Fokusartikel

Titelbild 96 
(Bild: Peter Caton/ Greenpeace)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 96

Zukunftsmarkt Afrika—und die Zukunft der Kleinbäuerinnen?

Für die Agrochemiekonzerne ist Afrika der Wachstumsmarkt der Zukunft. Hier wollen sie die Landwirtschaft technisch aufrüsten, zum Beispiel mit Gentech-Pflanzen und Hybridsaatgut. Doch dieses Vorhaben gehe zu Lasten der Kleinbäuerinnen und -bauern, warnt Tina Goethe, Teamleiterin «Recht auf Nahrung» bei Brot für alle.

Text: Denise Battaglia

Afrika ist «Alphaland». Als Alpha bezeichnen Finanzanalysten Länder, in denen Investitionen grosse Renditen bringen sollen. Der afrikanische Kontinent gilt für Konzerne wie Syngenta, soeben von Chem-China übernommen, oder Monsanto, soeben von Bayer übernommen, als einer der letzten zu erobernden Wachstumsmärkte im Agrarbereich. Denn hier könnte man die ganze Landwirtschaft technisch aufrüsten. Zum Beispiel mit gentechnisch veränderten Pflanzen, mit Hybridsaatgut, mit konzerneigenen Pestiziden oder Düngemitteln und mit Hightech- Maschinen. Vor vier Jahren gab Syngenta bekannt, 500 Millionen Dollar in das afrikanische Geschäft zu investieren, bis in fünf Jahren will der chinesisch-schweizerische Konzern eine Milliarde Umsatz in Afrika erreichen. Syngenta kaufte dann erst mal zwei afrikanische Firmen, die Saatgut von weissem Mais produzieren. Damit sichere man sich einen der umfangreichsten Maisgenpools des Kontinents, schrieb der Konzern in seiner Pressemitteilung. Damit sicherte sich der Konzern vor allem ein Grundnahrungsmittel vieler afrikanischer Staaten.

Entwicklungshilfe mit Agrochemiekonzernen

Fokus 96 Markt
(Bild: Kristian Buus/ Greenpeace)

Auch der US-amerikanische Agrochemiekonzern Monsanto, der zum Beispiel Gentech-Baumwolle züchtet, umgarnt Afrika. Monsanto versuche mit der Bill & Melinda-Gates-Stiftung Einfluss auf Entwicklungsprogramme zu nehmen: So propagiere der Konzern den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen und versuche die Gesetzgebung so zu beeinflussen, dass sie dem Absatz seiner Produkte diene, schrieb der Gen-ethische Informationsdienst (GiD) in seinem Magazin. Auch Organisationen wie die von Bill und Melinda Gates gegründete Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) oder die Neue Allianz für Ernährungssicherheit in Afrika (kurz: Neue Allianz) sehen in Hightech-Pflanzen und Hightech-Dünger die Lösung für den Hunger in Afrika. Die Neue Allianz will bis ins Jahr 2020 – also in zweieinhalb Jahren – 50 Millionen Menschen aus Armut und Hunger befreit haben. «Diese Entwicklung ist gefährlich», sagt Tina Goethe, Teamleiterin «Recht auf Nahrung» bei Brot für alle (siehe Interview). «Sie bedrohen die traditionellen Systeme, die Vielfalt und die bäuerliche Unabhängigkeit.»

Kleinbäuerliche Landwirtschaft und lokaler Saatgutaustausch

In weiten Teilen Afrikas dominiert die kleinbäuerliche Landwirtschaft die Lebensmittelproduktion. Bis zu 80 Prozent des Lebensmittelbedarfs werden in manchen Staaten von lokalen Kleinproduzentinnen gedeckt, das lokale Saatgut tauschen die Bäuerinnen – in Afrika sind oft hauptsächlich die Frauen für das Saatgut und viele Arbeiten in der Landwirtschaft zuständig – meist auf dem Markt. Gerade diese traditionellen Saatgutsysteme versuchen die Konzerne mittels Lobbyarbeiten über drei Wege zu unterbinden:

- Sie machen bei den staatlichen Entscheidungsträgern Druck, die Gesetze zu Saatguthandel und Saatgutzulassung so zu verschärfen, dass nur noch zertifiziertes Saatgut zugelassen wird. Mit negativen Folgen für die Bäuerinnen und Bauern und die lokale Vielfalt: Der Grossteil des regionalen, von den Bäuerinnen vermehrten Saatguts kann unter diesen Gesetzen nicht mehr gehandelt werden.

- Die Konzerne und Organisationen versuchen in Afrika Sortenschutzgesetze nach westlichem Modell einzuführen. Diese verbieten den Bäuerinnen und Bauern, Saatgut zu behalten, zu vermehren, zu tauschen und zu verkaufen. Sie würden gezwungen, ihr Saatgut jedes Jahr bei den Saatgutfirmen zu kaufen. Dies widerspricht den traditionellen Rechten der Bauern.

- Die Konzerne sichern sich Zugang zu genetischen Ressourcen, indem sie afrikanische Saatgutfirmen aufkaufen oder sich über Beteiligungen an staatlichen Forschungsprojekten Zugang zum genetischen Pool afrikanischer Obst-, Gemüse- und Getreidesorten verschaffen.

Bisher wenig Gentech-Pflanzen in Afrika

Fokus 96 Bauer
Anstatt der teuren Gentechnik sollten Methoden zur biologischen Schädlingsbekämpfung gefördert werden, wie zum Beispiel die Push-pull-Technologie. Dort wird eine Kombination verschiedener Pflanzen verwendet, solche mit abstossender und andere mit anziehender Wirkung, um die Insekten von den Nutzpflanzen zu vertreiben (push) bzw. wegzulocken (pull). (Bild: Peter Caton/ Greenpeace)

Obwohl Monsanto und die Bill & Melinda-Gates-Stiftung seit Jahren gentechnisch veränderte Pflanzen gegen den Hunger propagieren, bauen auf dem afrikanischen Kontinent erst drei Länder Gentech-Pflanzen kommerziell an: Südafrika, der Sudan und Burkina Faso. Südafrika ist das einzige Land, das ein Grundnahrungsmittel gentechnisch verändert anbaut: einen Mais. Die anderen beiden Länder bauen Gentech-Baumwolle an, wobei Burkina Faso wegen der schlechten Baumwollqualität den Anbau von Gentech-Baumwolle vorerst gestoppt hat. Nigeria hat ebenfalls eine gentechnisch veränderte Monsanto-Baumwollsorte für den kommerziellen Anbau zugelassen, das Saatgut ist aber bislang nicht auf dem Markt. Derzeit geben Monsanto und die Bill & Melinda-Gates-Stiftung in einem grossen Projekt den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern «trockentoleranten Mais für Afrika» (Water Efficient Maize for Africa, kurz WEMA) ab. Dabei handelt es sich um konventionelle Hybridsorten oder um gentechnisch veränderte Sorten. Das Projekt sei bereits in Südafrika, Kenia, Uganda, Tansania und Mosambik eingeführt, schreibt der GiD. Im Zusammenhang mit diesem Projekt haben Regierungen gesetzliche Regelungen gelockert, zum Beispiel die Haftungsrechte. Dabei ist das Monsanto Tribunal im Frühling zum Urteil gelangt, dass Monsanto mehrere Menschenrechte verletzt. Besonders negativ werten die Richter den Anbau herbizidtoleranter gentechnisch veränderter Pflanzen. Grund: Sie wirkten sich nachteilig auf Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit aus und reduzierten die Auswahl des auf dem Markt erhältlichen Saatguts. Man könne all diese von westlichen Interessen geleiteten Aktionen auch einfach «modernen Kolonialismus» nennen, bringt es Tina Goethe auf den Punkt.


Moderner Kolonialismus -
im Gespräch mit Tina Goethe

Fokus 96 Saatgut
Neue Sortenschutzgesetze nach westlichem Modell verbieten den Bäuerinnen und Bauern, Saatgut zu behalten, zu vermehren, zu tauschen und damit zu züchten. Die Regulierungen schützen die Agrochemie, bedrohen aber die lokale Sorten- und Artenvielfalt und die Selbstbestimmung der Bäuerinnen und Bauern. (Bild: Cheryl-Samantha Owen/ Greenpeace)

Frau Goethe, die westlichen Agrarkonzerne haben Afrika als Wachstumsmarkt entdeckt. Dies bereitet Ihnen Sorgen. Warum?
Ein Grossteil der afrikanischen Landwirtschaft basiert auf lokalen Strukturen und Saatgutsystemen. Die Landwirtschaft ist sehr vielfältig. Die Bäuerinnen züchten, vermehren, kontrollieren und tauschen eigenes Saatgut. Wenn nun die Agrochemie kommt, bedroht dies die grosse Vielfalt und die Selbstbestimmung der Bäuerinnen und Bauern. Schon jetzt versuchen die Konzerne zum Teil gemeinsam mit westlichen Organisationen den vielfältigen Saatgutmarkt in ein kommerzielles, einheitliches Saatgutsystem zu transformieren. Das zerstört bestehende Systeme.

Wer spürt diesen Druck am meisten?
Alle. Auf nationaler Ebene lobbyieren Agrokonzerne, auf regionaler Ebene versuchen sie gemeinsam mit internationalen Institutionen wie zum Beispiel der Weltbank Gesetze zu harmonisieren. In Malawi, Kenia oder Tansania spüren Politik und Bauern den Druck, endlich gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen. Hier macht man schon länger Gentech-Versuche und nun versucht man, die Gesetze dafür aufzuweichen. Tansania kennt eigentlich wie Europa das Vorsorgeprinzip. Dieses wird nun sukzessive durchlöchert. Auch in Kenia wird versucht, Gesetze so zu verändern, dass nur noch Saatgut bewilligt wird, welches gewisse Kriterien erfüllt – diese haben die westlichen Saatgutkonzerne bestimmt. Bäuerliches Saatgut erfüllt diese Kriterien nicht. Damit würde man einen wichtigen Teil der Sorten und damit eine grosse genetische Breite ausschliessen. Man versucht, das europäische Modell in Afrika zu implementieren, aber man kann doch nicht hingehen und das ganze afrikanische Saatgutsystem in ein westliches Landwirtschaftsmodell zwängen!

Welches Vorgehen wäre besser? – In Afrika leiden viele Menschen Hunger.
Die grösste Chance, den Hunger zu reduzieren, bestünde darin, die traditionellen Systeme zu unterstützen, statt sie zu beseitigen, gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern die Qualität und die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern, Bewässerungslösungen zu suchen sowie fehlende Infrastrukturen wie Lagerhallen zu errichten und Transportmöglichkeiten zu schaffen. Ohne diese Infrastruktur kann man die kostbaren Lebensmittel nicht lagern und verteilen. All diese Massnahmen würden die Bäuerinnen und Bauern stärken und nicht schwächen, würden ihnen die Selbstbestimmung lassen und nicht nehmen.

Für die afrikanischen Bauern sind Hightech-Sorten aber verlockend.
Natürlich sind sie verlockend, die Konzerne aus dem Westen versprechen ihnen ja auch massiv höhere Erträge, weniger Arbeit und eine moderne Landwirtschaft, die mit der westlichen Landwirtschaft mithalten kann. Das ist attraktiv, denn die Afrikaner hören aus dem Westen seit Jahrzehnten, sie seien rückständig, müssten sich entwickeln, produktiver werden, ihre Produkte qualitativ verbessern etc. Ich war gerade in Westafrika. Eine Saatgutproduzentin aus Niger, die auf 500 Hektaren Land Saatgut produziert, erzählte mir, dass sie vor drei Jahren erstmals Hybridsaatgut säte. Im ersten Jahr habe sie phantastische Erträge erzielt, im Folgejahr sei der Ertrag drastisch zurückgegangen. Sie sei auf mehreren Tonnen dieses Hybridsaatguts sitzengeblieben, konnte es nicht verkaufen, weil es nicht keimte. Die Hightech-Sorten sind nicht an die lokalen Gegebenheiten wie Hitze, Wassermangel, Trockenheit, den afrikanischen Boden angepasst.

Trotz grosser Investitionen boomen Gentech-Pflanzen in Afrika noch nicht.
Ja, der Widerstand ist gross. Ich befürchte aber, dass man versucht, die Gentechnik durch die Hintertür einzuführen, über aufgeweichte Regulierungen zum Beispiel.

Was können wir in der Schweiz gegen den «modernen Kolonialismus» tun?
Wir sollten vor allem laut und deutlich Nein zur Gentechnik und laut und deutlich Ja zu einer ökologischen, vielfältigen Landwirtschaft sagen. Die SAG engagiert sich seit Jahren dafür. Wenn die Schweiz gentechfrei bleibt, dann nützt das auch den Bäuerinnen in afrikanischen Ländern. Wenn ich ihnen nämlich erzähle, dass die Schweizer Konsumenten und Bauern keine gentechnisch veränderten Pflanzen anbauen und essen wollen, obwohl Syngenta in der Schweiz sitzt, dann sind sie immer beeindruckt. Wenn dann mal ein Syngenta-Vertreter kommt und ihnen sagt, sie seien rückständig, weil sie keine Gentech-Pflanzen anbauen, dann können die Bäuerinnen zurückfragen: «Halten Sie die Schweiz für rückständig, die Schweizer Bauern für dumm?»

Fokus 96 TinaGoethe
Tina Goethe ist Teamleiterin des Bereiches «Recht auf Nahrung» bei der Entwicklungsorganisation Brot für alle.


Titelbild 98 
(Bild: fotolia, Montage: Bivgrafik)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 89

Wo Gentechnik drinsteckt, muss auch Gentechnik draufstehen

Mit dem sogenannten Genome Editing wird das Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen im Labor gezielt verändert. Trotzdem sollen Produkte, die daraus entstehen, nicht den Regulierungen des bestehenden Gentechnikgesetzes unterstellt werden. Die Kampagne «Keine Gentechnik durch die Hintertür» setzt sich für eine umfassende und transparente Regelung aller gentechnischen Verfahren ein. Gentechnik-Organismen dürfen nicht ohne eingehende Prüfung und klare Kennzeichnung für Anbau und Konsum zugelassen werden.

Text: Denise Battaglia, Paul Scherer

Die Heilsversprechen bleiben seit 25 Jahren die gleichen. Die Gentechnik habe das Potenzial, die Menschheit von den grossen Plagen wie Krebs, Aids oder Alzheimer zu erlösen, die Landwirtschaft von Schädlingen zu befreien, ihre Erträge zu steigern und den Welthunger zu besiegen.

Mit der Genom-­Editierung versucht die Biotechnologie nun direkt ins Erbgut von Lebewesen einzugreifen und es nach ihrem Gutdünken zu manipulieren. Eines der beliebtesten Instrumente ist eine sogenannte Genschere mit dem schier aus­sprechbaren Namen CRISPR/Cas9 (sprich: Krispr Kas neun). Das Prinzip klingt ein­fach: Während CRISPR einen spezifischen Genabschnitt der DNA erkennt, schneidet das angehängte Enzym Cas9 die DNA an dieser Stelle. «Damit kann man einfach, billig und schnell Gene herumschieben – alle Gene in allen Lebewesen, von den Bakterien bis zu den Menschen», bringt es das US-­amerikanische Technologie magazin «Wired» auf den Punkt.

Unabhängige Forschung fehlt

Fokus 98 Mais
Äpfel und Pilze, die nicht mehr braun werden, wenn sie angeschnitten werden, Kartoffeln, die länger haltbar bleiben, Mais, der mehr Stärke produziert, Weizen, der weniger Kohlenhydrate, dafür mehr Ballaststoffe enthält, Rinder ohne Hörner, dies sind nur einige Bespiele, an denen heute Forschende tüfteln. (Bild: fotolia, Montage: Bivgrafik)

«Präzise» ist im Zusammenhang mit CRISPR/Cas9 das am häufigsten gebrauchte Wort. «Doch Präzision kann nicht mit Sicherheit gleichgesetzt werden. Auch eine präzise Veränderung kann unvorhergesehene Folgen haben», sagt Tamara Lebrecht, Umweltnaturwissen­schaftlerin und Sprecherin der Critical Scientists Switzerland, einer Vereinigung von kritischen Wissenschaftlern, die sich unter anderem für eine von der Indus­trie unabhängige Forschung engagiert. Die Schweiz dürfe das bewährte Vorsor­geprinzip wegen der momentanen Euphorie für die Genom-­Editierung nicht aufgeben.

Bei dem in der Schweiz und in Europa im Gesetz verankerten Vorsorgeprinzip können Produkte erst auf den Markt gebracht werden, wenn der Hersteller mit­tels unabhängiger Risikoanalysen oder Langzeitstudien nachweisen kann, dass die Produkte unbedenklich sind. In den USA sind die Hürden für den Markt deutlich niedriger und neue Produkte dürfen so lange verkauft werden, bis wis­senschaftlich bewiesen ist, dass sie schäd­lich sind.

Transparenz soll geopfert werden

Nun sollen auch in Europa die strengen Vorschriften, welche das Gentechnikgesetz definiert, aufgeweicht werden. Umfassende Regulierungen werden im Zeitalter des uneingeschränkten globalen Freihandels als hinderlich abgetan. Die Frage, wie Produkte, die mit dem Genome Editing ent­stehen, zu regulieren sind, beschäftigt die Schweiz genauso wie die EU. So fordert die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT, dass die neuen Gentechni­ken explizit vom Gentechnikgesetz aus­geklammert werden. Es gebe «aus naturwis­senschaftlicher Sicht keinen Grund für eine strenge Regulierung», schreiben sie in ihrem Factsheet. Die neuen Techniken seien «so sicher» wie konventionelle Züch­tungsverfahren und «darüber hinaus erst noch präziser».

Agrarindustrie, Behörden und Biotech­nologen bezeichnen die neuen Gentechnik-­Methoden gerne als «neue Zuchtverfahren». Das Reizwort Gentechnik wird gemieden. Werden sie dem Gentechnikgesetz unter­stellt, würden Pflanzen, die daraus ent­stehen, unter das Gentech­-Moratorium fallen, das bis ins Jahr 2021 gilt. Werden sie davon ausgenommen, dürften sie gemäss den üblichen Vorschriften für kon­ventionelle Pflanzen angebaut und ver­kauft werden. Die Konsumierenden wür­den in diesem Fall nicht erfahren, wenn sie gentechnisch veränderte Lebensmittel auf dem Teller hätten.

Ob die Bevölkerung Gentechnik ohne entsprechende Deklaration akzeptieren würde, erscheint fraglich. Bei einer Befragung durch das deutsche Bundesinstitut für Riskobewertung (BfR) verschie­dener Fokusgruppen zu CRISPR/Cas9 und Genome Editing zeigte sich, dass die Mehrheit das Genome Editing als eine Form der Gentechnik beurteilt und solche Lebensmittel als «nicht natürlich» ablehnt.

Blind für die Risiken

Die Ethikkommission (EKAH), ein Gremium von Experten, welches den Bun­desrat zu Fragen der Gentechnik im ausserhumanen Bereich berät, warnt davor, «die Anforderungen» von Produkten aus den neuen gentechnischen Verfahren zu senken. Eva Gelinsky, Agrarwissen­schaftlerin und Mitglied der EKAH, mahnt: «Wie die im Labor veränderten Pflanzen in der Natur reagieren, wissen wir bislang nicht. Die Biotechnologen glauben immer noch, dass man an der ‹Pflanzen­Maschine› nur an einer Schraube drehen muss, damit sie sich verhält wie man will.» Eine Pflanze sei aber kein statisches Produkt, sondern ein Organismus, der in dauernder Wechselwirkung mit seiner ebenfalls nicht statischen Umwelt stehe. «Wir müssen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken berücksichtigen und in die Betrachtung miteinbeziehen», gibt Gelinksy zu beden­ken. Der Hype um die Genom­-Editierung aber mache fast blind für die Risiken der neuen Gentechnik­-Verfahren.

Würde das Genome Editing von der Gentechnikgesetzgebung ausgenommen, könnten Gentechnik­-Organismen ohne eingehende Prüfung und klare Kennzeich­nung zugelassen werden. Welche Risiken dabei auf die Gesellschaft zukommen könnten, zeigen aktuelle Forschungsbei­spiele eindrücklich.

Gentechnisch optimierte Kühe

Fokus 98 Kuh
(Bild: clipdealer, Montage: Bivgrafik)

Die Milch der Kuh Daisy enthält dank Genome Editing weniger allergieauslösende Eiweissstoffe. Möglich wurde dies durch einen Eingriff in die Genregulation. Mit den neuen Gentechnik­-Verfahren sollen zukünftig mehr und mehr gentechnisch ver­änderte Tiere geschaffen werden. Von Rindern ohne Hörner bis zu extra musku­lösen Schweinen. Doch solche Experimente sind mit viel Tierleid verbunden, da bei solchen Experimenten viele Tiere aufgrund von Gendefekten nicht lebensfähig sind und getötet werden müssen. Auch bei Daisy blieben Gendefekte nicht aus: Ihr fehlt aufgrund unerwarteter Nebeneffekte der Schwanz und ihre Organe weisen abnorme Veränderungen auf. Mit gentech­nisch veränderten Nutztieren kommen neue Risiken auf die Landwirtschaft zu und es stellen sich ethische Fragen.

Herbizidresistenter Raps dank Genome Editing

Der Raps der US­-Firma Cibus wurde mit Genome Editing gegen Herbizide resistent gemacht. In Kanada und den USA wird er bereits angebaut. Auch in Deutschland erhielt er eine Anbaugenehmigung. Doch auf Druck der EU­-Kommission wurde diese ausgesetzt. Derzeit befasst sich der Euro­päische Gerichtshof mit der Frage, wie sol­che Pflanzen rechtlich zu bewerten sind. Neue Gentechnik­-Verfahren greifen direkt auf der Ebene des Erbguts ein. Somit unterscheiden sich diese Verfahren deut­lich von denen der konventionellen Züchtung, wo mit der ganzen Pflanze beziehungsweise der ganzen Zelle und dem System der natürlichen Genregulation und Vererbung gearbeitet wird. Risiken gibt es auch dann, wenn kein artfremdes Erbgut eingefügt wird. Durchlaufen die Pflanzen keine Sicherheitsprüfung, können Risiken unbemerkt bleiben, und nach einer Frei­setzung kann sich das veränderte Erbgut unbemerkt in der Umwelt ausbreiten.

Ausrottung ganzer Populationen

Mit den neuen Gentechnik­-Verfahren ist es nicht nur möglich, die DNA zu verändern, sondern auch die Häufigkeit, mit der die neuen Eigenschaften vererbt werden. Im Erbgut werden sogenannte Gene Drives verankert, die gentechnisch eine Verän­derung im Genom auslösen und diese an alle Nachkommen weitervererben. Sie sol­len beispielsweise dazu eingesetzt werden, bestimmte Arten zu dezimieren oder auszurotten, indem nur noch die Männchen lebensfähig sind. Dies wird für Insekten, unerwünschte Wildtiere oder Unkräuter diskutiert. Es könnten damit aber auch bestimmte biologische Eigenschaften einer Art verändert werden. So sollen Mücken nicht mehr in der Lage sein, die Erreger der Malaria zu übertragen, Wildkräuter sollen in Nutzpflanzen umgewandelt oder Unkräuter empfänglicher für Herbizide gemacht werden. Experten warnen davor, derartige Organismen in die Umwelt zu entlassen. Denn derartige Freisetzungen sind nicht wieder rückgängig zu machen. Noch weiss die Wissenschaft zu wenig, um mit Sicherheit sagen zu können, wie sich Organismen mit eingebautem Gene Drive in der Umwelt verhalten werden. Es könnte zu schweren Schäden an ganzen Ökosyste­men kommen.

Gentechnik-Experimente im Wald

Fokus 98 Schwein

Chinesische und südkoreanische Forscher haben «Supermuskelschweine» kreiert, Schweine die sehr schnell sehr viel Muskelfleisch ansetzen, um eine «höhere Ausbeute an Fleisch pro Tier» und mehr «mageres Fleisch» zu erhalten. (Bild: clipdealer, Montage: Bivgrafik)

In Schweden wurden 2016 erstmals Frei­setzungen mit Pappeln beantragt, welche mit CRISPR/Cas9 verändert wurden. Auch in China und den USA wird mit den neuen Gentechnik­-Verfahren an Wald­bäumen experimentiert mit dem Ziel, Wachstum und Holzqualität für die Bedürf­nisse der Holz­ und Papierindustrie zu optimieren.

Das künstlich veränderte Erbgut kann sich über Pollen, Samen und bei Pappeln auch über Sprösslinge unkontrolliert in der Umwelt verbreiten. Gentechnik an Bäumen ist besonders heikel, da die Zeiträume, die im Rahmen einer Risikobewertung betrachtet werden müssten, sehr lang sind, und Langzeitstudien daher fehlen. Die Frei­setzung gentechnisch veränderter Wald­bäume sollte deshalb nicht erlaubt werden.

Künstliche Mischwesen für Organspenden

Bereits wird mit Embryonen experimen­tiert, in denen sich menschliche und tierischen Zellen vermischen. Solche Misch­embryonen aus Mensch und Schwein wurden in die Gebärmutter von Schweinen eingepflanzt und konnten sich so für drei bis vier Wochen entwickeln. Ziel ist es, Tiere zu schaffen, die für Organspenden verwendet werden können. Durch diese Art von Forschung steigt nicht nur die Zahl der Tierversuche weiter an, auch der Mensch selbst droht zum Objekt von Labor­ experimenten zu werden.


Die Kampagne «Keine Gentechnik durch die Hintertür» wurde von der SAG / StopOGM /GeneWatch UK / IG Saatgut lanciert. Sie wird aktiv unterstützt von den Trägerorganisationen der SAG. Helfen auch Sie mit.

Besuchen Sie die Home-page zur Kampagne auf: www.keine-neue-gentechnik.ch


Titelbild 99 
(Bild: fotolia; Mikroskopische Aufnahme einer Zelle des Rüsselkäfers)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 99

Die Auswirkungen der neuen Gentechnik­verfahren sind nur unvollständig voraus­sehbar

Mit dem Aufkommen der neuen Gentechnikverfahren, besonders der Genscheren wie CRISPR/Cas, ist die Frage um die Gentechnikgesetzgebung neu entflammt und beschäftigt weltweit Regulierungsbehörden und Gerichte – auch in der Schweiz und der EU. Obwohl sie grundsätzlich einfach zu beantworten ist. Es handelt sich bei den neuen Techniken um Gentechnik. Zu diesem Schluss kommen verschiedene Rechtsgutachten. Nur eine Unter-stellung unter das Gentechnikrecht gewährt genügend Sicherheit und garantiert die Anwendung des Vorsorgeprinzips.

Text: Paul Scherer und Luigi D’Andrea

Die Regelung der Gentechnik ist seit ihrem Aufkommen in den 90er-Jahren politisch hochbrisant. Eine Vielzahl ethischer, ökologischer, wirtschaftlicher, geopolitischer und gesundheitlicher Überlegungen spielen mit. Sie kann nicht auf rein technische Gesichtspunkte beschränkt werden, sondern muss auch die Meinung der Öffentlichkeit miteinbeziehen, um zu annehmbaren Regelungen zu kommen.

Die aktuelle Gentechnikregulierung ist bereits in die Jahre gekommen. Denn sie basiert auf dem Wissensstand von Anfang der 2000er-Jahre. Die gesetzlichen Bestimmungen fokussieren dabei auf die Verfahren, welche zur genetischen Transformation eines Organismus eingesetzt werden. Denn diese Prozesse beinhalten eine Vielzahl von Unsicherheiten, welche unvorhersehbare und unerwünschte Auswirkungen auf das Genom haben können. Sie können sich auf die Physiologie des veränderten Organismus auswirken und damit auch auf die Umwelt, in der er lebt. Dies wiederum kann sich auch auf die Gesundheit anderer Organismen, die mit ihm in Berührung kommen, auswirken. Eine umfassende Überprüfung derartig veränderter Organismen ist daher unerlässlich, bevor sie freigesetzt werden dürfen.

In neuster Zeit hat sich die Technik jedoch schneller entwickelt als die gesetzlichen Regelungen, und so entstanden in kurzer Zeit zahlreiche rechtliche Grauzonen. Die heute diskutierten neuen Gentechnikverfahren (NGTV) entsprechen nicht mehr den juristischen Kategorien von damals, heisst es in einem Rechtsgutachten, das StopOGM und die SAG in Auftrag gegeben haben. «Eine Auslegung des gesetzlichen Rahmens und auf längere Sicht eine Anpassung ist daher nötig», sagt der Jurist Maximilian Stauber, der das Gutachten erstellt hat. Stauber ist Experte für das Vorsorgeprinzip, das die Grundlage des Gentechnikgesetzes bildet.

Internationaler Rahmen der Gentechnikregulierung

Fokus 99 Pflanzenzelle
Schon die kleinste Veränderung im Genom kann auf der Zellebene grosse Veränderungen auslösen. (Bild: fotolia; Pflanzenzellen unter dem Mikroskop)

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind verschiedenen internationalen Normen unterworfen. Das Cartagena-Protokoll, der Codex Alimentarius und das WTO-Abkommen (World Trade Organization = Welthandelsorganisation) bilden die wesentlichen Rechtsnormen für den Handel mit GVO. Theoretisch dürfen GVO gemäss WTO international frei gehandelt werden. Die Staaten können jedoch rechtmässige Beschränkungen erlassen, sofern diese den Vorschriften des Cartagena-Protokolls und des Codex Alimentarius entsprechen.

In der Praxis ist die Frage aber ungelöst. Denn die nationalen Definitionen, was ein GVO ist, sind sehr unterschiedlich. Daher kommt es immer wieder zu Rechtsverfahren vor dem Streitbeilegungsgremium der WTO, beispielsweise Anfang der 2000er-Jahre zwischen den USA, Kanada und Argentinien einerseits und der EU andererseits. Da viele Fragen weiterhin ungelöst sind, wird die Biotechnologie besonders auch mit den neuen Gentechnikverfahren ein Knackpunkt bei den internationalen Beziehungen bleiben – denn sie sind mit schwerwiegenden wirtschaftlichen und politischen Interessen verknüpft.

Das Gentechnikrecht in der Schweiz und der EU beruht auf dem Vorsorgeprinzip

Die EU-Gesetzgebung über die GVO beruht auf der Richtlinie 2001/18/EG vom 12. März 2001. Die europäische Regulierung der Gentechnik beruht – wie auch die schweizerische – auf dem Vorsorgeprinzip (Glossar) und bezweckt den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Die verwendete Definition des Vorsorgeprinzips ist abgeleitet von Grundsatz 15 der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung: «Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten allgemein den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Massnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.» Es genügt folglich ein vorauszuahnender Schaden, um Massnahmen zu dessen Einschränkung zu ergreifen.

Art. 120 der Schweizer Bundesverfassung beauftragt den Bund, die Verwendung des Keim- und Erbguts von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen gesetzlich zu regeln, um den Menschen und seine Umgebung gegen Missbräuche in der Gentechnik zu schützen. Auf diesem Verfassungsartikel basiert das Schweizer Gentechnikgesetz (GTG) von 2003. Das GTG definiert GVO als «Organismen, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt». Das GTG bezweckt den Schutz des Menschen, der Tiere, der Umwelt und der Wahlfreiheit der KonsumentInnen. Konkretisiert wird das GTG beispielsweise durch die Freisetzungsverordnung (FrSV), die den Umgang mit GVO in der Umwelt regelt, und durch Verordnungen der Lebensmittelgesetzgebung.

Europäischer Gerichtshof muss entscheiden

Fokus 99 Landschaft
Gentechnische Veränderungen des Genoms können sich auf die Physiologie des veränderten Organismus auswirken und damit auch auf die Umwelt, in der dieser lebt. Dies wiederum kann sich auch auf die Gesundheit anderer Organismen, die mit ihm in Berührung kommen, auswirken. (Bild: Greenpeace)

Das geltende Gentechnikrecht der EU nimmt bestimmte Verfahren, zum Beispiel die Mutagenese, von der Regelung aus. Der Grund für die sogenannte Mutagenese-Ausnahme ist historisch bedingt. Die zufällige Mutagenese, die auf Strahlung oder chemischer Behandlung beruht, wurde in der Züchtung bereits seit 1920 verwendet. Daher wurde sie – obwohl es sich strenggenommen um Gentechnik handelt – als ein seit langem als sicher geltendes Verfahren eingestuft. Auch in der Schweiz.

Diese Ausnahmeregelung der Mutagenese sorgt nun in der Diskussion um die rechtliche Einordnung der neuen Gentechnikverfahren für heftige Diskussionen. Der Europäische Gerichtshof EuGH muss entscheiden, ob neue Mutagenese-Techniken (z.B. CRISPR/Cas) gentechnische Prozesse implementieren und als gentechnische Verfahren eingestuft werden müssen oder nicht. «Nein», fordern Gentechnikbefürworter. Bei den Veränderungen des Erbgutes, die beispielsweise durch die Genschere CRISPR/Cas ausgelöst werden, handle es sich um eine gezielte Mutation. Dieses Vorgehen sei praktisch identisch mit der althergebrachten Mutationszüchtung. Dieser Interpretation widersprechen verschiedene Rechtsgutachten. Maximilian Stauber weist in seinem SAG-Gutachten darauf hin, dass den NGTV technisch komplexe Prozesse zugrunde liegen, die abhängig von Instrumenten und Laborbedingungen seien. Sie könnten nicht ohne menschliches Zutun entstehen. Aus diesem Grund seien sie klar als Gentechnik einzustufen.

Auch Biologen zweifeln, dass derartige Mutationen natürlicherweise auftreten könnten. Sie heben zudem hervor, dass es mit CRISPR/Cas möglich ist, gleichzeitig mehrere Veränderungen im Genom vorzunehmen, sogenanntes Multiplexing. Dass solche Mehrfachveränderungen in der Natur oder durch traditionelle Selektionsverfahren auftreten könnten, stufen Experten als äusserst unwahrscheinlich ein. Limagrain, eine der grossen Saatgutfirmen, erschuf im Labor eine Weizensorte mit einer dreifachen Resistenz gegen Mehltau. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Weizensorte natürlicherweise gleichzeitig diese drei gewünschten Resistenzgene aufweist, ist verschwindend klein. Limagrain schreibt zu ihrer Wunderpflanze: In der Natur hätte dazu jede einzelne Weizenpflanze beobachtet werden müssen, die seit 4 Millionen Jahren auf unserem Planeten wuchs, um eine einzige Pflanze zu finden, die spontan über die drei richtigen Versionen des Gens verfügt. CRISPR/Cas machte es möglich.

Als 2001 in der EU die Gentechnikregulierung in Kraft trat, war CRISPR/Cas noch nicht entdeckt. Würde dieses neue Gentechnikverfahren von den strengen Regulierungen der Gentechnikgesetzgebung ausgenommen, könnten damit hergestellte Pflanzen ohne Prüfung ihrer Risiken für Umwelt und Gesundheit angebaut und ohne Deklaration als Lebens- und Futtermittel vermarktet werden. «Die neuen Techniken müssen einer Überprüfung unterzogen werden, solange sie «neu» sind, d.h. solange bis die Verfahren gut verstanden werden, ihr Gegenstand genügend bekannt ist und mögliche ökologische oder chronische Gesundheitsschäden Zeit hatten aufzutreten und festgestellt zu werden», so das Fazit des Rechtsgutachtens. Dies gelte auch für die Schweiz. Da sich das Schweizer und das EU-Recht nicht nur dem Buchstaben nach, sondern auch im Geist ähnlich seien.

Die Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnologie im ausserhumanen Bereich (EKAH) kommt zum selben Schluss. Basierend auf dem Vorsorgegedanken müssten die neuen Gentechnikverfahren einer Risikoprüfung unterzogen werden, schreibt die EKAH in einem Bericht. Die neuen Gentechnikverfahren könnten nicht als bewährte Verfahren mit bekannten und beherrschbaren Risiken gewertet werden. Neue Studien zeigen, dass bei der CRISPR/Cas9-Methode immer wieder unvorhersehbare Veränderungen an unerwarteten Stellen im Genom auftreten – sogenannte «off target»-Effekte. Die EKAH weist ausserdem darauf hin, dass die Interaktion mit der natürlichen Umwelt fehlt, da es sich bei diesen Verfahren um Labortechniken handle und dass Erfahrungen aus anderen Bereichen, z.B. Asbest oder BSE zeigen, wie gefährlich ungenügende Risikoabklärungen seien.

Die Frage, ob die neuen Gentechnikverfahren und deren Produkte der Gentechnikgesetzgebung unterstellt werden oder nicht, sei schlussendlich eine strategische Entscheidung, folgert Stauber. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Gesellschaft für allfällige Schäden durch den Einsatz der neuen gentechnischen Verfahren aufkommen müsste und keine Versicherungsgesellschaft bereit ist, diese Risiken zu versichern.

Fokus 99 Cartagena
Das Cartagena-Protokoll wurde nach der kolumbianischen Stadt Cartagena benannt, wo es 2003 beschlossen wurde. Es regelt völkerrechtlich bindend den grenzüberschreitenden Transport und den Umgang mit GVO im Bezug auf die von der modernen Biotechnologie ausgehenden Risiken für die biologische Vielfalt oder die menschliche Gesundheit. Der Codex Alimentarius definiert die international geltenden Normen im Lebensmittelbereich. Eine Norm des Codex betrifft insbesondere Lebensmittel, die dank moderner Biotechnologie entstehen. (Bild: © Google, 2018 DigitalGlobe)

Titelbild106 
(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 105

Neue Gentechverfahren bei Mikroorganismen

Bisher finden Gentechmikroben in der Getränke- und Lebensmittelindustrie keine direkte Verwendung. Nur Enzyme und Vitamine, die mit Hilfe von Mikroorganismen hergestellt und isoliert werden, kommen zum Einsatz. Doch nun kreieren ZüchterInnen mit neuen Gentechverfahren Mikroben, die ohne artfremde Gene sind. Ob die Industrie sie einsetzt, wird auch von der rechtlichen Regulierung abhängen, deren Revision jetzt zur Diskussion steht. Zeit, einen Blick auf die Entwicklungen zu werfen.

Text: Benno Vogel

Ob bei Milchsäurebakterien für Joghurt und Dickmilch, bei Mikroalgen für Nahrungsergänzungsmittel oder bei Hefen für Brot, Bier und Wein – in den Züchtungslaboren entstehen derzeit eine Reihe neuer Mikroben für die Brauerei- und Lebensmittelbranche, die eines gemeinsam haben: Sie entspringen zwar gentechnischenVerfahren, besitzen aber keine artfremden Gene und verwischen damit die gewohnte Grenze zwischen «herkömmlich gezüchtet» und «gentechnisch verändert». Noch wachsen derartige Mikroben erst in den Petrischalen und Schüttelkolben der Forschung und noch ist es unklar, ob und wann Firmen sie auf den Markt bringen wollen. Klar ist hingegen, dass die Schweiz zu entscheiden hat, welche Vorschriften Firmen bei Markteinführungen der Mikroben einhalten müssten. Der Grund für die herrschende Rechtsunsicherheit sind neuartige gentechnische Verfahren. Wie bei der Züchtung von Tieren und Pflanzen führen sie auch bei der Mikrobenzüchtung zur Kreation von Organismen, bei denen umstritten ist, ob sie rechtlich als GVO oder Nicht-GVO zu klassieren sind und wie sie reguliert werden sollen: Wie GVO nach Gentechnikrecht? Nach den gleichen Vorschriften wie Nicht-GVO? Oder mit neuen, noch zu erlassenden Bestimmungen?

Wie die Antwort ausfällt, dürfte sich Ende 2019 zeigen. Bis dahin will der Bund nämlich die Eckpunkte in die Vernehmlassung schicken, nach denen er neue gentechnische Verfahren und damit auch die neuartigen Hefen, Mikroalgen, Schimmelpilze und Milchsäurebakterien regulieren will, die derzeit in Entwicklung sind.

Um welche Mikroben und Verfahren es dabei geht, zeigt ein Blick in die Züchtungslabore.

Gentech-Hefen für Bier, Wein und Brot

Fokus 105 Hefe
(Bild: Shutterstock)

Eines dieser Labore gehört zum Vlaams Instituut voor Biotechnologie der belgischen Universität Löwen. Dort arbeiten Forschende daran, neue Hefestämme für Bierbrauereien zu kreieren. Eines ihrer Ziele ist es, mit neuen Stämmen die Aromavielfalt von Lagerbieren zu erhöhen. Hefen bringen nicht nur den Alkohol ins Bier, sie bilden während der Gärung auch hunderte Substanzen, die den Geschmack prägen. Mit Hefen, die mit Genom-Editierung verändert wurden, wollen die Forschenden auf das Bieraroma Einfluss nehmen. Das dabei eingesetzte Werkzeug wiederum ist CRISPR. Das Tool also, das seit einigen Jahren für Furore sorgt, weil es die Gentechnik vereinfacht. Es ermöglicht, Gene aus dem Erbgut herauszunehmen, sie auszuschalten oder gezielt einzelne Buchstaben ihrer Sequenz zu ändern, ohne dass Spuren artfremder DNA-Sequenzen zurückbleiben.

Forschende an der Universität von Toronto haben das Erbgut von Weinhefe ins Visier genommen. Mit CRISPR veränderten sie Hefen gentechnisch, indem sie ein bestimmtes Gen ausschalteten. So konnten sie Chardonnay und Cabernet Sauvignon herstellen, die weniger Urethan enthalten – eine krebserregende Substanz, die sich natürlicherweise bei der Gärung bildet.

Neben Bier und Wein könnten auch Backwaren bald mit Hilfe von Gentech-Hefen entstehen. An der Universität von Tianjin in China existieren Geneditierte Backhefen, die das Tiefgefrieren unbeschadet überleben. Diese Kältetoleranz gilt in der Backindustrie als interessant, weil die Hefen auch nach dem Einfrieren eine hohe Triebfähigkeit behalten.

Neuartige Nutzungen von Mikroben

Fokus 105 MikrobenDie Zahl der Vorhaben mit geneditierten Mikroben wächst sehr schnell. Untersuchungen zur Genauigkeit der Verfahren, zu Risiken oder Sicherheit der so veränderten Mikroben und zur Akzeptanz dieser Verfahren bei KonsumentInnen sind dagegen noch sehr selten. (Bild: Shutterstock)

Dass Genom-Editierung auch bei Forschenden in der Schweiz auf Interesse stösst, zeigt die im Februar 2019 vom Netzwerk Swiss Food Research lancierte Arbeitsgruppe Bioconversion. Unter Einbezug von CRISPR verfolgt sie den Plan, neuartige Nutzungen von Mikroben als Nahrungs mittel zu entwickeln. Mitglied der Arbeitsgruppe ist neben der ETH Zürich und der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebenswissenschaften auch Agroscope. Dort wiederum läuft seit 2018 ein Projekt, das CRISPR bei Milchsäurebakterien etablieren will. Damit sollen unerwünschte Gene wie etwa Anleitungen für Toxine oder Antibiotikaresistenzen aus dem Erbgut entfernt und natürlich vorkommende Milchsäurebakterien für die Ernährungswirtschaft besser nutzbar werden – sei es als Bestandteil von Probiotika oder von Starterkulturen für die Herstellung von Käse, Joghurt, Buttermilch und Rohwurst.

Mit ihrem Wunsch, Gene aus Milchsäurebakterien zu beseitigen, stehen die Forschenden von Agroscope nicht allein da. In den Niederlanden hat die Firma NIZO jüngst gezeigt, wie sich mit CRISPR Viren entfernen lassen, die sich im Erbgut der Bakterien eingenistet haben und deren Nutzung als Starterkultur stören. In Dänemark wiederum haben Forschende des Center for Biosustainability der Novo-Nordisk-Stiftung eine CRISPR-basierte Methode entwickelt, um Bakterien von unerwünschten Plasmiden zu befreien.

Risikoforschung fehlt weitgehend

Während die Zahl der Vorhaben mit geneditierten Mikroben wächst, fehlt es weitgehend an Untersuchungen zur Genauigkeit der Verfahren, zu Risiken oder Sicherheit der so veränderten Mikroben und zur Akzeptanz von geneditierten Hefen und Bakterien bei KonsumentInnen. Eine der wenigen Studien in diesem Bereich stammt von der englischen Universität Saint Andrews. Dort haben Forschende die Genauigkeit von CRISPR geprüft und Hefen genauer untersucht, bei denen sie zuvor ein Gen ausgeschaltet hatten. Was sie dabei überraschend entdeckten: Die Hefe hatte Lachs-DNA in ihr Erbgut eingebaut. Diese DNA wird Hefen während der Genom-Editierung zugegeben, weil sie die Effizienz des Verfahrens steigert – ein Einbau ins Erbgut war nicht angestrebt.

Da Untersuchungen zur Genauigkeit, Sicherheit und Akzeptanz Mangelware sind, fehlen wichtige Grundlagen für die Diskussion der anstehenden Fragen: Welche Sorgfalt müssen Firmen beim Umgang mit geneditierten Mikroben an den Tag legen? Braucht es vor deren Markteinführung eine staatliche Sicherheitsprüfung? Welche Anforderungen wären dabei zu erfüllen? Und soll Dritten gegenüber mit einer Kennzeichnung transparent gemacht werden müssen, dass bei der Züchtung Gentechnik zum Einsatz kam?

In der Europäischen Union fallen die Antworten auf diese Fragen derzeit gut aus – zumindest aus Sicht von Umwelt- und Konsumentenschutzorganisationen. Denn dort hat der Europäische Gerichtshof 2018 entschieden, dass geneditierte Organismen unter die Gentechnikgesetzgebung fallen und somit den gleichen Anforderungen an Sicherheit und Transparenz genügen müssen wie herkömmliche GVO. Ob dieses hohe Schutzniveau in der EU Bestand haben wird, ist jedoch unklar. Der Druck aus Forschung und Industrie auf eine Aufweichung der gesetzlichen Vorschriften ist gross und BeobachterInnen sind sich einig, dass nach der Wahl des EU-Parlaments Ende Mai die Diskussion um eine Lockerung des Gentechnikrechts beginnen wird.

Folgt die Schweiz der EU?

Fokus 105 WeinDa Hefe für die Gärung von Wein benötigt wird, rückte auch das Erbgut von Weinhefe ins Zentrum von Forschungsprojekten. Mit CRISPR/Cas haben Forschende ein Hefegen ausgeschaltet und so Weine hergestellt, die weniger Urethan enthalten – eine krebserregende Substanz, die sich natürlicherweise bei der Gärung bildet. (Bild: Shutterstock)

In Bern dürfte der Bund diese Diskussion aufmerksam verfolgen. Um Handelsbeschränkungen mit dem wichtigsten Partner zu vermeiden, wird er sich bei der Regulierung der neuen Gentechnik nämlich an die EU anlehnen müssen. Wie weit er mit der Harmonisierung gehen will, ist derzeit offen.

Offen ist auch, ob er die bei der Cisgenese bestehende Ungleichheit beseitigen wird. Mit diesem Begriff bezeichnen GeningenieurInnen ihr Vorgehen, wenn sie Gene ins Erbgut von Organismen übertragen, die von der gleichen oder einer kreuzbaren Art stammen. Erfolgt die Cisgenese, die mit CRISPR wie auch mit herkömmlicher Gentechnik möglich ist, bei Tieren und Pflanzen, fällt sie unter das Gentechnikrecht – und zwar sowohl in der EU als auch in der Schweiz. Anders ist die Situation bei cisgenen Mikroben: Während sie in der EU bei Markteinführungen immer als GVO gelten, dürfte dies in der Schweiz von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Der Grund liegt darin, dass hierzulande die Selbstklonierung und somit bestimmte Formen der Cisgenese vom Gentechnikgesetz ausgenommen sind.

In einigen Ländern sind cisgene Mikroben bereits zugelassen oder auf dem Markt erhältlich. In Japan zum Beispiel, wo cisgene Mikroben keine GVO sind, soll selbstklonierte Hefe für die Herstellung von Reiswein erhältlich sein. In den USA wiederum hat die Lebensmittelbehörde selbstklonierte Back- und Weinhefen als gesundheitlich unbedenklich eingestuft. Weitere Stämme sind in der Entwicklung. An der Technischen Universität München arbeiten Forschende an cisgenen Bierhefen, um die Gärung zu optimieren. An der Tianjin-Universität in China sind selbstklonierte Koji-Schimmelpilze entstanden, mit denen sich Sojabohnen besser zu Sauce fermentieren lassen sollen. Und an der Ben-Gurion-Universität in Israel existieren cisgene Mikroalgen, die eine erhöhte Menge der als gesundheitsfördernd geltenden Substanz Astaxanthin bilden. Sie könnten in pulverisierter Form als Nahrungsergänzungsmittel in die Regale gelangen.

Während Getränke- und Lebensmittelhersteller Vitamine und Enzyme, die in Bioreaktoren aus Gentechmikroben isoliert werden, bereits seit längerem einsetzen, gilt in der Branche die Verwendung von Gentechmikroben selbst bisher als ein No-Go – zu gross ist die Angst vor einem Imageverlust. Ob sich mit den neuen Verfahren daran etwas ändert? Mitentscheidend wird die rechtliche Regulierung sein. Für den Industrieverband LABIP, der Konzerne wie Nestlé, Danone, Dupont, Heineken, Unilever und Lallemand vertritt, ist hierzu die Haltung klar. Er plädiert dafür, Genom-Editierung und Cisgenese wie herkömmliche Züchtungsverfahren zu regulieren – und somit auch von einer Kennzeichnungspflicht auszunehmen.

GVO, Nicht-GVO oder ein bisschen GVO – während die Gesellschaft um einen Entscheid ringt, wie sie Cisgenese und Genom-Editierung regulieren will, hat die Forschung längst Verfahren entwickelt, die über das Ändern einzelner Gene hinausgehen. In China haben Forschende jüngst mit einer Variante der CRISPR-Technik eine gänzlich neue Hefeart kreiert. Statt verteilt auf 16 Chromosomen liegen bei ihr die Erbinformationen auf einem einzelnen Chromosom. Im Projekt «Synthetische Hefe 2.0» arbeiten weltweit mehrere Gruppen an einer Hefe, deren komplettes Erbgut künstlich erzeugt ist. An der ETH Zürich wiederum haben Forschende jüngst eine neue Methode präsentiert, mit der sich die Zeit für die Herstellung künstlicher Genome von bisher zehn Jahren auf ein Jahr und die Kosten von bisher rund 40 Millionen Franken auf etwa 100 000 Franken verringern lassen sollen.

Gut möglich, dass in Zukunft synthetisch veränderte Organismen (SVO) auf den Markt kommen und die Gesellschaft darüber entscheiden muss, ob diese SVO wie GVO reguliert sein sollen.

Titelbild104 
(Bild: Luca Schenardi)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 104

Die Genschere macht es möglich

Gentechnisch veränderte Nutztiere sind in der Schweiz zurzeit verboten. Weltweit dürften aber bald für verschiedene Nutztiere Zulassungen beantragt werden. In den Pipelines der Forschungsanstalten befindet sich eine Vielzahl von Projekten. Im Dezember 2018 wurde in Argentinien bereits eine schnellwachsende, genomeditierte Linie des Zuchtfisches Tilapia bewilligt. Die Liste der Wunscheigenschaften, die mit der neuen Gentechnik verwirklicht werden soll, ist lang und sehr vielfältig. Die Agrarindustrie lobbyiert weltweit für eine schwache Regulierung, um ihre Produkte schnellstmöglich auf den Markt zu bringen.

Text: Zsofia Hock

Im Gegensatz zu Kulturpflanzen hatten gentechnisch veränderte Tiere bis vor Kurzem praktisch keine Bedeutung. Bis heute gibt es ausser einem Lachs keine mittels klassischer Gentechnik veränderten Tiere auf dem Markt. Das liegt vor allem daran, dass die Anwendung der alten Gentechnik bei Tieren technisch schwierig und fehleranfällig und deshalb nur begrenzt anwendbar ist.

Die Genschere erleichtert den Prozess der gentechnischen Manipulation nun deutlich. Seit ihrer Entdeckung hat sie sich mit einer beispiellosen Schnelligkeit in fast alle Labore verbreitet. Bald dürften Behörden mit einer rasch zunehmenden Zahl von Zulassungsgesuchen für geneditierte Nutztiere (GE-Tiere) konfrontiert sein. Laut einer Studie des Friedrich-Loeffler-Instituts und des Instituts für Nutztiergenetik wird aktuell an über 70 Eigenschaften geforscht. Etwa 10 Nutztierarten stehen dabei im Fokus. Es wird propagiert, die Genom-Editierung mache die Landwirtschaft profitabler, umweltfreundlicher und gesünder. Ethisch unvertretbare Praktiken in der Nutztierhaltung, wie etwa die Tötung männlicher Küken, deren Aufzucht nicht wirtschaftlich ist, sollen damit gelöst werden.

Doch das ist Augenwischerei. Die Motivation, genomeditierte Nutztiere zu kreieren, ist eher bei rein wirtschaftlichen Zielen zu suchen als beim Tierwohl. «Mehr, schneller und billiger» – diese drei Adjektive beschreiben die Ziele der modernen Intensivhaltung bestens. Tiere sollen eine höhere Leistung erbringen, oft über ihre biologischen Grenzen hinaus: mehr Fleisch in möglichst kurzer Zeit, längere Wollhaare oder geringerer Futterverbrauch. Die Folgen der Massenhaltung sollen mit den neuen Techniken abgemildert werden, möglichst viele Tiere sollen auf einer möglichst kleinen Fläche gehalten werden.

All diese Eingriffe zeigen in Richtung Instrumentalisierung. Deren höchste Stufe stellen Versuche dar, bei denen geneditierte Tiere als Organfabrik für Transplantationen oder zur Erforschung menschlicher Krankheiten verwendet werden. Die Zahl der Tierversuche steigt, und es werden immer mehr Arten als Versuchsobjekte verwendet. Schluss mit der Ära der Laborratten und Mäuse – sogar Primaten sind vermehrt von der Genom-Editierung betroffen. So sorgten kürzlich Klonäffchen mit einem absichtlich hervorgerufenen Gendefekt aus China für Schlagzeilen. Gentechniker haben sie zum Studium von Biorhythmusstörungen erschaffen.

Resistenzgene aus Wildtieren sollen Bestände widerstandsfähiger machen

Fokus 104 Forscher
(Illustration: Luca Schenardi)

Ansteckende Tierkrankheiten sind in der Landwirtschaft weit verbreitet. Aktuell wütet europaweit die afrikanische Schweinepest, die für Schweine tödlich endet. Die Tiermedizin kann die Seuche nicht aufhalten. Deshalb greifen Wissenschaftler nun zur Gentechnik, um Rassen zu entwickeln, die resistent gegen die Krankheit sind. Wildlebende afrikanische Warzenschweine sind resistent gegen das Virus. Verantwortlich dafür ist ein bestimmtes Gen. Dieses wurde als Vorlage benutzt, um das entsprechende Gen im Hausschwein umzuschreiben. Im Sommer 2019 soll überprüft werden, ob die so entstandenen Tiere tatsächlich gegen das Virus geschützt sind. Zahlreiche weitere genomeditierte, resistente Nutztiere sollen folgen. Unter anderem wird an Resistenzen gegen das PRRS-Virus, das für die ökonomisch bedeutsamste Schweinekrankheit verantwortlich ist, die Vogelgrippe und die Rindertuberkulose geforscht.

Doch diese Resistenzen dank Gentech schaffen auch Probleme. Schweinepestresistente GE-Tiere könnten als symptomlose Träger der Krankheit die Viren an nicht-modifizierte Artgenossen weitergeben. Dadurch könnte die Ausbreitung der Seuche beschleunigt, anstatt wie geplant gestoppt werden. Davon wären vor allem gentechnikfreie Betriebe stark betroffen. Im Extremfall könnte dies zum Verschwinden der herkömmlichen Rassen führen. Fraglich ist auch, wie lange die künstlich eingebrachten Resistenzgene vor der Krankheit schützen. Denn der Selektionsdruck auf den Erreger erhöht sich. Er wird gezwungen, sich an die genetische Veränderung anzupassen und so die Resistenz zu umgehen. Ein Teufelskreis, der nur den Entwicklern der GE-Tiere einen Vorteil erbringt.

Hornlose GE-Milchmaschinen – mit Gene Drives zum Tierwohl?

Fokus 104 DominoCRISPR/Cas ermöglicht eine bisher unvorstellbare Eingriffstiefe. Das Erbgut kann dank der Genschere an vielen verschiedenen Stellen gleichzeitig verändert werden. Da nur ein Bruchteil der Wechselwirkungen zwischen den Genen geklärt sind, können solche multiplen Eingriffe Nebeneffekte auslösen, die miteinander interagieren und zu einem unkontrollierbaren Dominoeffekt werden. Einmal in die Umwelt freigesetzt, sind diese Änderungen kaum rückholbar. (Illustration: Luca Schenardi)

Hörner sind in der profitorientierten Milchviehhaltung unerwünscht. Denn wenn man möglichst viele Tiere in den Laufstall sperrt, erreicht man einen wirtschaftlichen Vorteil. Enge Platzverhältnisse führen aber zu aggressivem Verhalten. Um Verletzungen zu vermeiden, muss man den Tieren mehr Platz bieten, doch dies mindert den Profit. Günstiger erscheint es daher, die Tiere dem Haltungssystem anzupassen, notfalls auf Kosten des Tierwohls. Heute werden rund 90 Prozent aller Schweizer Kühe mechanisch enthornt. Der Eingriff hinterlässt dauerhafte Schäden: erhöhte Schmerzempfindlichkeit und Einschränkungen bei der Interaktion mit Artgenossen. Tierschutzorganisationen kritisieren dieses Vorgehen zu Recht.

Mithilfe der Gentechnik sollen nun auf schmerzfreie Weise hornlose Kühe geschaffen werden. So liesse sich die Massenhaltung bequem weiter betreiben. Als Vorlage für die Gen-Editierung dient eine natürliche Mutation, dank der einige Fleischrinderrassen keine Hörner tragen. Diese Rassen bringen aber nur eine mässige Milchleistung. Um die ideale Milchkuh zu erschaffen, müssten die beiden Eigenschaften miteinander kombiniert werden. Mittels klassischer Züchtung würde dies lange dauern. Deshalb wird, bisher erst mit Modellen, simuliert, wie man mittels der mutagenen Kettenreaktion (Gene Drive) dieses Ziel verwirklichen könnte. Dieses Gentechnik-Werkzeug kann nämlich die Häufigkeit der Vererbung so verändern, dass die natürliche Vererbung ausser Kraft gesetzt wird und eine neu eingeführte Eigenschaft an alle Nachkommen vererbt wird.

Das Rezept: Man nimmt Zellen einer leistungsstarken Milchkuh und schaltet darin das Gen, das für die Bildung der Hörner verantwortlich ist, mithilfe von Gene Drives aus. Mittels Klonierung werden aus diesen Zellen hornlose Nachwuchstiere erstellt. Diese werden anschliessend mit den besten Tieren der Hochleistungs-Milchkuhrassen gekreuzt. Das eingebaute Gene Drive sorgt dafür, dass immer ausschliesslich hornlose Nachkommen entstehen. Die perfekte Milchkuh wäre damit erschaffen. Nur: Das Tierwohl und die Würde der Kreatur bleiben dabei auf der Strecke. Denn das Horn ist nicht nur ein überflüssiges Anhängsel der Rinder. Kühe sind sehr sozial und brauchen die Hörner, um die strenge Hierarchie in der Herde immer wieder auszuhandeln. Nur bei Platzmangel im Laufstall stellt dies eine Gefahr dar.

Allergenarm und gesund

CRISPR/Cas9 soll auch Lebensmittel tierischer Herkunft gesünder machen. Schweine mit mehr gesunden Fettsäuren sollen den Fleischkonsum fördern. Tiere sollen als Bioreaktoren zur Erzeugung von Arzneimitteln und Medizinprodukten eingesetzt werden, geneditierte Schafe Milch geben, die das schlaffördernde Melatonin enthält, und Schweine menschliches Serumalbumin zur Behandlung von Lebererkrankungen produzieren.

Da tierische Lebensmittel bei vielen Allergien auslösen, arbeiten mehrere Forschungsgruppen daran, die allergisierenden Proteine aus diesen zu entfernen. Etwa aus Hühnereiern, die bei zwei Prozent der Kleinkinder zu Allergien führen. Das ist vor allem deswegen problematisch, weil viele Standardimpfungen in Eiern hergestellt werden. Ausserdem kommen sie neben Lebensmitteln in vielen Kosmetikprodukten vor. Für die meisten Allergien sind 4 von den rund 40 Proteinen des Eiweisses verantwortlich. Gentechniker der CSIRO (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation, Australien) haben das gefährlichste dieser Proteine ins Visier genommen. In bakteriellen Systemen haben sie das Gen, das für dessen Produktion verantwortlich ist, mit CRISPR/Cas9 so verändern können, dass das Protein keine allergischen Reaktionen mehr verursachte. Schon träumen die Forscher von geneditierten Hühnern, die allergenarme Eier legen. Nach dem gleichen Prinzip sollen auch Kühe und Schafe geschaffen werden, deren Milch frei ist vom allergisierenden Milcheiweiss Beta-Laktoglobulin.

Tierische Muskelprotze für ein Riesensteak

Fokus 104 SteakDurch Gentechnik lassen sich aussergewöhnlich muskulöse Nutztiere für die Fleischproduktion erschaffen. Damit hoffen die Hersteller vor allem auf mehr Gewinn. Das Tierwohl wird aber bei solchen extremen Züchtungszielen vollständig missachtet. In der Schweiz sind überzüchtete Rassen, wie der Blauweisse Belgier, der von Natur aus eine extreme Fleischveranlagung besitzt, bereits verboten. (Illustration: Luca Schenardi)

Eine neue Schweinerasse mit einem hohen Anteil an besonders geschätzten Fleisch stücken – dank Genom-Editierung soll dieser Traum jedes Züchters bald in Erfüllung gehen. Wissenschaftler lassen sich dabei von der Natur inspirieren. Denn gewisse Tierrassen sind von Natur aus aussergewöhnlich muskulös. Das Geheimnis dieser «Doppellender» ist ein Gendefekt, welcher zu einer reduzierten Produktion von Myostatin führt, was sie wie Bodybuilder aussehen lässt. Myostatin ist ein Protein, das das Muskelwachstum bremst. Wird das Gen, das für die Produktion von Myostatin verantwortlich ist, mittels CRISPR/Cas so verändert, dass weniger davon gebildet wird, kann dieser Zustand nachgeahmt werden. Dazu soll lediglich ein einziges Basenpaar des entsprechenden Gens ausgetauscht werden.

Da die Genschere aber oft nicht nur an der gewünschten Stelle schneidet, können unerwünschte Nebeneffekte auftreten. Solche Nichtzieleffekte verursachen gesundheitliche Beschwerden. Von der Entwicklung zusätzlicher Rippen über abnormal vergrösserte Zungen bis hin zu Nachkommen, die zu gross für eine natürliche Geburt sind, um nur einige zu nennen.

Diese Veränderungen beweisen, dass die Wirkungsweise der Gene und die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen ihnen nur ansatzweise verstanden werden. Davor warnt sogar Se-Jin Lee, einer der Entdecker des Myostatin-Gens. Ungehemmtes Muskelwachstum ist ein Merkmal sogenannter Qualzucht und daher unethisch. Diese Tiere leiden von Geburt an, das Skelett und die inneren Organe sind von der übertrieben grossen Muskelmasse überfordert. Auch wenn dieses Fleisch an sich unbedenklich sein sollte, ist es fraglich, ob man sich ein solches Schnitzel noch gerne schmecken lässt. Wenn die hohe Leistung die Tiere bereits heute gesundheitlich überfordert, darf die Züchtung nicht noch höhere Ziele setzen. Denn Tiere sind unsere Mitgeschöpfe, nicht Produkte, die der Mensch nach seinen eigenen Wunschvorstellungen verändern darf. Zwar bringen die auf das Extremste gesteigerten Leistungen auf der einer Seite Gewinne, die Verluste andererseits – weniger widerstandsfähige Tiere, hohe Todesraten – zeigen, dass ein solcher Ansatz auch ökonomisch nur kurzfristig wirken kann.

Titelbild106 
(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 106

UN-Bericht zu weltweitem Biodiversitätsverlust

Zuerst die schlechte Nachricht: Eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen veröffentlicht Besorgniserregendes zum Thema Biodiversität: Das Artensterben kann nicht mehr verneint werden. Der Mensch und seine Lebensweise sind für die beschriebene Entwicklung verantwortlich, das geht aus dem Bericht zweifelsfrei hervor. Die zunehmende Überbauung der Landschaften und der weiter wachsende Konsum belasten die Erde und damit auch die Biodiversität. In einem 1500 Seiten starken Dokument wurden weltweit Daten aus verschiedensten Quellen gesammelt und zusammengefasst. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Für Gegenmassnahmen ist es noch nicht zu spät.

Text: Kathrin Graffe

Speziell das Insektensterben ist ein immer wieder kontrovers diskutiertes Thema, befeuert von persönlichen Beobachtungen wie weniger Insekten auf der Windschutz­scheibe, weniger Mücken beim Apéro oder Wespen am Esstisch. Ist es nun ein Gerücht, oder ist was dran an diesen persönlichen Beobachtungen oder Meldun­gen in der Presse? Seit Mai gibt es nun handfeste Fakten zum Thema Artensterben und Biodiversität.

Der «Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services», der vom Weltbiodiversitätsrat IPBES (Inter­governmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) veröffentlicht wurde, stellt Forschungsergebnisse zumVerlust der Biodiversität in Afrika, Amerika, Europa, Zentralasien und Asien Pazifik zusammen. Das Ziel war es, ein möglichst globales Bild aus verschiedenen Perspekti­ven zu schaffen und eine Grundlage zu schaffen, um Probleme gemeinsam inter­national angehen zu können. Lokale Projekte und Ideen sind sinnvoll und wichtig, aber eine Vernetzung ist unerlässlich und erhöht die Wirksamkeit von Massnahmen. «Politik, Anstrengungen und Aktionen – auf allen Ebenen – werden jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf dem besten Wissen und den besten Erkenntnissen basieren. Das bietet das IPBES Global Assessment», ist der IPBES­ Vorsitzende Robert Watson überzeugt. 2012 gegründet, ist IPBES ist ein relativ junges UN-­Organ, ein zwischenstaatliches Gremium, das helfen soll, umweltpolitische Entscheidungen nach bestem Stand des Wissens zu treffen. IPBES hat bereits mehrere Veröffentlichun­gen zu regional und thematisch beschränkten Themen gemacht, zum Beispiel auch zum Thema Bestäuber und Nahrungsmittel­produktion, und legt nun zum ersten Mal einen globalen Bericht vor. 150 Wissen­schaftler aus 50 Ländern waren beteiligt und zwar, das ist neu, nicht nur Natur­wissenschaftler, sondern auch ein grosser Teil Sozialwissenschaftler und Praktiker. So wurde auch indigenes und lokales Wissen berücksichtigt.

Artensterben in Zahlen

Fokus 106 Felder
(Bild: Shutterstock)

Die Hauptaussage des Assessments: Das Artensterben, der Rückgang der Biodi­versität, kann nicht mehr verneint werden. Die Schnelligkeit, mit der Arten ausster­ben, liegt mindestens 10­mal höher als im Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre. Eine Million der derzeit existierenden acht Millionen Tier­- und Pflanzenarten drohen auszusterben, viele in den kom­menden Jahrzehnten. Dabei trifft es beson­ders die Amphibien wie Molche, Kröten oder Frösche, die zu 40 Prozent als bedroht gelten. Nicht viel besser geht es den Korallen, Haien und Meeressäugern mit etwa 30 Prozent. Die Zahl der bedrohten Insektenarten liegt bei etwa 10 Prozent. Waldflächen sind enorm zurück­gegangen. In 13 Jahren (2000 bis 2013) nahm die Waldfläche international um 7 Prozent ab. Zwischen 1980 und 2000 wurden in den Tropen 100 Millionen Hektar in Landwirtschaftsfläche umgewandelt, die Hälfte davon war vorher Wald. Das sind die Ergebnisse. Man fragt sich: Warum ist es so weit gekommen? Und noch wichtiger: Haben wir noch eine Chance, das Ruder herumzureissen? Der Mensch und seine Lebensweise sind für die beschriebene Entwicklung verantwortlich, das geht aus dem Bericht zweifelsfrei hervor. Die immer weiter wachsende Bevölkerung und der zunehmende Konsum belasten die Erde und damit auch die Bio­diversität. Konkret zurückzuführen ist dies auf den Verlust von Lebensraum bezie­hungsweise die Landnutzungsänderung durch die zunehmende Überbauung der Landschaften, die landwirtschaftliche Nutzung, den Abbau natürlicher Ressourcen (Jagd und Fischerei), Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten.

Intensive Landwirtschaft ist die Hauptursache

Fokus 106 Waldrodung
Der grösste Teil der Erdoberfläche ist in irgendeiner Form durch den Menschen verändert worden. Die Fläche der angebauten Nutzpflanzen hat sich seit 1970 vervierfacht. Man zielt auf besonders hohe Erträge ab, weshalb grosse Mengen an Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt werden. (Bild: Shutterstock)

Der Verlust von Lebensraum steht dabei in Bezug auf die Auswirkungen an erster Stelle. 75 Prozent der Erdoberfläche sind in irgendeiner Form durch den Menschen verändert worden und die Fläche der ange­bauten Nutzpflanzen hat sich seit 1970 vervierfacht, so steht es im Bericht. Das Fazit von Prof. Dr. Ralf Seppelt – Leitautor im Kapitel «Szenarien und Wege in eine nach­haltige Zukunft»: «Neben dem Klimawandel spielt die Ausbreitung invasiver Arten in Gebieten, in denen diese normalerweise nicht vorkommen, eine Rolle. Den grössten Einfluss hat eine intensive Landwirtschaft und die damit verbundenen Emissionen: Mehr Fläche wird für Weidewirtschaft und Ackerbau genutzt. Und man zielt auf besonders hohe Erträge ab, weshalb man massiv Dünge­- und Schädlingsbekämp­fungsmittel nutzt.» Der vorherrschende Anbau in Monokulturen – nur etwa 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird derzeit als kleinräumige Fläche genutzt, wo besonders häufig Gentechsaat­gut kultiviert wird, impliziert an sich schon weniger Diversität. Entgegen der Versprechen der klassischen Gentechnik brauchen diese Kulturen nicht weniger, sondern mehr Dünger und Pestizide und bieten eine einseitige Nahrungsgrundlage für wenige Arten, wie Erhebungen, bei­spielsweise auch des US-­Landwirtschafts­ministeriums, zeigen.

Agrarökologie statt Biotechnologie

Fokus 106 Salamander
Die Schnelligkeit, mit der Arten aussterben, hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Bei den bedrohten Arten trifft es besonders die Amphibien wie Molche, Kröten oder Frösche, die zu 40 Prozent als bedroht gelten. Auch rund 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind akut gefährdet. (Bild: Shutterstock)

Jetzt kommt die gute Nachricht: Laut der IPBES-­Studie haben wir eine Chance, den Zerfall der Biodiversität zu stoppen. Die Botschaft ist allerdings, dass ein radikales Umdenken notwendig ist, um die prog­nostizierte Entwicklung zu verhindern. So halten es die Wissenschaftler beispielsweise für essentiell, das Bewusstsein, dass die Natur durch unseren Konsum belastet wird, zu stärken, den Naturschutz und lokale nachhaltige Wirtschaft zu fördern und Anreize und aber auch Sanktionen zu schaffen, um die Umweltverschmutzung zu reduzieren. In der Landwirtschaft plädieren die Autoren für ökologische Anbaumethoden und eine Landschaftsplanung, die Nahrungssicherheit, Sicherung des Lebens­unterhalts und Arterhaltung berücksichtigt. Josef Settele vom Helmholtz­-Zentrum für Umweltforschung, sagt dazu konkret in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung», er sei nicht für ein generelles Ver­bot von Pestiziden, jedoch sei er der Meinung, dass «der Einsatz dieser Mittel deutlich zurückgefahren werden könnte, ohne dass die Produktion darunter leidet». Der Bericht fordert also unter anderem eine nachhaltigere Landwirtschaft ohne Pestizide, die vor allem Insekten schaden. Weniger Insekten bedeutet weniger Bestäuber mit den bekannten dramatischen Folgen für die Landwirtschaft, weniger Nahrung für insektenfressende Tiere und natürlich schädliche Auswirkungen auf das Ökosystem als Ganzes.

Das hat direkte Auswirkungen auf die Biodiversität. Die FAO unterstützt diese Haltung in ihrem neuen «10-­Punkte­-Pro­gramm für die globale Landwirtschaft der Zukunft»: Demnach sind diversifizierte agroökologische Systeme widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten oder extremen Wetterbedingungen. Nach dem Hurricane Mitch 1998 beispielsweise konnten mess­bare Unterschiede in Bezug auf Erosion und Ertrag beim Vergleich verschiedener Anbaumethoden ermittelt werden. Auch sehen sie Regierungen in der Pflicht, Land­wirtschaftsbetriebe beim Umbau zu nachhaltiger Landwirtschaft zu unterstützen und dafür Anreize zu schaffen – lokal, national und global.

Synthetische Biologie wird zum Umweltrisiko

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die Studie «Frontiers 2018/19» der UN. Darin wird die synthetische Biologie als eine von fünf Hauptbedrohungen für die Umwelt gewertet, besonders die Ver­wendung von Gene Drives: «Die Freisetzung von genmanipulierten Organismen, die zufällig oder absichtlich in die Umwelt gelangen, hat berechtigte Besorgnis betref­fend Biosicherheit und unvorhersehbaren Konsequenzen hervorgerufen.» Für die Sorge wegen möglicher artenübergreifen­der Kreuzkontaminationen, unbekannter ökologischer Wechselwirkungen und Effekte auf Ökosysteme gibt es noch keine Lösung. Ähnlich kritisch äussert sich der Bericht zur Möglichkeit, mit Hilfe von Klonen und Rückzüchtungen bereits aus­gestorbene Tiere wieder zum Leben zu erwecken. Bis jetzt waren solche Projekte noch erfolglos. Sollte dies aber einst gelingen, ist nicht vorauszusehen, wie ein vormals ausgestorbenes Tier auf die jetzige Umwelt reagieren wird, unter anderem in Bezug auf Krankheiten. In solchen techno­logischen Ansätzen scheint also keine Lösung für das Artensterben zu schlummern.

All dies erweckt den Eindruck, dass alle erkannt haben, dass die Lage ernst ist. Man scheint zu wissen, was zu tun ist und was nicht. Ob auch Taten folgen, wird sich weisen. Anstatt auf diese zu warten, kön­nen wir schon mal bei uns selbst anfangen und uns überlegen, welchen Beitrag wir selbst leisten können. Zum Beispiel die Unterstützung der Doppelinitiative Biodi­versität und Landwirtschaft. Sie wurde kürzlich lanciert und zielt auf den Schutz der Biodiversität.


Biodiversität kurz erklärt:
Die Biodiversität lässt sich auf drei Ebenen beschreiben: die Vielfalt der Gene, die Vielfalt der Arten und die Vielfalt der Lebensräume. Die drei Ebenen der Biodiversität sind eng und dynamisch miteinander verknüpft. Die Arten brauchen zum Überleben geeignete Lebensräume. Innerhalb der Arten ist eine ausreichende genetische Variabilität unerlässlich. Die Vielfalt der Wechselbeziehungen innerhalb und zwischen den drei Ebenen wird auch als funktionale Biodiversität bezeichnet.
Quelle: naturwissenschaften.ch


Biodiversitäts- und Landschaftsinitiative:
Politik und Behörden versagen beim Schutz von Biodiversität und Landschaft. So kann es nicht wei-tergehen! Mit zwei Volksinitiativen geben die Umweltverbände jetzt Gegensteuer. Die Sammlung läuft.
Die Biodiversitätsinitiative fordert mehr Fläche und mehr Geld für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität und sorgt dafür, dass Natur, Landschaft und das baukulturelle Erbe stärker be-rücksichtigt werden.
Die Landschaftsinitiative stellt dieTrennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet sicher. Die Zahl undder Flächenverbrauch der Gebäudeausserhalb von Bauzonen sollen künftig nicht mehr zunehmen.
Mehr dazu: biodiversitaet-landschaft.ch