Leuchtende Petunien
Vielfalt statt Abhängigkeit, Bild: Shutterstock

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 129

Neue Regelung bedroht die gentechnikfreie Schweiz

Ein wichtiges Thema kommt auf unsere Landwirt:innen und Konsument:innen zu: die erleichterte Zulassung «neuer genomischer Techniken (NGT)». National- und Ständerat haben den Bundesrat beauftragt, bis Mitte 2024 eine Vorlage auszuarbeiten. In der Schweiz gilt bis Ende 2025 noch ein Moratorium.

Text: Martin Graf (Verein Gen Au Rheinau), Martin Bossard (Bio Suisse), Dr. Eva Gelinsky

Stämmige Bauern waren sie. Windgegerbte «Höhgauer» vom kargen Reiat im Kanton Schaffhausen. Sie waren das Dorf, prägten das Leben, unsere Jugendzeit. Hafner, Waldvogel oder Brunner hiessen sie, waren im «Erdenhof» oder im Hof «Zum Felsen» zu Hause. Jede freie Minute verbrachten wir bei ihnen. Bei der Saatbeetbereitung mittels Selbsthalterpflug und Egge waren wir Kinder weniger gefragt. Im Heuet hingegen beluden wir die Fuhrwerke, genossen die weiche Heimfahrt in für uns Schwindelerregenden Höhen trotz Mitleid mit den schuftenden Freiberger Pferden. Wir jagten nach Mäusen beim Verladen von Getreidepuppen, lasen Kartoffeln in bunter Gemeinschaft, lechzten nach dem traditionellen Schoggibrot mit Süssmost in der Zvieripause. Das Runkelnputzen — der Höhepunkt im Herbst mit Geschichten und Klatsch aus Grossmutters Zeiten. Mit den Dreschtagen und dem Dämpfen der Kartoffeln ging das Jahr zur Neige und wir Kinder sehnten uns nach Schnee.

Wenig später, in den 60er-Jahren, kam die Mechanisierung. Uns Kinder begeisterte die Technik. Die Bauern im Dorf rüsteten auf. Traktoren und Maschinen hielten Einzug, verdrängten die treuen Ochsen und Pferde. Die gewohnten Arbeitsgemeinschaften spezialisierten sich, lösten sich allmählich auf. Die Arbeit in Gruppen wurde «schlanker», anspruchsvoller. Dünger und Pflanzenschutzmittel versprachen zusätzliche Effizienz. Die Produktivität stieg. Die Berater ermunterten die Bauern zur «Moderne». «Dünger kaufen ist billiger als Heu kaufen», lautete deren Devise.

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(Bild: Shutterstock)


Steigende Abhängigkeit verhindern: Von der Selbstversorgung dank vielfältigen Kulturen und der Weitergabe von wervollem Wissen an die nächste Generation in eine hochgradige Abhängigkeit. Die neue Gentechnik führt zu Machtkonzentration un zur Monopolposition einiger weniger.


Heimische Landwirtschaft unter Druck

Damit begann der Druck auf das Land, unsere Bauernfamilien und die Umwelt. 1955 zählte die Schweiz 205'000 Landwirtschaftsbetriebe, heute sind es noch 48'000. Die Nutzfläche pro Betrieb hat sich seither vervierfacht, der Einsatz an mineralischem Stickstoff und an Pestiziden verfünffacht. In den letzten 70 Jahren sind die Ausgaben der Bevölkerung für Lebensmittel von einem Drittel auf knapp 7% gesunken, der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandprodukt beträgt heute nur noch 0.6 %. Gleichzeitig verdienen an diesem schwindenden Kuchenanteil immer mehr Personen im vor- und nachgelagerten Sektor mit, notabene zu anderen Monatslöhnen als in der Landwirtschaft. Was dabei erstaunt, ist der stete und unreflektierte Lobgesang der politischen Bauernvertreter auf den technischen Fortschritt. Es liegt doch auf der Hand, dass immer mehr Bauernfranken aus der Landwirtschaft in die Chemie, die Maschinenindustrie, die IT-Branche und den Handel abfliessen und unsere Betriebe in zunehmende Abhängigkeit geraten. Aber eben – nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber!

Baldiges Ende unseres Gentech-Moratoriums?

Nun soll auch noch unser Gentechmoratorium und die strikte Regelung der Gentechnik für neue genomische Techniken (NGT) fallen. Europaweit und auch in der Schweiz! Die vier Agrarchemiekonzerne, welche heute schon den globalen Markt von Düngemitteln, Pestiziden und Saatgut dominieren, stehen vor ihrem lang ersehnten definitiven Durchbruch. Ihr Zukunftsgeschäft ist die Monopolisierung der Saatgut- und Produktionsmittelmärkte. Mit Europa haben sie fast die ganze Welt! Entgegen dem Eindruck, den die Agroindustrie erwecken will, bauen immer noch 25 von 27 EU-Ländern bis heute keine gentechnisch veränderten Pflanzen an.
Die Liberalisierung ist stark getrieben von der Agroindustrie und einem Teil der Forschung, aber auch von der Europäischen Union, dem wichtigsten Agrar-Handelspartner der Schweiz. Das EU-Parlament hat Anfang Februar 2024 wichtige Vorentscheide getroffen. Es will die Vorschriften gemäss Antrag der EU-Kommission lockern, sodass Sorten, die mit NGT wie CRISPR/Cas (Genomeditierung) erzeugt wurden, den klassisch gezüchteten Sorten praktisch gleichgestellt werden.
Weit über 90% der Gentechpflanzen, die sich aktuell in der Entwicklungspipeline der Agroindustrie befinden, würden damit nicht mehr wie gentechnisch veränderte Organismen (GVO) im herkömmlichen Sinne behandelt. Sie bräuchten keine besondere Zulassung mehr, würden nicht mehr auf Risiken geprüft und benötigten keine Koexistenzmassnahmen. Die einzelnen Länder verlieren zudem die bisherige Möglichkeit, auf ihrem Staatsgebiet den Anbau zu verbieten. Die Anwendung von neuen genomischen Techniken (NGT) im Biolandbau soll verboten bleiben.
Immerhin verankerte das EU-Parlament entgegen dem Antrag der EU-Kommission eine Kennzeichnungspflicht für die gesamte Produktionskette. Zudem sprach sich eine Mehrheit des Parlamentes für ein Patentverbot auf NGT-Pflanzen aus und will dazu die EU-Patentrichtlinie ändern. Relevant für die Patenterteilung ist allerdings nicht die Patentrichtlinie, sondern das Europäische Patentübereinkommen. Dieses kann vom EU-Parlament nicht geändert werden, da es das einstimmige Votum der 39 Vertragsstaaten erfordert. Somit ist der Wunsch nach Patentverbot vorderhand ohne Wirkung.

Die Vernehmlassung zur Schweizer Regelung der NGT, die jener der EU voraussichtlich folgen wird, ist auf Juni 2024 angesetzt. Die Schweizer Allianz Gentechfrei, der Verein Gen Au Rheinau und Bio Suisse verfolgen die Entwicklung und arbeiten bereits länger mit weiteren Partnerorganisationen und Expert:innen zusammen, um eine für die Züchter:Innen, Produzent:innen und die Konsument:innen vertretbare, faire gesetzliche Regelung zu erwirken.

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(Bild: Shutterstock)


Der Einsatz von mineralischem Stickstoff und Pestiziden seit 1955 hat sich verfünffacht. Die selben Agrarchemiekonzerne, die schon den globalen Markt dieser Mittel dominieren, sehen in der neuen Gnetechnik ein lukratives Geschäft.

Bereits sind wir auch im Parlament und in der Verwaltung unterwegs, um Verständnis für die möglichen Probleme zu schaffen und eine vorsichtige Schweizer Lösung zu propagieren.
Umfragen bestätigen, dass weiterhin rund 70% der Bevölkerung Gentechnik im Essen ablehnen. Allerdings zeigen auch die Propagandaanstrengungen der Agroindustrie und die euphorische Einschätzung gewisser Forscher:innen Wirkung. Viele Leute und insbesondere viele Landwirt:innen würden noch so gerne den Versprechen glauben, dass dank Gentechnik weniger Pestizide eingesetzt und das Klima gerettet werden kann. Wer professionell Pflanzen züchtet, kann darüber nur schmunzeln. Solche Eigenschaften sind hoch komplex und nicht durch punktuelle Eingriffe mit Genscheren zu bewirken.

Die meisten Schweizer Label wie Bio Suisse, Demeter, IP Suisse, Suisse Garantie oder Mutterkuh Schweiz dürfen heute keine Gentechnik einsetzen. Am strengsten sind die Regeln für den Biolandbau, der den Einsatz von GVO weltweit ablehnt, egal, ob es sich um neue, also NGT, oder alte gentechnische Verfahren handelt. Dies ist gesetzlich in der EU und der Schweiz vorgeschrieben und steht so in den Richtlinien von Bio Suisse und der europäischen Bio-Dachorganisation IFOAM Organics Europe. Während die konventionelle Landwirtschaft teilweise mit CRISPR/Cas liebäugelt, hat sich Bio Suisse an ihrer Delegiertenversammlung im Frühjahr 2023 einstimmig für die Beibehaltung der Gentechfreiheit im Biolandbau entschieden.
Würden die neuen genomischen Techniken gemäss Antrag der EU-Kommission uneingeschränkt zugelassen, hätte dies gravierende Folgen für alle, die auf Gentechnik verzichten wollen:

- Die Risiken, die mit NGT-Sorten und -Produkten einhergehen, gehen dann zu Lasten all jener, die darauf verzichten. Denn NGT-Sorten durchlaufen kein Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung mehr, die Haftung des Herstellers und Koexistenzregelungen entfallen.
- Die Sicherstellung einer gentechfreien Lebensmittelproduktion, liegt ganz in der Verantwortung jener, die darauf verzichten und ist mit immensem finanziellem Aufwand verbunden. Der Biolandbau verteuert sich massiv.
- Die Wahlfreiheit von Produzent:innen und Konsument:innen wird erheblich eingeschränkt.
- Die agroindustriellen Grosskonzerne behindern mit Patenten den Zugang von Züchter:innen zum Genpool von Pflanzen und Tieren und bremsen so die Innovation alternativer Züchtungsmethoden.

Gerste skaliert
(Bild: LID-Medienportal)

In Zürich wird bald die erste CRISPR-Pflanze getestet, eine Gerste mit mehr Ertrag. Ob solche Pflanzen sich tatsächlich bewähren, weiss im Moment noch niemand. Langzeitstudien fehlen - auch zu den Risiken.

 Legitimität der neuen EU-Regelung bereits infrage gestellt

Die vom EU-Parlament beschlossene Lockerung respektive neue Regelung ist nicht nur politisch und gesellschaftlich umstritten, sondern auch rechtlich und wissenschaftlich unhaltbar. Bezogen auf die Schweiz, widerspräche die damit einhergehende deutliche Schwächung des Gentechnikgesetzes sowohl der Bundesverfassung als auch den bisherigen Einschätzungen des Bundesrats, genauso wie dem einschlägigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Juli 2018.
Des Weiteren halten die Unterscheidungskriterien für alte und neue gentechnische Verfahren keiner wissenschaftlichen Prüfung stand. Es ist nicht wissenschaftlich zu belegen, warum alle gentechnische Methoden nach 2001 harmloser sein sollen als die «alten» Methoden von früher, und warum die Vielzahl der Ausnahmen in der gesetzlichen Regelung garantieren, dass kein Schaden entstehen kann. Dies sagen klar auch europäische Behörden wie das deutsche Bundesamt für Naturschutz, die französische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz (ANSES) sowie kritische Forscherinnen und Forscher des europäischen Wissenschaftsnetzwerks Ensser in kürzlich veröffentlichten Berichten und Stellungnahmen. Gegen die Regelung laufen deshalb bereits Vorbereitungen für eine Klage beim Europäischen Gerichtshof.

 Mit Petition ein klares Zeichen setzen

Noch ist vieles offen. Da die Gentechfrage aus den bilateralen Verhandlungen zum EU-Rahmenvertrag ausgeklammert wurde, ist ein eigenständiger Schweizer Weg möglich. Das Gentechmoratorium läuft Ende 2025 aus und wir müssen jetzt ein Zeichen setzen. Mit einer Petition, die sich klar für eine Verlängerung des Moratoriums auspricht, verdeutlichen wir die Stimme der Bevölkerung und der Praxis im Parlament.

Das Moratorium verschafft uns Zeit, dennoch werden wir uns mit der efektiven Regulierung der Gentechnik auseinandersetzen müssen. Zur Absicherung unserer Interessen befindet sich zudem eine eidgenössiche Volksiniztiative für gentechnikfreie Lebensmittel in Vorbereitung. Sie soll die roten Linien absichern, aufbauend auf dem bisherigen Bundesverfassungartikel 120 Gentechnologie im Ausserhumanbereich. Wir sind bereit, uns mit allen Kräften für eine gentechfreie Land- und Ernährungswirtschaft einzusetzen. Helfen Sie mit und unterschreiben Sie jetzt unsere Petition zur Verlängerung des Gnetechmoratoriums!

www.lebensmittelschutz.ch

 

 


1 Bundesamt für Naturschutz, Deutschland 2023 Expert Opinion: Evaluation of the European Commission's study on new genomic techniques
2 Beurteilung der französischen Lebensmittelbehörde ANSES 2023
3 ENSSER-Stellungnahme 2023 Der Vorschlag der der EU-Kommission zu neuen GV-Pflanzen ist unwissenschaftlich und verschleiert deren Risiken.

 


PDF Gentechfrei Magazin, Nr. 129