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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 134
Patente auf Gentechnik: Wer hat die Kontrolle über die Pflanzenzucht?
Wenn es um die Anmeldung von Patenten auf Pflanzen aus neuer Gentechnik geht, verfolgen Biotechkonzerne eine aggressive Strategie. Für die gentechfreie Züchtung wird dies zu einem gefährlichen «Schiffe versenken»-Spiel. Denn wenn Pflanzen aus neuer Gentechnik in grossem Umfang auf den Markt kommen, wird es für kleinere Züchtungsunternehmen zunehmend schwerer sicherzustellen, dass sie bei der Auswahl ihres Ausgangsmaterials nicht auf Sorten mit patentierten Sequenzen stossen. Sollte dies der Fall sein, wird es schnell sehr teuer.
Text: Zsofia Hock
«Wir haben nur ein Leben lang Zeit, um dazu beizutragen, dass unser Planet auch für die kommende Generationen gerüstet ist ... Jeder Landwirtschaftsbetrieb hat das Recht auf Zugang zum leistungsfähigsten Saatgut und auf die wirtschaftlichen Vorteile, die neue Züchtungstechnologien bieten können.» schreibt das US-Unternehmen INARI auf seiner Landingpage. Eine respektable Aussage, die sich jedoch schnell als scheinheilig entpuppt, wenn man die Strategie der Firma bei der Anmeldung von Patenten auf Pflanzen genauer betrachtet. So hat sie kürzlich in einem internationalen Patentantrag (WO2023250505) die Nutzung von DNA-Sequenzen beansprucht, die die Genaktivität regulieren. Das Heikle daran: Diese Sequenzen kommen in praktisch allen Pflanzenarten natürlich vor. Doch werden sie mit neuer Gentechnik (NGT) «neu erfunden», können sie als technische Erfindung patentiert werden.
INARI erhebt somit keinen Anspruch auf ein einzelnes Merkmal oder eine bestimmte Pflanzenart, sondern auf die Verwendung einer nahezu unbegrenzten Anzahl von DNA-Sequenzen, die bei allen Pflanzenarten eine zentrale Rolle spielen. Für Züchtungsfirmen, die gentechfrei arbeiten möchten, werden damit Pflanzen, die solche Sequenzen enthalten tabu. Wenn jedoch trotzdem zufällig eine Pflanze mit einer patentierten Sequenz verwendet wird, muss mit teuren Patentklagen
gerechnet werden.
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Patente auf Gensequenzen werden oft so breit angelegt, dass sie alle Pflanzenarten mit der entsprechenden Sequenz betreffen. Wird die Patentierbarkeit von Pflanzen aus neuer Gentechnik nicht eingeschränkt, können auf diese Art auch Wildpflanzen privatisiert werden.
Unterschiede zwischen Gentechnik und Züchtung verwischen
Würden Gentechpflanzen künftig nicht mehr gekennzeichnet werden müssen, wird es zunehmend schwieriger, patentiertes Züchtungsmaterial aus NGT zu erkennen, da die Firmen keine Nachweisverfahren zur Verfügung stellen müssen. Und das, obwohl dies technisch durchaus möglich wäre. Wenn es darum geht, ihre Produkte patentieren zu lassen, können die Herstellerfirmen diese «einzigartigen Erfindungen» nämlich genau beschreiben, von anderen Pflanzen unterscheiden und identifizieren.
Zudem werden mit einer geschickten PR-Kampagne der Biotechindustrie in Medien und Politik bewusst die fundamentalen biologischen und technischen Unterschiede zwischen neuer Gentechnik und konventioneller Züchtung verwischt. Begriffe wie «neue Züchtungstechnologien» und «natürliche Punktmutationen» werden hierbei verwendet. Das Ziel: die Reichweite der Patente derart auszuweiten, dass sie sich auf alle Pflanzen mit der im Patent beschriebenen Eigenschaft erstrecken – unabhängig davon, wie diese erzeugt wurden.
Mit seinem breit angelegten Patentantrag versucht auch INARI, den Zugang zu genetischen Informationen zu kontrollieren, die für alle Züchter:innen von Bedeutung sind. Zusammen mit anderen grossen Konzernen, wie Bayer, Corteva und Syngenta, könnten sie dies ohne eine strenge Regulierung bald Realität werden lassen. Denn diese Unternehmen besitzen bereits ein Patent-Kartell auf CRISPR, deren Anwendungen und Produkte. Sie melden jedes Jahr Hunderte von Patenten auf Pflanzen und Saatgut an. Die Zukunft der traditionellen Züchter:innen erscheint also düster. Ihnen droht die Abhängigkeit von Lizenzverträgen und das Weggedrängtwerden aus dem Markt.
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Ein Trick ermöglicht es Grosskonzernen wie KWS, Pflanzen – zum Beispiel kältetoleranten Mais – aus herkömmlicher Züchtung zu patentieren: Natürliche Sequenzen werden mit der Genschere nachgebaut und als technische Erfindung angemeldet.
Nadel im Heuhaufen: Die Suche nach patentfreiem Ausgangsmaterial
Wie können Züchtungsunternehmen, die auf Gentechnik verzichten wollen, überhaupt sicherstellen, dass die Pflanzen, die sie als Ausgangsmaterial nutzen möchten, nicht durch Patente geschützt sind? In das Screening vom Ausgangsmaterial aus Genbanken auf Patente wird viel Zeit investiert. Doch aufgrund der fehlenden Transparenz ist das eine Sisyphusarbeit. Patentdickichte mit zahlreichen Patentanträgen, die von mehreren verschiedenen Firmen eingereicht wurden, erschweren die Entscheidung, welche Firma wegen Lizenzverträgen kontaktiert werden muss. Es kann zudem vorkommen, dass die Sequenzen der als Ausgangsmaterial verwendeten Pflanze während der laufenden Züchtungsarbeit patentiert werden, wodurch die gesamte Arbeit verloren geht. Allein bei Tomaten, die resistent gegen das aggressive Jordan-Virus sind, sind mehr als 20 internationale Patentanmeldungen hängig, zeigt eine Untersuchung von «Keine Patente auf Saatgut!».
Sollte die neue Gentechnik dereguliert werden, würde ein solches Screening praktisch unmöglich. Denn bald wären viele neue Sorten mit mindestens einer durch NGT eingeführten Eigenschaft versehen und damit durch mindestens ein Patent geschützt, ohne dass dies in einer zentralen Datenbank gesammelt oder einsehbar würde. Laut Patentanwalt Michael Kock, der langjährige Erfahrung bei Syngenta hat, könnte dies in zwanzig Jahren etwa die Hälfte aller neuen Sorten betreffen. Der Boom bei der Erteilung solcher Patente scheint diese Prognose zu bestätigen. Dies, obwohl Produkte der neuen Gentechnik derzeit noch kaum auf dem Markt erhältlich sind.
Die Folgen wären insbesondere für die Züchtung verheerend, die bewusst auf Gentechnik verzichtet. Statt in die Entwicklung gentechfreier Sorten investieren zu können, müssten solche Züchtungsfirmen ihre Rechtsabteilungen aufstocken, um sich gegen rechtliche Unsicherheiten abzusichern. Züchter:innen befürchten bereits jetzt, dass sie bei der Wiederverwendung von Produkten bestimmter Saatgutunternehmen Patentrechte verletzten könnten, und meiden diese daher – selbst wenn es sich um Produkte aus konventioneller Züchtung handelt. Der Anspruch auf die freie Wahl und Wiederverwendung des Saatguts für Züchtung und Landwirtschaft wird dadurch zunehmend eingeschränkt. «Das Recht auf Zugang zum leistungsfähigsten Saatgut» - wäre also nur dann gegeben, wenn man Jahr für Jahr bei Grosskonzernen wie INARI Saatgut und Lizenzen einkauft. Mit Selbstbestimmung und Unabhängigkeit hat dies jedoch nichts zu tun.
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Laut «Keine Patente auf Saatgut!» wurden 2023 etwa 80 Patente auf diverse Nutzpflanzen erteilt, davon rund 20 für konventionelle Züchtungen. Patentinhaber: BASF, KWS, Rijk Zwaan, Bayer, Syngenta.
CRISPR als Trojanisches Pferd – Züchterprivileg in Gefahr
Patente auf Sorten aus konventioneller Züchtung sind grundsätzlich verboten. Die europäischen Patentrechte gestatten Patente nur auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Dies soll dem Schutz des sogenannten Züchterprivilegs dienen: Alle konventionellen Sorten sollten für Züchter:innen als Ausgangsmaterial frei verfügbar sein. Doch die NGT ermöglicht es, auch solche Sorten durch einen perfiden Trick zu blockieren.
Bleiben wir beim Beispiel der virusresistenten Tomate. Den Forschenden sind mehrere natürliche Genvarianten bekannt, die eine Resistenz gegen das Virus verleihen können. Neue, resistente Sorten können daher auch durch Kreuzung und Selektion erzeugt werden. Der Einsatz von Gentechnik ist nicht notwendig. Doch in den Patentanmeldungen auf die Gensequenzen wird trotzdem die NGT als zusätzliches Hilfsmittel aufgeführt, um den Anspruch auf eine technische Erfindung zu begründen. Da die Patentanträge auf solche virusresistenten Tomaten absichtlich nicht nur auf gentechnisch veränderte Pflanzen beschränkt sind, werden dadurch die Patentansprüche auch auf konventionell gezüchtete Tomaten ausgeweitet.
Die Tomaten sind kein Einzelfall. Inzwischen sind bereits mehr als 1000 europäische Sorten von derartigen Patenten betroffen. Für Züchtende ein klares Warnzeichen: «Meins! Finger weg!»
Patente einschränken – ein schwieriges Unterfangen
Um die Interessen der konventionellen Züchtung und der Öffentlichkeit zu schützen, müssten Patente strikt auf Pflanzen beschränkt werden, die aus gentechnischen Verfahren hervorgegangen sind. Werden Patente auf Gentechpflanzen erteilt, müsste zudem sichergestellt werden, dass sich diese nicht auf andere Pflanzen mit denselben Eigenschaften erstrecken, die aus konventioneller Zucht stammen. Ein Verbot von Patenten auf Pflanzen aus NGT wäre zwar ideal, ist jedoch kaum zu erreichen, da dies eine internationale Konferenz auf der Ebene des Europäischen Patentübereinkommens erfordern würde. Dazu fehlt leider der politische Wille.
Die EU-Kommission und auch die aktuelle polnische Ratspräsidentschaft planen leider keine wirkungsvollen Massnahmen, um den Missbrauch des Patentrechts in der Pflanzenzüchtung zu verhindern. Der derzeitige Deregulierungsvorschlag aus Polen geht auf keinen der Kritikpunkte von gentechkritischen Organisationen ein. Stattdessen werden Scheinlösungen im Hinblick auf Patente auf Pflanzen aus neuer Gentechnik vorgelegt.
Bedauerlicherweise erhielt der Vorschlag am 14. März bei einem Treffen der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel eine Mehrheit. Aber nicht verzagen: «Noch ist Polen nicht verloren!» Im nächsten Schritt muss im Trilog zwischen EU-Parlament, Mitgliedsstaaten (EU-Rat) und der EU-Kommission verhandelt werden. Ob der Vorschlag in dieser Form durchkommt, ist fraglich, da er nach wie vor auf erhebliche Kritik seitens der Mitgliedsländer stösst. Auch das EU-Parlament fordert in Bezug auf Patente ein Verbot.
Die Kontrolle über die biologische Vielfalt, die für die Entwicklungsperspektiven der regionalen Pflanzenzucht der Zukunft und die Ernährungssicherheit unverzichtbar ist, darf auf keinen Fall von einigen wenigen Grosskonzernen übernommen werden. Mit einer strengen Regulierung der neuen Gentechnikverfahren im Gentechnikgesetz muss auch die Schweiz diesem Prozess entgegenwirken, um unsere Ernährungsgrundlage zu schützen.
Mehr dazu im SAG-Factsheet.