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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 124

Neue Gentechnik – eine Bedrohung für Bestäuberinsekten

Bestäubende Insekten sind wichtig für die biologische Vielfalt, die Funktionen des Ökosystems und die Sicherstellung der Nahrungsmittelproduktion. Die Freisetzung von Organismen, Produkten oder Bestandteilen, die mithilfe der Gentechnik gewonnen werden, droht die derzeitigen Stressfaktoren, denen Bestäuberinsekten bereits ausgesetzt sind, zu verstärken.

Text: Zsofia Hock

Neuste Erhebungen gehen davon aus, dass weltweit etwa 350 000 Insektenarten Blüten besuchen und an der Bestäubung beteiligt sind. Für eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion braucht es Bestäuberinsekten, die in diesen Systemen leben und sich dort ernähren können. Die wesentliche Rolle von Bestäubern in der nachhaltigen Landwirtschaft und in Ökosystemen wurde in der «Erklärung von São Paulo über Bestäuber» 1998 international anerkannt und Insektenbestäuber durch einen Beschluss des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt
im Rahmen zahlreicher internationaler Übereinkommen geschützt.

Anlässlich der 15. Weltnaturkonferenz (COP15) im Dezember 2022, an der intensiv über das Thema debattiert wurde, warnte die französische NGO Pollinis in einem Aufruf1 vor den möglichen negativen Folgen des Einsatzes von Biotechnologien in der Umwelt – mit einem speziellen Augenmerk auf Bestäuberinsekten, deren Vielfalt bedrohlich schwindet. Um diesem Prozess entgegenzuwirken, müsse ihnen ein sicherer Lebensraum in den land- und forstwirtschaftlich genutzten Landschaften geboten werden, forderte Pollinis. Produkte der neuen Gentechnik hemmen diese Bestrebungen, so die Unterzeichnenden: namhafte Persönlichkeiten aus den Bereichen der Molekularbiologie, Genetik, Insekten- und Agrarökologie, Bienenzucht
und Umwelt. Die Entscheidungen – insbesondere zu den Themen natürlicher Lebensraum, Umweltverschmutzung, Pestizideinsatz und synthetische Biologie – würden sich direkt auf Bestäuber und die Bedingungen für ihr Überleben auswirken.

Besorgniserregend: Trotz Aufruf zur Vorsicht wurde den Bestrebungen, den Weg für die potenzielle Freisetzung von GV-Organismen oder deren Produkten zu ebnen, stattgegeben. Darunter befinden sich auch landwirtschaftliche Anwendungen zur Veränderung von Insektengenomen, um ihr Verhalten zu beeinflussen oder sie zum Aussterben zu bringen.

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Pestizidresistente Gentechbienen könnten den Pestizidverbrauch erhöhen und somit indirekt auch andere Nützlinge gefährden: von Marienkäfern über Schwebfliegen bis hin zu Tausendfüssern. Sollen etwa auch diese in einem nächsten Schritt mit der Genschere pestizidresistent gemacht werden?


Bestäubersterben – nachhaltige Produktion nicht ohne Insekten

In der Schweiz sind fast zwei Drittel aller Insektenarten gefährdet oder potenziell gefährdet2. Auch weltweit ist ein dramatischer Rückgang an Vielfalt zu verzeichnen. Die Gründe dafür sind vielfältig: die Intensivierung der konventionellen Landwirtschaft, der Klimawandel, synthetische Pestizide, Umweltverschmutzung und die Zunahme von Krankheitserreger. Ganze  Nahrungsnetze werden durch das Verschwinden von Schlüsselarten gefährdet und Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht. 75 Prozent der weltweit wichtigsten Nahrungspflanzen
sind von Insekten abhängig, um sich fortzupflanzen. Ein Schwund der Insekten gefährdet damit sowohl Pflanzenvielfalt wie Nahrungsmittelproduktion. Die abnehmende Bestäubungsleistung wirkt sich auf die menschliche Gesundheit negativ aus, da sie die Produktion von gesunden Lebensmitteln wie Obst, Gemüse oder Nüssen massiv behindert und verteuert.Dies zeigt eine interdisziplinäre Studie3 der Harvard University. In Europa geht deshalb bereits ein Prozent aller vorzeitigen Todesfälle auf den durch das Insektensterben bedingten verminderten Verzehr von Obst und Gemüse zurück.

GV-Pflanzen: Auswirkungen auf Ökosysteme und Bestäuber

Ökosysteme sind komplex: Alle Arten im selben Lebensraum interagieren miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. So gibt es auch eine Vielzahl von Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und diversen anderen Organismen. Die Genschere CRISPR/Cas hat die gentechnische Veränderung von Pflanzen beschleunigt. Betroffen sind auch solche, die zu den Nahrungsnetzen von Bienen und anderen Bestäubern gehören. Nimmt die Anzahl der freigesetzten Gentechpflanzen zu, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass die komplexen Signal- und Stoffwechselwege des empfindlichen Ökosystems gestört werden.

Schon die Reduktion der Vielfalt in einem einzelnen Gen kann dazu führen, dass Arten, die mit den Pflanzen in Wechselwirkung stehen, aussterben. Dies zeigte 2022 ein Forscherteam der Universität Zürich in «Science»4. Die Forschenden sprechen von einem Schlüsselgen.

Im Experiment wurden verschiedene genetische Varianten (Allele) der Modellpflanze Ackerschmalwand, die in den natürlichen Populationen gemischt vorkommen, voneinander getrennt angepflanzt.Je nach Variante des untersuchten Gens werden mehr oder weniger Senfölglykoside gebildet. Untersucht wurden die Auswirkungen des Vorhandenseins dieser Genvarianten auf das Vorkommen von Blattläusen und Nützlingen (Schlupfwespenarten), welche die Blattläuse parasitieren. Unter den speziellen Versuchsbedingungen zeigte sich eine klare Tendenz: Durch die Reduktion der genetischen Vielfalt wurden Nahrungsnetze meist destabilisiert, die Anzahl der Insekten nahm eher ab oder die untersuchten Arten starben sogar aus. Bei einer genetischen Variante nahm die Anzahl der Blattläuse (und Wespen) dagegen zu, was ebenfalls auf eine Störung der Ökosysteme hinweisen kann. Entsprechende Auswirkungen können auch die Folge unbeabsichtigter genetischer Veränderungen sein, die durch die Verfahren der neuen Gentechnik bedingt sind. Vor diesem Hintergrund ist es bedenklich, Organismen aus neuer Gentechnik ohne verpflichtende Risikoprüfung zuzulassen

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Die Biene soll an natürliche und menschengemachte Bedrohungen angepasst werden. Etwa indem sie mittels Genomeditierung widerstandsfähiger gemacht wird: milbenfrei,
pestizidresistent... Entsprechende Forschungsprojekte sind teilweise bereits weit fortgeschritten.


Widerstandsfähige Gentech-Superbienen

Das Bienensterben bringt die Forschenden im Bereich der Biotechnologie auf neue Ideen. Um den Gefahren entgegenzuwirken, die nützliche Insekten in der modernen Welt bedrohen, wird an besonders widerstandsfähigen, genomeditierten «Superbienen» getüftelt. Internationale Imkerorganisationen, wie der Weltimkerverband Apimondia– ebenfalls Unterzeichnende des Pollinis-Aufrufs – sehen in dieser Strategie eine noch grössere Bedrohung in der Zukunft. Der grösste Denkfehler: Es wird nicht nach systemischen Lösungen gesucht, welche die Ursachen des Problems beheben könnten. Stattdessen ist es die Biene, die an die industrielle Landwirtschaft angepasst werden soll.

Doch krankheits- oder pestizidresistente Gentech-Superbienen könnten zu einer direkten Bedrohung für ums Überleben kämpfende Arten werden. Nicht nur könnten sie diese verdrängen,
auch ist es praktisch unmöglich, den Genpool herkömmlicher Arten vor Auskreuzungen zu schützen. Hinzu kommt, dass ein erhöhter Pestizidverbrauch vielen anderen Nützlingen ohne gentechnisch eingebaute Resistenzen schaden könnte.

Ebenfalls ungeklärt sind die unbeabsichtigten Nebenwirkungen des gentechnischen Eingriffs – etwa ob beispielsweise ihre Stiche neue Allergierisiken bergen. Eine reelle Gefahr sehen Imker darin, dass die Technologie Patenten und Privatisierungen zum Durchbruch und somit den grossen Agrarkonzernen zur Kontrolle über die Bestäubung verhelfen könnte. Dies im letzten Bereich der Landwirtschaft, der kollektiv verwaltet wird. Denn bis heute fördert der freie Austausch von Zuchtmaterialien die genetische Diversität von Bienenvölkern und bewahrt eine
Ressource, von der alle profitieren. Um die Zucht als öffentliches Gut zu schützen, hat Apimondia bereits 2016 vorgeschlagen, diese Freiheit als Recht in Form eines Open-Source-Vertrages festzuschreiben.

Gene-Drive-Organismen zur Modifizierung von Insekten

Mithilfe der Genschere geschaffene Gene-Drive-Organismen sind darauf ausgelegt, künstlich veränderte Merkmale schnell in Populationen zu verbreiten. Sie sind so konzipiert, dass sie die Regeln der Vererbung ausser Kraft setzen und die Ausbreitung eines Merkmals auf die nächste Generation erzwingen. Die gentechnisch veränderten Merkmale werden dann an alle Nachkommen weitergegeben. An Gene-Drive-Organismen für die Landwirtschaft wird intensiv geforscht. Eine Reihe von Unternehmen haben Patentanträge eingereicht, die den Einsatz von Gene Drives in der Landwirtschaft beinhalten, einschliesslich der gezielten Bekämpfung von Hunderten von landwirtschaftlichen Schädlingen.5

Für Pollinis gibt es begründete Sorge, dass es dabei zu unvorhergesehenen Veränderungen und Mutationen kommen kann und dass die manipulierten Gene an eng verwandte Arten, darunter auch an bestäubende Insekten, weitergegeben werden könnten. Somit könnte sich die genetische Zusammensetzung von bewirtschafteten (z. B. Honigbienen und Hummeln) und wilden Insektenpopulationen, einschliesslich der für die industrielle Landwirtschaft nützlichen Nichtzielinsekten, irreversibel verändern. Eine zuverlässige Risikobewertung ist beim gegenwärtigen Wissenstand nicht möglich. Jede Freisetzung wäre deshalb nach Einschätzung von Pollinis verfrüht und würde ganze Ökosysteme gefährden.

RNA-basierte Technologien: Beeinflussung der Genexpression von Insekten

Eine weitere Technologie, deren Anwendung geplant ist, ist das Ausbringen doppelsträngiger RNA (dsRNA) zur Bekämpfung von Pflanzenschädlingen oder Krankheitserregern. Diese nutzen RNAInterferenzmechanismen, um Gene, die für lebenswichtige Funktionen in den anvisierten Insekten verantwortlich sind, auszuschalten, sodass diese sterben.Sie können über gentechnisch veränderte Pflanzen, Bakterien und Viren auf die Schädlinge übertragen oder direkt als Spritzmittel angewendet werden.6 Einige dieser dsRNA-basierten Technologien
befinden sich im Zulassungsverfahren, mehrere wurden bereits von verschiedenen nationalen Gremien für Lebens- und Futtermittel oder zu Anbauzwecken in vielen Teilen der Welt zugelassen. Pollinis fordert deshalb dringend eine Regulierung auf internationaler Ebene. Denn Forschungen zeigen, dass ein Gen, das unterdrückt wird und somit für eine Art tödlich ist, auch für eine andere Art tödlich sein kann. Solche Mittel dürften auch in der Schweiz bald ein Thema werden: Neben der Anpassung des Zulassungsverfahrens dürften auch rechtliche Aspekte zu klären sein.

Auch Vorhaben, Honigbienen mit gentechnisch veränderten Darmmikrobiota kontinuierlich mit dsRNA zu versorgen, um sie gegen Pestizide, Parasiten oder Viren resistent zu machen, bergen Risiken.Denn es sind weder die direkten Folgen solcher mikrobieller Veränderungen bekannt, noch ist klar, ob eine Kontamination mit gentechnisch veränderten Darmmikroorganismen anderer Arten über die Bestäubung von Blüten erfolgen oder in Honigerzeugnissen auftreten kann. Um die direkten und indirekten Auswirkungen dieser Biotechnologien auf Insektenarten, und besonders auf Bestäubern, bewerten zu können, braucht es auch für diesen Bereich umfassende Forschungen.

Bienenfreundliche Landwirtschaft anstatt Superbienen

Wenn den Anwendungen der neuen Gentechnik in der Landwirtschaft grünes Licht gegeben wird, sei es bei Pflanzen oder Tieren, können die potenziellen Risiken nicht mehr umfassend geprüft werden. Somit wird die es kaum möglich sein, verschiedene Anwendungen selektiv zuzulassen oder zu verbieten. Vor diesem Hintergrund ist es wichtiger denn je, die Freisetzung von GVO gemäss dem Vorsorgeprinzip streng zu regulieren, wie dies Thomas Radetzki, Vorstandsvorsitzender der Aurelia-Stiftung in Berlin, bereits 2020 forderte.

Fachleute betonen, dass es Wege gibt, Lebensmittel ohne Gentechnik und auf der Grundlage der biologischen Vielfalt zu erzeugen, die eine hervorragende Nährstoffqualität liefern, ohne die Umwelt zu schädigen. Dies bedeutet keinesfalls eine Abkehr von der Innovation. Moderne, nicht-invasive Technologien, wie verschiedene Tracking-Software oder Inkubatoren mit Temperaturkontrolle, haben längstens Einzug in die Bienenzucht gehalten. Wie eine gemeinsame Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) und des Weltdachverbands des Biolandbaus IFOAM zeigt, können alternative Bewirtschaftungswege wie der Bio-Landbau den Insektenschwund effektiv bremsen.7 Denn dieser wird hauptsächlich durch die intensive Landwirtschaft und den damit verbundenen starken Pestizideinsatz ausgelöst.


1     https://www.pollinis.org/admin/wp-content/uploads/2022/12/international-appeal-dangerous-biotechnologies-put-pollinators-at-risk-and-threaten-natures-contribution-to-people.pdf
2     Widmer I, Mühlethaler R et al. 2021 Insektenvielfalt in der Schweiz: Bedeutung, Trends, Handlungsoptionen. Swiss Academies Reports 16 (9).
3     Smith MR, Mueller ND et al. 2022 Pollinator Deficits, Food Consumption, and Consequences for Human Health: A Modeling Study. Environmental Health Perspectives 130 (12): 127003.
4     Barbour MA, Kliebenstein DJ, Bascompte J 2022 A keystone gene underlies the persistence of an experimental food web. Science 356 (6588): 70-73.
5     Wells M, Steinbrecher R 2022 Current and proposed insect targets for gene drive development. A tabular overview. EcoNexus.
6     Sirinathsinghji E, Klein K, Perls D 2020 Gene-Silencing Pesticides. Risks and Concerns. Friends of the Earth USA.
7     Willer H, Trávní􀃋ek J, Meier C, Schlatter B 2021: The World of Organic Agriculture. Statistics and Emerging Trends 2021. Research Institute of Organic Agriculture FiBL, Frick, and IFOAM – Organics International, Bonn.

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