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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 133

CRISPR/Cas bringt Genom durcheinander

Ein Molekül, das eingesetzt wird, um gentechnische Eingriffe mit der Genschere CRISPR / Cas bei menschlichen Zellen effizienter zu machen, zerstört Bereiche des Genoms, schreiben ETHForschende Anfang Dezember in einer Publikation in der renommierten Fachzeitschrift «Nature Biotechnology»1. Auch bei Pflanzen sind solche Nebeneffekte nicht unbekannt – jedoch weitgehend unerforscht. Die Industrie strebt trotzdem eine Deregulierung der neuen Gentechnik in der Landwirtschaft an. Wie soll dem in der Bundesverfassung verankerten Vorsorgeprinzip dann noch Rechnung getragen werden?

Text: Zsofia Hock

Seit ihrer Entdeckung im Jahr 2012 hat die Genombearbeitung mit CRISPR /Cas rasante Fortschritte gemacht: Bei Menschen, Pflanzen und auch bei Mikroorganismen wird das umstrittene Werkzeug eingesetzt. Gleichzeitig wird es stetig weiterentwickelt. Ein wichtiges Ziel: mehr Treffsicherheit und weniger Nebeneffekte. Neben dem ursprünglichen CRISPR /Cas9 werden bereits zahlreiche neue Varianten angewendet: CRISPR /Cas10, CRISPR /
Cas12a oder CRISPR /Cas12b, um nur einige zu nennen. Zudem wird nach Hilfsmitteln gesucht, welche die Präzision erhöhen.

Ein solches Hilfsmittel ist der nun umstrittene Proteinkinasehemmer AZD 7648.1. Mit der Verwendung des Moleküls soll eine präzisere Reparatur der Bruchstellen angestrebt werden, welche die Genschere CRISPR /Cas9 verursacht. Wenn die Genschere schneidet, werden beide DNA-Stränge durchtrennt. Für den Organismus kann dies potenziell schwerwiegende Folgen haben. Deshalb aktiviert der Schnitt natürliche Reparaturmechanismen, mit denen die Zelle solche Schäden repariert. Der häufigere Reparaturweg, die sogenannte nicht-homologe Endverknüpfung, geschieht schneller, dafür ungenauer. Hier werden die Enden der zerschnittenen DNA nach dem Zufallsprinzip wieder zusammengefügt. Im Gegensatz dazu ist der andere Weg – auch homologe Rekombination genannt – zwar genauer, braucht aber mehr Zeit und wird lediglich beschränkt, in bestimmten Phasen des Zellzyklus, aktiviert. Um die Lücke im DNA-Strang zu schliessen und die entfernte Stelle neu aufzubauen, muss zudem auch eine Vorlage vorhanden sein: etwa ein identischer DNA-Abschnitt eines anderen Chromosoms.

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Eingriffe mit der Genschere CRISPR/Cas können grobe Fehler verursachen und das Genom destabilisieren. Unter anderem führen sie zu grösseren Umstrukturierungen in den Chromosomen.

Genau diesen komplizierteren Reparaturweg möchten Forschende aber gerne nutzen, um durch einen möglichst präzisen Einbau von ausgesuchten DNA Segmenten in eine gewünschte Genregion Krankheitsgene zu reparieren. Doch wie bringt man die Zelle dazu, diesen Weg einzuschlagen? Hier kommt der untersuchte Proteinkinasehemmer AZD 7648 zum Einsatz. Dieser blockiert die ungenaue Schnellreparatur und zwingt die Zelle dazu, exakt zu arbeiten. Doch was als Effizienzsteigerung erscheint, hat Schattenseiten: unerwünschte genetische Veränderungen an Orten im Genom, von denen angenommen wurde, dass sie unberührt bleiben. Und dies sogar «en masse». Tausende von DNA-Bausteinen (Basen) werden gelöscht, sogar Chromosomenarme brechen weg. Die Konsequenz: Das Genom wird instabil. Doch hätte man das gesamte Genom nicht weiträumig analysiert, wären diese Veränderungen unentdeckt geblieben. Die besorgniserregende Wahrheit ist, dass nach ungewollten Veränderungen in der Regel nur in Regionen gesucht wird, die entweder in der Nähe der gewünschten Veränderung liegen oder an denen nach Modellvorhersagen Veränderungen besonders wahrscheinlich sind. Selbst die Autoren der ETH-Studie bezweifeln, dass sie das gesamte Ausmass vollständig überblicken. Zwar zeigen sie sich darüber schockiert, doch sie erhoffen sich, die Gefahr bannen zu können. Wie? Indem man in Zukunft nicht nur ein Molekül zur Förderung der homologen Rekombination einsetzt, sondern einen ganzen Cocktail an verschiedenen 11 Substanzen. Ob dies weitere unerwartete Nebenwirkungen auslösen wird, steht noch in den Sternen.

Auch bei Pflanzen streben Forschende danach, den genaueren Reparaturweg (via homologe Rekombination) zu fördern. Auch hierfür werden Enzyme, etwa Exonuklease aus Herpesviren oder aus Viren, die ausschliesslich Bakterien befallen (Bakteriophagen), verwendet. Studien zu Nebenwirkungen gibt es praktisch keine.

Gröbere Fehler auch ohne Hilfsmolekül

Bei Zellen von Säugetieren ist schon länger bekannt, dass der Einsatz der Genschere auch ohne Hilfsmittel grössere genetische Veränderungen auslösen kann. Dieses Phänomen, bei dem sich Hunderte genetische Veränderungen auf einmal ereignen, wird Chromothripsis genannt. Dabei können Abschnitte des Erbguts vertauscht, verdreht, neu kombiniert werden oder auch ganz verloren gehen. Bei Pflanzen wurden erst 2023 zum ersten Mal solche Effekte
nach dem Einsatz von CRISPR in einer Studie im Fachjournal «Plant Cell» nachgewiesen, so etwa bei Tomaten.2 Grund dafür war die fehleranfällige Reparatur mittels nichthomologer Endverknüpfung nach dem CRISPR verursachten Doppelstrangbruch.

Chromothripsis scheint bei Pflanzen, die gentechnisch nicht verändert wurden, eher selten aufzutreten. Doch mit dem Einsatz der Genschere können auch Orte im Erbgut häufiger davon betroffen sein, die ansonsten durch natürliche Reparaturmechanismen vor solchen Veränderungen geschützt sind. Die Risiken können nicht pauschal vorhergesagt werden. Eine Fall-zu-Fall-Beurteilung ist unumgänglich.

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Wird nicht das gesamte Genom mittels Sequenzierverfahren gründlich untersucht, können auch grössere Veränderungen unentdeckt bleiben.


 Risikoprüfung zwingend

Die Ergebnisse der oben erwähnten Studien stellen einmal mehr die angebliche Präzision der Genscheren infrage. Zwar könnten mithilfe der neuen Gentechnik bestimmte Orte im Erbgut gezielter angesteuert werden, um es an dieser Stelle zu durchtrennen. Die Folgen dieser Schnitte sind jedoch wenig vorhersagbar und nicht kontrollierbar. In der Konsequenz können die aus den Verfahren der neuen Gentechnik resultierenden Pflanzen nicht per se als sicher angesehen werden, sondern müssen eingehend auf Risiken geprüft werden.

In einigen Ländern, zum Beispiel den USA, sind gentechnisch veränderte Pflanzen (auch aus neuer Gentechnik) bereits ohne Risikoprüfung zugelassen. Erst wenn sich in der Anwendung herausstellt, dass Menschen, Tiere oder die Umwelt Schäden davontragen, wird das betroffene Produkt vom Markt genommen und der Hersteller verklagt.

Auch in der EU und nun in der Schweiz lobbyiert die Agrarindustrie und die damit verbandelte Wissenschaft für eine Deregulierung der neuen Gentechnik: Ein vereinfachtes Verfahren sollte ausreichen, um unzählige solche Pflanzen mit diversen gentechnischen Veränderungen freizusetzen und entsprechende Produkte zu vermarkten. Dabei wäre es nicht vorgeschrieben, unbeabsichtigte genetische Veränderungen wie die Chromothripsis zu untersuchen. Diese neue Regulierung würde nicht nur landwirtschaftlich genutzte Ackerpflanzen, sondern auch Wildpflanzen umfassen. Die geplante Deregulierung und die massenhafte Freisetzung von Organismen aus neuer Gentechnik könnten die Lebensgrundlagen künftiger Generationen gefährden.

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Studien zu ungewollten Nebeneffekten von CRISPR/Cas bei Pflanzen sind rar. Erst 2023 wurden grössere Veränderungen infolge eines gentechnischen Eingriffes bei Tomaten nachgewiesen.

Wie die ETH-Forschenden in einem Interview sagen, sind die Ergebnisse ihrer Studie «nicht das Ende, sondern der Beginn von weiteren Fortschritten bei der Genomveränderung mittels CRISPR/Cas-Techniken». Die Entwicklung wird vorangetrieben mit Stoffen, die unbekannte Risiken bergen, welche geprüft werden müssen. Während eine Risikoprüfung bei medizinischen Anwendungen ein Muss ist und niemals hinterfragt wird, wird die gleiche
Risikoprüfung in der Landwirtschaft von der Agrarlobby als überflüssig bewertet. Dabei bleiben landwirtschaftliche Anwendungen nicht in einer «Sackgasse» wie beim Menschen, wo vererbbare Eingriffe in die Keimbahn (noch) verboten sind. Nein. Hier werden gentechnisch veränderte Organismen im grossen Stil in die Natur freigesetzt, wo die gentechnischen Veränderungen
sehr wohl an Artgenossen weitergegeben werden können. Eine Beeinträchtigung von Ökosystem und Biodiversität ist somit vorprogrammiert. Die Produkte der neuen Gentechnik stecken jedoch im Proof-of-concept-Stadium: Sie kommen frisch aus dem Labor. Langzeitstudien zu Leistung und Risiken gibt es keine. Der erste Schweizer Freisetzungsversuch mit einer CRISPR-Pflanze wurde erst Anfang 2024 gestartet. Da sich die negativen Auswirkungen der angebauten Gentechpflanzen erst nach längerer Anbauzeit manifestieren, ist es dann bereits zu spät, um sie aus der Natur zurückzuholen.

Vorsorgeprinzip walten lassen

Genau um solche Situationen zu vermeiden, wurde das Vorsorgeprinzip – das Kernelement der europäischen Naturschutzgesetzgebung – in der Bundesverfassung verankert.

Das Vorsorgeprinzip ist ein Prinzip zum Umgang mit Situationen der Unsicherheit, in denen aufgrund von mangelndem Risikowissen die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts noch nicht angegeben werden kann. Es schreibt vor, Vorkehrungen zu treffen und Daten zu erheben, um sich vor diesem Schaden möglichst zu schützen. Ziel ist es, auf diese Weise das Risiko, d. h. das Produkt von Wahrscheinlichkeit und Schaden, zu ermitteln. Sobald dieses Wissen ausreichend ist, wird der Vorsorgebereich verlassen. Erst dann kann entschieden werden, ob die nun bekannten Risiken akzeptabel sind oder nicht. Auch wenn dies an ein anforderungsreiches Verfahren gebunden ist und die Vermarktung dadurch hinausgezögert wird, ist es aus ethischer Sicht unverzichtbar, diesen Aspekt auch in Zeiten eines beschleunigten Technologiefortschritts zu berücksichtigen – selbst wenn dieser Fortschritt nötig erscheint, um die anstehenden globalen Herausforderungen meistern zu können.3, 4

Die Lebensmittelschutz-Initiative steht für die Umsetzung des Vorsorgeprinzips ein, zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt. Sie verankert die Bedingung einer strengen Risikoprüfung für alle Formen der Gentechnik in der Bundesverfassung und setzt sich für die Wahlfreiheit der Konsumierenden ein. Nur mit einer strengen Regulierung, die eine Koexistenz zwischen Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik ermöglicht, ist ein ausreichender Schutz gewährleistet. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Unterschriften für die Lebensmittelschutz-Initiative so schnell als möglich sammeln. Helfen auch Sie mit und unterschreiben Sie jetzt die Lebensmittelschutz-Initiative!


1 Cullot G et al. 2024 Genome editing with the HDR-enhancing DNA-PKcs inhibitor AZD7648 causes large-scale genomic alterations. Nature Biotechnology https://doi.org/10.1038/s41587-024-02488-6

2 Samach A et al. 2023 CRISPR/Cas9-induced DNA breaks trigger crossover, chromosomal loss, and chromothripsis-like rearrangements. Plant Cell 35 (11): 3957-3972.

3 Eidgenössische Ethikkommission im Ausserhumanbereich (EKAH) 2019 Benötigt das Vorsorgeprinzip eine Ergänzung? Ethische Überlegungen zum «Innovationsprinzip».

4 Eidgenössische Ethikkommission im Ausserhumanbereich (EKAH) 2018 Vorsorge im Umweltbereich. Ethische Anforderungen an die Regulierung neuer Biotechnologien. https://www.ekah.admin.ch/inhalte/ekah-dateien/dokumentation/veranstaltungen/Veranstaltung_7._Mai_2018/EKAH_Broschu__re_Vorsorge_Umweltbereich_d__18_Web_V2.pdf