: Pelum)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 110
Der Klimawandel ist auf dem Vormarsch und bringt beträchtliche Veränderungen mit sich. Wetterextreme wie Dürren und Stürme häufen sich und haben unmittelbare Konsequenzen auf die Lebensmittelproduktion und die Ernährungssicherheit. Bereits vulnerable Regionen und Bevölkerungsgruppen, wie Kleinbauern im Königreich Eswatini, sind davon bereits stark betroffen. Die Agrarindustrie setzt auf Gentechnik. Doch es sind naturnahe agrarökologische Methoden wie Permakultur, die sich tatsächlich bewähren. Sie tragen nicht nur zur Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung bei, sondern verbessern und diversifizieren deren Lebensunterhalt bedeutend. Eine Fallstudie im Königreich Eswatini.
Text: Alisa Autenried
Im Königreich Eswatini (ehemals Swasiland) im südlichen Afrika betreibt ein Grossteil der Bevölkerung Subsistenzlandwirtschaft – der Anbau von Lebensmitteln und das Halten von Nutztieren zur Selbstversorgung. Gerade in ländlichen Regionen, wo die Chance, eine geregelte Einkommensquelle zu haben, und somit die Kaufkraft gering sind, sind die Menschen auf den Eigenanbau der Lebensmittel angewiesen. So ist beinahe jede Behausung von kleinen Feldern umgeben. Und trotzdem leidet jeder dritte Swazi an Unterernährung, denn nebst wirtschaftlichen und sozialen Missständen stellt auch die Lebensmittelproduktion eine Herausforderung dar: Diverse Schädlinge zerstören die Ernte und heftige Regenfälle tragen den bereits nährstoffarmen Boden ab und hinterlassen unfruchtbare Felder. Hinzu kommt das heisse, trockene Klima, das vor allem in den tiefergelegenen Regionen herrscht und für starke Wasserknappheit sorgt. Der Mangel an Wasser reduziert die Auswahl an anbaubaren Pflanzen erheblich und beschränkt sie hauptsächlich auf Mais, Bohnen, Süsskartoffeln, Erdnüsse und Sorghum. Besonders schwierig gestaltet sich das Halten von Nutztieren und den Anbau von Gemüse, da deren Wasserbedarf sehr hoch ist. In den letzten Jahren haben sich die Dürre- und Sturmperioden verstärkt – gemäss Experten eine Folge des Klimawandels. Eine weitere Auswirkung der Klimaveränderung ist in Eswatini die Verlagerung der Jahreszeiten: Die sonst regenreiche Anbausaison (Oktober bis Dezember) wird zunehmend von Dürren heimgesucht, welche Jungpflanzen austrocknen lassen. Starker Regen im normalerweise trockenen Sommer (Januar bis April) lässt erntereife Pflanzen verfaulen. Verunsichert durch diese neuen unberechenbaren klimatischen Bedingungen werden Samen und Setzlinge zum falschen Zeitpunkt angepflanzt oder es wird gänzlich auf den Anbau verzichtet. Die Ernährungssicherheit im Königreich Eswatini wird jetzt, zur Zeit der Corona-Krise, noch stärker bedroht: Das Königreich Eswatini ist stark von Lebensmittelimporten aus Südafrika abhängig. Doch nun wurden die Grenzen geschlossen, Lieferketten unterbrochen und die dringend benötigte Lebensmittelzufuhr ist nicht mehr garantiert. Zusätzlich können sich wegen der steigenden Arbeitslosigkeit viele Familien den Kauf von Lebensmitteln nicht mehr leisten. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, die FAO, befürchtet, dass sich aufgrund der Corona-Krise die Zahl der Hungernden weltweit verdoppeln könnte. Besonders besorgniserregend ist die Lage in trockenen Regionen Afrikas. In Krisensituationen wie Corona-Zeiten und Klimawandel ist die Subsistenzlandwirtschaft umso wesentlicher. Dafür braucht es aber geeignete Landwirtschaftstechniken, die der Bevölkerung erlauben – trotz trockenen und unberechenbaren Bedingungen – ihre Lebensmittel zu produzieren und Überschüsse als Einkommensquelle zu verkaufen.
Landwirtschaftstechniken und Wege zur Widerstandsfähigkeit
Kleinbäuerinnen werden Kenntnisse zu Permakultur, Wassersammlungssystemen, Bodenbearbeitung und Lagerung von Saatgut vermittelt. (Bild: EcoSolidar)
Diverse Akteure entwickeln Strategien zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels. Agrarkonzerne beispielsweise setzen hier an und propagieren, dass gentechnisch veränderte Nutzpflanzen durch ihre Hitzetoleranz, Dürreresistenz oder insektizidale Wirkung die Ernährungssicherheit in Afrika gewährleisten können. Doch diverse Fallstudien beweisen, dass Gentechnutzpflanzen langfristig weder ertragreicher noch gegen Insektenschädlinge wirksam sind. Vielmehr treiben sie Kleinbauern in eine starke Abhängigkeit von Agrarmultis und schliesslich in die Verschuldung. Denn das teure GV-Saatgut, Dünger und die dazu passenden Pflanzenschutzmittel müssen jährlich teuer erstanden werden: Aufgrund der Patentierung von Saatgut ist es den Bauern untersagt, die Samen der GV-Pflanze aufzubewahren und sie in der nächsten Saison zu säen. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) ACAT Swaziland zeigt, dass biologische und agrarökologische Landwirtschaftstechniken die bessere Option zur Verbesserung der Ernährungssicherheit in Eswatini sind. Unterstützt durch die Basler NGO EcoSolidar vermittelt ACAT KleinbäuerInnen Kenntnisse zu Permakultur, Wassersammlungssystemen, konservierender Bodenbearbeitung, Lagerung von Saatgut und Haltung von einheimischem Geflügel.
Der Permakultur-Gemüsegarten
Nicht viele der in den trockenen Regionen wohnhaften Swazi bauen Gemüse an, denn nebst der Wasserknappheit sind Samen, Setzlinge und synthetische Pflanzenschutzmittel oft nicht erschwinglich. Tatsächlich wird der Einsatz von synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln von einem Grossteil der KleinbäuerInnen für den Gemüseanbau als notwendig erachtet. Daher lädt ACAT seit 2017 Kleinbäuerinnen aus den trockensten und ärmsten Regionen Eswatinis zu einem dreitägigen Permakulturgarten-Training ein, bei dem naturbasierte, preisgünstige Alternativen aufgezeigt werden. Das Training setzt sich aus sechs ergänzenden theoretischen und praktischen Lektionen zusammen: Kompost, Gülle, Pflanzungstechniken, Schädlingsbekämpfung, Fruchtfolge und Grauwasserfilterung. Die Gartentechniken sind lokal angepasst und helfen KleinbäuerInnen ressourcenschonend und naturnah Gemüse zu produzieren, ihren Lebensunterhalt zu diversifizieren und nachhaltig zu verbessern. Permakultur ist eine agrarökologische Landwirtschafts- und Gartenbaumethode. Ihr Ziel ist es, die Lebensgrundlagen der Menschen dauerhaft zu sichern – ökologisch, sozial und ökonomisch. Gleichzeitig werden Fruchtbarkeit und Biodiversität gefördert. Es werden dabei natürliche Ökosysteme und Kreisläufe nachgeahmt. Das Design spielt deswegen in Permakulturgärten eine zentrale Rolle: Indem gewisse Pflanzenarten spezifisch angeordnet werden, können sie ihre Energie, Eigenschaften und Ressourcen austauschen, sich so gegenseitig unterstützen und schaffen dadurch ein produktives Ökosystem. Diese Wechselwirkung ersetzt menschlichen Arbeits- und Materialeinsatz weitgehend. Schichten organischer Materialien, das Beifügen von Kompost, die Streuung von Holzasche und Fruchtfolgen fügen dem Boden eines Gemüsebeetes wichtige Nährstoffe zu. Dieser fruchtbare Boden, kombiniert mit Sonne und ausreichender Feuchtigkeit, ist die ideale Basis für einen gedeihenden Gemüsegarten. Die benötigte Feuchtigkeit wird generiert, indem dem Gemüsebeet eine Schicht Zeitungspapier unterlegt wird und Mulch die Oberfläche abdeckt. Dies speichert Wasser und verhindert eine rasche Evaporation. Die Grauwasserfilterung – die Reinigung von Koch- oder Abwaschwasser – erlaubt, bereits gebrauchtes Wasser zum Bewässern des Gemüsegartens zu nutzen. Da in der Permakultur gänzlich auf chemische Pflanzenschutz- oder Düngemittel verzichtet wird, muss das Gemüse ausserdem vor dem Verzehr nicht gewaschen werden. Dank dieser optimalen Nutzung der verfügbaren Wasserressourcen kann auch in den trockenen Regionen Gemüse angebaut werden. Aber auch im Königreich Eswatini gibt es zahlreiche Schädlinge, die sich gerne über das Gemüse hermachen. Daher hat die Permakultur viele lokal angepasste, natürliche Methoden der Schädlingsbekämpfung entwickelt. Indem Zwiebelgewächse das Gartenbeet umrunden und in Linien zwischen Blatt- und Wurzelgemüse gepflanzt werden, werden einerseits Insekten durch den stechenden Geruch ferngehalten und andererseits sind Krankheiten an der Verbreitung gehemmt. Eine insektenabwehrende Wirkung hat auch der botanical Spray – Wasser, in das bittere und scharfe Pflanzen wie Chili, Knoblauch, Aloe Vera, Pfeffer und einheimische Kräuter eingelegt werden und mithilfe eines Blattes auf das Gemüse gepinselt wird. Weitere simple Massnahmen wie beispielsweise das Umstellen der Setzlinge mit Holzstäbchen verhindern eine Zerstörung durch Erdraupen.
Permakultur verbessert Lebensgrundlagen in Eswatini
Durch heftige Regenfälle wird der bereits nährstoffarme Boden abgetragen, was die Lebensmittelproduktion erschwert. Fehlende Vegetation, ausgelöst durch Überweidung und Trockenheit, unterstützt die Bodenerosion zusätzlich. (Bild: Alisa Autenried)
Diese Techniken helfen, dem Boden Nährstoffe zuzufügen, die knappen Wasserressourcen optimal zu nutzen und Schädlinge vom Gemüse fernzuhalten. So wird es möglich, auch in trockenen Regionen einen Gemüsegarten zu haben – ohne chemische Pflanzenschutz- oder Düngemittel und ausschliesslich mit verfügbaren, natürlichen Materialien. Im Rahmen einer unabhängigen Forschungsarbeit habe ich die Auswirkungen dieser Permakulturmethoden auf die Lebensgrundlagen der Kleinbäuerinnen untersucht. Die Befragten sind sich einig: Permakultur hat ihr Leben positiv verändert, und zwar in diversen Aspekten. Die bedeutendste Veränderung ist die gesteigerte Produktion von Lebensmitteln. Die Kleinbäuerinnen beobachteten Zunahmen sowohl in Quantität wie auch in Qualität des Gemüses im Vergleich zu herkömmlichen Gemüsegärten, in denen chemische Pflanzenschutz- und Düngemittel eingesetzt wurden: Permakulturgemüse wächst nicht nur schneller, ist grösser und hat eine höhere Ertragssicherheit, es kann auch länger gelagert werden und hat einen besseren Geschmack. Die gesteigerte Ernährungssicherheit führt zu verbesserter Gesundheit: Die Ernährung der Kleinbäuerinnen und ihrer Familien ist durch den Konsum von Gemüse ausgewogener und vitaminreicher als zuvor und dank des biologischen Anbaus frei von gesundheitsschädigenden Chemikalien. Dadurch, dass die Kleinbäuerinnen für den Gemüsegarten ausschliesslich verfügbare Materialien benutzen, Pestizide und Dünger auf natürliche Weise selbst herstellen und keine teuren synthetischen Mittel mehr erstehen müssen, können sie viel Geld sparen. Der Gemüseanbau bessert die Haushaltskasse weiter auf, da sie weniger Lebensmittel kaufen müssen. Zusätzlich verkauften viele der Befragten Ernteüberschüsse an Nachbarn und Bekannte. Das zusätzliche Geld kann anderweitig investiert werden, etwa in Schulgebühren, in Zäune oder in den Aufbau eines kleinen Geschäftes.
Agrarökologie statt Gentechnologie
Krisensituationen, wie heute die Corona- Pandemie, in denen beispielsweise Lieferketten unterbrochen werden, verdeutlichen die Wichtigkeit, Lebensmittel lokal produzieren zu können, um die Ernährungssicherheit der Menschen zu gewährleisten. Ist die Lebensmittelproduktion jedoch durch klimawandelbedingte Wetterextreme dauerhaft erschwert, müssen die lokalen Anbausysteme neu überdacht und den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Die Agrarindustrie und die mit ihr verbandelte Forschung wirbt für teure gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, die eigene Insektizide produzieren oder dürreresistent sind. Doch die Kosten und die Risiken sind hoch, für Mensch und Umwelt gleichsam. Agrarökologische Anbaumethoden wie die Permakultur aber haben das Potenzial, auch mittellosen Menschen in trockenen Gebieten mit nährstoffarmen Böden zu mehr Ernährungssicherheit zu verhelfen. Es braucht keine Gentechnologie in Afrikas Landwirtschaft.
Alisa Autenried
(Bild: Alisa Autenried)
Im Rahmen meiner Masterarbeit in Geografie (Entwicklung und Umwelt) an der Université de Lausanne untersuchte ich in dreimonatiger Feldforschung den Wissenstransfer von agrarökologischen Ansätzen zwischen KleinbäuerInnen im Königreich Eswatini. Mittels 43 tiefgreifenden Interviews mit KleinbäuerInnen, die das Permakulturtraining der Entwicklungsorganisation ACAT Swaziland besuchten oder das Wissen durch eine TrainingsbesucherIn erlangten, gewann ich Einblick in die lokalen Gegebenheiten und konnte die tatsächlichen Auswirkungen der Permakultur auf den Lebensunterhalt ermitteln. Zusätzlich erlaubte mir diese unabhängige Forschung, die Funktionalität des «Farmer to Farmer»-Ansatzes und die Tragweite des Projektes zu untersuchen. Mein Interesse für Wissenstransfer in der Landwirtschaft hat mich im September 2019 zur SAG geführt, wo ich eine einjährige Projektassistenz absolviere.
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(Bild: Shutterstock. Menschliche Chromosomen unter dem Mikroskop)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 111
«Ein Gen ist zuerst einmal ein Wort und nicht viel mehr», sagt der Forscher Ignacio Chapela von der University of California (USA). «Je mehr wir forschen, desto weniger wissen wir, was ein Gen ist. Wir wissen aber, was ein Gen nicht ist: Ein Gen sendet keine Informationen an die Zelle aus; ein Gen dirigiert nicht das Zellgeschehen. Ein Gen ist nicht alleine für die Vererbung verantwortlich. Es gibt keine allgemein gültige Definition dessen, was ein Gen ist.» Er habe bei vielen praktizierenden Biologen und Biologinnen nachgefragt – und immer andere Antworten erhalten, abhängig von ihren jeweiligen Forschungsprojekten. «Ein bekannter Biologe meinte, ein Gen sei wie die Kunst, es kommt auf die Phantasie des Betrachters an.»
Text: Florianne Koechlin
Machen wir einen kurzen Exkurs in die Geschichte des Gens. Im 19. Jahrhundert führte Gregor Mendel seine berühmten Kreuzungsversuche mit Erbsen durch. Er fand, dass die Nachkommen ganz bestimmte Eigenschaften von ihren Eltern übernehmen. Es müssten also, meinte er, bestimmte Faktoren für die Vererbung existieren. Diese nannte er folgerichtig Erbfaktoren.
Der Begriff Gen wurde erst später, im Jahr 1909, vom Biologen Wilhelm Johannsen kreiert. Er meinte damit eine biologische Substanz, die Eigenschaften eines Lebewesens bestimmt und dafür sorgt, dass diese Informationen von Generation zu Generation weitergegeben, eben vererbt, werden. Woraus diese Erbsubstanz besteht, wo sie sich befindet, wie sie funktioniert, das wusste man nicht – es war eine Black Box.
Später fanden Forscher, dass sich diese Erbfaktoren, nun Gene genannt, in den Chromosomen eines jeden Zellkerns befinden müssten. Sie bestünden aus dem chemischen Molekül DNA (deoxyribonucleic acid). Doch wie diese aufgebaut war und wie sie Erbfaktoren enthält und an nächste Generationen weitergibt, wusste man immer noch nicht.
Modell für die Struktur der DNA
Gregor Mendel fand bei seinen berühmten Kreuzungsversuchen mit Erbsen heraus, dass die Nachkommen ganz bestimmte Eigenschaften von ihren Eltern übernehmen. Diese nannte er Erbfaktoren. (Bild: Shutterstock)
1953 präsentierten die beiden Forscher Francis Crick und James Watson ein Modell für die Struktur der DNA: die berühmte Doppelhelix1. Sie sei aufgebaut wie eine Strickleiter mit starren Sprossen, die zu einer Spirale verdreht ist. Die Sprossen bestünden aus vier organischen Molekülen, die sich abwechseln und das genetische Alphabet bildeten. Die Reihenfolge dieser vier Buchstaben enthalte die Informationen, sozusagen wie ein Code.
Francis Crick stellte etwas später das Zentrale Gendogma auf: Demnach sei ein Gen ein klar abgegrenzter Abschnitt auf dem DNA-Faden und enthalte die Instruktionen für den Aufbau eines Proteins. Aus Proteinen entstünden der Bauplan eines Lebewesens sowie alle Stoffwechselvorgänge, die für das Leben notwendig sind. Dem zentralen Gendogma zufolge stehe ein Gen am Anfang jeder Reaktionskette; die Informationen würden nur in eine Richtung laufen – vom Gen zum Protein, nie umgekehrt. Ein Gen produziere immer dasselbe Protein, unabhängig von der Umgebung, es sei ein Ding, das Instruktionen aussendet, selbst aber keine empfängt. Ein DNA-Strang enthalte abertausende solcher Gene – alle zusammen bildeten unser Erbgut.
Das zentrale Gendogma lautet also: Gen → Protein → Bauplan und Stoffwechselvorgänge eines Lebewesens.
«Gene», wie von Francis Crick postuliert, «wurden zur Grundlage aller Lebensphänomene hochstilisiert.» «Gene», sagt Ignacio Chapela, «sollten eine Erklärung dafür liefern, was Lebewesen zu dem macht, was sie sind und was sie tun. In den Genen und in der Vererbung schien sogar die Zukunft eines jeden Lebewesens verborgen zu sein. Molekularbiologie wurde zu einer Art neuer Religion. Das Gendogma war einfach, elegant und machtvoll.»
1 Sie hatten Kenntnisse über die chemische Zusammensetzung der DNA mitden Daten einer neuen, spektakulären Röntgenstrukturanalyse des Zellkerns von Rosalind Franklin kombiniert und erhielten dafür den Nobelpreis. Der wesentliche Beitrag Rosalind Franklins wurde von den beiden nicht erwähnt.
Eine krasse Vereinfachung
Die Zäsur: 2001 wurde die Entschlüsselung des menschlichen Genoms gefeiert, ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Molekularbiologie. Da menschliche Zellen rund 100 000 verschiedene Proteine enthalten, erwartete man rund 100 000 Gene, für jedes Protein ein Gen. Tatsächlich stellte sich aber heraus, dass es nur rund 20 000 sind. Der winzig kleine Fadenwurm Caenorhabditis elegans trägt ebenfalls rund 20 000 Gene, eine Tomate etwa 30 000. Der Fadenwurm so komplex wie ein Mensch? Und eine Tomate noch viel komplexer? Etwas war grundlegend falsch.
Das zentrale Gendogma erwies sich bald als krasse Vereinfachung:
- Gene sind keine genau definierten Orte auf der DNA. Ein DNA-Abschnitt kann auch gespleisst werden, d.h. aufgetrennt, wieder zusammengesetzt oder gekürzt und auf diese Weise Informationen für viele Proteine enthalten. Genauso wie aus dem Wort Erbgut die Wörter Geburt, Betrug und auch er oder EU geformt werden können. Ein Beispiel: Ein Gen/DNA-Abschnitt von Zellen im Innenohr eines Huhns kann bei der Formung von über 500 verschiedene Proteinvarianten mitbeteiligt sein.
- Ein DNA-Abschnitt oder Gen kann je nach Umgebung verschiedene Funktionen haben. So ist zum Beispiel ein Gen bekannt, das bei Fruchtfliegen an der Bildung von Sehpigmenten, bei Säugetieren jedoch an der Reifung des Immunsystems beteiligt ist. Dieses Gen hat also in verschiedenen Umgebungen gänzlich unterschiedliche Funktionen.
- Kommunikation findet in alle Richtungen statt, nicht nur von einer DNA-Sequenz zu einem Protein. Auch Proteine senden Informationen an DNA-Abschnitte; DNA-Abschnitte informieren sich gegenseitig; Proteine senden Informationen an andere Proteine – in einer Zelle werden ununterbrochen gigantische Mengen an Informationen in alle Richtungen ausgetauscht, vernetzt, verarbeitet und beantwortet. DNA-Abschnitte sind im Grunde genommen nur Zulieferer biochemischer Moleküle, welche die Zelle in ihrem jeweiligen Entwicklungsstadium oder funktionellen Zustand braucht. Das ist eine totale Umkehrung der Hierarchie. Die DNA ist wichtig für die Herstellung von Proteinen, doch eigentlich sind sie Moleküle wie alle anderen auch. Sie werden von der Zelle aktiviert, wenn ihre Produkte benötigt werden. Da spielen auch Umweltbedingungen eine Rolle.
- Die DNA agiert überhaupt nicht. Auf sie muss eingewirkt werden, sie ist passiv. Es braucht eine Kooperation mit einem ganzen Team verschiedener Proteine, der RNA (ribonucleic acid) und anderer Moleküle, welche die DNA regulieren, aktivieren oder stilllegen – das weite Feld der Epigenetik tut sich auf. Epi heisst auf Griechisch darüber. Epigenetik ist ein System, das sich über den Genen befindet, ein übergeordnetes Informationssystem, mit dessen Hilfe eine Zelle ihre Gene an- und abschalten kann.
- Auch der Glaube, dass DNA-Abschnitte die einzigen Bausteine für die Vererbung sind, kann nicht länger aufrechterhalten werden. Vererbung ist immer noch ein Mysterium, ein komplexer und unvorhersehbarer Prozess. Natürlich erben wir gewisse Qualitäten von unseren Eltern und natürlich spielt die DNA dabei eine wichtige Rolle. Doch auch andere Prozesse, wie eben die Epigenetik, sind an der Vererbung beteiligt.
Das Wort Gen, so wie es Wilhelm Johannsen im Jahr 1907 postuliert hat, stammt aus dem Griechischen und bezeichnet ein Ding, das etwas generiert, also erzeugt, ja sogar gebärt. Doch ein Gen generiert gar nichts. Ignacio Chapela sagt: «Alles, was wir heute wissen, ist Folgendes: Gene gehören zur DNA. Mehr nicht. Ein Gen ist keine biologische Realität, sondern ein abstraktes Konzept, das Wissenschaftler auf der DNA platziert haben. Da besteht eine riesige konzeptionelle Lücke.»
Es stimmt natürlich, dass es einige seltene Erbkrankheiten und andere Eigenschaften gibt, die durch eine DNA-Sequenz verursacht werden, aber auch da ist es meistens komplizierter. Die allermeisten Eigenschaften aber beruhen auf vielen, ja auf hunderten verschiedenen DNA-Abschnitten, in enger Kooperation und Interaktion mit zahlreichen anderen Molekülen, mit Proteinen, Enzymen, Signalstoffen und vielem mehr.
Agrogentechnik: bisher phänomenal erfolglos
Im Labor, unter künstlichen und streng kontrollierten Bedingungen, kann eine Gen-manipulation unter Um-ständen funktionieren. Doch der Schritt vom Labor ins Feld gelingt selten. (Bild: Shutterstock)
Vom Gendogma führte der Weg direkt zur Gentechnik: dem künstlichen Transfer fremder DNA-Sequenzen ins Erbgut eines nicht verwandten Lebewesens, zum Beispiel einer DNA-Sequenz eines Bakteriums ins Erbgut einer Pflanze.
Gerade in der Agrogentechnik ist die Bilanz der Gentechnik bisher aber ernüchternd. Es gibt gerade einmal zwei erfolgreiche Genmanipulationen bei Pflanzen – trotz Milliarden Investitionen, trotz 30 Jahren aufwändigster Forschung. Es sind dieselben, die vor über einem Vierteljahrhundert auf den Markt kamen: 99 Prozent aller gentechnisch veränderten Pflanzen sind entweder resistent gegen eines oder mehrere Totalherbizide – die allermeisten gegen das umstrittene Herbizid Glyphosat (Roundup von Monsanto). Roundup, das heute im Verdacht steht, Krebs auszulösen und die Umwelt zu schädigen. Die andere Gruppe gentechnisch veränderter Pflanzen enthält in jeder Zelle eine DNA-Sequenz des Bakteriums Bacillus thuringiensis (Bt), das für die Produktion eines oder mehrerer insektizider Gifte verantwortlich ist. Es sind also zwei Gruppen, genmanipulierte Pflanzen mit einer Herbizidresistenz und Bt-Pflanzen, die ihr eigenes Insektizid produzieren, die heute auf den Feldern grossflächig angebaut werden. Die einzige grosse Neuerung sind Pflanzen, die eine Kombination dieser beiden Gene enthalten (sog. stacked genes, zu deutsch: gestapelte Gene). Diese zwei Veränderungen sind wahrscheinlich deshalb so erfolgreich, weil sie ausserhalb der Zellregulation liegen und nicht in das komplexe Wechselspiel der Pflanze mit der Umwelt eingebunden sind.
Denn eine Genmanipulation ist ein Eingriff in ein hochdynamisches Netzsystem, wo jeder Eingriff, auch der kleinste, zu unvorhergesehenen Veränderungen führen kann. Wo verrückte Gene verrücktspielen, Nachbarschaftsbeziehungen gestört und unerwartete Veränderungen an ganz anderen Orten im Erbgut (sog. pleiotrope Effekte) verursacht werden können.
Der Schritt vom Labor ins Feld gelingt nicht
Bei allen Grossexperimenten zeigte sich immer das gleiche Bild: Im Labor, unter künstlichen und streng kontrollierten Bedingungen, kann eine Genmanipulation unter Umständen funktionieren. Doch der letzte kleine Schritt vom Labor ins Feld gelingt nicht. Im Freien, in einer fluktuierenden und sich ständig ändernden Umwelt, in Wechselwirkung mit anderen Lebewesen, mit Insekten, Mikroben oder Pflanzen, treten plötzlich überraschende Veränderungen und Entwicklungen auf. Die Umgebung kann das Erbgut auf ganz unvorhersehbare Art und Weise beeinflussen (Stichwort Epigenetik). Pflanzen werden zum Beispiel plötzlich krank oder verlieren ihre Widerstandskraft. Heute erleben wir einen neuen Hype. Neue Methoden, sogenanntes Gene Editing, darunter das CRISPR/Cas9-Verfahren, sollen viel präzisere Eingriffe ins Erbgut erlauben als die heute gängige Gentechnik. Die gleichen grossspurigen Versprechen, ähnlich naive Glaubensbekenntnisse. Wieder taucht das zentrale Gendogma auf, wieder werden komplexe Netzeigenschaften eindimensional auf DNA-Abschnitte zurückgeführt, auf DNA-Abschnitte, die man ausschalten, verändern, neu einsetzen zu können glaubt.
(Gekürzte Fassung aus dem neuen Buch, das Anfangs 2021 erscheinen wird.)
Florianne Koechlin
(Bild: Florianne Koechlin)
Die Biologin Florianne Koechlin war Gründungsmitglied der SAG und lange Zeit im Vorstand, unter anderem zuständig für die Kampagne Keine Patente auf Leben oder die europäische Koor-dination gentechkritischer Grup pen (GENET). Heute schreibt sie vor allem Bücher; das letzte hiess Was Erbsen hören und wofür Kühe um die Wette laufen (2018, mit Denise Battaglia), das nächste erscheint im Frühjahr 2021.
Bild: Sebastian Kussmann
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 120
Einhergehend mit der aktuellen Debatte über die neuen gentechnischen Verfahren, erfährt die Pflanzenzüchtung eine grosse Aufmerksamkeit. Leider entsteht diese häufig durch unrealistische Erwartungen an die biotechnologische Züchtung, insbesondere in Bezug auf Versprechen zur Anpassung von Pflanzen an klimabedingte Veränderungen. Realistisch betrachtet kann die Gentechnik den beschriebenen Zielen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nachkommen. Den Herausforderungen kann jedoch mittels (agrar)ökologischer1 Ansätze der Züchtung unter Einbeziehung des gesamten Agrarsystems realistisch begegnet werden.
Text: Sebastian Kussmann
Die neuen gentechnischen Verfahren, insbesondere die Genomeditierung mittels CRISPR/Cas, werden häufig als Methoden bezeichnet. So fordert die schweizerische Lobby-Vereinigung «Sorten für morgen» «sachgerechte Zulassungsregelung für neue Pflanzenzüchtungsmethoden»2. Die Verwendung der Bezeichnung Methoden ist exemplarisch für ein grundlegendes, weitverbreitetes Missverständnis: Eine Methode ist der zielgerichtete Einsatz von Techniken in einem spezifischen Kontext mit einem definierten Ziel. Techniken hingegen sind lediglich die Art und Weise des Einsatzes bestimmter Instrumente – im Fall der neuen Gentechnik biotechnologische Instrumente – zur Veränderung des Genoms. In der aktuellen Debatte wird über den Einsatz einer Technik diskutiert, nicht über die Ursachen aktueller Probleme der Landwirtschaft. Diese Probleme gründen neben Veränderungen durch den Klimawandel auf Fehlentwicklungen der landwirtschaftlichen Produktion im letzten Jahrhundert. Angesichts der Art und des Umfangs dieser Fehlentwicklungen wirkt der Diskurs über biotechnologische Techniken beinahe absurd – denn der Rückgang der Biodiversität, der Verlust der Bodenfruchtbarkeit, hohe Treibhausgasemissionen, sozial unfaire Wertschöpfungsketten u. a. können nicht mittels biotechnologischer Veränderungen des Genoms behoben werden. Vielmehr ist die unvoreingenommene Analyse der Ursachen notwendig. Erst in einem zweiten Schritt sollte die Diskussion über Methoden und Techniken für deren Behebung erfolgen. Diese Analyse wird jedoch nicht von allen unterstützt, offenbart sie doch potenziell den direkten und indirekten Beitrag einzelner Akteure bei den Fehlentwicklungen. Damit einhergehend müssten Grundsätze der eigenen Arbeitsweise in Frage gestellt werden. Neue Techniken zur Problemlösung anzubieten, ist häufig die einfachere und gewinnbringendere Strategie.
Die Pflanzenzüchtung kann im Prozess des Meisterns von Herausforderungen der Landwirtschaft einen Beitrag leisten – gemeinsam mit Bäuerinnen und Bauern, Konsumentinnen und Konsumenten, Verarbeitung, dem Handel und der Agrarforschung. Dafür stehen ihr verschiedene Techniken zur Erreichung der Zuchtziele zur Verfügung. Die Anwendung der neuen Gentechniken als Teil dieser Techniken ist derzeit mit hohen Kosten und vorherseh- baren und unvorhersehbaren Risiken auf sozialer, ökologischer und ökonomischer Ebene verbunden. Unter anderem deshalb ist ihr Einsatz für die (agrar)ökologische Züchtung innerhalb der aktuellen Rahmenbedingungen auszuschliessen.3
Ethische Einschätzung neuer Züchtungstechnologien
Um die Eignung der Platterbse für die Schweizer Landwirtschaft verlässlich einschätzen zu können, werden mehrjährige Versuche auf verschiedenen Höfen durch geführt. Sollte die Pflanze sich in der Schweiz bewähren, würde die Agrobiodiversität um eine Kulturpflanze erweitert – ein wichtiger Beitrag zur Resilienz des Agrarsystems. Bild: Sebastian Kussmann
Warum erfahren die neuen Gentechniken trotzdem eine solche Öffentlichkeit? Thomas Potthast, Professor für Ethik, Theorie und Geschichte der Biowissenschaften an der Universität Tübingen, führt dieses Phänomen auf die normative Kraft des Fiktionalen zurück: «Oft werden Leistungen künftiger Techniken angenommen (Salz-, Trockentoleranz), ohne deren tatsächliche Realistik und Zeitschema kennen zu können. Es entsteht eine normative Kraft des Fiktionalen, die keine gute Grundlage für rationale Entscheidungen ist. Denn sie führt zu Effekten in der politischen Diskussion, ohne dass klar ist, ob und wann es solche Organismen gibt. Zudem führt es zu ungleicher Forschungsförderung und Pfadabhängigkeiten dessen, was mit Blick auf die Landwirtschaft gefördert wird und was eben nicht.»4
Mit der Gentechnik werden potenzielle Anpassungen von Pflanzen für eine Veränderung der Landwirtschaft in grossen Dimensionen vorangekündigt.5 Gleichzeitig werden empirisch belegte negative Auswirkungen des Anbaus gentechnisch veränderter Organismen in der Vergangenheit und mögliche Konflikte im Zusammenhang mit ökonomischen Interessen ignoriert. Aus Perspektive der agrarökologischen Pflanzenzüchtung ist es trotzdem schwierig, ein argumentatives Gegengewicht zu den mit der Gentechnik verbundenen Versprechen zu bilden. Denn in der systembasierten Agrarökologie gelingt die Entwicklung angepasster Sorten nur mit gleichzeitigen Veränderungen auf mehreren Ebenen des Agrarsystems. Dieser Ansatz setzt auf Erfahrungswerte, hat ein realistisches und klares Zeitschema und bezieht die ökonomische, ökologische und soziale Umwelt der Pflanzen und Menschen in den Entwicklungsprozess mit ein – ein komplexes Vorgehen, welches schwer prägnant und einfach kommuniziert werden kann.
Züchtungsforschung und neue Züchtungsmethoden
Technisch und methodisch hat die agrarökologische Züchtung ein hohes Innovationspotenzial. Züchtungstechniken werden aktuell gern auf biotechnologische Ansätze reduziert, bei denen die Pflanze in der Regel als isolierter Einzelorganismus betrachtet wird. Ihre Performance soll durch klassische Kreuzungszüchtung oder biotechnologische Integration von Genen in ihren funktionellen oder qualitativen Eigenschaften verbessert werden.
In diesem Ansatz werden Erkenntnisse der ökologischen Forschung zu positiven Interaktionen von Pflanzen untereinander und mit anderen Organismen des Agrarökosystems (z. B. Symbiosen mit Mykorrhiza-Pilzen) kaum berücksichtig. Die Einbeziehung der ökologischen Umwelt der Pflanze in den Züchtungsprozess ist jedoch relevant, um Eigenschaften, welche nur aufwendig oder mit Zielkonflikten verbunden in die Pflanze integriert werden können, über das Zusammenspiel der Pflanzen mit anderen Organismen zu erreichen.
Ein Beispiel für positive Interaktionen zwischen Pflanzen ist der Anbau von Erbsen in Mischung mit Getreide. Erbsen knicken vor der Ernte oft ab und erschweren damit das Dreschen. Die Betrachtung der Erbse als isolierte Pflanze führt konsequenterweise zum Zuchtziel kleinere und dadurch standfestere Erbsen. Die Reduktion der Wuchshöhe geht jedoch häufig mit Nachteilen einher; u. a. kann der Druck von Pilzkrankheiten steigen. Ein alternativer Ansatz ist der Anbau der Erbse in Mischung mit einer weiteren Pflanze
(z. B. Gerste oder Weizen). Der Anbau in Mischung erhöht nicht nur die Standfestigkeit der Erbsen, er wirkt sich auch positiv auf den durchschnittlichen Ertrag beider Pflanzen aus. Für den Biolandbau ist die Selektion von Erbsen für den Gemengeanbau ein wichtiges Zuchtziel. Dabei ist neben der Selektion von Pflanzen mit physiologischer Eignung auch
die Einbeziehung der Wertschöpfungskette während des Züchtungsprozesses relevant. Denn mangels entsprechender Infrastruktur stellt die mechanische Trennung von Erbsen- und Gerstenkörnern vielerorts ein Problem dar. Hier müssen technische Lösungen flächendeckend etabliert werden, damit die Infrastruktur für den ökologisch sinnvollen Anbau und die Verarbeitung vorhanden sind. Bäuerinnen und Bauern müssen hierfür durch gezielte Förderprogramme unterstützt werden.
Kulturen im Kontext
Im Rahmen des partizipativen Züchtungsprojektes «Klimafenster» der gzpk werden verschiedene Getreidesorten auf dem Hof getestet und durch Bauern und Bäuerinnen selektiert. Bild: Sebastian Kussmann
Erbsen sind nicht nur ein schmackhaftes Nahrungsmittel als Ganzkorn, sie sind auch eine wichtige Quelle für pflanzliche Proteine und damit Rohstoff für viele Fleischersatzprodukte. Somit können sie zur notwendigen Reduzierung des Fleischkonsums beitragen. Gleichzeitig fixieren Erbsen in Symbiose mit Bakterien Luftstickstoff, weshalb auf die Düngung mit synthetischem Stickstoff verzichtet werden kann – ein wichtiger Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen.
Der Erbsenanbau hat aber auch Grenzen. Untersuchungen der Getreidezüchtung Peter Kunz (gzpk) zur Trockenheitstoleranz der Erbse zeigen, dass die Kultur mit Hitze und Wassermangel nur bedingt umgehen kann. Für die Züchtung sucht die gzpk daher nach toleranten Erbsen, z. B. Wildformen. Gleichzeitig werden aber auch andere Körnerleguminosen getestet, welche ergänzend zur Erbse kultiviert werden könnten. Teil dessen sind Versuche mit der Platterbse (Lathyrus sativus), eine in Europa derzeit wenig verbreitete Kulturpflanze. Sie weist geringere Erträge als die Erbse auf, erträgt Hitze und Trockenheit dafür aber sehr gut. Um die Eignung der Platterbse für die Schweizer Landwirtschaft verlässlich einschätzen zu können, werden mehrjährige Versuche auf verschiedenen Höfen durchgeführt. Sollte die Pflanze sich in der Schweiz bewähren, würde die Agrobiodiversität um eine Kulturpflanze erweitert – ein wichtiger Beitrag zur Resilienz des Agrarsystems.
Ebenen der Diversifizierung
Die gzpk setzt sich auf verschiedenen Ebenen für Diversifizierung ein. Im Bereich Getreide werden neben Weizen auch Triticale, Emmer und Dinkel für die menschliche Ernährung gezüchtet. Emmer und Triticale sind als Brot- bzw. Pastagetreide wenig verbreitet. Sie bieten jedoch nicht nur geschmacklich eine Alternative zum Weizen, sondern haben auch interessante agronomische Eigenschaften. Trotz geringerer Erträge und einer für Nischenkulturen vergleichsweise aufwendigen Züchtung ist diese Diversifizierung zur Steigerung der Resilienz des Ackerbaus notwendig. Denn es muss mit vermehrten lokalen Extremwetterereignissen sowie neuen Krankheiten und Schädlingen als Stressfaktoren der Landwirtschaft gerechnet werden. Um diesen begegnen zu können, braucht es ein grösseres Portfolio an angepassten Kulturpflanzen. Dafür ist die züchterische Weiterentwicklung eines breiten Spektrums an Arten und Sorten erforderlich. Die Erhaltung der Vielfalt in Genbanken ist nicht ausreichend: Nur wenn Pflanzen im Züchtungsprozess kontinuierlich an die sich ändernden Umwelt- und Marktbedingungen angepasst werden, steht ihr Potenzial für kurz- bis mittelfristige Anpassungen der Landwirtschaft zur Verfügung.
Im System züchten
Saatgutselektion und -produktion finden in der Schweiz nur noch selten auf Höfen statt. Das spezialisierte, kommerzielle Saatgutsystem bietet zwar hohe Standards in der Sicherung der Saatgutqualität und Sortenreinheit, gleichzeitig weist es bezüglich der Erhaltung und Weiterentwicklung der Biodiversität logistische und ökonomische Grenzen auf. Weniger bedeutende Kulturen sind für grosse Unternehmen nicht interessant: Es besteht ein Zielkonflikt zwischen Vielfalt und ökonomischer Rentabilität. Dieser kann durch die Koexistenz paralleler Strukturen der Saatguterzeugung gelöst werden. Regionale Saatgutarbeit auf Höfen und in Netzwerken muss rechtlich und infrastrukturell ermöglicht und ergänzend zu mittleren und grossen Saatgutunternehmen gefördert werden. Nur wenn Bäuerinnen und Bauern ihr Saatgut von unterschiedlichen Quellen beziehen können und das Recht auf Nachbau haben, kann die Saatgutversorgung zuverlässig gewährleistet werden. Die gzpk verstärkt ihre Zusammenarbeit mit der praktischen Landwirtschaft durch Versuche auf Höfen.
In partizipativen Prozessen werden die Anforderungen und Wünsche aus der Landwirtschaft an die Pflanzen in den Züchtungsprozess einbezogen. Gleichzeitig erhalten die Züchterinnen und Züchter einen Eindruck davon, welche Pflanzen an welche Standorte am besten angepasst sind.6 Ein Beispiel für partizipative Züchtungsprojekte ist das Projekt Körnerleguminosen-Netzwerk, im Rahmen dessen verschiedene Körnerleguminosen auf ihre lokale Angepasstheit und ihre Eignung für das ökonomische Konzept des individuellen Hofs untersucht werden.
Anpassungsfähigkeit erhalten und fördern
Für die Anpassung der Landwirtschaft an aktuelle Herausforderungen besteht akuter Handlungsbedarf. Eine Fehlreaktion wäre jedoch die einseitige Förderung von Technologien, welche schnelle Erfolge versprechen, aber mit hohen Risiken und nicht abschätzbaren Erfolgsaussichten verbunden sind. Die (agrar)ökologische Züchtung setzt sich für Vielfalt in den Anbau- und Saatgutsystemen ein, um das Potenzial für Anpassungen in der landwirtschaftlichen Produktion langfristig zu erhalten und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die damit verbundenen Züchtungsprozesse erscheinen langwierig, tragen durch ihre Praxisnähe aber zu nachhaltigen Lösungen bei. Sie nutzen ökologische Mechanismen gezielt für die Züchtung und den Anbau, was als Innovation anerkannt und gefördert werden sollte. Der häufig ausbleibende Transfer neuer Entwicklungen in die Praxis ist durch die Kooperationen mit der Landwirtschaft fester Bestandteil des Züchtungsprozesses. Die gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen sollten dieses System der Kulturpflanzenentwicklung nicht nur ermöglichen, sondern auch langfristig fördern.
1 Agrarökologie bezieht sich auf das Konzept der Europäischen Koordination von La Via Campesina, www.viacampesina.org/en/evenstad-declaration/, www.eurovia.org/wp-content/uploads/2022 /04/Agroecology_EN.pdf
3 Siehe u. a.: Montenegro de Wit M. 2021 Can agroecology and CRISPR mix? The politics of comple- mentarity and moving toward technology sovereignty. Agriculture and Human Values 39: 733-755.
5 Siehe u.a.: www.bayer.com/de/the-big-ag-short
6 Siehe u.a.: Lammerts van Bueren, ET, et al. 2018 Towards resilience through systems-based plant bree- ding. A review. Agronomy for sustainable development 38: 42
(Bild: Shutterstock, Montage: Bivgrafik)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 112
Man wollte live feiern und nicht online. Und das hat geklappt. 65 Personen haben sich zur Jubiläumsfeier im Naturama in Aarau eingefunden. Es war eine bunte, lebendige Veranstaltung mit vielen individuellen Protagonisten, die meisten etwas angejahrt, aber voller Verve. Monika Stocker in ihrer Rolle als Mitgründerin und erste Präsidentin der SAG, Herbert Karch, sehr aktiv in der Kampagne zur Gentechfrei-Initiative und über Jahre im Vorstand, und Florianne Koechlin, ebenfalls langjähriges Vorstandsmitglied der SAG, kommen zu Wort. An der anschliessenden Podiumsdiskussion diskutiert SAG-Geschäftsführer Paul Scherer mit dem Klimaaktivisten Dominik Waser und der aktuellen SAG-Präsidentin Martina Munz über die Zukunft der Landwirtschaft.
Text: Kathrin Graffe
Wie alles begann. «Mir sind es Hämpfeli gsi», so beginnt Monika Stocker ihr Referat. Die Arbeitsgruppe Gentechnologie, wie sie sich damals nannte, habe sich unregelmässig in einer Seitengasse hinter dem Hauptbahnhof Zürich getroffen und debattiert. Die lockere Gruppe entwickelte sich bald zu einer festen Institution. 2019 zählte die Schweizer Allianz Gentechfrei, wie sie sich inzwischen nennt, rund 2 000 Mitglieder und 2 000 Spenderinnen. Nicht geändert hat sich, wie man gentechkritischen Personen von Seiten der Wissenschaft begegnet, was die Rednerin mit einigen beispielhaften Anekdoten illustriert. Die SAG-Präsidentin der ersten Stunde berichtet, wie man sie und ihre Kolleginnen in die Forschungsstation in Lindau einlud und herumführte. Das Labor sei hermetisch abgeschlossen gewesen und nur mit Schutzbekleidung zu betreten. Auf ihre Frage, wieso denn das, wenn doch Freisetzungen so unproblematisch seien, blieb man eine Antwort schuldig und verabschiedete sich kurz angebunden.
Neben dem Thema Freisetzungen setzte man sich schon in den Anfängen der SAG auch mit dem Thema Patente auf Leben auseinander. Mit diesem Thema habe man neue Sympathisantinnen und Unterstützer mobilisieren können, zum Beispiel in kirchlichen Kreisen, «Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung» war hier der Slogan, der zu den Anliegen der SAG passte. Immer mehr Menschen erkannten den Zusammenhang zwischen der kritischen Betrachtung der Gentechnologie und ethischen Fragen. Als der Hype um die Möglichkeiten der Gentechnik in der Reproduktionsmedizin aufkam, setzte Monika Stocker sich im Nationalrat vehement dafür ein, die Notwendigkeit solcher Techniken zu hinterfragen und den ethischen Aspekten in der Diskussion mehr Gewicht zu geben. Zivilgesellschaftliche Kreise, Naturwissenschaftlerinnen und die institutionell-politischen Kräfte müssten mehr zusammenarbeiten, «damit wir das nicht gegeneinander ausspielen. Es braucht alle, die an diesen Themen arbeiten.» So ihr Résumé.
Das waren die Anfänge der Bewegung, die sich im Verlauf zur SAG formierte, und wie ging es weiter? Nach der Kampagnenarbeit für die Gen-Schutz-Initiative, die leider vor dem Volk nicht reüssierte, folgte 2005 ein Meilenstein und bahnbrechender Erfolg, die Kampagne und die Abstimmung zur Gentechfrei-Initiative.
Monika Stocker (Bild: Flurin Bertschinger)
«Erinnerungen an bewegte Jahre»
An dieser Stelle hat Herbert Karch, eine der Schlüsselfiguren dieser Abstimmungskampagne, das Wort. Er wolle das SAG-Jubiläum zum Anlass nehmen, um 15 Jahre Gentechfrei-Initiative zu feiern. Er blickt zurück und illustriert, wie Initiativgegner von Agrarkonzernen, aus der Wissenschaft – insbesondere von der ETH Zürich und dem botanischen Garten Bern – mit ihren Prognosen für Untergangsstimmung sorgten. Sie prophezeiten die Gefährdung des Forschungs- und Wissenschaftsstandortes Schweiz, die Abwanderung von Wissenschaftlern und die Verunmöglichung von Grundlagenforschung.
Die Handelszeitung zitierte Bernd Schips, den Leiter der Konjunkturforschungsstelle KOF am 3.11.05: «Für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz wäre die Annahme des Gentech-Moratoriums verheerend... Wissenschafter setzen sich ins Ausland ab.» Den volkswirtschaftlichen Schaden könne Schips allerdings nicht beziffern. In der gleichen Ausgabe war zu lesen: «Wenn man die Freisetzung verbieten will, dann tangiert das direkt auch die Grundlagenforschung.» Und auch Versprechungen wurden gemacht, so vom Immunologen Beda Stadler (swissinfo, 8.2.2005): «Es gibt keine Technik, die alleine den Hunger stillt. Doch Gentechnik wäre eine einfache Methode, damit die Dritte Welt auf einfache Weise mehr Ertrag und Export liefert.»
Nicht ohne Stolz fasst Karch zusammen: «Die Angstmacherei hat nicht gefruchtet. Es ist uns gelungen, nicht in eine allzu defensive Abwehrstrategie zu verfallen, sondern mit positiven Bildern und Botschaften die Stimmberechtigten zu überzeugen.» Man sehe, dass 15 Jahre später, die Forschung weiterhin möglich sei und unsere relativ naturnahe Landwirtschaft die Überlegung ‹gentechfrei oder nicht› immer noch überflüssig mache. «Noch immer – 15 Jahre später – haben wir eine gentechfreie Landwirtschaft in der Schweiz!» Und eine Lösung für den Hunger in der Welt habe die Gentechnik bisher nicht geliefert. (siehe gentechfrei Nr. 108, Januar 2020)
Herbert Karch (Bild: Flurin Bertschinger)
Was ist ein Gen?
Mit dieser Frage beginnt Florianne Koechlin. Sie gehörte zu der von Monika Stocker beschriebenen Gründungsgruppe, war jahrelang Vorstandsmitglied der SAG. «Eigentlich e wahnsinnsgueti Frog, wo niemer d’Antwort weiss.» Um doch eine gute Antwort zu finden, blickt sie zurück auf die Geschichte der Genforschung, beginnt bei Mendel und seinen Erbsen, beschreibt wie Watson und Crick 1953 mit dem Doppelhelix-Modell ein Gen als einen Abschnitt auf der DNA definierten. Das zentrale Gen-Dogma aus dieser Zeit, das heute noch von vielen als richtig erachtet wird, lautet: Ein Gen codiert für ein Protein und dieses ist wiederum für die Strukturausbildung und den Stoffwechsel eines Organismus verantwortlich. Daher stellte man sich vor, Gensequenzen könnten nach Art von Legobausteinen an einem Ort ausgeschnitten und an einem anderen Ort wieder eingesetzt werden. Daran knüpften sich hohe Erwartungen. Man hoffte, Krankheiten wie Krebs endlich einfach zu besiegen, «Genetics – the future is now», so titelt das «TIME Magazin» Anfang 1994.
US-Präsident Bill Clinton hatte es als «Book of life» bezeichnet und 2003 war es so weit: Das menschliche Genom war entschlüsselt. Im Nachzug wird klar, so erklärt Florianne Koechlin, dass eine Gensequenz nicht allein wirke, sondern von seiner Umgebung, seiner Position in der DNA-Sequenz, von RNA, Enzymen, Methylgruppen und anderen Faktoren abhängig sei. Die identische Gensequenz könne in einem anderen Kontext, in einem anderen Organismus bzw. an einer anderen Stelle eine ganz andere Funktion übernehmen. Die Zelle und ihre Bestandteile bestimmten die Wirkung der Gene mit und nicht nur umgekehrt. «Damit ist das Gen-Dogma auf den Kopf gestellt.» Diese Erkenntnis war der Anfang der Systembiologie, die die regulatorischen Prozesse über alle Ebenen mitberücksichtigt, die auf die Gensequenz wirken und sie bei ihrer Ausprägung beeinflussen. (siehe gentechfrei Nr. 111, Juli 2020)
Florianne Koechlin (Bild: Flurin Bertschinger)
Was können wir für die Landwirtschaft der Zukunft tun?
Nach Rückschau auf bewegende Geschichten richtet sich der Blick am Schluss nach vorne. Paul Scherer befragt Martina Munz und Dominik Waser, Initiant «Landwirtschaft mit Zukunft» und Klimaaktivist, zu den kommenden Chancen und Herausforderungen der Landwirtschaft. Dominik Waser sieht es als sein Kernziel an, mehr Junge für das Thema Ernährung und Landwirtschaft zu begeistern. Der Landschaftsgärtner und Foodwaste-Aktivist bildet sich gerade zum biodynamischen Landwirt weiter und lebt damit, was er sagt. Es sei zu wenig passiert in den letzten Jahren, und zwar nicht, weil keine Ideen da seien, in welche Richtung es gehen sollte, sondern weil die Leute zu wenig verstünden, worum es ginge, und dadurch nicht motiviert seien, sich zu engagieren. Zusätzlich wirkten Macht- und Profitinteressen von Konzernen einer Entwicklung entgegen, wie er sie sich wünsche. Martina Munz, SAG-Präsidentin und seit 6 Jahren im Nationalrat, fühlt sich beflügelt von der jungen Klimabewegung: «Den Jungen geht es nicht nur um Action und innere Motivation, sie bringen auch ein enormes Fachwissen mit. Dazu möchte ich euch einfach gratulieren.»
Wie sieht sie politisch das Thema Gentechnik ? «Wir haben noch nichts verbummelt.» Bei der Gentechnik sei es so, dass es zu verhindern gelte, dass der Damm breche. Im Moment halte dieser noch. Politik solle auf einer ethischen Grundhaltung basieren und die Wissenschaft der Politik beratend zur Seite stehen. Dafür müsse die Wissenschaft ethische Bedenken ernster nehmen. Gentechkritische Menschen würden nämlich oft als naiv und unwissend dargestellt und nicht ernst genommen, auch wenn ihre Kritik wissenschaftlich fundiert sei.
Martina Munz und Dominik Waser sind sich einig, dass es jetzt darum gehe, durch Wissensvermittlung mehr Menschen für ihre Anliegen ins Boot zu holen. Dominik hat vor, anschaulich die wissenschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge der Probleme in der Landwirtschaft, wie Biodiversitätsverlust oder Überdüngung, einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen. Zudem möchte er zwischen Bäuerinnen und Konsumierenden vermitteln und so Verständnis für die Sicht des jeweils anderen erreichen. Es gehe darum, Konfrontationen und Schuldzuweisungen aufzulösen und eine gemeinsame Stossrichtung zu entwickeln. Martina Munz stimmt zu: Bauern und Bäuerinnen wollten eine Qualitätslandwirtschaft, auch wenn dies bei der Bevölkerung nicht immer so ankomme. Konsumentinnen und Konsumenten spielten hier eine wichtige Rolle, zum Beispiel wenn sie lokal und bio einkaufen. Man ist sich abschliessend einig: Gegenseitige Unterstützung ist nur dann möglich, wenn man beide Seiten sieht und versteht. Wissen und Wissenschaft spielen dabei eine wichtige Rolle, auch um den Einfluss der Grosskonzerne und der wirtschaftlichen Interessen im Ganzen zu verstehen. Nur mit einem ganzheitlichen Verständnis könne die Situation verbessert werden und sei zielführendes Handeln möglich.
Martina Munz und Dominik Waser (Bilder: Flurin Bertschinger)
(Bild: Shutterstock, Urban Farming (städtische Landwirtschaft))
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 113
Extreme Wetterereignisse oder neu sich verbreitende Schädlinge – die Landwirtschaft ist vom Klimawandel stark betroffen. Es sind dies Folgen eines Wandels, den sie mitverursacht. Der Zusammenhang zwischen den industrialisierten, auf Hochleistung und Gewinn fokussierten landwirtschaftlichen Praktiken und deren klimaschädigende Emissionen ist klar belegt. Trotzdem versucht die Agrarindustrie, dieses System mit Massentierhaltung und Monokulturen aufrechtzuerhalten. Anstatt das Problem an den Wurzeln zu packen und umweltverträgliche Lösungen zu suchen, wirbt sie für Symptombekämpfung mit Genomeditierung. Eine nur kurzfristig wirksame, jedoch lukrative Technologie mit potenziell gravierenden Folgen für Klima und Umwelt.
Text: Zsofia Hock
Die Landwirtschaft spielt beim Klimawandel eine Doppelrolle: Sie ist Täterin und Opfer zugleich. Dementsprechend muss zweigleisig nach Lösungen gesucht werden, um einerseits die negativen Auswirkungen der gängigen landwirtschaftlichen Praxis zu mindern und andererseits die Produktion an die Folgen des Klimawandels anzupassen.
In der Schweiz verursacht die Landwirtschaft etwa 13 Prozent der Gesamtheit der klimaschädlichen Emissionen – weltweit liegt dieser Trend noch höher, bei 20 bis 25 Prozent. Unter den Treibhausgasen ist Kohlendioxid das bekannteste. Dieses Gas wird durch Energienutzung, Waldzerstörung und durch den Abbau der organischen Bodensubstanz als Folge der Landnutzung freigesetzt.
Methan und Lachgas haben jedoch einen deutlich höheren Schadeffekt. Der wesentlichste Anteil am Ausstoss dieser beiden Gase ist auf die intensive Tierhaltung und die damit verbundene Kraftfutterproduktion zurückzuführen. So stammt Methan vorwiegend aus der Verdauung der Wiederkäuer. Beim Lachgas ist die Bodenbewirtschaftung die bedeutendste Quelle der Emissionen. Indirekt spielt auch die Tierhaltung durch den Anbau von Futterpflanzen und durch die Ausbringung und Lagerung von Mist und Gülle eine Rolle. Methan und Lachgas entweichen zudem auch bei der Herstellung von synthetischen Düngemitteln.
Die verschiedenen Treibhausgase, die bei landwirtschaftlichen Prozessen entstehen, beeinflussen sich gegenseitig. So kurbelt beispielsweise die Zufuhr von Stickstoffdüngern das Wachstum von Pflanzen an, wodurch sie mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen - ein klimaschonender Effekt. Doch die klimaschädliche Wirkung des Lachgases, das aus dem gedüngten Boden freigesetzt wird, übersteigt diesen. Deshalb ist eine ganzheitliche Betrachtung der verschiedenen Kreisläufe notwendig.
Mit der Genomeditierung hingegen wird versucht, an einzelnen Stellen ins System einzugreifen. Mal sollen methanbildende Mikroorganismen, welche im Pansen der Wiederkäuer leben, so verändert werden, dass sie weniger klimaschädliche Gase erzeugen, mal das Genom der Kuh selbst, damit die Weitervererbung dieser Mikroorganismen nicht begünstigt wird. Was dabei unverändert bleibt: die hoch industrialisierte, auf Leistung und Ertrag getrimmte Landwirtschaft mit all ihren negativen Auswirkungen, etwa die erhöhten CO2-Emissionen durch die Umwandlung von Wäldern zu Ackerland, hohe Lachgasemissionen durch synthetische Dünger beim Futteranbau, die Ausbreitung von Krankheitserregern in zu dichten Beständen oder Flächenkonkurrenz zwischen Futter- und Lebensmittelproduktion.
Für die Agrarindustrie scheinbar kein Problem: Für solche Hindernisse hat sie eine technologische Lösung bereit. Mit Genomeditierung sollen Pflanzen mit veränderter Wuchsform kreiert werden, die dichter aneinander gepflanzt werden können und die Düngemittel so auf eine geringere Fläche ausgebracht werden müssen. Oder mit Genomeditierung sollen Nutzpflanzen dazu befähigt werden, den Stickstoff aus dem Boden effektiver zu verwerten. Besonders verwegen: den ganzen Prozess der Fotosynthese umgestalten, so dass sie effektiver funktioniert und den Ernteertrag ohne zusätzlichen Dünger verdoppelt oder aber effektiver Kohlendioxid bindet. Hauptsache, die lukrative Intensivproduktion kann aufrechterhalten werden.
Landwirtschaft als Opfer der Klimaveränderung
Die Vielfalt ist die Grundlage der Agrarökologie. Alte Kartoffelsorten auf dem Markt. (Bild: Shutterstock)
Durch ihre Verbundenheit mit der Natur leidet die Landwirtschaft stark unter den negativen Auswirkungen des Klimawandels. Besonders schwer betroffen sind die südlichen Entwicklungsländer, welche über geringe Adaptationsmöglichkeiten verfügen. Doch auch in Mitteleuropa könnten die Dürresommer in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts stark zunehmen. Dies bedeutet, dass Kulturen wie Kartoffeln, die bisher ohne zusätzliches Wasser auskamen, bewässert werden müssen. Dabei werden mehr als 70 Prozent des weltweit verfügbaren Süsswassers bereits für die Bewässerung in der Landwirtschaft verwendet.
Die Ertragssicherheit ist auch durch andere Faktoren bedroht. Von den steigenden Temperaturen profitieren Schadinsekten aus wärmeren Gebieten. Zusammen mit neuen Pflanzenkrankheiten können diese die bisherigen geografischen Barrieren überwinden und sich ausbreiten. Starkniederschläge führen zu Bodenerosion und der Anstieg der Meere zur Versalzung von Ackerflächen. Welche Lösungsansätze hat die Gentechnologie hier zu bieten?
Genschere soll Pflanzen gegen Trockenheit wappnen
Soja-Monokulturen für die Kraftfutterproduktion sind auf Kunstdünger und Herbizide angewiesen. Herbizidresistentes GV-Soja wächst bereits auf Millionen Hektar Land, und auch die Entwicklung neuer genomeditierter Sorten ist bereits weit fortgeschritten. Davon profitieren nur Saatguthersteller, Agrochemiekonzerne und Rinderzüchter, die billiges Fleisch produzieren können. (Bild: Shutterstock)
Eine Pflanzensorte, die trotz zunehmender Hitze und Trockenheit in unterschiedlichen Regionen prächtig gedeiht und zuverlässig hohe Erträge bringt – davon träumen die Agrarkonzerne. Doch lassen sich so unterschiedliche Anforderungen unter einen Hut bringen? Bereits vor 20 Jahren wurden solche Wunderpflanzen angekündigt. Damals war es die klassische Gentechnik. Sie versagte. Nun soll es die Genomeditierung richten. Diese sei schnell und genau und erlaube gar gleichzeitig multiple Eingriffe ins Genom, preist die Gentechlobby.
Der Grund, warum die klassische Gentechnik keine befriedigenden Ergebnisse zustande brachte, ist darin zu suchen, dass Trockenheitstoleranz ein komplexes Merkmal ist. Die Strategien, mit denen eine Pflanze mit der Trockenheit umzugehen versucht, werden durch ein ineinandergreifendes Netzwerk zahlreicher genetischer Funktionen gesteuert. Wird das Wasser knapp, muss sich die Pflanze auf das Überleben fokussieren und alle anderen, nicht überlebenswichtigen Funktionen, wie Wachstum oder Samenproduktion, pausieren. Die Pflanze muss zwischen Stressabwehr und Ertrag «abwägen». Bei Hochleistungssorten führt dies meistens zu Ertragsseinbussen. Folgt auf eine niederschlagsarme Periode eine kühle, regnerische Zeit, ist von den Pflanzen eine erneute Anpassung gefragt. Darauf ist eine gentechnische Veränderung nicht ausgerichtet und der Ertrag sinkt zusätzlich.
Mit der Genomeditierung kann das Genom an verschiedenen Stellen gleichzeitig manipuliert werden. Biotechniker erhoffen sich, diese miteinander verknüpften genetischen Prozesse voneinander trennen zu können und mittels Genschere gleichzeitig an mehreren Stellen in das genetische Netzwerk der Trockenheitstoleranz einzugreifen. Blütezeit, Wurzelarchitektur, Anzahl der für die Verdunstung verantwortlichen Spaltöffnungen sowie die Produktion der Cuticula – eine wachsartige Schutzschicht gegen Wasserverlust – sollen zeitgleich angepasst werden, ohne dass dies einen Einfluss auf den Ertrag haben soll.
Doch es gibt noch viele Haken. Die Messungen im Gewächshaus oder auf Kleinparzellen basieren auf stark vereinfachten Modellen, welche Faktoren wie die natürliche Variabilität der Bodenbeschaffenheit und der Umweltfaktoren ausser Acht lassen. Wie eine Sorte auf Feldern mit unterschiedlichen Boden- und klimatischen Bedingungen reagieren wird, lässt sich aus diesen Experimenten nur sehr beschränkt ableiten.
Kommt hinzu, dass eine Pflanze – anders als es die Modelle annehmen – nicht gleich der Summe ihrer Bausteine ist. Lebewesen lassen sich nicht nach dem Baukastenprinzip umbauen. Das komplexe Netzwerk der Interaktionen zwischen Genen, Genprodukten und Umwelt lässt sich mit punktuellen Veränderungen des Genoms nicht abbilden – auch nicht, wenn gleichzeitig mehrere davon ausgeführt werden (sog. Multiplexing). Beim Multiplexing erhöht sich zudem das Risiko, dass unbeabsichtigt auch andere Prozesse beeinträchtigt werden, um ein Vielfaches. An verschiedenen Punkten etwas am Genom einer Hochleistungssorte herumzuschrauben, ist ohne Folgen nicht möglich. Die Chancen, dass die ungewollten Veränderungen im Genom unentdeckt bleiben, ist hingegen hoch. Für die Industrie ist es kurzfristig nebensächlich, ob der gentechnische Eingriff negative Nebeneffekte bei anderen Eigenschaften eines Organismus hervorruft, und so wird dementsprechend dies auch kaum untersucht.
Der Klimawandel zeichnet sich durch die Unberechenbarkeit des Auftretens verschiedener Wetterereignisse aus. Mal folgt auf einen sehr nassen Winter ein langer Dürresommer, mal ist die Wasserversorgung auch in der Winterzeit knapp oder auf eine Dürreperiode folgt eine Überflutung. In jedem Fall muss die Pflanze sich anpassen und anders reagieren. Eine derartige Anpassungsfähigkeit kann kein gentechnisch eingebrachtes einheitliches Programm bewirken.
Der Gentechnologie fehlt das Systemdenken
Die intensive Massentierhaltung ist für einen erheblichen Teil der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich. In der Schweiz stammen über 80 Prozent der landwirtschaftlichen Methanemissionen aus der Tierhaltung, insbesondere aus der Haltung von Rindvieh.(Bild: Shutterstock)
Etwas, was alle gentechnologischen Lösungsansätze gemeinsam haben, ist die fehlende gesamtheitliche Betrachtung der landwirtschaftlichen Produktionskette – die wichtigste Voraussetzung für nachhaltige Lösungen. Die Agrarindustrie setzt in erster Linie auf gewinnorientierte Marktprozesse und schnell einsetzbare Technologien, ähnlich wie vor zwanzig Jahren mit der klassischen Gentechnik. Doch wie damals fehlt auch heute das Systemdenken. Auch die Genomeditierung setzt nur bei Teilaspekten an. Wie sich das Herumschneiden an willkürlich ausgewählten Stellen im Genom längerfristig auf das Klima und die Natur auswirkt, wird bei diesem auf Gewinn fokussierten Vorgehen kaum berücksichtigt. An einer umfassenden Risikoforschung ist die Industrie nicht interessiert. So bleibt die Genomeditierung eine eingleisige Antwort auf Probleme, welche die intensive Landwirtschaft verursacht. Symptombehandlung statt Problemlösung. Dem Profit zuliebe wird eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft gefördert. Dadurch schwindet die Diversität – der angebauten Sorten, der Anbautypen und der
Wildarten –, welche die wichtigste Grundlage für anpassungsfähige landwirtschaftliche Systeme ist. Zur Verlangsamung des Klimawandels sind nach Einschätzung des Klimarates IPCC Ansätze, die grosse Landflächen benötigen, nicht nachhaltig. Vor allem weil die Konkurrenz um Landflächen zur Verdrängung der kleinbäuerlichen Betriebe führt, die für die Welternährung so wichtig sind.
Schlüssel zum Erfolg: Agrarökologie
Klar ist, dass für die Bewältigung der Probleme der heutigen Landwirtschaft dringend Lösungen benötigt werden. Zielführender als biotechnologische Ansätze sind systemorientierte Ansätze mit agrarökologischen Landwirtschaftstechniken. Die Notwendigkeit eines Systemwechsels hin zu Agrarökologie wird auch vom Weltklimarat und der Welternährungsorganisation FAO bestätigt. Doch was macht die Agrarökologie so stark? Im Gegensatz zur Gentechnologie handelt es sich um einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz, welcher auf der praktischen Zusammenarbeit von Wissenschaft, Bäuerinnen und Bauern und sozialen Bewegungen basiert. Agrarökologische Methoden erhöhen die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel und sie werden von den meisten der über 500 Millionen Kleinbauernfamilien, welche 80 Prozent aller weltweit konsumierten Lebensmittel produzieren, seit Jahrzehnten auf den Feldern praktiziert. Ihre Grundlage: Die auf Vielfalt basierende, an die regionalen Gegebenheiten angepasste lokale Produktion.
Mehr dazu im SAG-Dossier «Klimawandel – Warum Genomeditierung keine Lösung ist».
Zu bestellen bei der SAG oder zum Download hier.
(Bild: Shutterstock)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 121
Angesichts der treibenden Rolle des globalen industriellen Ernährungssystems im ökologischen Zusammenbruch wird die dringende Notwendigkeit, die landwirtschaftliche Produktion nachhaltiger und resilienter zu gestalten, allgemein anerkannt. Zu den vorgeschlagenen Lösungsansätzen gehört auch die Kombination von Agrarökologie und den neuen Methoden der Genomeditierung, allen voran CRISPR/Cas9. Dieser Vorschlag beruht auf der Idee, dass die Gentechnik eingesetzt werden kann, um die Ziele der Agrarökologie zu erreichen, indem Nutzpflanzen und -tiere mit nachhaltigkeitsfördernden Eigenschaften gezüchtet werden: Eine Kontroverse, die wir in unserem Artikel näher beleuchten.
Text: Inea Lehner und Johanna Jacobi, ETH Zürich
Die einen halten die Kombination von agrarökologischen und gentechnologischen Ansätzen für einen logischen Schritt auf dem Weg zu agrarökologischer Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit angesichts der sich überschneidenden Umweltkrisen und des anhaltenden Hungers 1, 2, 3. Andere hingegen sehen im Einsatz der Genomeditierung eine potenzielle Unterminierung oder sogar einen Verstoss gegen agrarökologische Prinzipien, die einerseits die sozialökologische Nachhaltigkeit durch ganzheitliche Ansätze im Gegensatz zu hoch technologischen, von oben gesteuerten Interventionen fördern und andererseits das hegemoniale, profitorientierte industrielle Ernährungssystem und seine konzentrierten Machtstrukturen fundamental ändern wollen 4. Diese gegensätzlichen Positionen machen deutlich, dass die Frage nach der Vereinbarkeit der Agrarökologie und der Genomeditierung keineswegs einfach zu beantworten ist.
Genomeditierung in der Diskussion
Die Genomeditierung ermöglicht Eingriffe in das Genom bei einem breiten Spektrum von Anwendungen. Dies könnte nicht nur die Eingriffstiefe der gentechnischen Veränderung erhöhen, sondern auch den gesamten Züchtungsprozess beschleunigen 1. Darüber hinaus könnte sie aufgrund ihrer im Vergleich zu älteren gentechnischen Verfahren geringeren Kosten das Potenzial haben, die Vorteile der genetischen Veränderung zu dezentralisieren und zu verteilen 5, 6. Dadurch könnte sich der derzeitige Schwerpunkt der Gentechnik von einigen wenigen Nutzpflanzen mit begrenzten Anwendungsmöglichkeiten, die in erster Linie einigen wenigen multinationalen Konzernen zugutekommen 7, 8 (siehe Abschnitt «Der systemische Kontext»), auf die Entwicklung von Nutzpflanzen und -tieren verlagern, die zum einen für die kleinbäuerliche Produktion und die Erhöhung der Ernährungssicherheit von Bedeutung sind und zum anderen Eigenschaften aufweisen, die die negativen Umweltauswirkungen der Landwirtschaft verringern 2, 9. Diese Eigenschaften könnten zum Beispiel durch Krankheitsresistenz oder verbesserte Nährstoffnutzung zu einer Verringerung des Einsatzes umweltschädlicher Agrochemikalien führen.
Die Agrarökologie, die auf Prinzipien wie Vielfalt, Resilienz, Gerechtigkeit und Partizipation beruht, stellt daher eine transformative Gegenbewegung zum industriellen Ernährungssystem dar, das sich auf Spezialisierung, Uniformierung, Arbeitseffizienz und Gewinnmaximierung stützt. (Bild: Shutterstock)
Agrarökologie als ein alternativer Ansatz auf Systemebene
Die Agrarökologie ist eine ortsbezogene, kontextspezifische Anbaumethode zur Erhöhung der Resilienz und zur Verringerung des Bedarfs an externen Betriebsmitteln, die auf den Grundsätzen der Ökologie beruht. Darüber hinaus wird sie heute weithin als eine völlig andere Vision des Lebensmittelsystems als Ganzes verstanden, die auf Werten wie sozialer Gerechtigkeit und dem Recht auf Selbstbestimmung basiert. Sie schenkt den Machtverhältnissen im Ernährungssystem und der engen Verflechtung innerhalb und zwischen den ökologischen und sozialen Dimensionen der Nachhaltigkeit auf lokaler und globaler Ebene besondere Aufmerksamkeit. Als solche wird sie als Mittel gesehen, um nicht nur Ernährungssicherheit, sondern Ernährungssouveränität für alle nachhaltig zu erreichen (siehe «Sechs Prinzipien der Technologiesouveränität» auf S. 15).
Die theoretische Möglichkeit der Verteilung und Regionalisierung von Genomeditierungsverfahren stimmt die Befürworter:innen der Integration dieser Technologie optimistisch hinsichtlich ihres Potenzials, die sozialen Grundsätze der Agrarökologie zu erfüllen. Zudem zeigen sie sich überzeugt von ihrer Notwendigkeit, um die Ziele der Agrarökologie bezüglich der ökologischen Nachhaltigkeit so schnell wie möglich zu erreichen. Viele Agrarökolog:innen sind jedoch misstrauisch gegenüber Gentechnologien, die im Rahmen des Paradigmas des industriellen Ernährungssystems entwickelt wurden, da sie dessen Logik fortschreiben und die Bemühungen um echte Ernährungssouveränität oder die Verhinderung eines ökologischen Kollapses zunichtemachen könnten 4. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Gentechnologie tatsächlich aus dem Modus Operandi der industriellen Landwirtschaft herausgelöst werden könnte, um eine technologische Konvergenz zwischen ihr und der Agrarökologie zu ermöglichen.
In Bolivien ist ca. 1/3 der Agrarfläche mit Soja bedeckt, die zu 98 % mit Gentechnik modifiziert ist (Herbizidtoleranz) und zu 90 % exportiert wird. So werden für die lokale Ernährungssicherheit wichtige, hoch diverse Ökosysteme und Landnutzungssysteme durch einheitliche, exportorientierte Landwirtschaftsflächen ersetzt. (Bild: Shutterstock)
Der systemische Kontext
Um die Möglichkeit einer technologischen Konvergenz zwischen Agrarökologie und Genomeditierung abzugrenzen, kann man die Unterschiede in den ihnen zugrundeliegenden Annahmen und Denkweisen untersuchen. Eine weit verbreitete Annahme ist, dass eine Technologie an sich neutral ist und nur ihre Anwendungen problematisch sein können. Dieses Konzept der Technologieneutralität abstrahiert die Idee einer Technologie von den politischen, rechtlichen, soziokulturellen und wirtschaftlichen Systemen, in denen sie entwickelt wurde und tatsächlich zum Einsatz kommt 9. Im Fall der Gentechnik ist das kapitalistisch-industrielle Ernährungssystem dieser reale Kontext. Die Logik der Technologieneutralität geht davon aus, dass die Ergebnisse der Pfadabhängigkeiten dieses Ernährungssystems, die von seinen Imperativen der Profitmaximierung und des Wachstums diktiert werden, rein zufällig und nicht systematisch sind. Auf diese Weise lässt sich die Technologie leicht in eine Debatte über ihren potenziellen Nutzen für alle Beteiligten einbauen, ohne dass dabei die systembedingten Folgen berücksichtigt werden, die in der Vergangenheit einige auf Kosten anderer begünstigt haben.
Zum Beispiel entfallen derzeit über 90 % aller transgenen GVO-Anbauflächen auf nur drei Pflanzenarten, die alle mit Merkmalen ausgestattet wurden, die sie für die inputintensive Produktion in Monokulturen besser geeignet machen 7. Laut der Technologieneutralität ist diese Tatsache unabhängig von den zu ihrer Herstellung verwendeten Technologien. In Wirklichkeit sind jedoch weder diese Umstände noch die Technologien selbst unabhängig von der politischen Ökonomie, in deren Rahmen die Technologien entwickelt wurden – einer politischen Ökonomie, die Anreize für den Zusammenschluss von Unternehmen sowie den industriellen Anbau und den globalen Handel mit einigen wenigen Nutzpflanzen bietet. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass die vier grössten Saatgutunternehmen heute ca. 70 % des Marktes beherrschen. Seit 1996 hat sich die weltweite Anbaufläche für Sojabohnen mehr als verdoppelt, wobei rund 80 % der Gesamtfläche mit einer gentechnisch veränderten Sorte bepflanzt sind. Diese Expansion hat zu massiven Landnutzungsänderungen geführt und ist mit der Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und anderer biodiverser Ökosysteme verbunden 11. Bolivien beispielsweise hat eine der höchsten Entwaldungsraten weltweit. Wir haben im Sojaanbau in Bolivien die Verwendung von 64 verschiedenen Pestizidprodukten dokumentiert. Am meisten verwendet werden die Herbizide Glyphosat, Atrazin und Paraquat: alle nach UN-Kriterien hoch gefährliche Pestizide 12. Dieser Zusammenhang ist auch für die Genomeditierung relevant, da auch sie im Rahmen des industriellen Ernährungssystems und der dieses System aufrechterhaltenden strukturellen Abhängigkeiten entwickelt wurde.
Divergierende Denkweisen
Eine wichtige Eigenheit der Debatte, in welcher Genomeditierung als neutral dargestellt wird, äussert sich darin, dass viele der dynamischen Interaktionen in komplexen Ökosystemen in den Prozessen der industriellen Landwirtschaft ausgeklammert werden. Dieses vereinfachte Denken vermittelt den Menschen die Vorstellung, dass es möglich sei, das Funktionieren eines Agrarökosystems vollständig zu verstehen und somit zu kontrollieren. Diese Dichotomie zwischen Mensch und Natur ermöglicht es, letztere zu «natürlichen Ressourcen» zu degradieren, die zur Befriedigung der Bedürfnisse der ersteren abgebaut werden. Diese distanzierte und hierarchische Beziehung zum Lebensnetz und die daraus resultierende Form der extraktiven Landwirtschaft ist jedoch nicht unvermeidlich, allgegenwärtig oder notwendig, wie es in den Denkweisen vieler indigener Gemeinschaften zu beobachten ist. Auch die Agrarökologie versucht, die Verflechtungen innerhalb von (Agrar-) Ökosystemen auf verschiedenen Ebenen zu erkennen und zu respektieren.
Dementsprechend unterstreicht sie die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen gegenwärtigen sozial-ökologischen Krisen. Daraus folgt, dass die Grundursachen der Krisen gemeinsam und ganzheitlich angegangen werden müssen, um sie nachhaltig zu überwinden, anstatt nur ihre Symptome zu beheben.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Tage der Agrarökologie» organisiert die SAG ein Podium zu möglichen Lösungen für den Klimawandel und zur Vereinbarkeit von Genomeditierung und Agrarökologie. www.gentechfrei.ch/podium (Bild: Shutterstock)
Technologiesouveränität als Voraussetzung der Technologiekonvergenz
Es gibt viel mehr Aspekte der komplexen Diskussion über die Technologiekonvergenz (z. B. über die Vereinbarkeit von Genomeditierung und Agrarökologie), die eine Betrachtung und Überlegung verdienen, als in diesem Artikel erörtert werden konnten. Eine Möglichkeit besteht darin, sich an den Grundsätzen der Ernährungssouveränität zu orientieren. Ernährungssouveränität bedeutet eine Umverteilung der Macht, so dass die Menschen die Kontrolle darüber haben, was sie essen und wie ihre Nahrungsmittel produziert werden. Dabei muss damit gerechnet werden, dass die Genomeditierung nicht neutral ist, da sie im Kontext des industriellen Ernährungssystems entwickelt wurde. Die strukturellen Abhängigkeiten dieses Systems müssen bewusst überwunden werden. Dies würde ganzheitliche Problemanalysen sowie die integrative und gleichberechtigte Beteiligung lokaler Gemeinschaften an der Konzeption, Entwicklung und Anwendung der Technologie voraussetzen, z.B. durch Prozesse der deliberativen Demokratie.
Kurz gesagt, die Technologiekonvergenz von Genomeditierung und Agrarökologie könnte möglich sein, wenn sie wirklich auf der Grundlage der im «Wissen» auf S.15 dargestellten Technologiesouveränität erfolgen würde 10. Um mit den Prinzipien der Ernährungs- und Technologiesouveränität übereinzustimmen, müsste die Genomeditierung letztlich die Transformation des industriellen Ernährungssystems auf der Grundlage der Werte Vielfalt, Resilienz, Gerechtigkeit und Partizipation ermöglichen. Damit dies möglich ist, müsste jedoch auch das vorherrschende Narrativ, das die Beziehung und Interaktion der Menschen mit dem Rest des Lebensnetzes bestimmt, transformiert werden: von einem Narrativ der Beherrschung und Kontrolle zu einem Narrativ der Verflechtung und Fürsorge.
Vorstellung Autorinnen
Johanna Jacobi ist Assistenzprofessorin für agrarökologische Transition an der ETH Zürich. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Agrarökologie als Ansatz, transformative Wissenschaft und soziale Bewegung.
Inea Lehner ist politische Agrarökologin im letzten Semester ihres Masters an der ETH. In ihrer Masterarbeit beschäftigt sie sich mit dem Potenzial deliberativ-demokratischer Prozesse, transformative Ideen zur Überwindung der sozialen und ökologischen Krisen unserer Ernährungssysteme zu entwickeln.
1 Lotz LAP et al. 2020 Genetic engineering at the heart of agroecology. Outlook on Agriculture, 49 (1), 21–28.
2 Hodson E et al. 2021 Boost nature positive production: a paper on action track 3. A paper from the Scientific Group of the UN Food Systems Summit. https://sc-fss2021.org/wp-content/uploads/2021/04/Action_Track_3_paper_Boost_Nature_Positive_Production.pdf
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