Gemeinsam können wir die Pläne der Konzerne durchkreuzen und die gentechfreie Landwirtschaft erhalten. Unterzeichnen Sie jetzt die eidgenössische Volksinitiative zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt!
Vielfalt statt Gentechnik - wir feiern die Vielfalt! Mit Sonderausstellung zur Gentechnik, Ständen von regionalen Bio-Produzenten, Führungen, Degustationen, Kulturprogramm
Die SAG beobachtet die Entwicklungen in der Nanotechnologie bei Lebensmitteln, Gebrauchsartikeln und in der Landwirtschaft seit Längerem kritisch. Ausführliche Informationen dazu auf der Unterseite Nanotechnologie.
Brasilien hat als weltweit erstes Land genmanipuliertes Zuckerrohr für den kommerziellen Anbau zugelassen. Das Gift, das die Pflanze produziert, soll den Zuckerrohrbohrer schädigen. Resistenzen und Verunreinigungen von konventionellem Zucker sind bereits vorprogrammiert.
Text: Denise Battaglia
Die Zulassung des gentechnisch veränderten Zuckerrohrs des brasilianischen Centro de Tecnologia Canavieira (CTC) ist, so weit weg sie uns scheint, nicht belanglos. Brasilien ist der grösste Zuckerrohrproduzent der Welt. Mit 600 Millionen Tonnen produziert das Land rund ein Viertel der weltweiten Zuckermenge. Das südamerikanische Land exportiert seinen Zucker in etwa 150 Länder. Das Technologiezentrum, welches das Gentech-Zuckerrohr entwickelte, hat Grosses vor: Gemäss dem Geschäftsführer Gustavo Leite soll künftig auf 15 Prozent der insgesamt 10 Millionen Hektar grossen Anbaufläche von Zuckerrohr gentechnisch veränderter Zucker wachsen, also auf rund 1,5 Millionen Hektaren. Das entspricht fast der Hälfte der Fläche der Schweiz.
Bt ist die Abkürzung für das Bakterium Bacillus thuringiensis, das in die Zuckerrohrpflanze eingeschleust wurde. Das artfremde Gen sorgt dafür, dass die Pflanze konstant ein Gift absondert, sogenannte Bt-Toxine, so dass die Insektenlarven, die an den Pflanzen fressen, getötet werden. Das Bt-Zuckerrohr soll damit den Zuckerrohrbohrer (Diatraea saccharalis) unschädlich machen. Das Insekt sorgt gemäss CTC für einen geschätzten Ernteausfall im Wert von jährlich anderthalb Milliarden US-Dollar.
Verunreinigung des konventionellen Zuckers?
(Bild: Rudhart, Greenpeace)
Das tönt nach viel. Jochen Koester, Gründungs- und Vorstandsmitglied des deutschen Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) relativiert aber. Die Anbauzulassung in Brasilien habe ihn «sehr überrascht». Der Schädlingsbefall sei bei Zuckerrohr bei weitem nicht so gross wie beispielsweise bei Mais. «Man könnte den Schädling problemlos mit anderen Methoden in Schach halten», sagt er. Schädlinge vermehren sich zudem in Monokulturen oft viel schneller als in Mischkulturen. Für Koester sieht es so aus, als ob man das gentechnisch veränderte Zuckerrohr zugelassen habe, weil man es nun einmal hat, ganz nach dem Motto «was machbar ist, wird gemacht». Koester sieht damit eine Menge Probleme auf die brasilianische Zuckerbranche zukommen. «Wenn jetzt ein paar Bauern damit anfangen, Gentech-Zuckerrohr anzubauen, dann wird es nicht lange dauern, bis konventionelle Zuckerplantagen und ganze Warenflusswege kontaminiert sind und man den konventionellen Zucker nicht mehr gentechfrei halten kann.» Beispiele für Kontaminationen durch den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen gibt es genug:
- In Kanada hat ein für kurze Zeit zugelassener gentechnisch veränderter Flachs (Leinsamen), obwohl kaum angebaut, in kurzer Zeit den konventionellen Flachs verunreinigt, was dem Land grosse Exportprobleme bescherte. Die exportierten Samen waren verunreinigt und konnten nicht verkauft werden. - In Mexiko, dem Ursprungsland des Maises, fand man Gene aus Gentech-Sorten in uralten Landsorten. Und eine vor kurzem veröffentlichte Studie zeigte, dass 90 Prozent der Tortillas in Mexiko Gentech-Spuren enthalten, obwohl der Anbau von Gentech-Mais in Mexiko nicht erlaubt ist.
Als Quelle der Verunreinigungen wird in Mexiko gemäss einem Bericht des Gen-ethischen Netzwerkes unter anderem die hohe Zahl von Mais-Importen aus den USA angenommen, die unkontrolliert und nicht gekennzeichnet als Futtermittel oder zur Verarbeitung in Nahrungsmitteln auf den Markt kommen. Solche Verunreinigungen wären in der Verarbeitung von Zuckerrohr zu Zucker nur mit vollständig getrennten Ernte-, Transport- und Lagerungsprozessen zu vermeiden. Dies aber führt zu enormen Kosten und wäre kaum rentabel. Koester fragt deshalb: «Wozu gentechnisch verändertes Zuckerrohr?»
Resistente Schädlinge nach ein paar Jahren
Das brasilianische Züchtungsunternehmen CTC will in den nächsten Jahren für die wichtigsten Anbauregionen Brasiliens angepasste Sorten ihres Bt-Zuckerrohrs auf den Markt bringen. Ausserdem sind Sorten geplant, welche zusätzlich auch gegen Herbizide resistent sind. (Bild: Clipdealer)
Bt-Pflanzen sind nichts Neues. Bt-Mais, Bt-Baumwolle oder Bt-Soja werden grossflächig vor allem in den USA, Brasilien, Indien und Südafrika angebaut. Damit wirbt denn auch der brasilianische Hersteller: Bt-Pflanzen seien seit 20 Jahren etabliert, schreibt er auf seiner Website. Was er verschweigt: Viele Schädlinge, welche die jeweiligen Bt-Pflanzen abtöten sollen, sind inzwischen resistent gegen das Gift. So haben zum Beispiel Studien mit Bt-Mais in Puerto Rico und auch in Brasilien gezeigt, dass schon nach wenigen Anbaujahren das Gift die Zielschädlinge nicht mehr gross zu schädigen vermag – der Schädling habe sich an das Gift angepasst. Die Agrarökologin Angelika Hilbeck gibt dem Gentech-Zuckerrohr «wenige Jahre», bis der Zuckerrohrbohrer resistent gegen ihn ist. Zum einen, weil der Zuckerrohrbohrer schon seit Jahrzehnten dem Bt-Mais ausgesetzt ist, den er ebenfalls gerne frisst, und daher eine gewisse Selektion für Resistenz bereits stattfindet, und zum anderen, weil US-amerikanische Wissenschaftler in diesem Schädling schon vor zehn Jahren Resistenzgene gegen Bt-Toxine bei Laborversuchen gefunden haben. Die brasilianischen Bauern, die das gentechnisch veränderte Zuckerrohr anbauen, werden wohl nur kurzfristig eine bessere Ernte einfahren, und dies auch nur dort, wo effektiv dieser Schädling den Ertrag senkt und die Ursache nicht anderswo zu suchen wäre. Doch nach einer kurzen Zeit mit Ertragssteigerungen werden die Bäuerinnen und Bauern gegen einen weiteren resistenten Schädling kämpfen, sagt Hilbeck. «Wer am meisten profitieren wird, ist der Hersteller.» Die ETH-Forscherin hat im Jahre 2009 in einer Studie mit Bt-Mais herausgefunden, dass dieser Mais nicht nur den Zielschädling vernichtet, sondern auch Nützlinge wie die Florfliege und der Marienkäfer schädigen kann. Obwohl die Hersteller stets beteuert hatten, dies sei nicht der Fall.
Studien weisen gemäss Angelika Hilbeck darauf hin, dass der Anbau von Bt-Pflanzen auch Verschiebungen in Insektengemeinschaften im Agrarökosystem oder auch in aquatischen Systemen auslösen kann. Welche Auswirkungen diese Veränderungen haben, wird sich erst in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten zeigen, und dies auch nur dann, wenn man diese Veränderungen überwacht. «Jede Verschiebung im System hat Folgen, und diese sind unberechenbar», gibt die Forscherin zu bedenken. Dass man so wenig über die Auswirkungen von Bt-Pflanzen weiss, liege daran, dass der Anbau nicht systematisch begleitet werde. «Die Agrochemie hat an ökologischen Langzeituntersuchungen kein Interesse und vermeidet sie deshalb.»
Essen wir bald Gentech-Zucker?
Brasilien stellt aus dem Zuckerrohr nicht nur weissen Zucker, Rohrzucker oder Schnaps her, sondern auch Bioethanol. Brasilien hat nach der Erdölkrise Ende der 1970er-Jahre beschlossen, sich unabhängiger von Erdöl zu machen. Das südamerikanische Land wandelt seither einen grossen Teil des vergärten Zuckers in Agrosprit um. An den Tanksäulen in Brasilien kann dieser als Benzinersatz oder als Zusatz im Treibstoff bezogen werden. (Bild: Clipdealer)
Sorgen bereitet der Anbau des gentechnisch manipulierten Zuckerrohrs auch in Brasilien. Rogério Magalhães vom brasilianischen Umweltministerium fürchtet insbesondere um die Biodiversität und verweist auf die unabhängigen – leider nicht sehr zahlreichen – Studien, welche belegen, dass das Bt-Toxin solcher gentechnisch veränderter Pflanzen «auch andere Insekten, Bodenfauna und Mikroorganismen schädigt», wie er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte.
Welche Auswirkungen hätte der Anbau von Gentech-Zucker in Brasilien für die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz und in Europa? Jochen Koester glaubt nicht, dass Europa und die Schweiz in den nächsten Jahren mit gentechnisch verändertem Rohrzucker oder raffiniertem weissen Zucker konfrontiert sein werden. Erstens wächst Zuckerrohr langsam, es werde in einem Zyklus von fünf bis sieben Jahren angebaut. Folg lich würden jährlich nur 20 Prozent der Anbaufläche neu bepflanzt. Zweitens stammt der Zucker, den wir in der Schweiz konsumieren, hauptsächlich aus hiesigen Zuckerrüben. Letztes Jahr importierte die Schweiz 15ʼ800 Kilogramm Zuckerrohr, der grösste Teil stammt aus Costa Rica, Ägypten und Uganda. Aus Brasilien hat die Schweiz, zumindest in den letzten drei Jahren, keinen Rohrzucker eingeführt, wie die Statistik der Eidgenössischen Zollverwaltung zeigt. Und drittens bräuchte es für die Einfuhr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln eine Bewilligung, und sie müssen als solche gekennzeichnet werden (siehe Box). Allerdings gibt es einen Toleranzwert. Unbeabsichtigte «Spuren» von gentechnisch veränderten Organismen bis zu einem Anteil von 0,5 Prozent werden in Lebensmitteln toleriert. So wurden zum Beispiel schon Spuren von Gentech-Reis in amerikanischem Langkornreis in der Schweiz gefunden und Spuren von Gentech-Mais in konventionellem Mais in Europa.
Bewilligung für Gentech-Lebensmittel
Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten oder die daraus gewonnen wurden, dürfen in der Schweiz nur mit einer Bewilligung in Verkehr gebracht werden. Sind die Produkte für Konsumentinnen und Konsumenten bestimmt, müssen sie zudem (mit «GVO») gekennzeichnet sein. Gentechnisch veränderte Lebensmittel werden in einem Bewilligungsverfahren vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) beurteilt. Das BLV erteile die Bewilligung nur, wenn nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft «eine Gefährdung von Gesundheit und Umwelt ausgeschlossen werden kann», wie die Behörde auf ihrer Website schreibt. In der Schweiz sind gemäss dem BLV zurzeit eine Sojalinie, drei Maislinien, zwei Vitamine, zwei Labfermente und zwei Verarbeitungshilfsstoffe, die gentechnisch verändert worden sind, zur Verwendung in Lebensmitteln bewilligt.
Die industrielle Landwirtschaft und die Varroa-Milbe haben den Bienenbestand weltweit stark dezimiert. Nun wollen Forscher die Bienen mit den neuen gentechnischen Verfahren an die industrielle Landwirtschaft anpassen. Gentechnikexperte Christoph Then warnt vor diesen unberechenbaren Eingriffen am wichtigsten Bestäuber.
Text: Denise Battaglia
Bienen bestäuben rund 80 Prozent der Pflanzen. Wir verdanken ihrem Pollentransport Früchte und Obst, Ölsaaten wie Raps, auch Nüsse und Gemüse. Seit der Ausstrahlung des Dokumentarfilms «More than Honey» des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof weiss auch jeder Nichtimker: Den Bienen geht es nicht gut. In China müssen in bestimmten Regionen die Blüten von Menschenhand bestäubt werden, weil es keine Bienen mehr gibt. Im Jahr 2016 riefen die USA die Biene zur gefährdeten Art aus. Auch hierzulande hat der Bundesrat einen Massnahmenplan «für die Gesundheit der Bienen» verabschiedet, weil der Bestand an Honigbienen und Wildbienen stark rückläufig ist.
Frühere Hochkulturen haben die Biene verehrt. Für die Ägypter, die schon vor 3000 Jahren Honigbienen züchteten, war der Honig eine Götterspeise. Die Bienen sind in den Heiligtümern ägyptischer Tempel abgebildet. Nach der Überlieferung sind die Bienen göttlicher Herkunft: Sie entstanden aus den Tränen des Sonnengottes Re, dem wichtigsten altägyptischen Gott. Auch im antiken Griechenland galten die Bienen als «Boten der Götter».
Nun steht die Biene im Fokus der Gentechnik
(Bild: Fotolia)
Für den modernen Menschen ist die Biene, die rund 17 Millionen Jahre vor dem Menschen die Erde bevölkert hat, kein Götterbote mehr, sondern bestenfalls ein Mittel zum Zweck (der effizienten Bestäubung und Honigproduktion). Die industrielle Landwirtschaft mit ihren (gentechnisch veränderten) Monokulturen und ihrem Pestizid einsatz steht im Verdacht, neben der Varroa-Milbe mit verantwortlich für das weltweite Bienensterben zu sein: Die Monokulturen haben die Vielfalt des Bienenfutters reduziert und Studien verweisen darauf, dass die in den Pestiziden enthaltenen Wirkstoffe wie Neonicotinoide und Glyphosat die Bienen schwächen könnten. «Bienen hatten über Millionen von Jahren eine wunderbare Nahrung, die genau ihre Ansprüche erfüllte», sagte der Bienen forscher Jay Evans vom US-Landwirtschaftsministerium in einem Interview gegenüber dem deutschen Fernsehsender ARD. «Mit zusätzlichen Chemikalien kommen sie deshalb nicht klar.» Doch die Konsequenz dieser Erkenntnis ist nicht, die industrielle Landwirtschaft in Frage zu stellen. Die Konsequenz des modernen Menschen ist, zu versuchen, neue Bienen herzustellen, die mit den Chemikalien «klarkommen». Mit den neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas9 will man die Insekten zum Beispiel resistenter gegen Pestizide machen. Christoph Then vom deutschen Institut Testbiotech warnt vor Eingriffen in das Erbgut der Biene. «Wir haben eine Dimension der gentechnischen Manipulierbarkeit erreicht, die ich für sehr gefährlich halte.»
Herr Then, in den USA, wo gentechnisch veränderte Pflanzen grossflächig angebaut werden, steht die Biene auf der Liste der gefährdeten Arten. Schädigen gentechnisch veränderte Pflanzen die Bienen doch? Christoph Then: Der Zusammenhang zwischen dem Bienensterben in den USA und dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen wurde meines Wissens nicht nachgewiesen. Womöglich ist es in den USA gar nicht mehr möglich, neben Bienen, die Gentechpflanzen anfliegen, noch eine Kontrollgruppe zu untersuchen, die keinen Kontakt zu Gentechpflanzen hat. Vermutlich sind die Bienen gegenüber dem Bt-Gift alleine relativ unempfindlich. Studien weisen aber darauf hin, dass Bienen auf das vom Bt-Mais permanent produzierte Insektengift empfindlich reagieren, wenn sie von Darmparasiten befallen, also geschwächt sind. Andere Studien zeigen, dass sich die Wirkung des Bt-Insektengiftes verstärken kann, wenn sie mit Umweltgiften, Krankheitserregern oder Pestiziden interagieren. Das könnte auch Bienen betreffen.
Die Frage, ob das Bt-Toxin Bienen mit Darmparasiten schädigt, wurde bis heute nicht geklärt. Warum? Eine Studie von Forschern der Universität Jena konnte nicht weitergeführt werden. Nach den Hinweisen darauf, dass die Wirkung des Insektengifts auf Bienen durch Wechselwirkung mit Darmparasiten verstärkt wird, wurden keine weiteren Mittel für das Projekt bewilligt.
Nach anderen Studien beinträchtigt das Bt-Gift die Lernfähigkeit von Bienen. Ja, aber die Industrie sagt, dass den Bienen in diesen Untersuchungen mehr Bt-Gift verabreicht worden sei, als sie auf ihrem Pollenflug aufnehmen würden. Auch hier bräuchte es weitere Untersuchungen.
Die Biene soll nun mittels Gentechnik vor dem Aussterben gerettet werden. Monsanto will unter anderem biologisch aktive Stoffe, sogenannte mikroRNA, die mit Hilfe von Gentechnik hergestellt wird, in das Futter von Bienen mischen. Die Idee dahinter: Die Bienen nehmen diese Stoffe auf und geben sie an Parasiten wie die Varroa-Milben weiter, wenn diese den Bienenstock befallen. Bei den Milben sollen diese Stoffe dann in die Genregulation eingreifen und so die Parasiten abtöten. Das ist ein Verfahren, das mit vielen Risiken behaftet ist. Diese Stoffe würden auch im Honig landen. Insgesamt will die Industrie die Bienen an die Umweltbelastungen anpassen und nicht umgekehrt eine bienenfreundliche Umwelt schaffen. Dafür sollen auch die neuen Gentechnikverfahren verwendet werden.
Mit gentechnischen Eingriffen bei Bienen und anderen Insekten wird eine wichtige Grenze überschritten. Man versucht, wildlebende Populationen gentechnisch zu verändern, die auf vielen Ebenen mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Dies ist eine neue Dimension der Risiken. Ein solcher Eingriff kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, sollte etwas schieflaufen. (Bild: Fotolia)
Sie meinen die neuen Gentechnikmethoden wie CRISPR/Cas9? Genau. Diese neuen Gentechniken haben das Spielfeld massiv erweitert. Man will jetzt auch natürliche Populationen gentechnisch verändern, nicht wie bisher Ackerpflanzen. So will man unter anderem Mücken und Fruchtfliegen bekämpfen oder Bienen resistent gegen Pestizide oder die Varroa-Milbe machen. Diese Entwicklung hat eine ungeheure Dynamik und eine neue Dimension der Risiken. Wenn nun frei fliegende Insekten gentechnisch verändert werden, dann verlieren wir die Kontrolle – wir können nicht mehr eingreifen, wenn etwas schiefgeht.
Die Anwender sagen, es gehe ihnen bei den Bienen um deren Schutz. Letztlich geht es oft um kurzfristige Profite. Mit der alten Gentechnik wollte man den Einsatz von Pestiziden verringern. Mit den neuen Gentechniken will man angeblich bedrohte Arten retten. Dass es aber um Profite geht, erkennt man daran, dass die Firmen Patente auf die Technologien und die Organismen anmelden – jüngst zum Beispiel ein Patent auf gentechnisch veränderte Bakterien, die den Darm von Bienen besiedeln sollen. Und auch die gentechnisch veränderten Insekten werden patentiert.
Ist es etwas anderes, ob man Pflanzen gentechnisch verändert oder Bienen? Mit Insekten wie Bienen wird eine wichtige Grenze überschritten. Man versucht nun, wildlebende Populationen gentechnisch zu verändern, die auf vielen Ebenen mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Bisher hat man versucht, die Gentechnik auf das Labor oder den Acker zu begrenzen.
Die Anwender von CRISPR/Cas9 sagen, dass diese Technik sehr präzise sei. Man beruhigt die Politiker und die Bevölkerung mit der angeblichen Präzision der neuen Gentechniken. Tatsächlich sind die neuen Verfahren präziser – aber keineswegs fehlerfrei. Mit der Behauptung der «Präzision» – die Medien und Politiker oft zu unkritisch von der Gentechlobby übernehmen – soll verhindert werden, dass man über die Risiken diskutiert.
Welche Risiken bergen denn die neuen Gentechverfahren? Wie bei den alten Gentechnikverfahren greift man auch bei den neuen – anders als bei der konventionellen Züchtung – direkt ins Erbgut ein und umgeht so die natürlichen Mechanismen der Vererbung und der Genregulation. Dabei kann es zu ungewollten Veränderungen der Struktur der Gene, der Genregulation, der Wechselwirkungen und der genetischen Netzwerke kommen. Das kann bei gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren − unabhängig davon, ob diese mit neuer oder alter Gentechnik manipuliert werden − sehr unterschiedliche Folgen haben. Grundsätzlich ist das Risiko höher, wenn man die Gentechnik bei wildlebenden Populationen anwendet. Aber auch ein Gentechnikpilz, der nach dem Schneiden nicht mehr braun wird, weil natürliche Genanlagen mit der Genschere entfernt wurden, kann in seinem Stoffwechsel so verändert sein, dass er für Menschen ungeniessbar wird.
Vielleicht funktioniert das, was sich die Anwender vorstellen, gar nicht? Die alte Gentechnik hat auch nicht, wie von der Industrie prophezeit, den Welthunger beseitigt oder den Pestizideinsatz verringert. Ob die Technik das bringt, was die Anwender sich ausdenken, ist oft gar nicht entscheidend. Der Punkt ist: Die neuen Gentechniken haben die Möglichkeiten zur Manipulation des Erbguts erheblich ausgeweitet. Diese Machbarkeit ist eine grosse Herausforderung für die Gesellschaft. Denn damit nehmen die Einsatzmöglichkeiten wie die Risiken zu. Eine Biene, die in ihrem Darm gentechnisch veränderte Bakterien transportiert und in der Umwelt verteilt, ist ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt. Das gilt auch dann, wenn die Bakterien sich im Darm der Bienen nicht so verhalten, wie eine Firma dies gerne hätte. Wir haben eine Dimension der gentechnischen Manipulierbarkeit erreicht, die ich für sehr gefährlich halte.
Was wäre zu tun? Wir müssen über diese neuen Technologien eine gesamtgesellschaftliche Debatte führen: über Risiken, Verantwortung, Interessen, über Werte und Grenzen. Politik und Medien sind oft nicht auf dem aktuellen Wissensstand und unterschätzen die Risiken. Insgesamt erhält die neue Gentechnik noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigte. Diese Technologien entwickeln sich sprunghaft weiter. Mit der grossen Dynamik der Entwicklung droht der Gesellschaft die Kontrolle zu entgleiten. Die moderne Gesellschaft steht hier vor grossen Herausforderungen.
Testbiotech ist ein im Jahre 2008 von Tierarzt Christoph Then mitgegründetes Institut in München, das den Einsatz von Gentechnik kritisch hinterfragt und sich mit möglichen Auswirkungen und Folgen für Mensch und Umwelt auseinandersetzt. Testbiotech stellt von der Gentechnikindustrie unabhängige, wissenschaftliche Expertisen bereit und leistet damit einen Beitrag, die Entscheidungskompetenz von Politik und Gesellschaft zu stärken. www.testbiotech.org
Oxitec, ein britisches Unternehmen, hat gentechnisch veränderte Mücken freigelassen, die sich nicht mehr fortpflanzen können, um die Population zu verkleinern. Der Erfolg lässt auf sich warten. Wurde mit öffentlichen Geldern einem kommerziellen Unternehmen gestattet, einen irreführenden Hype um den Nutzen seiner Technologie zu verbreiten?
Text: Helen Wallace, GeneWatch UK
Den männlichen Mücken hat das britische Biotechunternehmen Oxitec erstens ein fluoreszierendes Markergen ins Genom eingefügt und zweitens eine Art «Tötungsgen». Dieses bewirkt, dass die meisten (aber nicht alle) Nachkommen dieser Mücke bereits als Larven sterben, sich also nicht fortpflanzen werden. Wiederholte Freisetzungen vieler Millionen oder gar Milliarden solcher GV-Männchen, die die Zahl der wilden männlichen Moskitos bei weitem übersteigen, sollen die gesamte erwachsene Mückenpopulation im Laufe der Zeit verkleinern. Im Jahre 2008 hat Oxitec damit begonnen, auf den Kaimaninseln, in Malaysia, Panama und Brasilien solche gentechnisch veränderten Mücken der Art Aedes aegypti versuchsweise in der Umwelt freizusetzen.
Die Aedes aegypti übertragen die tropischen Krankheiten Denguefieber, Zika und das Chikungunyafieber.
Keine Hinweise auf Rückgang der Mückenpopulation
(Bild: Shutterstock)
Die Firma behauptete immer wieder, dass ihre Experimente erfolgreich und der Bestand der Aedes-aegypti-Populationen um über 90 Prozent reduziert worden seien. Doch ein von GeneWatch UK kürzlich veröffentlichter Bericht zu diesen GV-Mücken,1 der auf veröffentlichten Resultaten der «Versuchs»-Länder basiert, kann diese Erfolgsquote nicht bestätigen. Es gibt weder Hinweise auf eine Verkleinerung der Population der weiblichen Moskitos, welche die Krankheiten übertragen, noch auf einen Rückgang der Infektionsraten. Nur die weiblichen Mücken stechen und können Krankheiten übertragen. Auch gemäss einer Analyse neuer Daten, die auf Druck öffentlich zugängig wurden, gibt es «keine signifikante Abnahme der Häufigkeit von Aedes aegypti im Freisetzungsgebiet», wie die Wissenschaftler des Mosquito Control and Research Unit (MRCU) auf den Kaimaninseln feststellen mussten.
Nach dem Bericht von GeneWatch UK hat sich die Zahl der weiblichen Moskitos auf den Kaimaninseln im Freisetzungsgebiet sogar erhöht. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass nicht nur männliche genetisch veränderte Mücken freigesetzt wurden, sondern unbeabsichtigt auch eine grosse Zahl weibliche GV-Mücken. Durch diese ungewollte Freisetzung stechender weiblicher Moskitos kann die Ausbreitung von Krankheiten bei der lokalen Bevölkerung während dieser Experimente erhöht werden, statt dass sie verringert wird, wie dies Oxitec propagiert.
Worauf beruht die Risikoprüfung?
Seit 2008 wurden auf den Kaimaninseln Millionen von gentechnisch veränderten Mücken freigesetzt. Doch die Versuche habe bislang keinen Erfolg gebracht. Die Zahl der weiblichen Mücken ist gar gestiegen. (Bild: Shutterstock)
Es gibt zudem Bedenken hinsichtlich der Kosten für die Technologie. Es gibt Hinweise, dass Oxitec gravierende Probleme bei der Produktion der GV-Mücken hat. All dies wirft wichtige Fragen auf: Wurden und werden die Öffentlichkeit, die Gesundheitsministerien, die Behörden, die für die Mückenbekämpfung verantwortlich sind, und auch Intrexon, die Oxitec vor drei Jahren übernahm, falsch über die Wirksamkeit der Gentechmücken und die Kosten informiert?
Oxitec war ursprünglich ein Spin-off-Unternehmen der Universität Oxford. Die wichtigsten Investoren in der Frühphase der Firma waren die Universität, Oxford Capital Partners und das US-Unternehmen East Hill Management. Die Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des jungen Unternehmens wurden durch zahlreiche öffentliche Forschungszuschüsse gefördert. Im September 2015 erwarb die Intrexon Corporation, ein US-Biotechkonzern, Oxitec für 160 Millionen US-Dollar – bezahlt mit einer Mischung aus Bargeld und Aktien. Die Behauptung, mit den GV-Mücken werde die Aedes-aegypti-Population um 90 Prozent reduziert, wurde in den Pressemitteilungen besonders hervorgehoben, welche beide Unternehmen bei der Übernahme publizierten. Wenn sich diese Angaben aber nicht auf Datenerhebungen stützten, wirft dies Fragen zur Sorgfalt der durchgeführten Risikoprüfung auf. Eine solche Risikoprüfung wird durch das US-Recht vorgeschrieben. Dabei wird auch geprüft, ob die Investoren der Firmen richtig informiert worden sind. Hinzu kommt, dass Investitionen in neue Technologien, die in der Realität nicht funktionieren, Geld verschwenden und Leben gefährden.
Antibiotikum schaltet Tötungsmechanismus aus
GeneWatch hat in der Vergangenheit bereits mehrfach auf die Risiken der Freisetzun gen der Gentechmücken von Oxitec hingewiesen.2, 3 Bedenklich ist, dass einzelne GV-Mücken überleben und sich verbreiten – auch stechende und Krankheiten übertragende Weibchen. Das heisst, dass diese gentechnisch veränderten Mücken bis ins Erwachsenenalter überleben und sich fort pflanzen können. Für die Herstellung der GV-Männchen werden nicht einheimische Mückenstämme verwendet. Diese können neue Merkmale in die wilde Mückenpopulation einbringen, beispielsweise verschiedene krankheitsübertragende Eigenschaften. Ebenso ist nicht bekannt, welche Auswirkungen die Freisetzungen auf andere Arten haben, ob sich beispielsweise durch die Reduktion von Aedes-aegypti-Mücken die Aedes-albopictus-Mücken oder andere krankheitsübertragende Arten stark vermehren würden. Die Auswirkungen dieser freigelassenen Gentechmücken auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit sind bis heute nicht erforscht.
Dazu kommt, dass für die Zucht der männlichen Mücken das eingebaute Tötungsgen stillgelegt werden muss, das nach der Freisetzung dafür sorgt, dass die Nachkommen schon im Larvenstadium absterben. Dafür wird das Antibiotikum Tetracyclin eingesetzt: Es setzt wie ein chemischer Schalter den genetischen Tötungsmechanismus aus. Fehlt das Antibiotikum, sterben die Mücken. Stossen dagegen die frei gelassenen Mücken in der Umwelt auf ausreichend hohe Tetracyclin-Werte, kann der genetische Tötungsmechanismus deaktiviert werden oder die Mücken können eine Resistenz entwickeln. Dies würde die Mückenpopulation wieder vergrössern. Auch die Entsorgung des Antibiotikums Tetracyclin, das zur Züchtung der Gentech-Mücken im Labor verwendet wird, schafft Probleme, und ungeklärt ist auch, ob frei gesetzte GV-Mücken antibiotikaresistente Bakterien in der Umwelt verbreiten.
Internationale Richtlinien ignoriert
Diamantmotten befallen Kohlgewächse und andere Nutzpflanzen. Zur Bekämpfung sollen gentechnisch veränderte Motten freigesetzt werden. In Entwicklung sind auch Versuche mit GV-Olivenfliegen in Spanien und GV-Obstfliegen in Australien und Brasilien. (Bild: Wikipedia)
Überhaupt scheint man bei der Herstellung und Freisetzung dieser GV-Mücken einige Richtlinien ignoriert zu haben. GeneWatch konnte nachweisen, dass Oxitec die Anforderungen des «Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit» nicht erfüllt. Das internationale Übereinkommen umfasst eine Meldepflicht bei grenzüberschreitenden Lieferungen. Dies ist bei Oxitec der Fall, welche GV-Mückeneier in die Freisetzungsregionen aus dem Vereinigten Königreich exportiert. Das Protokoll schreibt ausserdem eine Risikobeurteilung vor, die den europäischen Normen entspricht. Doch veröffentlichte, zuverlässige Risikobewertungen fehlen bei den Freisetzungen von GV-Mücken. Die Menschen in den Freisetzungsgebieten wurden weder ausreichend über die Risiken informiert noch konnten sie den Versuchen in voller Kenntnis der Sachlage zustimmen.
Gentechschädlinge in der Landwirtschaft?
Trotz all dieser Bedenken plant Oxitec weitere experimentelle Freisetzungen auf den Kaimaninseln und in mehreren Städten Brasiliens. Gegenwärtig prüft die US-Umweltschutzbehörde (EPA) auch einen Antrag auf Freisetzung von GV-Mücken in Florida und Texas. Eine grossflächig angelegte kommerzielle Einführung dagegen wurde bis auf weiteres auf Eis gelegt. Oxitec hat auch eine Reihe von gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Schädlingen entwickelt. GV-Diamantmotten, die auch als Kohlmotten bekannt sind und Kohlgewächse und andere Nutzpflanzen fressen, sollen in Grossbritannien und in den USA freigesetzt werden. Ein kleiner Freisetzungsversuch mit solchen Motten wurde im Bundesstaat New York bereits durchgeführt. In Entwicklung sind Gentech-Olivenfliegen in Spanien und Gentech-Obstfliegen in Australien und Brasilien. Ein Problem dabei: Die weiblichen Nachkommen sterben meist im Larvenstadium, wenn sie sich bereits in der Pflanze befinden. Obst- und Gemüsepflanzen, die durch die GV-Larven bereits beschädigt sind und die daraus produzierten Nahrungs- oder Futtermittel können mit zahlreichen toten weiblichen GV-Maden kontaminiert sein, was in der Nahrungsmittelproduktion inakzeptabel ist.4 Die meisten dieser Freisetzungsanträge haben die Behörden deshalb abgelehnt oder aber die Entwicklung wurde vorzeitig eingestellt.
Mit beträchtlichen öffentlichen Geldern (aus unterschiedlichen Forschungs- und den Gesundheitsbudgets) wurde einem kommerziell ausgerichteten Unternehmen gestattet, einen irreführenden Hype um den Nutzen seiner Technologie zu verbreiten – ohne angemessene Risikobeurteilungen vor der unkontrollierten Freisetzung der Gentechmücken in der freien Natur. Es ist bedenklich, dass öffentliche Gelder für Unternehmen dieser Art verschwendet werden. Sie sollten besser in die Entwicklung und Umsetzung glaubwürdigerer und nachhaltigerer Alternativen investiert werden.
Unter einem Gentechdach: Insekten, Fisch und Obst
Das britische Unternehmen Oxitec wurde 2015 von Intrexon, einer US-amerikanischen Gesellschaft für synthetische Biologie, übernommen. Zu diesem Konzern gehören auch das Biotechunternehmen AquaBounty Technologies, das den ersten gentechnisch veränderten Lachs herstellte, sowie Okanagan Specialty Fruits, die gentechnisch manipulierte Äpfel entwickelt hat. Dem gentechnisch veränderten Lachs wurde ein Gen für ein Wachstumshormon eingebaut, damit er schneller das Schlachtgewicht erreicht, und ein Regulationsgen mit Antifrostproteinen, damit er auch in eiskalten Gewässern wächst. Der Lachs wird in Kanada bereits verkauft und darf ab dem nächsten Jahr auch in den USA verkauft werden. In Europa ist er verboten. Okanagan Specialty Fruits hat unter anderem Gentechäpfel hergestellt, die weniger schnell braun werden. Die so veränderten Sorten Arctic, Golden Delicious, Granny Smith sowie Fuji sind in Kanada und den USA für den Markt zugelassen worden.
Ähnlich wie bei der Entschlüsselung der Qumran Texte mit Bruchstücken noch nicht entzifferter hebräischer Schriftzüge werden beim Genome-Editing wenig bekannte Informationen – Gensequenzen, deren Auswirkungen auf den gesamten Organismus nur teilweise entschlüsselt sind – in den noch unbekannten Kontext des Genoms verschoben. (Bild: Osama SM Amin FRCP)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 102
Industrie beschönigt mit fragwürdigen Bildern
Beim Entscheid des Europäischen Gerichtshofes, die neuen Gentechnikverfahren dem Gentechnikrecht zu unterstellen, spielte die Frage der Risikoeinschätzung eine zentrale Rolle. Fürsprecher der Gentechnik plädieren mit einer aggressiven Kommunikationskampagne für eine weitgehende Deregulierung der Genom-Editierung. Der Entscheid des EuGH wird als «unwissenschaftlich und innovationsfeindlich» bezeichnet und Regulierungsbefürworter, welche eine konsequente Anwendung des im Umweltrecht verankerten Vorsorgeprinzips fordern, werden beleidigt.
Text: Zsofia Hock
Der Europäische Gerichtshof EuGH hat im Juli entschieden, dass Organismen, die mit neuen gentechnischen Verfahren wie der Genschere CRISPR/Cas erzeugt wurden, unter das europäische Gentechnikrecht fallen. Somit müssen Pflanzen, deren Erbgut mit solchen Methoden verändert wurde, als gentechnisch veränderte Organismen gekennzeichnet und geprüft werden. Das Urteil sorgte auf Seiten der Befürworter der neuen Verfahren für heftige Reaktionen und einen gehässigen Ton. In der Medienberichterstattung wird ein einseitiges Zerrbild eines absolut sicheren und präzisen, «natürlichen» Verfahrens vermittelt. Mögliche Risiken und grundsätzliche ethische Fragen werden kaum diskutiert. Argumente der kritischen Seite, unter denen sich nebst Konsumenten auch zahlreiche Fachspezialisten und Forscher befinden, kommen bei den meisten Medienberichten deutlich zu kurz.
Ein biologisches Textverarbeitungsprogramm
Am häufigsten wird mit der Präzision der neuen Verfahren geworben und der Entscheid des Europäischen Gerichtshofes als unlogisch apostrophiert und hinterfragt: Wie könnte eine hochpräzise Technologie riskanter sein als frühere, unpräzise Techniken? Buchstaben des Genoms zu editieren, zu löschen oder auszutauschen, wie mit einem Textverarbeitungsprogramm, das tönt leicht. In Wirklichkeit gibt es aber viele Stolpersteine. Der oft gebrauchte Vergleich hinkt. Nukleotide sind keine Buchstaben eines Textes, die nach Belieben gelöscht oder ausgetauscht werden können, sondern Moleküle, die eine oft komplexe Auswirkung auf andere Moleküle und somit auf den ganzen Organismus haben. Es gibt viele komplexe Interaktionen zwischen den Genen und den daraus resultierenden Proteinen, welche die Aktivität anderer Gene regulieren, aber auch zwischen dem Organismus und der Umwelt. Die Epigenetik hat zudem das Dogma gekippt, dass die Eigenschaften eines Organismus durch das vererbte Genmaterial unveränderbar bestimmt werden. Heute weiss man, dass Umweltveränderungen das Erbgut beeinflussen: Äussere Faktoren bestimmen im Zellkern, ob und in welchem Ausmass bestimmte Gene ein- und ausgeschaltet werden.
Wird ein einzelnes Nukleotid gelöscht oder ersetzt, kann dies also auf vielen verschiedenen Ebenen etwas bewirken. Einige Veränderungen werden sogar nur unter bestimmten agro-ökologischen Umständen sichtbar. Noch kennen die Forscher nur einen Bruchteil der involvierten Prozesse und noch weniger haben sie diese unter Kontrolle. Wenn man beim Vergleich mit dem Textverarbeitungsprogramm bleibt, wäre dies, als ob der Anwender der Software die Grammatik beziehungsweise die im Text verwendete Sprache kaum oder gar nicht beherrschen würde. Präzise bedeutet also nicht unbedingt sicher.
Die Genschere gleicht eher einer Kräuterhacke
Der oft gebrauchte Begriff «molekulare Genschere» vermittelt eine trügerische Botschaft über die Präzision der Methode. Die Funktion «Ausschneiden» arbeitet zwar relativ präzise und der Ort des Doppelstrangbruchs kann ziemlich genau festgelegt werden. Da die gleichen Gensequenzen auf einem Chromosom aber meist mehrfach vorhanden sind, und da Genscheren wie Cas9 aber auch schneiden, wenn keine absolute Übereinstimmung vorliegt, kommt es häufig zu mehreren Schnitten. Schwierigkeiten bereitet die Reparatur der getrennten Stränge. Sie werden meistens zufällig wieder zusammengefügt, unabhängig von ihrer Sequenz (nicht-homologe Endverknüpfung). Dies kann zu Nichtzieleffekten (off target) führen. Wesentlich seltener kommt es zur effizienteren Genreparatur durch homologe Rekombination, wodurch die Lücke korrekt geschlossen werden kann.
Déjà-vu – recycelte Slogans und Versprechen
Paradoxerweise nehmen industrienahe Biotechnologen das verfestigte negative Image der alten Gentechnikpflanzen auf, um für die Vorzüge der neuen Gentechnik zu werben. Produkte der klassischen Gentechnik, für die sie selber sich über 20 Jahre eingesetzt haben, werden plötzlich Risiken für Umwelt und Gesundheit attestiert, die nun behoben würden.
Auffallend merkwürdig wird es, wenn man das Rad der Zeit 20 Jahre zurückdreht und die damaligen Werbeslogans der Industrie anschaut. «Wir müssen die Welt ernähren» und «Anpassung an den Klimawandel» stand auch damals ganz oben auf der Liste. Genau die gleichen Lösungsstrategien werden auch heute propagiert, mit der gleichen Wortwahl. Doch wenn man einen Blick auf die Ergebnisse wirft, die die Gentechnik seit ihrem Anfang geliefert hat, sieht man, dass die Erfolge recht mager sind. Im Fokus der Forschung stehen noch immer dieselben wenigen Kulturpflanzen und Eigenschaften, wie beispielsweise Herbizidresistenzen. Doch die klassische Gentechnik hat es nicht geschafft, eine trockenheitstolerante Pflanze zu kreieren – und das ist auch von den neuen Methoden nicht zu erwarten, da diese komplexe Eigenschaft von über 100 Stellen im Genom mitreguliert wird.
Von der Natur inspiriert
Gentechnische Verfahren hinterlassen Narben in der Zelle. Das Muster dieser Narben ist so individuell wie ein Fingerabdruck, und dieser digitale Fingerabdruck wird von den Herstellerfirmen bereits verwendet, wenn es darum geht, ihr intellektuelles Eigentum durch ein Patent zu schützen – «ganz im Sinne der Natur». (Bild: Fotolia)
Eine beliebte Werbetaktik der Industrie ist es, die neuen gentechnischen Verfahren mit der Geschichte der Pflanzenzüchtung zu verknüpfen. Mit dem Ziel, diese sicherer und natürlicher erscheinen zu lassen. In diesem Sinne wird sehr auf die entsprechende Wortwahl geachtet und interne Kommunikationsstrategien empfehlen, statt von neuen gentechnischen Verfahren von neuen Züchtungsverfahren zu sprechen.
Besonders gerne wird der Begriff «gezielte Mutagenese» gebraucht. Damit wird auf die klassische Mutagenese angespielt, die nicht der Gentechnikrichtlinie der EU unterliegt. Damit wird suggeriert, dass Genscheren wie CRISPR/Cas Pflanzen hervorbringen, die sich von konventionellen Züchtungen kaum unterscheiden lassen, und daher auch von der Gentechnikregulierung ausgenommen werden sollten. Oft wird auch auf die vermeintlich fehlende Nachweisbarkeit der technisch induzierten Mutationen verwiesen und es wird behauptet, diese hätten auch in der Natur entstehen können und sie liessen sich nicht von natürlichen Veränderungen unterscheiden. Tatsächlich hinterlassen die neuen gentechnischen Verfahren im Genom spezifische Narben. Diese sind nachweisbar und könnten zum Nachweis einer künstlichen Mutation beigezogen werden. Das Muster dieser Narben ist wie ein digitaler Fingerabdruck. Er wird von den Hersteller firmen bereits verwendet, wenn es darum geht, ihr intellektuelles Eigentum durch Patente zu schützen – «ganz im Sinne der Natur».
Angsthasen auf Kreuzzug gegen die Wissenschaft
Diejenigen, die sich für eine unregulierte Zulassung der Verfahren einsetzen, drohen mit dem Schreckensgespenst, dass es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Europa keine moderne und international konkurrenzfähige Pflanzenzucht mehr möglich sei. Diese werde durch das Vorsorgeprinzip unzulässig eingeschränkt. Das industriefreundliche «CRISPR Journal» fordert die Wissenschaftler dazu auf «als Evangelisten in einer von gefälschten Nachrichten und Wissenschaftsskepsis geprägten Medienlandschaft (...) die Akzeptanz von Wissenschaft und Technik zu fördern». Wie Wissenschaftler von der Industrie finanziell unterstützt und für die Zwecke der Industrie eingespannt werden, belegen die sogenannten Monsanto Papers.
Was dabei gerne verschwiegen wird, ist der Fakt, dass die neuen gentechnischen Verfahren nicht der einzige und ultimative Weg zur Innovation sind. Stattdessen sollte vielmehr auf die bisher unterfinanzierte alternative Forschung gesetzt werden, die schon tragfähige Ergebnisse geliefert hat und nachhaltigere, realistischere Lösungen bietet. Am Beispiel der USA zeigt sich, dass eine Deregulierung nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führt. Trotz «Forschungsfreiheit» können sie nicht mehr praktische Anwendungen oder bessere Ergebnisse vorweisen.
Risiken und Ethik
Das Sequenzieren ist in den letzten zehn Jahren sehr viel günstiger geworden. Doch es kommen Kosten hinzu, die nicht vergessen werden dürfen. Patente müssen bezahlt werden, Computerprogramme, die die enormen Datenmengen verarbeiten und auswerten können. Auch der Zugang zu Datenbanken über den genetischen Hintergrund der Pflanzen ist kostspielig. Kleine Unternehmen können sich so viel Aufwand kaum leisten und wenn doch, sind sie prädestiniert, von den grossen Konzernen aufgekauft zu werden. (Bild: Shutterstock)
Das rasante Tempo, mit dem sich die molekularbiologischen Werkzeuge entwickeln, und das wirtschaftliche Potenzial, das die Techniken besitzen, bergen grosse Risiken. Neben rechtlichen Auslegungen stellen sich damit auch grundsätzliche ethische Fragen.
Ein Grund des Disputes, der auf das EuGH-Urteil folgte, liegt darin, dass die Befürworter der neuen Gentechnik Organismen grundsätzlich anders definieren als Kritiker. Während die ersteren einen reduktionistischen Ansatz vertreten und Pflanzen auf ihre Gene und die daraus resultierenden Stoffe reduzieren, die einzeln und gezielt verändert und geprüft werden können, betrachten letztere Organismen als komplexe Systeme, die in Wechselbeziehung mit ihrer Umwelt stehen. Dementsprechend fordern sie eine umfassende Risikobewertung statt eines evidenzbasierten Nachsorgeprinzips.
Risikoforschung bei landwirtschaftlichen Anwendungen steht aber nicht im Interesse der Industrie. Sie verfolgt ein wirtschaftliches Ziel und eine möglichst schnelle Vermarktung ihrer Produkte. Trotz zahlreicher Hinweise auf potenziell negative Folgen der Gentechnik auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, werden diese als unbedeutend dargestellt oder vertuscht. Anders in der Medizin, wo unerwünschte Effekte der neuen Verfahren unbestritten und Risikoprüfung und Frühwarnung ein Must sind.
Statt Überzeugungsarbeit im Sinne der Industrie zu leisten, sollten Wissenschaftler Verantwortung übernehmen und sich den gesellschaftlich wichtigen Fragen der Risikoforschung widmen: Unsicherheiten und Zusammenhänge aufdecken, unerwartete Effekte untersuchen. Die daraus resultierenden Erkenntnisse sollten in die öffentliche Diskussion eingebracht werden, um Entscheidungsprozesse zu verbessern und die Wahlfreiheit zu unterstützen. Ohne eine solche vorsorgeorientierte, unabhängige und transparente Risikoforschung können staatliche Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung und der Umwelt nicht hinreichend erfüllt werden. Dies steht im Einklang mit der Empfehlung der Ethikkommission EKAH im Hinblick auf die Regulierung neuer gentechnischer Verfahren. Die EKAH fordert, dass das Konzept der Vorsorge rechtlich gestärkt und konsequent umgesetzt werden muss.
Lösungsansätze für eine nachhaltige Landwirtschaft
Seit der Nachkriegszeit hat sich die Landwirtschaft durch einen Prozess der Standardisierung und Industrialisierung von Agrar- und Ernährungssystemen grundlegend verändert. Die Erträge wurden deutlich gesteigert, jedoch auf Kosten der Ökologie. Die Gentechnik ist die logische Fortsetzung dieser Intensivierung. Doch statt Lösungen für anstehende Probleme zu bieten, verschärft sie diese.
Text: Dr. Luigi D'Andrea, Stop OGM
Die Grüne Revolution, wie der Umbau der Landwirtschaft durch Technologie, Chemie und billige Energie ab 1960 auch bezeichnet wird, hat es ermöglicht, die Erträge deutlich zu steigern. Die Kosten sind jedoch hoch: Verlust der Biodiversität, Versalzung der Böden, Bodensterilisation, Kontamination der Ökosysteme durch Pestizide und Düngemittel, Treibhausgase, Verringerung der Ernährungsqualität, Pestizidrückstände, erhöhte Abhängigkeit der Landwirte von den Produkten der agrochemischen Multis.
Diese Entwicklung führte auch zu einer Standardisierung der Agrarsysteme, was sie sehr anfällig für Krankheiten und Schädlinge machte. In einem ausgewogenen System kontrollieren sich die Organismen gegenseitig. Der Anbau einer einzelnen Sorte im grossen Stil erleichtert dagegen die Entwicklung und Ausbreitung von Schädlingen, da das Fehlen von Biodiversität die Schädlingsbekämpfung durch Nützlinge reduziert.
Gentechnik – eine logische Fortsetzung der Grünen Revolution
Die kleinbäuerliche Landwirtschaft bildet das wirtschaftliche Rückgrat der Länder des Südens. Sie sorgt für Einkommen und Beschäftigung. Sie schafft 80 Prozent aller Arbeitsplätze. Mit Gentechnik hergestellte Pflanzen werden für «reiche» Bauern entwickelt, die sich verschulden können. Für mittellose Kleinbauern taugen sie nicht. Ihnen helfen angepasste Sorten und Artenvielfalt, um ihre Erträge zu verbessern. (Bild: Geric Cruz / Greenpeace)
Der französische Philosoph Descartes glaubte, dass der Mensch die Natur durch Technik beherrschen könne. Auf diesem reduktionistischen Denkansatz basiert die Grüne Revolution. Doch dieser Ansatz hat eine ganze Reihe grundlegender Probleme hervorgebracht, die ihren Ursprung in der Definition von Fortschritt und Innovation haben, die in erster Linie auf Technik setzen und entsprechend bestimmen, welche Art von Produkten auf den Markt gebracht wird.
Die Gentechnik ist die Fortsetzung dieses Konzepts der Grünen Revolution. Sie hilft denjenigen Landwirten, die ein Modell wünschen, das noch produktiver und noch intensiver ist. Die anfallende Arbeit soll durch immer stärkere Standardisierung und technische Massnahmen wie beispielsweise den Einsatz von Herbiziden erleichtert werden. Dieses reduktionistische Denken manifestiert sich in grossflächigen Monokulturen.
Paradoxerweise wird die Gentechnik als Lösung für alle landwirtschaftlichen Probleme verkauft. In Wirklichkeit verschärft sie diese, was nicht überrascht. Denn dieses Produktionsmodell verstärkt die negativen Umwelteffekte und die Defizite solcher Agrarsysteme treten noch deutlicher zu Tage. So hat beispielsweise der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, die resistent sind gegen Schädlinge (z.B. insektenwirksame Bt-Toxine), Krankheiten (mosaikvirusresistente Papaya) oder die eine Herbizidresistenz besitzen, die Entwicklung von Resistenzen bei Schädlingen, Krankheitserregern und Unkräutern beschleunigt. Die Resistenzen entwickeln sich immer schneller und die Zielorganismen werden immer resistenter. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der Ausrottung eines Schädlings andere Schädlinge die entstehende ökologische Nische besetzen.
Symptome statt Ursachen werden bekämpft
Agroforstwirtschaft, die Kombination von Bäumen und Landwirtschaft, stellt eine traditionelle Form des ökologischen Wirtschaftens dar. Das System erweist sich als hochproduktiv. Die Bäume binden Stickstoff und sorgen so für die Ernährung anderer Pflanzen. (Bild: Cheryl-Samantha Owen / Greenpeace)
Die Gentechnologie setzt, genauso wie Pestizide, bei den Symptomen von Ungleichgewichten in unseren Agrarsystemen an statt bei deren Ursachen und ist daher auch wirkungslos. Ihr Einsatz löst Probleme wie Schädlinge oder Unkräuter nicht, sondern verstärkt sie. Denn sie produziert Organismen, die ihre Leistungsfähigkeit schnell wieder verlieren und dann durch neue ersetzt werden müssen. Dies entspricht exakt der geplanten Obsoleszenz bei Produkten, die perfekt für die Herstellungsindustrie sind, aber wenig oder nichts zu nachhaltigen Lösungen beitragen.
Gentechnik taugt nicht dazu, belastbare und nachhaltige lokale Lösungen zu bieten, welche die Autonomie der Bauern und die Ernährungssouveränität fördern. Sie erhöht die Abhängigkeit der Landwirte von teuren Hochleistungspflanzen. Sie nutzt Labortechnologien, die teure Investitionen erfordern und patentierbare Produkte für die industrielle Landwirtschaft liefern. Sie generiert nur schlecht angepasste Produkte, die einerseits die Abhängigkeit der Landwirte von den Agrarkonzernen erhöhen und andererseits ein industrielles Produktionssystem fördern, das für eine gesunde und nachhaltige Ernährung der Menschheit ungeeignet ist. Was die Landwirte jedoch brauchen, sind einfach einsetzbare und standortangepasste Lösungen, die nicht zu viel Technik erfordern.
Neue gentechnische Verfahren – eine alte Rhetorik für ein veraltetes Produktionssystem
Eine Landwirtschaft, die der Maximierung des Gewinns dient, erzeugt soziale und ökologische Schulden. Für eine Nahrungsmittelproduktion, die der Menschheit dient, braucht es Betriebe, die so vielfältig wie möglich sind. Doch seit über 50 Jahren wird die Landwirtschaft von der technischen Entwicklung und nicht mehr vom Aufbau des Wissens zu landwirtschaftlichen Praktiken und Organismen geprägt. Landwirte wurden zu Landarbeitern gemacht, die auf die technischen Lösungen, welche die Industrie für die Produktion vorschlägt, nicht mehr verzichten können.
Landwirt zu sein, ist die Kunst, Pflanzen und Tiere in Einklang zu züchten, und nicht die Anwendung von verschiedenen Industrieprodukten. Gefragt ist heute mehr denn je ein landwirtschaftliches Innovationsmodell, das auf dem Wissen zu Agrosystemen aufbaut. Es braucht neue Anbaumethoden, die den veränderten Umweltbedingungen und unseren sich ändernden Bedürfnissen gerecht werden. Die Wissenschaft muss dazu ihren Beitrag leisten. Sie muss sich auf den Wissensaufbau zur lokalen Biologie konzentrieren und nicht auf die industrielle Agrochemie. Auch die neuen Gentechnikverfahren folgen diesem überholten Innovationsverständnis.
Auf dem Weg zur agroökologischen Landwirtschaft ohne Gentechnik
Seit 2017 wissen wir, dass auf den Feldern bis zu 75 Prozent der Insekten ausgestorben sind. Ihr Verschwinden zeigt, dass unser Ökosystem durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung massiv geschädigt ist. Pestizide gelten als eine der Hauptursachen des Insektensterbens. (Bild: Peter Caton / Greenpeace)
Die Agrarökologie ist dagegen eine integrative Disziplin. Sie zielt darauf ab, zu verstehen, wie die verschiedenen Elemente eines landwirtschaftlichen Systems – Pflanzen, Tiere, Menschen, Umwelt – zusammenwirken, um produktiv und belastbar zu sein. Dank dieser Herangehensweise bietet sich die Agrarökologie als eine globale Lösung an, um lokal angepasstes Wissen und Technologie zu erschwinglichen Kosten für die Landwirte zu liefern. Sie klassifiziert und untersucht Agrosysteme aus ökologischer und sozioökonomischer Sicht und entwickelt ökologische Konzepte für die Gestaltung und das Management nachhaltiger Agrarsysteme.
Laut dem 2009 erschienenen Weltagrarbericht ist ein Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft dringend nötig. Nicht die Umwelt muss angepasst werden, um den bestehenden technischen Lösungen zu entsprechen. Sinnvoller ist es, sich an die lokale Umwelt anzupassen, indem die bestehenden Agrarsysteme diversifiziert werden. Lokal angepasste Systeme bieten mehr Widerstandsfähigkeit. Sie besitzen eine höhere Belastbarkeit, da sie sich nach einem störenden Ereignis besser erholen. Die internationale Forschung zeigt immer deutlicher, dass die Leistungsfähigkeit und Stabilität von Agrarökosystemen vom Grad der biologischen Vielfalt von Tieren und Pflanzen in und um das System herum abhängt. Das liegt vor allem daran, dass ein Organismus mehrere Funktionen erfüllt und eine Funktion von mehreren Organismen wahrgenommen wird. Dies erklärt, warum ein neuer Schädling auftreten kann, wenn ein bestehender vernichtet wird.
Die Biodiversität erbringt eine Reihe von ökologischen Dienstleistungen, die über die Nahrungsmittelproduktion hinausgehen, wie beispielsweise Nährstoffrecycling, Regulierung des Wasserhaushaltes, Stickstofffixierung, Entfernung unerwünschter Organismen oder Entgiftung toxischer chemischer Verbindungen. Um dies möglichst optimal zu erreichen, muss unsere Nahrungsmittelproduktion auf landwirtschaftliche Anbausysteme ausgerichtet werden, die sich für kleine Betriebe eignen. Kleinflächige Systeme reagieren viel dynamischer auf Veränderungen. Gentechnik ist dagegen nur auf grossen Flächen rentabel.
Forschungsgelder ungleich verteilt
Heute entfallen laut einer europäischen Studie zwei Drittel der öffentlichen Mittel, die für die landwirtschaftliche Forschung zur Verfügung stehen, auf die Entwicklung von Gen- und Biotechnologie. Solche Projekte sind teuer, riskant und sie bieten keine Lösungen für die Probleme, mit denen sich die Landwirtschaft heute konfrontiert sieht. Wenn Ernährungssouveränität, mehr Autonomie in den ländlichen Gemeinden und letztlich mehr Widerstandsfähigkeit in unseren Ernährungssystemen erzielt werden soll, können wir uns nicht auf ein Modell standardisierter, zentralisierter und kapitalintensiver Innovationen stützen, bei denen Wissen privatisiert und konzentriert ist, wie dies bei der Gentechnik der Fall ist. Die Agrarökologie hingegen kann weltweit erfolgreich eingesetzt werden. Sie kommt ohne Gentechnik aus und stellt eine effektive «Alternative» dar. Nötig ist dazu eine Änderung bei der Ausrichtung der Forschungsagenda und der Förderschwerpunkte. Damit die Agrarökologie in grossem Umfang realisiert werden kann, braucht sie die notwendige politische und finanzielle Unterstützung.
Mit den geplanten Fusionen in der Agrarindustrie entstünden drei gigantische Agro- und Chemiekonzerne, die über 60 Prozent des kommerziellen Saatguts und über 65 Prozent der Pestizide beherrschten. Diese Konzentration sei gefährlich, warnen besorgte Organisationen in einem offenen Brief an die EU-Wettbewerbs-kommission. Sie gefährde nicht nur die Arten- und Sortenvielfalt, sondern auch die Ernährungssicherheit.
Text: Denise Battaglia
«Eine Handvoll Konzerne hat sich den Zugriff auf die Welternährung gesichert.» Das ist keine polemische Zuspitzung, sondern das nüchterne, auf Fakten beruhende Fazit der Organisationen Brot für alle und Coordination gegen Bayer-Gefahren in einem Mitte Februar verschickten offenen Brief an die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager. Den Warn- und Weckruf haben 15 weitere Organisationen mitunterzeichnet.
Es werden wohl bald nicht einmal mehr eine ganze Handvoll, sondern nur noch vier Konzerne sein, die künftig bestimmen, was die Bäuerinnen und Bauern auf der ganzen Welt anbauen und was wir alle essen. Die Machtkonzentration in der Saatgutindustrie schreitet mit schwindelerregendem Tempo voran. Die Lage sieht derzeit wie folgt aus:
— Der Staatskonzern ChemChina, das grösste Chemieunternehmen in China, will den Basler Agrokonzern Syngenta kaufen, — die beiden US-Konzerne DuPont und Dow Chemical wollen fusionieren, — der deutsche Bayer-Konzern, derzeit der zehntgrösste Chemieproduzent der Welt, bereitet die Übernahme des US-Agrokonzerns Monsanto vor.
Kommen alle Zusammenschlüsse zustande, würden die drei Giganten Bayer/Monsanto, Dupont/Dow, ChemChina/Syngenta über 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes beherrschen. Die drei Konzerne besitzen zudem gemäss dem Konzernatlas 2017 fast alle gentechnisch veränderten Pflanzen und verfügen mit BASF über 37 Prozent aller europäischen Patente auf Pflanzen. «Eine Branche schrumpft sich gross» titelt der Konzernatlas 2017 über die neuen Zusammenschlüsse in der Agrar- und Lebensmittelindustrie.
Wer über das Saatgut verfügt, verfügt über die Ernährung
(Bild: Clipdealer)
«Wer die Saat hat, hat das Sagen», lautet ein Bonmot. Schon jetzt werden für den Weltmarkt immer mehr Hochleistungssorten in immer grösseren Mengen produziert – zulasten der Vielfalt. In Indien werden auf 75 Prozent der Reisfelder nur noch 10 Sorten angeboten. Vor der Kolonialisierung durch die Engländer waren es noch 400 000, bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch 30 000 Sorten, wie in der im Januar erschienenen Studie «Saatgut – Gemeingut» nachzulesen ist. Ein anderes Beispiel: In den USA wachsen auf 71 Prozent der Anbauflächen nur noch sechs verschiedene Sorten Mais, und 96 Prozent der kommerziellen Produktion von Erbsen werden mit gerade mal zwei Sorten erzielt. Es schwindet nicht nur die Vielfalt, auch unser kulturhistorisches Erbe und das Wissen der Bauern über lokale Sorten geht verloren. Die Monopolisierung gefährdet unsere Nahrungsmittelsicherheit.
Herrscher über 65 Prozent des Pestizidmarkts
Bayer/Monsanto, Dupont/Dow, ChemChina/Syngenta und BASF verkaufen auch die wichtigsten Pestizide: Monsanto stellt das vom Grossbauern bis zum Hobbygärtner benutzte Unkrautvernichtungsmittel Roundup mit dem hochumstrittenen Wirkstoff Glyphosat her. Bayer und Syngenta gehören zu den grössten Herstellern von sogenannten Neonicotinoiden, die verdächtigt werden, für das Bienensterben mitverantwortlich zu sein. Die Konzerne würden künftig über 65 Prozent des globalen Pestizidmarktes verfügen. Dass die geplanten Zusammenschlüsse die vom Weltagrarbericht geforderte ökologische Landwirtschaft fördern, darf man gründlich bezweifeln. Mit der gigantischen Schrumpfung kämen die Chemie- und Agrokonzerne ihrem Ziel, «die marktbeherrschende Stellung bei Saatgut und Pestiziden zu erreichen, also Produkte, Preise und Qualitätzu diktieren» näher, schreiben die Autoren des Konzernatlas 2017.
Kontrolle vom «Acker bis zur Ladentheke»
Künftig werden drei Grosskonzerne über 65 Prozent des Pestizidmarkts herrschen. (Bild: Clipdealer)
Die Agro- und Chemiekonzerne versuchten, wie der Konzernatlas aufzeigt, alle Stufen der Lieferkette «vom Acker bis zur Ladentheke» zu beherrschen. Sie mischen vermehrt auch bei der Agrartechnik mit und fordern Zugriff auf die Daten der Landwirtschaft 4.0. Mit Landwirtschaft 4.0 meint man die Digitalisierung der Betriebe: So sollen zum Beispiel künftig Drohnen Pestizide über die Pflanzen sprühen, die Tiere mit Sensoren für Milchmengen, Bewegungsmuster und Futterrationen ausgestattet, Traktoren mit GPS gesteuert werden, und Sensoren im Boden sollen Informationen über die Bodenqualität liefern. Für die grossen Landwirtschaftsmaschinenhersteller, aber auch für die Chemie- und Agrarkonzerne eröffnet sich damit ein immenser Markt – und Zugang zu wertvollen Daten. Gemäss dem Konzernatlas 2017 hat sich zum Beispiel der Traktorbauer John Deere mit Syngenta, Dow und Bayer verbündet, um die Geräte zu entwickeln, die für diese Präzisionslandwirtschaft benötigt werden. Ziel sei, eines Tages das firmeneigene Saatgut mit äusserst präzisen Pflanz- und Messsystemen zu verbinden, was aber auf der anderen Seite die Abhängigkeit der Landwirte von den Grosskonzernen weiter verstärkt.
Die ETC-Group, die sich unter anderem für die Bewahrung und Förderung der kulturellen und ökologischen Diversität engagiert, warnte bereits vor anderthalb Jahren, dass die Megafusionen «die Basis unserer Lebensmittelversorgung» untergraben und die Umwelt weiter schädigen werden. Sie forderte die Politik in einem Communiqué auf, über Kartellverbote dafürzu sorgen, dass Pestizidhersteller nicht auch Saatgut produzieren und Landwirtschaftsmaschinenhersteller nicht gleichzeitig Pestizide, Saatgut und Landwirtschaftsversicherungen kontrollieren dürften. Auch die Absender des offenen Briefs fordern die EU-Wettbewerbskommission auf, das geplante «Oligopol» zu unterbinden. «Dieser Konzentrationsprozess stellt eine Bedrohung für die Welternährung und für die Zukunft der Landwirtschaft sowohl in Europa als auch weltweit dar», schreiben sie.
Saatgut als Gemeingut
«Die grosse Vielfalt der Kulturpflanzen ist ein Menschheitserbe, das wir nicht den Konzernen überlassen dürfen, denen es vor allem um Profitmaximierung geht. Unser Saatgut ist kein Wirtschaftsgut. Es ist ein Kulturgut und gehört uns allen.» Peter Kunz, Bio-Saatgutzüchter (Bild: Giorgio Hösli für GZPK)
Das Saatgut war über viele Jahrtausende ein Gemeingut, das lokal nachgebaut, weiterentwickelt und getauscht wurde. Daran erinnert die Studie «Saatgut – Gemeingut» von Johannes Wirz, Forscher am Goetheanum, Getreidezüchter Peter Kunz und Ueli Hurter, biologisch-dynamischer Landwirt. Noch heute gibt es weltweit viele Züchter und Bauern, die lokale und ökologisch nachhaltige Sorten züchten und anbauen. Eine Studie aus dem Jahre 2015 hat gezeigt, dass die Sortenvielfalt von Kulturpflanzen weltweit von Bäuerinnen und Bauern mit weniger als zwei Hektar Ackerfläche gepflegt, erhalten, getauscht und weiterentwickelt werde. Dort, wo das Saatgut also traditionellerweise noch als Gemeingut betrachtet werde, sei auch die Vielfalt am grössten. Doch diese Vielfalt ist durch die Machtkonzentration der Saatgutbesitzer gefährdet. Die Autoren der Studie «Saatgut – Gemeingut» fordern dazu auf, wieder zu diesem Gemeingutgedanken zurückzukehren, um den Verlust der Sortenvielfalt aufzuhalten und Ernährung etwas unabhängiger von den Agro- und Chemiegiganten zu machen.
Gemeinsame Sorge um das «Menschheitserbe»
Dieser Gemeinschafsgedanke war es auch, der uns Sicherheit und Wohlstand brachte: Dank der Kooperation von Menschen gibt es Bewässerungsanlagen, soziale Institutionen – oder eben über Jahrhunderte weiterentwickeltes, an lokale Gegebenheiten angepasstes Saatgut für Gemüse, Früchte und Obst. «Die grosse Vielfalt der Kulturpflanzen ist ein Menschheitserbe, das wir nicht den Konzernen überlassen dürfen, denen es vor allem um Profitmaximierung geht», sagt Getreidezüchter Peter Kunz. «Unser Saatgut ist kein Wirtschaftsgut. Es ist ein Kulturgut und gehört uns allen.» Zwar müsse der Züchter für seine Züchtungsarbeit – die Züchtung einer neuen Sorte braucht zwischen sieben und zehn Jahren Zeit – entschädigt werden, aber das Saatgut, «die Quelle des Lebens», sollte Nutzergemeinschaften frei zur Verfügung stehen, die es pflegen, bewahren, weiterentwickeln. Die Getreidezüchtung Peter Kunz ist selbst ein Verein, der sich diesem Gemeingutgedanken verpflichtet hat. Sein grosses Vorbild sei Masipag auf den Philippinen, erzählt Peter Kunz (siehe Box unten). «Eine Vielfalt an Sorten ist essenziell, damit sich die Landwirtschaft an die sich verändernden Umweltbedingungen, zum Beispiel an den Klimawandel, anpassen kann und weiterhin gut über die Runden kommt», betont Kunz. Die gemeinsame Sorge um das regionale Saatgut macht auch unabhängiger von den Agrarkonzernen: Statt Hybridsaatgut der Konzerne zu kaufen, welches die Bauern im Folgejahr nicht wiederverwenden können, bauen sie lokale, an hiesige Verhältnisse angepasste, robuste Sorten an, deren Saatgut sie aufbewahren, verwenden und untereinander tauschen können.
Gemeinsam für Saatgut
Masipag ist ein Zusammenschluss von Dorfgemeinschaften, Bäuerinnen und Bauern mit 30 000 Mitgliedern, 23 NGOs, 20 kirchlichen Entwicklungsorganisationen und 15 wissenschaftlichen Partnerorganisationen. Masipag verfügt über beinahe 200 Versuchsfarmen, auf denen sie Saatgut für Reis und Mais züchtet, sowie zwei nationale und acht regionale Vermehrungsbetriebe. Masipag erhält und vermehrt in rund 150 Samenbanken auf den Versuchsbetrieben rund 2500 Reissorten, davon 1290 Masipag-Varietäten und 506 Landsorten, die von 67 Bauern gezüchtet worden sind. Der Tausch der Sorten, die allen interessierten Landwirten zur freien Verfügung stehen, sei weit verbreitet, schreiben die Autoren von «Saatgut – Gemeingut».
Vorsorgeprinzip gefährdet?
Der deutsche Konzern Bayer würde mit der Übernahme von Monsanto der Gigant unter den Grossen. Die Autoren des Konzernatlas 2017 befürchten, dass der neue Riese das europäische Vorsorgeprinzip anfechten könnte. Denn dieses fordert beispielsweise, dass Pestizide keine EU-Zulassung erhalten, bevor nicht nachgewiesen ist, dass sie für Mensch und Umwelt unbedenklich sind. Ebenso könnte die bisherige Kennzeichnungspflicht von Gentech-Pflanzen in der EU in Frage gestellt werden.