Fokusartikel

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(Bild: Judith Feher)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 117

Der Wert der Vielfalt ist unbezahlbar

Gentechnische Veränderung von Nutzpflanzen als nahtlose Fortsetzung des uralten Prozesses der Domestikation? Die neue Gentechnik füge sich bestens in diese über Jahrtausende fortlaufende Entwicklung ein. Mit solchen Behauptungen versuchen Agrogentechnikbefürwortende, die Öffentlichkeit für ihre Produkte zu gewinnen. Doch Genommanipulation im Labor und Domestikation sind keineswegs vergleichbare Prozesse. Nicht nur auf biologische und soziopolitische Abläufe wirken sie sich unterschiedlich aus – auch die Art und Weise, wie sie Agrobiodiversität und Saatgutsouveränität beeinflussen, lässt sich kaum vergleichen.

Text: Zsofia Hock

Domestikation – die Umwandlung von Wildpflanzen in Kulturpflanzen durch Zuchtauslese – ist ein langer Entwicklungsprozess. Mit der Veränderung natürlicher Ökosysteme durch die landwirtschaftliche Tätigkeit des Menschen entstanden neue Selektionskräfte. Diese wiederum riefen Anpassungen im Genom, im Erscheinungsbild oder im Verhalten der Pflanzen hervor. So verloren beispielsweise viele Kulturarten ihre Fähigkeit, sich auch ohne menschliche Hilfe zu verbreiten, weil die entsprechende Selektionskraft wegfiel. Sie brauchten diese Fähigkeit nicht mehr,um sich zu vermehren.

Die Bühne für die Abläufe der Domestikation bildeten lokale landwirtschaftliche Betriebe. Die treibende Kraft waren lokale Bedürfnisse. Auslese und Kultivierung lagen dabei in der Hand der Bäuerinnen und Bauern – und basierten oft auf einer lebenslangen Verbindung zwischen Menschen und Sorten.

Gentechnik führt zur Zentralisierung und Enteignung von Wissen und Besitzrechten

Sowohl Pflanzenzüchtung als auch Gentechnik unterscheiden sich grundlegend von diesem Prozess, da sie die Pflanzenzüchtung von den landwirtschaftlichen Betrieben weg und hin zu zentralisierten Institutionen verlagern. Dies bestätigt eine neue Studie von US-Forschenden inder Fachzeitschrift «Agriculture and Human Values». Der Trend, der mit der Institutionalisierung der Züchtung angefangen hat, wird von der Gentechnik auf das Extremste verstärkt: Nicht nur dominieren die von der Agrarindustrie als nützlich erachteten Merkmale die Forschung und Entwicklung, sondern auch das Wissen und die Arbeit rund um die pflanzengenetischen Ressourcen wird vom landwirtschaftlichen Betrieb getrennt. Die Zucht der Pflanzen findet nicht mehr auf dem Feld statt, sondern im Labor. Das Privileg, über Saatgut und Wissen zu verfügen, wurde den Bäuerinnen und Bauern weggenommen und zuerst in Institutionen, mit der Entwicklung der Gentechnik dann in die Hände weniger Grosskonzerne verlagert. Patentgeschütztes Saatgut wurde zum geistigen Eigentum und ist somit nicht mehr frei austauschbar oder weiterverwendbar, um noch mehr Vielfalt zu erschaffen.

Fokus 117
(Bild: Shutterstock)


Die treibende Kraft bei der Domestikation waren lokale Bedürfnisse. Auslese und Kultivierung lagen dabei in der Hand der Bäuerinnen und Bauern.


Im Sinne der Zentralisierung und der Enteignung des Wissens und der Rechte rund um das Saatgut ist also tatsächlich eine gewisse historische Kontinuität zu bemerken – nicht aber im biologischen Sinn. Während bei der Domestikation aus – genetisch gesehen – diversen Populationen ebenso vielfältige Populationen entstehen, schrumpft die Agrobiodiversität in Folge der Tätigkeit von Züchterinnen und Gentechnikern. Denn dabei wird aus vielfältigen Populationen geschöpft, um durch direkte Selektion genetisch homogene Pflanzen mit besonders wünschenswerten Merkmalen herzustellen.

Irreführende Gehirnwäsche

Aussagen wie «die Menschheit hat bereits vor 10 000 Jahren angefangen, Pflanzen für die Nahrungsmittelproduktion genetisch zu verändern» oder «fast alle aktuell konsumierten Nahrungspflanzen sind grundlegend anders als ihre natürlichen Vorfahren – sie sind über Tausende von Jahren manipuliert worden» sind mittlerweile im öffentlichen Diskurs weit verbreitet. Autoren und Wissenschaftsjournalistinnen, die Domestizierung und Gentechnik in einen Topf werfen, wollen ihrer Leserschaft einreden, dass die Ängste der gentechnikskeptischen Öffentlichkeit irrational und das Resultat eines Mangels an Wissen über Pflanzenbiologie sind. Somit wird versucht, von Bedenken beispielsweise über die unbeabsichtigten Folgen der Technologie abzulenken.

Biodiversitätsverlust ist soziopolitischen Ursprungs

Doch solche Aussagen ignorieren die Kritik an den soziopolitischen Aspekten des intensiven landwirtschaftlichen Systems. Der Verlust der landwirtschaftlichen Biodiversität hat seinen Ursprung nicht in der Biologie, sondern lässt sich vielmehr auf soziopolitische Auslöser zurückführen. Patente auf gentechnisch veränderte Sorten engen die Verfügungsrechte über Sorten ein. Mit der Kon-zentration der Nutzungsrechte bei begrenzten staatlichen und privaten Körperschaften geht wertvolles Wissen verloren und das dezentralisierte System der bäuerlichen Züchtung – der Schlüssel zur Erhaltung der biologischen Vielfalt – wird gesprengt.

Wie sehr die Dominanz der wenigen grossen Agrarunternehmen mit ihrem einheitlichen Angebot die Agrobiodiversität bedroht, lässt sich gut quantifizieren: Wurden in der Vergangenheit etwa 7000 Pflanzenarten zwecks Ernährung angebaut, tragen heute nur noch etwa 80 Sorten massgeblich zur globalen Nahrungsversorgung bei. Die Hälfte aller pflanzenbasierten Kalorien stammt aus nur drei Arten Reis, Mais und Weizen. In Mexiko gingen zwischen 1930 und 1970 etwa 80 Prozent der Maissorten verloren. Dieser Schwund wird durch den massiven Ausbau der kommerzialisierten, industriellen Landwirtschaft weiter verstärkt, die auf immer grösseren Flächen Cash Crops wie Soja für die Tiermast anbaut. Zu nennen ist auch der Aufkauf riesiger Landflächen, das Land Grabbing, durch Investmentfonds, Banken und Regierungen, das mit der Vertreibung der ansässigen Bevölkerung, einer Zerstörung der meist kleinbäuerlich und vielfältig strukturierten Land- und Forstwirtschaft und der Anlage neuer Monokulturen und Plantagen verbunden ist.

In den USA, wo institutionalisierte Pflanzenzüchtung und Gentechnologie die On-Farm-Züchtung fast vollständig ersetzt haben, ist dieses Szenario bereits Realität. Mangels strenger Regulierung der neuen Gentechnikverfahren könnte das USA-Szenario aber schnell auch ein globales werden.

Nur Verfahren, die sich über lange Zeit bewährt haben, sollten von dieser Kontrolle ausgenommen werden. Die neuen Techniken müssen so lange einer Überprüfung unterzogen werden, bis sie gut verstanden werden, ihr Gegenstand genügend bekannt ist und mögliche ökologische oder chronische Gesundheitsschäden Zeit hatten aufzutreten und festgestellt zu werden, folgert das Gutachten. Selbstverständlich ist ein Nullrisiko nicht möglich, doch sind strengeAuflagen umso notwendiger, als bisher die möglichen Risiken den erwarteten (mageren bis nicht vorhandenen) Nutzen der GVO übersteigen.

Fokus 117 Kühe
(Bild: Shutterstock)


In Mexiko gingen zwischen 1930 und 1970 etwa 80 Prozent der Maissorten verloren, in den USA rund 80 bis 95 Prozent der Apfel-, Kohl-, Feldmais-, Erbsen- und Tomatensorten und in China Tausende Weizensorten. Ähnliche Verluste gab es in der Tiervielfalt. In Europa und Nordamerika machen heute Holstein-Rinder 60–90 Prozent aller Milchkühe aus.


Saatgut und Vielfalt sind die Basis der Landwirtschaft

Wer würde dem nicht zustimmen? Pflanzenzüchterinnen und Biotechnologen schöpfen bis heute aus der unermesslichen, über Tausende von Jahren durch die Uneinheitlichkeit der  landwirtschaftlichen Praktiken entstandenen Agrobiodiversität. Doch die Lage ist prekär: Die Entscheidung darüber, was und wie in Zukunft gezüchtet, angebaut und konsumiert wird, wird global von immer weniger Konzernen beeinflusst, deren Marktmacht stetig wächst. Für diese Unternehmen ist Saatgut vor allem eins: ein gewinnbringendes Geschäft.

Gewinnbringend ist das Geschäft mit Saatgut, wenn es weltweit an möglichst viele Betriebe verkauft werden kann, die grosse Flächen bewirtschaften. Verbreitet wird das, was sich gut verkaufen
lässt: sogenannte Cash Crops. Inzwischen hat sich nicht nur die landwirtschaftliche Produktion auf dieses einheitliche Angebot eingestellt; es betrifft die ganze Wertschöpfungskette. Egal ob es um Tomaten, Rüebli oder Zucchetti geht: Auch bei diesen Kulturen stammt das Saatgut meist von den grossen Konzernen. Diese entwickeln fast ausschliesslich Hybridsorten. Für Betriebe, die das sehr einheitliche, gleichmässig reifende Gemüse in grossen Chargen verkaufen können, ist dies oft ein Vorteil. Auch der Handel ist zufrieden, erfüllen diese Sorten doch die heute so wichtigen Merkmale der langen Transport- und Lagerfähigkeit. Die Kundschaft muss auf diese Weise jedoch auf eine grosse Farben-, Formen- und Geschmacksvielfalt verzichten: Was nur leicht von der Norm abweicht, schafft es nur schwer oder gar nicht auf den Acker und erst recht nicht in den Handel.

Fokus 117 Patinaken
(Bild: Shutterstock)


Dank Organisationen wie ProSpecieRara, die den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt fördern, ist eine Vielzahl in Vergessenheit geratener Sorten wieder auf den Märkten und in den Läden zu finden, wie
zum Beispiel verschiedene Pastinaken.


Glücklicherweise gibt es Ausnahmen. Biobetriebe und viele nationale Stiftungen zur Erhaltung der Sortenvielfalt bieten ein wachsendes Sortiment an Arten und Sorten an. Die erhöhte Sichtbarkeit des Sortenreichtums hat nicht nur einen direkten didaktischen Nutzen, so wie die Erhaltung der traditionellen Kulturpflanzenvielfalt durch On-Farm-Produktion nicht nur der kulinarischen  Bereicherung dient. Sie haben eine grundlegende, über das eigene Land hinaus wegweisende Bedeutung. Es geht um nicht weniger als die globale Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels und die Widerstandsfähigkeit landwirtschaftlicher und natürlicher Systeme angesichts globaler Pandemien.

Agrobiodiversität und Klimakrise

Die Klimakrise stellt die Landwirtschaft durch unberechenbare Wetterereignisse sowie erhöhten Krankheitsdruck vor enorme Herausforderungen. Die gezielte Nutzung der Agrobiodiversität – im umfassenden Sinne des Begriffs – kann dabei helfen, landwirtschaftliche Anbausysteme robuster zu machen. Während eine Pflanze, die primär auf Ertragsmaximierung entwickelt wurde,  klimatischen Schwankungen ausserhalb ihres Optimums kaum etwas entgegenzusetzen hat, kann ein diversifiziertes Anbausystem diese abpuffern: je mehr Vielfalt auf dem Acker, desto höher die Sicherheit, dass überhaupt noch etwas geerntet werden kann. Gleiches gilt auch für den Schädlings- oder Krankheitsdruck. In homogenen Anbausystemen mit einer geringen genetischen und systemischen Vielfalt können sich Krankheiten und Schädlinge schnell vermehren und ganze Bestände vernichten. Ein vielfältiger Mix verschiedener Arten, Sorten und Strukturen – wie sie z.B. in Agroforstsystemen vorhanden sind – bremst die Verbreitung von Krankheiten und Schädlingen aus und beugt kompletten Ertragsausfällen vor.

Agrobiodiversität und Pandemien

Nicht zuletzt können vielfältige Anbausysteme und Strukturen die Ausbreitung globaler Pandemien wie wir sie seit 2020 mit Covid-19 erleben, bremsen oder verhindern. Wird ein Stück tropischer Regenwald, bestehend aus verschiedenen Bäumen, Sträuchern, ein- und mehrjährigen Pflanzen abgeholzt und zerstört, um einer Palmölplantage Platz zu machen, verlieren Wildtiere wie  Fledermäuse, die inzwischen als «Virusträger» bekannt sind, ihren Lebensraum. Sie lassen sich nun in der Plantage nieder. Hier finden sie nicht nur Nahrung, sondern können sich auch – ohne natürliche Feinde – stark vermehren. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie über Bisse oder ihren Speichel Krankheitserreger an die in der Plantage arbeitenden Menschen weitergeben, steigt. Über einige weitere Zwischenschritte – und mit Hilfe der globalen Warenketten – können sich Erreger auf diese Weise weit über die Ursprungsregion hinaus verbreiten. Es ist also höchste Zeit, dass die verbliebene Vielfalt natürlicher Lebensräume erhalten bleibt und die landwirtschaftliche Vielfalt zurück auf die Äcker findet. Deshalb ist es wichtig, die irreführende Semantik der gewinnorientierten Gentechnik zu entlarven und die Domestikation eindeutig von Pflanzenzüchtung und Gentechnik abzugrenzen, um die Pflanzenvielfalt und die soziopolitischen Beziehungen, die sie fördern, zu erhalten.

Die Ausführungen zu Saatgut und Vielfalt basieren auf: Gelinsky, E. 2021; Vom Wert der Vielfalt: Warum die Erhaltung der Agrobiodiversität in der Schweiz eine globale Dimension hat. In: Schweizer
Heimatschutz (Hrsg.): Schulthess Gartenpreis 2021 für die Stiftung ProSpecieRara, S. 8 –10.

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(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 118

Genomeditierung im Naturschutz

Mit der Genschere CRISPR/Cas hält die Genomeditierung auch Einzug in Naturschutzprojekte. Die Anwendungsideen sind vielfältig – von der erhofften sensationellen Wiederbelebung ausgestorbener Arten bis zu kleineren Eingriffen, welche bedrohte Arten stärken sollen. Diese Entwicklung ist alarmierend. Ausgerechnet in diesem sensiblen Bereich, in dem der Mensch bereits so viel Schaden angerichtet hat, plant man nun Eingriffe mit ungenügend geprüften Technologien. Deren Auswirkungen sind noch nicht abschätzbar – weder auf die Zielarten selbst noch auf das ganze Ökosystem.

Text: Zsofia Hock

Ein neues Forschungsgebiet, Resurrection Biology getauft, beschäftigt sich damit, ausgestorbene Tiere mittels Genomeditierung wieder zum Leben zu erwecken. Solche Forschungsziele werden einerseits durch eine Art Sehnsucht nach dem Verlorenen und der Hoffnung, menschengemachte Schäden wiedergutmachen zu können, angetrieben, andererseits aber auch durch pure Neugier. Oft werden als Motivation auch aktuelle Probleme angegeben, bei denen eine Lösung dringend herbeigesehnt wird – etwa die Bekämpfung des Klimawandels. Die Frage ist, ob dies nicht lediglich ein wohlklingendes Alibi ist, um den waghalsigen Experimenten eine grosszügigere Finanzierung zu sichern. Auch wenn Jurassic Park höchstwahrscheinlich Science-Fiction bleibt, werfen solche Auferweckungsträume eine Reihe ethischer Fragen auf. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn eine Art ausgerottet und danach wiederbelebt werden kann, könnte das nicht dazu führen, dass man sich weniger um die Erhaltung der Spezies in der freien Wildbahn bemüht?

Projekt Wollhaarmammut – lebendiges Museumstier oder mehr?

Das Vorhaben in diese Richtung mit dem grössten Medienecho weltweit will das seit Tausenden Jahren ausgestorbene Mammut wieder zum Leben erwecken. Wenn alles nach Plan läuft, sogar schon in 6 Jahren – eine kleine Sensation. Das auf den vielsagenden Namen Colossal getaufte, millionenschwere Projekt einer US-Forschungsgruppe um den Molekularbiologen George Church versucht aber auch, mit in den Mantel der Vernunft gehüllten Begründungen zu überzeugen. Das Argument des Klimaschutzes muss auch hier herhalten: Vom Mammut gestampfter Winterschnee soll das Tauen der Dauerfrostböden und die damit verbundenen erhöhten CO2–Emissionen in der Arktis verlangsamen.

Fokus 117
(Bild: Shutterstock)


Von Mammufanten gestampfter Winterschnee soll dem Klimawandel entgegenwirken. Doch die Entwicklung solcher genomeditierter Chimären kann nicht mit dem Tempo des Klimawandels mithalten. Auch kann die Technologie Elterntiere nicht ersetzen,welche ihren Nachkommen Verhaltensmuster weitergeben.


Technische Schwierigkeiten vorhersehbar

Um eine dem Wollhaarmammut ähnliche Art heranzuziehen, sollen mithilfe der Genschere CRISPR/Cas Zellen von Asiatischen Elefanten mit im Eis gefundenen gefrorenen Genen des Mammuts kombiniertwerden. Bis ein solcher Mammufant durch die Permafrostlandschaft der Arktis stampfen kann, müssten jedoch einige technische Hindernisse überwunden werden.

Einen Stolperstein stellen die enormen Unterschiede zwischen dem genetischen Code des ausgestorbenen Riesen und seinem nächsten Verwandten, dem Asiatischen Elefanten, dar: eine Diskrepanz von 1,5 Millionen Nukleotiden im Genom. Alle Unterschiede mittels Genschere auszugleichen, ist kaum möglich. Deswegen fokussieren die Biotechnologen auf Gene, welche den Phänotyp massgeblich beeinflussen: etwa auf Genabschnitte, welche die Grösse der Ohren, die Behaarung oder die Bildung des Unterhautfettgewebes bestimmen. Doch ein Organismus ist nicht die Summe seiner Gene. Mit dem Aussterben gingen neben physischen Eigenschaften auch Verhaltensweisen des Mammuts verloren: Migrationsrouten, Paarungsrituale, Techniken der Nahrungssuche und der Kommunikation. Deshalb ist es fraglich, inwiefern wiederbelebte Tiere erfolgreich ausgewildert werden könnten. Das Ergebnis des Mammutprojekts wird daher eine neue Art sein, die der ausgestorbenen Art zwar ähnelt, aber doch grundlegend anders ist: eine Art kältetoleranter Elefant, eine Kuriosität.

Bevor man überhaupt über ein Auswildern nachdenken kann, müssten weitere technische Hindernisse bewältigt werden. Etwa dasjenige des Klonens – damit ein Mammufant ausgetragen werden kann, müsste das manipulierte Mammuterbgut in eine entkernte Elefanteneizelle übertragen werden. Auch bei Arten, die noch nicht so lange ausgestorben oder enger miteinander verwandt sind, treten bei diesem Prozess Schwierigkeiten auf. Das Ausmass der evolutionären Unterschiede zwischen Mammut und Elefant könnte den Erfolg dieses Schrittes zusätzlich negativ beeinflussen. Bereits die Entnahme der Eizelle bei Elefanten ist riskant und mit erheblichem Tierleid verbunden.

Selbst wenn man über all diese Hindernisse hinwegkommt, wäre es zu spät – denn um das Auftauen einer Permafrostregion, die sich über Millionen von Quadratkilometern erstreckt, zu bremsen, müsste eine hohe Populationsdichte erreicht werden. Angesichts des langen Fortpflanzungszyklus des Mammuts lässt sich dies wohl kaum rechtzeitig realisieren. Daher muss der Frage nachgegangen werden, wer von solchen Projekten profitiert. Der Mensch? Die Tierart? Die einzelnen Individuen, die zur Umsetzung des Wiederbelebungsversuchs benutzt werden, ganz bestimmt nicht.

The Great Comeback  –  die Rückkehr der Wandertaube

Der Mammufant ist nur eines dieser Wiederbelebungsvorhaben. Andere Arten, die noch nicht so lange ausgestorben sind, könnten vor den Urzeitriesen wieder zum Leben erweckt werden. So etwa die Wandertaube (Ectopistes migratorius). Die Haupttriebfeder der Forschung bildet hier das Wohlergehen derjenigen Ökosysteme, denen seit dem Verschwindendieses Vogels ein wichtiger Ökosystembaustein fehlt. Noch vor 150 Jahren suchten Wandertauben in riesigen Scharen die Wälder Nordamerikas heim – bis das letzte Exemplar dem Jagdfieber zum Opfer fiel. Durch ihre Lebensweise beeinflussten die Vögel die Ökologie dieser Gebiete massgeblich. Denn jeder Einfall der Vogelschwärme zwang die Wälder zu Regenerationszyklen, die seit deren Verschwinden ausbleiben. Die nächste lebende Verwandte, die Ringeltaube, unterscheidet sich von der Wandertaube in 25 Millionen Genen. Trotzdem hoffen die Forscher auch hier, dass Veränderungen in ein paar Dutzend wichtigen Genen genügen, um eine Taube zu kreieren, welche sich wie die ausgestorbene Taubenart verhält.

Taube
(Bild: Shutterstock)


Der Ringeltaube (Columba palumbus), ein auch in der Schweiz häufig vorkommender Brutvogel, ist der engste lebende Verwandte der ausgestorbenen Wandertaube. Als solcher soll er für Wieder-
belebungsexperimente benutzt werden, obwohl der genetische Unterschied zwischen den beiden Arten bedeutend ist.


Wie alle Wiederbelebungsprojekte wirft auch dieses zahlreiche praktische und ethische Fragen auf. Wie würden sich die wiedererweckten Wandertaubenpopulationen in die sich seither veränderte Landschaft Nordamerikas einfügen? Was wäre, wenn die Riesenschwärme den bereits durch Wildfeuer und Erreger strapazierten Wäldern mehr schaden als nützen? Oder wenn die Tauben für grosse Metropolen wie New York zur Plage würden?

Die IUCN empfielt, dass solche Projekte nur dann grünes Licht bekommen, wenn die ursprünglichen Ursachen des Aussterbens beseitigt werden konnten. Im Falle der Wandertaube ist es fraglich, ob die Jagd als potenzielle Bedrohung ausgeschaltet werden kann. Vor allem, wenn die erneut eingeführte Art oder deren genomeditiertes Faksimile neu invasiv wird und als Schädling agiert – dies könnte im Falle der reiselustigen Wandertaube schnell zutreffen.

Bedrohte Arten gegen das Aussterben wappnen

Eingriffe mit der Genschere sollen auch dazu genutzt werden, die Auswirkungen des menschengemachten Biodiversitätsverlustes zu verlangsamen und möglichst vielen gefährdeten Arten eine Art Verschnaufpause vor dem drohenden Aussterben zu verschaffen. Dies wäre das Anwendungsziel, das eventuell technisch am ehesten realisierbar wäre, allerdings aber auch weniger spektulär für Medienjubel und an Publizität interessierten Grosssponsoren.

Das Thema beschäftigt die internationalen Naturschutzgremien und Forschungsgruppen jedoch aktuell sehr. Eine zentrale zu klärende Frage in dieser Diskussion lautet, bei welchem Gefährdungsstatus welche Methoden überhaupt eingesetzt werden dürften und wer darüber entscheidet. Die Idee eines unabhängigen Gremiums aus repräsentativen Interessenvertretern hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Verständlich: Denn die potenziell weitreichenden Auswirkungen genomeditierter Organismen werden von den Biotechnologen nicht immer genügend berücksichtigt. Eine gesellschaftlich breiter abgestützte Beurteilung ergibt durchaus Sinn.

Experten der Washington University schlagen vor, die Eingriffstiefe der Genomeditierung analog der Klassifizierung der Bedrohungsstufen der Weltnaturschutzorganisation IUCN zu definieren. In einem ersten Schritt soll die Genomeditierung dazu dienen, das Monitoring der Populationsgrösse und des Genflusses zwischen Populationen von gefährdeten Tierarten zu erleichtern. Bei stärker gefährdeten Arten schlagen die Forschenden vor, sich auf die Erhaltung der Arten zu konzentrieren, indem deren Anpassungsfähigkeit durch vorteilhafte Punktmutationen, induziert durch Genomeditierung, verbessert wird. Denkbar wäre ein solcher Eingriff bei Korallen, welche durch solche Mutationen auch bei höheren Wassertemperaturen überleben sollen. Ein weiteres Ziel dieser Kategorie des Revive & Restore, welches auch die Wiederbelebung der Wandertaube plant, wäre das auf Madagaskar lebende Schwarzfussfrettchen. Mittels Aktivierung spezifischer Gene durch CRISPR/Cas soll es resistent gegen die silvatische Pest gemacht werden, die durch Bakterien verursacht wird.

Salamander
(Bild: Shutterstock)


Der in seinen Beständen gefährdete Feuersalamander wird durch eine eingeschleppte Pilzkrankheit bedroht. Forschende möchten sein Erbgut mit einem Gene Drive so verändern, dass er immun gegen den Pilz wäre.


 Bei Arten der höchsten Gefährdungsstufe müssten auch grössere Eingriffe ins Genom in Betracht gezogen werden, postuliert das Forscherteam. So etwa das Entfernen schädlicher rezessiver Mutationen in Populationen aufgrund von Inzucht. Diese beeinträchtigen beispielsweisedie Züchtung des kalifornischen Kondors (Gymnogyps californianus) in Gefangenschaft. Auf die gleiche Art könnten auch verloren gegangene vorteilhafte genetische Merkmale wiederhergestellt werden, wenn dies mit direkter Züchtung nicht möglich ist.

Unklar ist aber, bei welchem dieser Schritte welche Technologie erlaubt wäre und ob die Anwendung von schwer kontrollierbaren Methoden, wie die der Gene-Drive-Technologie, je erlaubt sein sollten. Auch derartige Forschungsprojekte sind keine Seltenheit. Eines davon betrifft den auch hierzulande heimischen Feuersalamander. Diese Lurche sind bereits wegen des Verlustes ihrer Lebensr ume akut gefährdet. Nun werden sie zusätzlich von einem aus Asien eingeschleppten Hautpilz bedroht. Um diese tödliche Gefahr abzuwenden, soll dem Erbgut des Feuersalamanders mittels Gene Drives ein Gen eingefügt werden, welches sie immun gegen den Pilz machen soll. Grundsätzlich gilt es in jedem Fall abzuwägen, ob die Wiederherstellung von Verlorenem oder der Schutz des noch Vorhandenen dringender ist. Die knappen Gelder sollten in diejenigen Forschungsbereiche fliessen, welche die Biodiversität am effektivsten erhalten. Waghalsige Forschungsvorhaben mit Biotechnologie dürfen die Erhaltungsbiologie nicht konkurrenzieren, indem sie Ressourcen von den notwendigen ökologischen Schutzmassnahmen abziehen.
 

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(Bild: fotolia)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 97

Genmanipuliertes Zuckerrohr in Brasilien

Brasilien hat als weltweit erstes Land genmanipuliertes Zuckerrohr für den kommerziellen Anbau zugelassen. Das Gift, das die Pflanze produziert, soll den Zuckerrohrbohrer schädigen. Resistenzen und Verunreinigungen von konventionellem Zucker sind bereits vorprogrammiert.

Text: Denise Battaglia

Die Zulassung des gentechnisch veränderten Zuckerrohrs des brasilianischen Centro de Tecnologia Canavieira (CTC) ist, so weit weg sie uns scheint, nicht belanglos. Brasilien ist der grösste Zuckerrohrproduzent der Welt. Mit 600 Millionen Tonnen produziert das Land rund ein Viertel der weltweiten Zuckermenge. Das südamerikanische Land exportiert seinen Zucker in etwa 150 Länder. Das Technologiezentrum, welches das Gentech-Zuckerrohr entwickelte, hat Grosses vor: Gemäss dem Geschäftsführer Gustavo Leite soll künftig auf 15 Prozent der insgesamt 10 Millionen Hektar grossen Anbaufläche von Zuckerrohr gentechnisch veränderter Zucker wachsen, also auf rund 1,5 Millionen Hektaren. Das entspricht fast der Hälfte der Fläche der Schweiz.

Bt ist die Abkürzung für das Bakterium Bacillus thuringiensis, das in die Zuckerrohrpflanze eingeschleust wurde. Das artfremde Gen sorgt dafür, dass die Pflanze konstant ein Gift absondert, sogenannte Bt-Toxine, so dass die Insektenlarven, die an den Pflanzen fressen, getötet werden. Das Bt-Zuckerrohr soll damit den Zuckerrohrbohrer (Diatraea saccharalis) unschädlich machen. Das Insekt sorgt gemäss CTC für einen geschätzten Ernteausfall im Wert von jährlich anderthalb Milliarden US-Dollar.

Verunreinigung des konventionellen Zuckers?

Fokus 97 Fabrik
(Bild: Rudhart, Greenpeace)

Das tönt nach viel. Jochen Koester, Gründungs- und Vorstandsmitglied des deutschen Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) relativiert aber. Die Anbauzulassung in Brasilien habe ihn «sehr überrascht». Der Schädlingsbefall sei bei Zuckerrohr bei weitem nicht so gross wie beispielsweise bei Mais. «Man könnte den Schädling problemlos mit anderen Methoden in Schach halten», sagt er. Schädlinge vermehren sich zudem in Monokulturen oft viel schneller als in Mischkulturen. Für Koester sieht es so aus, als ob man das gentechnisch veränderte Zuckerrohr zugelassen habe, weil man es nun einmal hat, ganz nach dem Motto «was machbar ist, wird gemacht». Koester sieht damit eine Menge Probleme auf die brasilianische Zuckerbranche zukommen. «Wenn jetzt ein paar Bauern damit anfangen, Gentech-Zuckerrohr anzubauen, dann wird es nicht lange dauern, bis konventionelle Zuckerplantagen und ganze Warenflusswege kontaminiert sind und man den konventionellen Zucker nicht mehr gentechfrei halten kann.» Beispiele für Kontaminationen durch den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen gibt es genug:

- In Kanada hat ein für kurze Zeit zugelassener gentechnisch veränderter Flachs (Leinsamen), obwohl kaum angebaut, in kurzer Zeit den konventionellen Flachs verunreinigt, was dem Land grosse Exportprobleme bescherte. Die exportierten Samen waren verunreinigt und konnten nicht verkauft werden.
- In Mexiko, dem Ursprungsland des Maises, fand man Gene aus Gentech-Sorten in uralten Landsorten. Und eine vor kurzem veröffentlichte Studie zeigte, dass 90 Prozent der Tortillas in Mexiko Gentech-Spuren enthalten, obwohl der Anbau von Gentech-Mais in Mexiko nicht erlaubt ist.

Als Quelle der Verunreinigungen wird in Mexiko gemäss einem Bericht des Gen-ethischen Netzwerkes unter anderem die hohe Zahl von Mais-Importen aus den USA angenommen, die unkontrolliert und nicht gekennzeichnet als Futtermittel oder zur Verarbeitung in Nahrungsmitteln auf den Markt kommen. Solche Verunreinigungen wären in der Verarbeitung von Zuckerrohr zu Zucker nur mit vollständig getrennten Ernte-, Transport- und Lagerungsprozessen zu vermeiden. Dies aber führt zu enormen Kosten und wäre kaum rentabel. Koester fragt deshalb: «Wozu gentechnisch verändertes Zuckerrohr?»

Resistente Schädlinge nach ein paar Jahren

Fokus 97 Bauer
Das brasilianische Züchtungsunternehmen CTC will in den nächsten Jahren für die wichtigsten Anbauregionen Brasiliens angepasste Sorten ihres Bt-Zuckerrohrs auf den Markt bringen. Ausserdem sind Sorten geplant, welche zusätzlich auch gegen Herbizide resistent sind. (Bild: Clipdealer)

Bt-Pflanzen sind nichts Neues. Bt-Mais, Bt-Baumwolle oder Bt-Soja werden grossflächig vor allem in den USA, Brasilien, Indien und Südafrika angebaut. Damit wirbt denn auch der brasilianische Hersteller: Bt-Pflanzen seien seit 20 Jahren etabliert, schreibt er auf seiner Website. Was er verschweigt: Viele Schädlinge, welche die jeweiligen Bt-Pflanzen abtöten sollen, sind inzwischen resistent gegen das Gift. So haben zum Beispiel Studien mit Bt-Mais in Puerto Rico und auch in Brasilien gezeigt, dass schon nach wenigen Anbaujahren das Gift die Zielschädlinge nicht mehr gross zu schädigen vermag – der Schädling habe sich an das Gift angepasst. Die Agrarökologin Angelika Hilbeck gibt dem Gentech-Zuckerrohr «wenige Jahre», bis der Zuckerrohrbohrer resistent gegen ihn ist. Zum einen, weil der Zuckerrohrbohrer schon seit Jahrzehnten dem Bt-Mais ausgesetzt ist, den er ebenfalls gerne frisst, und daher eine gewisse Selektion für Resistenz bereits stattfindet, und zum anderen, weil US-amerikanische Wissenschaftler in diesem Schädling schon vor zehn Jahren Resistenzgene gegen Bt-Toxine bei Laborversuchen gefunden haben. Die brasilianischen Bauern, die das gentechnisch veränderte Zuckerrohr anbauen, werden wohl nur kurzfristig eine bessere Ernte einfahren, und dies auch nur dort, wo effektiv dieser Schädling den Ertrag senkt und die Ursache nicht anderswo zu suchen wäre. Doch nach einer kurzen Zeit mit Ertragssteigerungen werden die Bäuerinnen und Bauern gegen einen weiteren resistenten Schädling kämpfen, sagt Hilbeck. «Wer am meisten profitieren wird, ist der Hersteller.» Die ETH-Forscherin hat im Jahre 2009 in einer Studie mit Bt-Mais herausgefunden, dass dieser Mais nicht nur den Zielschädling vernichtet, sondern auch Nützlinge wie die Florfliege und der Marienkäfer schädigen kann. Obwohl die Hersteller stets beteuert hatten, dies sei nicht der Fall.

Studien weisen gemäss Angelika Hilbeck darauf hin, dass der Anbau von Bt-Pflanzen auch Verschiebungen in Insektengemeinschaften im Agrarökosystem oder auch in aquatischen Systemen auslösen kann. Welche Auswirkungen diese Veränderungen haben, wird sich erst in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten zeigen, und dies auch nur dann, wenn man diese Veränderungen überwacht. «Jede Verschiebung im System hat Folgen, und diese sind unberechenbar», gibt die Forscherin zu bedenken. Dass man so wenig über die Auswirkungen von Bt-Pflanzen weiss, liege daran, dass der Anbau nicht systematisch begleitet werde. «Die Agrochemie hat an ökologischen Langzeituntersuchungen kein Interesse und vermeidet sie deshalb.»

Essen wir bald Gentech-Zucker?

Fokus 97 Treibstoff
Brasilien stellt aus dem Zuckerrohr nicht nur weissen Zucker, Rohrzucker oder Schnaps her, sondern auch Bioethanol. Brasilien hat nach der Erdölkrise Ende der 1970er-Jahre beschlossen, sich unabhängiger von Erdöl zu machen. Das südamerikanische Land wandelt seither einen grossen Teil des vergärten Zuckers in Agrosprit um. An den Tanksäulen in Brasilien kann dieser als Benzinersatz oder als Zusatz im Treibstoff bezogen werden. (Bild: Clipdealer)

Sorgen bereitet der Anbau des gentechnisch manipulierten Zuckerrohrs auch in Brasilien. Rogério Magalhães vom brasilianischen Umweltministerium fürchtet insbesondere um die Biodiversität und verweist auf die unabhängigen – leider nicht sehr zahlreichen – Studien, welche belegen, dass das Bt-Toxin solcher gentechnisch veränderter Pflanzen «auch andere Insekten, Bodenfauna und Mikroorganismen schädigt», wie er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte.

Welche Auswirkungen hätte der Anbau von Gentech-Zucker in Brasilien für die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz und in Europa? Jochen Koester glaubt nicht, dass Europa und die Schweiz in den nächsten Jahren mit gentechnisch verändertem Rohrzucker oder raffiniertem weissen Zucker konfrontiert sein werden. Erstens wächst Zuckerrohr langsam, es werde in einem Zyklus von fünf bis sieben Jahren angebaut. Folg lich würden jährlich nur 20 Prozent der Anbaufläche neu bepflanzt. Zweitens stammt der Zucker, den wir in der Schweiz konsumieren, hauptsächlich aus hiesigen Zuckerrüben. Letztes Jahr importierte die Schweiz 15ʼ800 Kilogramm Zuckerrohr, der grösste Teil stammt aus Costa Rica, Ägypten und Uganda. Aus Brasilien hat die Schweiz, zumindest in den letzten drei Jahren, keinen Rohrzucker eingeführt, wie die Statistik der Eidgenössischen Zollverwaltung zeigt. Und drittens bräuchte es für die Einfuhr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln eine Bewilligung, und sie müssen als solche gekennzeichnet werden (siehe Box). Allerdings gibt es einen Toleranzwert. Unbeabsichtigte «Spuren» von gentechnisch veränderten Organismen bis zu einem Anteil von 0,5 Prozent werden in Lebensmitteln toleriert. So wurden zum Beispiel schon Spuren von Gentech-Reis in amerikanischem Langkornreis in der Schweiz gefunden und Spuren von Gentech-Mais in konventionellem Mais in Europa.


Bewilligung für Gentech-Lebensmittel

Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten oder die daraus gewonnen wurden, dürfen in der Schweiz nur mit einer Bewilligung in Verkehr gebracht werden. Sind die Produkte für Konsumentinnen und Konsumenten bestimmt, müssen sie zudem (mit «GVO») gekennzeichnet sein. Gentechnisch veränderte Lebensmittel werden in einem Bewilligungsverfahren vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) beurteilt. Das BLV erteile die Bewilligung nur, wenn nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft «eine Gefährdung von Gesundheit und Umwelt ausgeschlossen werden kann», wie die Behörde auf ihrer Website schreibt. In der Schweiz sind gemäss dem BLV zurzeit eine Sojalinie, drei Maislinien, zwei Vitamine, zwei Labfermente und zwei Verarbeitungshilfsstoffe, die gentechnisch verändert worden sind, zur Verwendung in Lebensmitteln bewilligt.


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(Bild: Clipdealer)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 100

Ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt

Die industrielle Landwirtschaft und die Varroa-Milbe haben den Bienenbestand weltweit stark dezimiert. Nun wollen Forscher die Bienen mit den neuen gentechnischen Verfahren an die industrielle Landwirtschaft anpassen. Gentechnikexperte Christoph Then warnt vor diesen unberechenbaren Eingriffen am wichtigsten Bestäuber.

Text: Denise Battaglia

Bienen bestäuben rund 80 Prozent der Pflanzen. Wir verdanken ihrem Pollentransport Früchte und Obst, Ölsaaten wie Raps, auch Nüsse und Gemüse. Seit der Ausstrahlung des Dokumentarfilms «More than Honey» des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof weiss auch jeder Nichtimker: Den Bienen geht es nicht gut. In China müssen in bestimmten Regionen die Blüten von Menschenhand bestäubt werden, weil es keine Bienen mehr gibt. Im Jahr 2016 riefen die USA die Biene zur gefährdeten Art aus. Auch hierzulande hat der Bundesrat einen Massnahmenplan «für die Gesundheit der Bienen» verabschiedet, weil der Bestand an Honigbienen und Wildbienen stark rückläufig ist.

Frühere Hochkulturen haben die Biene verehrt. Für die Ägypter, die schon vor 3000 Jahren Honigbienen züchteten, war der Honig eine Götterspeise. Die Bienen sind in den Heiligtümern ägyptischer Tempel abgebildet. Nach der Überlieferung sind die Bienen göttlicher Herkunft: Sie entstanden aus den Tränen des Sonnengottes Re, dem wichtigsten altägyptischen Gott. Auch im antiken Griechenland galten die Bienen als «Boten der Götter».

Nun steht die Biene im Fokus der Gentechnik

Fokus 100 Imker
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Für den modernen Menschen ist die Biene, die rund 17 Millionen Jahre vor dem Menschen die Erde bevölkert hat, kein Götterbote mehr, sondern bestenfalls ein Mittel zum Zweck (der effizienten Bestäubung und Honigproduktion). Die industrielle Landwirtschaft mit ihren (gentechnisch veränderten) Monokulturen und ihrem Pestizid einsatz steht im Verdacht, neben der Varroa-Milbe mit verantwortlich für das weltweite Bienensterben zu sein: Die Monokulturen haben die Vielfalt des Bienenfutters reduziert und Studien verweisen darauf, dass die in den Pestiziden enthaltenen Wirkstoffe wie Neonicotinoide und Glyphosat die Bienen schwächen könnten. «Bienen hatten über Millionen von Jahren eine wunderbare Nahrung, die genau ihre Ansprüche erfüllte», sagte der Bienen forscher Jay Evans vom US-Landwirtschaftsministerium in einem Interview gegenüber dem deutschen Fernsehsender ARD. «Mit zusätzlichen Chemikalien kommen sie deshalb nicht klar.» Doch die Konsequenz dieser Erkenntnis ist nicht, die industrielle Landwirtschaft in Frage zu stellen. Die Konsequenz des modernen Menschen ist, zu versuchen, neue Bienen herzustellen, die mit den Chemikalien «klarkommen». Mit den neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas9 will man die Insekten zum Beispiel resistenter gegen Pestizide machen. Christoph Then vom deutschen Institut Testbiotech warnt vor Eingriffen in das Erbgut der Biene. «Wir haben eine Dimension der gentechnischen Manipulierbarkeit erreicht, die ich für sehr gefährlich halte.»

Herr Then, in den USA, wo gentechnisch veränderte Pflanzen grossflächig angebaut werden, steht die Biene auf der Liste der gefährdeten Arten. Schädigen gentechnisch veränderte Pflanzen die Bienen doch?
Christoph Then: Der Zusammenhang zwischen dem Bienensterben in den USA und dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen wurde meines Wissens nicht nachgewiesen. Womöglich ist es in den USA gar nicht mehr möglich, neben Bienen, die Gentechpflanzen anfliegen, noch eine Kontrollgruppe zu untersuchen, die keinen Kontakt zu Gentechpflanzen hat. Vermutlich sind die Bienen gegenüber dem Bt-Gift alleine relativ unempfindlich. Studien weisen aber darauf hin, dass Bienen auf das vom Bt-Mais permanent produzierte Insektengift empfindlich reagieren, wenn sie von Darmparasiten befallen, also geschwächt sind. Andere Studien zeigen, dass sich die Wirkung des Bt-Insektengiftes verstärken kann, wenn sie mit Umweltgiften, Krankheitserregern oder Pestiziden interagieren. Das könnte auch Bienen betreffen.

Die Frage, ob das Bt-Toxin Bienen mit Darmparasiten schädigt, wurde bis heute nicht geklärt. Warum?
Eine Studie von Forschern der Universität Jena konnte nicht weitergeführt werden. Nach den Hinweisen darauf, dass die Wirkung des Insektengifts auf Bienen durch Wechselwirkung mit Darmparasiten verstärkt wird, wurden keine weiteren Mittel für das Projekt bewilligt.

Nach anderen Studien beinträchtigt das Bt-Gift die Lernfähigkeit von Bienen.
Ja, aber die Industrie sagt, dass den Bienen in diesen Untersuchungen mehr Bt-Gift verabreicht worden sei, als sie auf ihrem Pollenflug aufnehmen würden. Auch hier bräuchte es weitere Untersuchungen.

Die Biene soll nun mittels Gentechnik vor dem Aussterben gerettet werden.
Monsanto will unter anderem biologisch aktive Stoffe, sogenannte mikroRNA, die mit Hilfe von Gentechnik hergestellt wird, in das Futter von Bienen mischen. Die Idee dahinter: Die Bienen nehmen diese Stoffe auf und geben sie an Parasiten wie die Varroa-Milben weiter, wenn diese den Bienenstock befallen. Bei den Milben sollen diese Stoffe dann in die Genregulation eingreifen und so die Parasiten abtöten. Das ist ein Verfahren, das mit vielen Risiken behaftet ist. Diese Stoffe würden auch im Honig landen. Insgesamt will die Industrie die Bienen an die Umweltbelastungen anpassen und nicht umgekehrt eine bienenfreundliche Umwelt schaffen. Dafür sollen auch die neuen Gentechnikverfahren verwendet werden.

Fokus 100 BienenMit gentechnischen Eingriffen bei Bienen und anderen Insekten wird eine wichtige Grenze überschritten. Man versucht, wildlebende Populationen gentechnisch zu verändern, die auf vielen Ebenen mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Dies ist eine neue Dimension der Risiken. Ein solcher Eingriff kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, sollte etwas schieflaufen. (Bild: Fotolia)

Sie meinen die neuen Gentechnikmethoden wie CRISPR/Cas9?
Genau. Diese neuen Gentechniken haben das Spielfeld massiv erweitert. Man will jetzt auch natürliche Populationen gentechnisch verändern, nicht wie bisher Ackerpflanzen. So will man unter anderem Mücken und Fruchtfliegen bekämpfen oder Bienen resistent gegen Pestizide oder die Varroa-Milbe machen. Diese Entwicklung hat eine ungeheure Dynamik und eine neue Dimension der Risiken. Wenn nun frei fliegende Insekten gentechnisch verändert werden, dann verlieren wir die Kontrolle – wir können nicht mehr eingreifen, wenn etwas schiefgeht.

Die Anwender sagen, es gehe ihnen bei den Bienen um deren Schutz.
Letztlich geht es oft um kurzfristige Profite. Mit der alten Gentechnik wollte man den Einsatz von Pestiziden verringern. Mit den neuen Gentechniken will man angeblich bedrohte Arten retten. Dass es aber um Profite geht, erkennt man daran, dass die Firmen Patente auf die Technologien und die Organismen anmelden – jüngst zum Beispiel ein Patent auf gentechnisch veränderte Bakterien, die den Darm von Bienen besiedeln sollen. Und auch die gentechnisch veränderten Insekten werden patentiert.

Ist es etwas anderes, ob man Pflanzen gentechnisch verändert oder Bienen?
Mit Insekten wie Bienen wird eine wichtige Grenze überschritten. Man versucht nun, wildlebende Populationen gentechnisch zu verändern, die auf vielen Ebenen mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Bisher hat man versucht, die Gentechnik auf das Labor oder den Acker zu begrenzen.

Die Anwender von CRISPR/Cas9 sagen, dass diese Technik sehr präzise sei.
Man beruhigt die Politiker und die Bevölkerung mit der angeblichen Präzision der neuen Gentechniken. Tatsächlich sind die neuen Verfahren präziser – aber keineswegs fehlerfrei. Mit der Behauptung der «Präzision» – die Medien und Politiker oft zu unkritisch von der Gentechlobby übernehmen – soll verhindert werden, dass man über die Risiken diskutiert.

Welche Risiken bergen denn die neuen Gentechverfahren?
Wie bei den alten Gentechnikverfahren greift man auch bei den neuen – anders als bei der konventionellen Züchtung – direkt ins Erbgut ein und umgeht so die natürlichen Mechanismen der Vererbung und der Genregulation. Dabei kann es zu ungewollten Veränderungen der Struktur der Gene, der Genregulation, der Wechselwirkungen und der genetischen Netzwerke kommen. Das kann bei gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren − unabhängig davon, ob diese mit neuer oder alter Gentechnik manipuliert werden − sehr unterschiedliche Folgen haben. Grundsätzlich ist das Risiko höher, wenn man die Gentechnik bei wildlebenden Populationen anwendet. Aber auch ein Gentechnikpilz, der nach dem Schneiden nicht mehr braun wird, weil natürliche Genanlagen mit der Genschere entfernt wurden, kann in seinem Stoffwechsel so verändert sein, dass er für Menschen ungeniessbar wird.

Vielleicht funktioniert das, was sich die Anwender vorstellen, gar nicht? Die alte Gentechnik hat auch nicht, wie von der Industrie prophezeit, den Welthunger beseitigt oder den Pestizideinsatz verringert.
Ob die Technik das bringt, was die Anwender sich ausdenken, ist oft gar nicht entscheidend. Der Punkt ist: Die neuen Gentechniken haben die Möglichkeiten zur Manipulation des Erbguts erheblich ausgeweitet. Diese Machbarkeit ist eine grosse Herausforderung für die Gesellschaft. Denn damit nehmen die Einsatzmöglichkeiten wie die Risiken zu. Eine Biene, die in ihrem Darm gentechnisch veränderte Bakterien transportiert und in der Umwelt verteilt, ist ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt. Das gilt auch dann, wenn die Bakterien sich im Darm der Bienen nicht so verhalten, wie eine Firma dies gerne hätte. Wir haben eine Dimension der gentechnischen Manipulierbarkeit erreicht, die ich für sehr gefährlich halte.

Was wäre zu tun?
Wir müssen über diese neuen Technologien eine gesamtgesellschaftliche Debatte führen: über Risiken, Verantwortung, Interessen, über Werte und Grenzen. Politik und Medien sind oft nicht auf dem aktuellen Wissensstand und unterschätzen die Risiken. Insgesamt erhält die neue Gentechnik noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigte. Diese Technologien entwickeln sich sprunghaft weiter. Mit der grossen Dynamik der Entwicklung droht der Gesellschaft die Kontrolle zu entgleiten. Die moderne Gesellschaft steht hier vor grossen Herausforderungen.


Fokus 100 Then
Testbiotech ist ein im Jahre 2008 von Tierarzt Christoph Then mitgegründetes Institut in München, das den Einsatz von Gentechnik kritisch hinterfragt und sich mit möglichen Auswirkungen und Folgen für Mensch und Umwelt auseinandersetzt. Testbiotech stellt von der Gentechnikindustrie unabhängige, wissenschaftliche Expertisen bereit und leistet damit einen Beitrag, die Entscheidungskompetenz von Politik und Gesellschaft zu stärken.
www.testbiotech.org


Titelbild101 
(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 101

Freisetzungsversuche mit Gentechmücken

Oxitec, ein britisches Unternehmen, hat gentechnisch veränderte Mücken freigelassen, die sich nicht mehr fortpflanzen können, um die Population zu verkleinern. Der Erfolg lässt auf sich warten. Wurde mit öffentlichen Geldern einem kommerziellen Unternehmen gestattet, einen irreführenden Hype um den Nutzen seiner Technologie zu verbreiten?

Text: Helen Wallace, GeneWatch UK

Den männlichen Mücken hat das britische Biotechunternehmen Oxitec erstens ein fluoreszierendes Markergen ins Genom eingefügt und zweitens eine Art «Tötungsgen». Dieses bewirkt, dass die meisten (aber nicht alle) Nachkommen dieser Mücke bereits als Larven sterben, sich also nicht fortpflanzen werden. Wiederholte Freisetzungen vieler Millionen oder gar Milliarden solcher GV-Männchen, die die Zahl der wilden männlichen Moskitos bei weitem übersteigen, sollen die gesamte erwachsene Mückenpopulation im Laufe der Zeit verkleinern. Im Jahre 2008 hat Oxitec damit begonnen, auf den Kaimaninseln, in Malaysia, Panama und Brasilien solche gentechnisch veränderten Mücken der Art Aedes aegypti versuchsweise in der Umwelt freizusetzen.

Die Aedes aegypti übertragen die tropischen Krankheiten Denguefieber, Zika und das Chikungunyafieber.

Keine Hinweise auf Rückgang der Mückenpopulation

Fokus 101 Mücke
(Bild: Shutterstock)

Die Firma behauptete immer wieder, dass ihre Experimente erfolgreich und der Bestand der Aedes-aegypti-Populationen um über 90 Prozent reduziert worden seien. Doch ein von GeneWatch UK kürzlich veröffentlichter Bericht zu diesen GV-Mücken,1 der auf veröffentlichten Resultaten der «Versuchs»-Länder basiert, kann diese Erfolgsquote nicht bestätigen. Es gibt weder Hinweise auf eine Verkleinerung der Population der weiblichen Moskitos, welche die Krankheiten übertragen, noch auf einen Rückgang der Infektionsraten. Nur die weiblichen Mücken stechen und können Krankheiten übertragen. Auch gemäss einer Analyse neuer Daten, die auf Druck öffentlich zugängig wurden, gibt es «keine signifikante Abnahme der Häufigkeit von Aedes aegypti im Freisetzungsgebiet», wie die Wissenschaftler des Mosquito Control and Research Unit (MRCU) auf den Kaimaninseln feststellen mussten.

Nach dem Bericht von GeneWatch UK hat sich die Zahl der weiblichen Moskitos auf den Kaimaninseln im Freisetzungsgebiet sogar erhöht. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass nicht nur männliche genetisch veränderte Mücken freigesetzt wurden, sondern unbeabsichtigt auch eine grosse Zahl weibliche GV-Mücken. Durch diese ungewollte Freisetzung stechender weiblicher Moskitos kann die Ausbreitung von Krankheiten bei der lokalen Bevölkerung während dieser Experimente erhöht werden, statt dass sie verringert wird, wie dies Oxitec propagiert.

Worauf beruht die Risikoprüfung?

Fokus 101 Insel
Seit 2008 wurden auf den Kaimaninseln Millionen von gentechnisch veränderten Mücken freigesetzt. Doch die Versuche habe bislang keinen Erfolg gebracht. Die Zahl der weiblichen Mücken ist gar gestiegen. (Bild: Shutterstock)

Es gibt zudem Bedenken hinsichtlich der Kosten für die Technologie. Es gibt Hinweise, dass Oxitec gravierende Probleme bei der Produktion der GV-Mücken hat. All dies wirft wichtige Fragen auf: Wurden und werden die Öffentlichkeit, die Gesundheitsministerien, die Behörden, die für die Mückenbekämpfung verantwortlich sind, und auch Intrexon, die Oxitec vor drei Jahren übernahm, falsch über die Wirksamkeit der Gentechmücken und die Kosten informiert?

Oxitec war ursprünglich ein Spin-off-Unternehmen der Universität Oxford. Die wichtigsten Investoren in der Frühphase der Firma waren die Universität, Oxford Capital Partners und das US-Unternehmen East Hill Management. Die Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des jungen Unternehmens wurden durch zahlreiche öffentliche Forschungszuschüsse gefördert. Im September 2015 erwarb die Intrexon Corporation, ein US-Biotechkonzern, Oxitec für 160 Millionen US-Dollar – bezahlt mit einer Mischung aus Bargeld und Aktien. Die Behauptung, mit den GV-Mücken werde die Aedes-aegypti-Population um 90 Prozent reduziert, wurde in den Pressemitteilungen besonders hervorgehoben, welche beide Unternehmen bei der Übernahme publizierten. Wenn sich diese Angaben aber nicht auf Datenerhebungen stützten, wirft dies Fragen zur Sorgfalt der durchgeführten Risikoprüfung auf. Eine solche Risikoprüfung wird durch das US-Recht vorgeschrieben. Dabei wird auch geprüft, ob die Investoren der Firmen richtig informiert worden sind. Hinzu kommt, dass Investitionen in neue Technologien, die in der Realität nicht funktionieren, Geld verschwenden und Leben gefährden.

Antibiotikum schaltet Tötungsmechanismus aus

GeneWatch hat in der Vergangenheit bereits mehrfach auf die Risiken der Freisetzun gen der Gentechmücken von Oxitec hingewiesen.2, 3 Bedenklich ist, dass einzelne GV-Mücken überleben und sich verbreiten – auch stechende und Krankheiten übertragende Weibchen. Das heisst, dass diese gentechnisch veränderten Mücken bis ins Erwachsenenalter überleben und sich fort pflanzen können. Für die Herstellung der GV-Männchen werden nicht einheimische Mückenstämme verwendet. Diese können neue Merkmale in die wilde Mückenpopulation einbringen, beispielsweise verschiedene krankheitsübertragende Eigenschaften. Ebenso ist nicht bekannt, welche Auswirkungen die Freisetzungen auf andere Arten haben, ob sich beispielsweise durch die Reduktion von Aedes-aegypti-Mücken die Aedes-albopictus-Mücken oder andere krankheitsübertragende Arten stark vermehren würden. Die Auswirkungen dieser freigelassenen Gentechmücken auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit sind bis heute nicht erforscht.

Dazu kommt, dass für die Zucht der männlichen Mücken das eingebaute Tötungsgen stillgelegt werden muss, das nach der Freisetzung dafür sorgt, dass die Nachkommen schon im Larvenstadium absterben. Dafür wird das Antibiotikum Tetracyclin eingesetzt: Es setzt wie ein chemischer Schalter den genetischen Tötungsmechanismus aus. Fehlt das Antibiotikum, sterben die Mücken. Stossen dagegen die frei gelassenen Mücken in der Umwelt auf ausreichend hohe Tetracyclin-Werte, kann der genetische Tötungsmechanismus deaktiviert werden oder die Mücken können eine Resistenz entwickeln. Dies würde die Mückenpopulation wieder vergrössern. Auch die Entsorgung des Antibiotikums Tetracyclin, das zur Züchtung der Gentech-Mücken im Labor verwendet wird, schafft Probleme, und ungeklärt ist auch, ob frei gesetzte GV-Mücken antibiotikaresistente Bakterien in der Umwelt verbreiten.

Internationale Richtlinien ignoriert

Fokus 101 DiamanmotteDiamantmotten befallen Kohlgewächse und andere Nutzpflanzen. Zur Bekämpfung sollen gentechnisch veränderte Motten freigesetzt werden. In Entwicklung sind auch Versuche mit GV-Olivenfliegen in Spanien und GV-Obstfliegen in Australien und Brasilien. (Bild: Wikipedia)

Überhaupt scheint man bei der Herstellung und Freisetzung dieser GV-Mücken einige Richtlinien ignoriert zu haben. GeneWatch konnte nachweisen, dass Oxitec die Anforderungen des «Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit» nicht erfüllt. Das internationale Übereinkommen umfasst eine Meldepflicht bei grenzüberschreitenden Lieferungen. Dies ist bei Oxitec der Fall, welche GV-Mückeneier in die Freisetzungsregionen aus dem Vereinigten Königreich exportiert. Das Protokoll schreibt ausserdem eine Risikobeurteilung vor, die den europäischen Normen entspricht. Doch veröffentlichte, zuverlässige Risikobewertungen fehlen bei den Freisetzungen von GV-Mücken. Die Menschen in den Freisetzungsgebieten wurden weder ausreichend über die Risiken informiert noch konnten sie den Versuchen in voller Kenntnis der Sachlage zustimmen.

Gentechschädlinge in der Landwirtschaft?

Trotz all dieser Bedenken plant Oxitec weitere experimentelle Freisetzungen auf den Kaimaninseln und in mehreren Städten Brasiliens. Gegenwärtig prüft die US-Umweltschutzbehörde (EPA) auch einen Antrag auf Freisetzung von GV-Mücken in Florida und Texas. Eine grossflächig angelegte kommerzielle Einführung dagegen wurde bis auf weiteres auf Eis gelegt. Oxitec hat auch eine Reihe von gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Schädlingen entwickelt. GV-Diamantmotten, die auch als Kohlmotten bekannt sind und Kohlgewächse und andere Nutzpflanzen fressen, sollen in Grossbritannien und in den USA freigesetzt werden. Ein kleiner Freisetzungsversuch mit solchen Motten wurde im Bundesstaat New York bereits durchgeführt. In Entwicklung sind Gentech-Olivenfliegen in Spanien und Gentech-Obstfliegen in Australien und Brasilien. Ein Problem dabei: Die weiblichen Nachkommen sterben meist im Larvenstadium, wenn sie sich bereits in der Pflanze befinden. Obst- und Gemüsepflanzen, die durch die GV-Larven bereits beschädigt sind und die daraus produzierten Nahrungs- oder Futtermittel können mit zahlreichen toten weiblichen GV-Maden kontaminiert sein, was in der Nahrungsmittelproduktion inakzeptabel ist.4 Die meisten dieser Freisetzungsanträge haben die Behörden deshalb abgelehnt oder aber die Entwicklung wurde vorzeitig eingestellt.

Mit beträchtlichen öffentlichen Geldern (aus unterschiedlichen Forschungs- und den Gesundheitsbudgets) wurde einem kommerziell ausgerichteten Unternehmen gestattet, einen irreführenden Hype um den Nutzen seiner Technologie zu verbreiten – ohne angemessene Risikobeurteilungen vor der unkontrollierten Freisetzung der Gentechmücken in der freien Natur. Es ist bedenklich, dass öffentliche Gelder für Unternehmen dieser Art verschwendet werden. Sie sollten besser in die Entwicklung und Umsetzung glaubwürdigerer und nachhaltigerer Alternativen investiert werden.


Unter einem Gentechdach: Insekten, Fisch und Obst

Das britische Unternehmen Oxitec wurde 2015 von Intrexon, einer US-amerikanischen Gesellschaft für synthetische Biologie, übernommen. Zu diesem Konzern gehören auch das Biotechunternehmen AquaBounty Technologies, das den ersten gentechnisch veränderten Lachs herstellte, sowie Okanagan Specialty Fruits, die gentechnisch manipulierte Äpfel entwickelt hat. Dem gentechnisch veränderten Lachs wurde ein Gen für ein Wachstumshormon eingebaut, damit er schneller das Schlachtgewicht erreicht, und ein Regulationsgen mit Antifrostproteinen, damit er auch in eiskalten Gewässern wächst. Der Lachs wird in Kanada bereits verkauft und darf ab dem nächsten Jahr auch in den USA verkauft werden. In Europa ist er verboten. Okanagan Specialty Fruits hat unter anderem Gentechäpfel hergestellt, die weniger schnell braun werden. Die so veränderten Sorten Arctic, Golden Delicious, Granny Smith sowie Fuji sind in Kanada und den USA für den Markt zugelassen worden.


 

1 Oxitec’s GM insects: Failed in the Field? GeneWatch UK Briefing, May 2018
2 Oxitec’s Genetically Modified Mosquitoes: A Credible Approach to Dengue Fever? GeneWatch UK, March 2015
3 GeneWatch UK comments on FDA Docket FDA-2014-N-2235: Oxitec OX513A Mosquitoes, 17th May 2016
4 Failures of the transboundary notification process for living geneti-cally modified insects. GeneWatch UK Briefing, August 2014

Titelbild 102 Ähnlich wie bei der Entschlüsselung der Qumran Texte mit Bruchstücken noch nicht entzifferter hebräischer Schriftzüge werden beim Genome-Editing wenig bekannte Informationen – Gensequenzen, deren Auswirkungen auf den gesamten Organismus nur teilweise entschlüsselt sind – in den noch unbekannten Kontext des Genoms verschoben. (Bild: Osama SM Amin FRCP)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 102

Industrie beschönigt mit fragwürdigen Bildern

Beim Entscheid des Europäischen Gerichtshofes, die neuen Gentechnikverfahren dem Gentechnikrecht zu unterstellen, spielte die Frage der Risikoeinschätzung eine zentrale Rolle. Fürsprecher der Gentechnik plädieren mit einer aggressiven Kommunikationskampagne für eine weitgehende Deregulierung der Genom-Editierung. Der Entscheid des EuGH wird als «unwissenschaftlich und innovationsfeindlich» bezeichnet und Regulierungsbefürworter, welche eine konsequente Anwendung des im Umweltrecht verankerten Vorsorgeprinzips fordern, werden beleidigt.

Text: Zsofia Hock

Der Europäische Gerichtshof EuGH hat im Juli entschieden, dass Organismen, die mit neuen gentechnischen Verfahren wie der Genschere CRISPR/Cas erzeugt wurden, unter das europäische Gentechnikrecht fallen. Somit müssen Pflanzen, deren Erbgut mit solchen Methoden verändert wurde, als gentechnisch veränderte Organismen gekennzeichnet und geprüft werden. Das Urteil sorgte auf Seiten der Befürworter der neuen Verfahren für heftige Reaktionen und einen gehässigen Ton. In der Medienberichterstattung wird ein einseitiges Zerrbild eines absolut sicheren und präzisen, «natürlichen» Verfahrens vermittelt. Mögliche Risiken und grundsätzliche ethische Fragen werden kaum diskutiert. Argumente der kritischen Seite, unter denen sich nebst Konsumenten auch zahlreiche Fachspezialisten und Forscher befinden, kommen bei den meisten Medienberichten deutlich zu kurz.

Ein biologisches Textverarbeitungsprogramm

Am häufigsten wird mit der Präzision der neuen Verfahren geworben und der Entscheid des Europäischen Gerichtshofes als unlogisch apostrophiert und hinterfragt: Wie könnte eine hochpräzise Technologie riskanter sein als frühere, unpräzise Techniken? Buchstaben des Genoms zu editieren, zu löschen oder auszutauschen, wie mit einem Textverarbeitungsprogramm, das tönt leicht. In Wirklichkeit gibt es aber viele Stolpersteine. Der oft gebrauchte Vergleich hinkt. Nukleotide sind keine Buchstaben eines Textes, die nach Belieben gelöscht oder ausgetauscht werden können, sondern Moleküle, die eine oft komplexe Auswirkung auf andere Moleküle und somit auf den ganzen Organismus haben. Es gibt viele komplexe Interaktionen zwischen den Genen und den daraus resultierenden Proteinen, welche die Aktivität anderer Gene regulieren, aber auch zwischen dem Organismus und der Umwelt. Die Epigenetik hat zudem das Dogma gekippt, dass die Eigenschaften eines Organismus durch das vererbte Genmaterial unveränderbar bestimmt werden. Heute weiss man, dass Umweltveränderungen das Erbgut beeinflussen: Äussere Faktoren bestimmen im Zellkern, ob und in welchem Ausmass bestimmte Gene ein- und ausgeschaltet werden.

Wird ein einzelnes Nukleotid gelöscht oder ersetzt, kann dies also auf vielen verschiedenen Ebenen etwas bewirken. Einige Veränderungen werden sogar nur unter bestimmten agro-ökologischen Umständen sichtbar. Noch kennen die Forscher nur einen Bruchteil der involvierten Prozesse und noch weniger haben sie diese unter Kontrolle. Wenn man beim Vergleich mit dem Textverarbeitungsprogramm bleibt, wäre dies, als ob der Anwender der Software die Grammatik beziehungsweise die im Text verwendete Sprache kaum oder gar nicht beherrschen würde. Präzise bedeutet also nicht unbedingt sicher.

Die Genschere gleicht eher einer Kräuterhacke

Der oft gebrauchte Begriff «molekulare Genschere» vermittelt eine trügerische Botschaft über die Präzision der Methode. Die Funktion «Ausschneiden» arbeitet zwar relativ präzise und der Ort des Doppelstrangbruchs kann ziemlich genau festgelegt werden. Da die gleichen Gensequenzen auf einem Chromosom aber meist mehrfach vorhanden sind, und da Genscheren wie Cas9 aber auch schneiden, wenn keine absolute Übereinstimmung vorliegt, kommt es häufig zu mehreren Schnitten. Schwierigkeiten bereitet die Reparatur der getrennten Stränge. Sie werden meistens zufällig wieder zusammengefügt, unabhängig von ihrer Sequenz (nicht-homologe Endverknüpfung). Dies kann zu Nichtzieleffekten (off target) führen. Wesentlich seltener kommt es zur effizienteren Genreparatur durch homologe Rekombination, wodurch die Lücke korrekt geschlossen werden kann.

Déjà-vu – recycelte Slogans und Versprechen

Paradoxerweise nehmen industrienahe Biotechnologen das verfestigte negative Image der alten Gentechnikpflanzen auf, um für die Vorzüge der neuen Gentechnik zu werben. Produkte der klassischen Gentechnik, für die sie selber sich über 20 Jahre eingesetzt haben, werden plötzlich Risiken für Umwelt und Gesundheit attestiert, die nun behoben würden.

Auffallend merkwürdig wird es, wenn man das Rad der Zeit 20 Jahre zurückdreht und die damaligen Werbeslogans der Industrie anschaut. «Wir müssen die Welt ernähren» und «Anpassung an den Klimawandel» stand auch damals ganz oben auf der Liste. Genau die gleichen Lösungsstrategien werden auch heute propagiert, mit der gleichen Wortwahl. Doch wenn man einen Blick auf die Ergebnisse wirft, die die Gentechnik seit ihrem Anfang geliefert hat, sieht man, dass die Erfolge recht mager sind. Im Fokus der Forschung stehen noch immer dieselben wenigen Kulturpflanzen und Eigenschaften, wie beispielsweise Herbizidresistenzen. Doch die klassische Gentechnik hat es nicht geschafft, eine trockenheitstolerante Pflanze zu kreieren – und das ist auch von den neuen Methoden nicht zu erwarten, da diese komplexe Eigenschaft von über 100 Stellen im Genom mitreguliert wird.

Von der Natur inspiriert

Fokus 102 Fingerprint
Gentechnische Verfahren hinterlassen Narben in der Zelle. Das Muster dieser Narben ist so individuell wie ein Fingerabdruck, und dieser digitale Fingerabdruck wird von den Herstellerfirmen bereits verwendet, wenn es darum geht, ihr intellektuelles Eigentum durch ein Patent zu schützen – «ganz im Sinne der Natur». (Bild: Fotolia)

Eine beliebte Werbetaktik der Industrie ist es, die neuen gentechnischen Verfahren mit der Geschichte der Pflanzenzüchtung zu verknüpfen. Mit dem Ziel, diese sicherer und natürlicher erscheinen zu lassen. In diesem Sinne wird sehr auf die entsprechende Wortwahl geachtet und interne Kommunikationsstrategien empfehlen, statt von neuen gentechnischen Verfahren von neuen Züchtungsverfahren zu sprechen.

Besonders gerne wird der Begriff «gezielte Mutagenese» gebraucht. Damit wird auf die klassische Mutagenese angespielt, die nicht der Gentechnikrichtlinie der EU unterliegt. Damit wird suggeriert, dass Genscheren wie CRISPR/Cas Pflanzen hervorbringen, die sich von konventionellen Züchtungen kaum unterscheiden lassen, und daher auch von der Gentechnikregulierung ausgenommen werden sollten. Oft wird auch auf die vermeintlich fehlende Nachweisbarkeit der technisch induzierten Mutationen verwiesen und es wird behauptet, diese hätten auch in der Natur entstehen können und sie liessen sich nicht von natürlichen Veränderungen unterscheiden. Tatsächlich hinterlassen die neuen gentechnischen Verfahren im Genom spezifische Narben. Diese sind nachweisbar und könnten zum Nachweis einer künstlichen Mutation beigezogen werden. Das Muster dieser Narben ist wie ein digitaler Fingerabdruck. Er wird von den Hersteller firmen bereits verwendet, wenn es darum geht, ihr intellektuelles Eigentum durch Patente zu schützen – «ganz im Sinne der Natur».

Angsthasen auf Kreuzzug gegen die Wissenschaft

Diejenigen, die sich für eine unregulierte Zulassung der Verfahren einsetzen, drohen mit dem Schreckensgespenst, dass es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Europa keine moderne und international konkurrenzfähige Pflanzenzucht mehr möglich sei. Diese werde durch das Vorsorgeprinzip unzulässig eingeschränkt. Das industriefreundliche «CRISPR Journal» fordert die Wissenschaftler dazu auf «als Evangelisten in einer von gefälschten Nachrichten und Wissenschaftsskepsis geprägten Medienlandschaft (...) die Akzeptanz von Wissenschaft und Technik zu fördern». Wie Wissenschaftler von der Industrie finanziell unterstützt und für die Zwecke der Industrie eingespannt werden, belegen die sogenannten Monsanto Papers.

Was dabei gerne verschwiegen wird, ist der Fakt, dass die neuen gentechnischen Verfahren nicht der einzige und ultimative Weg zur Innovation sind. Stattdessen sollte vielmehr auf die bisher unterfinanzierte alternative Forschung gesetzt werden, die schon tragfähige Ergebnisse geliefert hat und nachhaltigere, realistischere Lösungen bietet. Am Beispiel der USA zeigt sich, dass eine Deregulierung nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führt. Trotz «Forschungsfreiheit» können sie nicht mehr praktische Anwendungen oder bessere Ergebnisse vorweisen.

Risiken und Ethik

Fokus 102 GCTADas Sequenzieren ist in den letzten zehn Jahren sehr viel günstiger geworden. Doch es kommen Kosten hinzu, die nicht vergessen werden dürfen. Patente müssen bezahlt werden, Computerprogramme, die die enormen Datenmengen verarbeiten und auswerten können. Auch der Zugang zu Datenbanken über den genetischen Hintergrund der Pflanzen ist kostspielig. Kleine Unternehmen können sich so viel Aufwand kaum leisten und wenn doch, sind sie prädestiniert, von den grossen Konzernen aufgekauft zu werden. (Bild: Shutterstock)

Das rasante Tempo, mit dem sich die molekularbiologischen Werkzeuge entwickeln, und das wirtschaftliche Potenzial, das die Techniken besitzen, bergen grosse Risiken. Neben rechtlichen Auslegungen stellen sich damit auch grundsätzliche ethische Fragen.

Ein Grund des Disputes, der auf das EuGH-Urteil folgte, liegt darin, dass die Befürworter der neuen Gentechnik Organismen grundsätzlich anders definieren als Kritiker. Während die ersteren einen reduktionistischen Ansatz vertreten und Pflanzen auf ihre Gene und die daraus resultierenden Stoffe reduzieren, die einzeln und gezielt verändert und geprüft werden können, betrachten letztere Organismen als komplexe Systeme, die in Wechselbeziehung mit ihrer Umwelt stehen. Dementsprechend fordern sie eine umfassende Risikobewertung statt eines evidenzbasierten Nachsorgeprinzips.

Risikoforschung bei landwirtschaftlichen Anwendungen steht aber nicht im Interesse der Industrie. Sie verfolgt ein wirtschaftliches Ziel und eine möglichst schnelle Vermarktung ihrer Produkte. Trotz zahlreicher Hinweise auf potenziell negative Folgen der Gentechnik auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, werden diese als unbedeutend dargestellt oder vertuscht. Anders in der Medizin, wo unerwünschte Effekte der neuen Verfahren unbestritten und Risikoprüfung und Frühwarnung ein Must sind.

Statt Überzeugungsarbeit im Sinne der Industrie zu leisten, sollten Wissenschaftler Verantwortung übernehmen und sich den gesellschaftlich wichtigen Fragen der Risikoforschung widmen: Unsicherheiten und Zusammenhänge aufdecken, unerwartete Effekte untersuchen. Die daraus resultierenden Erkenntnisse sollten in die öffentliche Diskussion eingebracht werden, um Entscheidungsprozesse zu verbessern und die Wahlfreiheit zu unterstützen. Ohne eine solche vorsorgeorientierte, unabhängige und transparente Risikoforschung können staatliche Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung und der Umwelt nicht hinreichend erfüllt werden. Dies steht im Einklang mit der Empfehlung der Ethikkommission EKAH im Hinblick auf die Regulierung neuer gentechnischer Verfahren. Die EKAH fordert, dass das Konzept der Vorsorge rechtlich gestärkt und konsequent umgesetzt werden muss.