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(Bild: Wikipedia)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 123

Kommen bald Gentech-Mikroben auf die Felder?

Noch spielen Produkte mit gentechnisch veränderten Mikroben in der Landwirtschaft kaum eine Rolle – nur eine Handvoll davon sind bisher auf dem Weltmarkt erhältlich. Doch jetzt beginnen immer mehr Firmen damit, Dünger und Pflanzenschutzmittel zu entwickeln, die aus Gentech-Mikroben bestehen. In der Schweiz wären diese Produkte nicht vom GVO-Moratorium erfasst. Zeit, einen Blick auf die Entwicklungen zu werfen.

Text: Benno Vogel

Selten ist so viel Geld in ein Start-up der Agrarforschung geflossen wie in Pivot Bio: 600 Millionen US-Dollar hat die kalifornische Firma in den letzten vier Jahren erhalten – unter anderem von Microsoft-Gründer Bill Gates und Amazon-Chef Jeff Bezos. Dass das Interesse der Investoren so gross ist, liegt an Proven und Return, den beiden Produkten, die Pivot Bio bislang in den USA auf den Markt gebracht hat. Beide Produkte sind Dünger für Getreide – Proven für Mais, Return für Hirse und Weizen. Und beide Produkte bestehen aus Bodenbakterien, die Stickstoff aus der Luft fixieren und an die Pflanzen weitergeben. Das Besondere daran? Bisher waren Dünger aus stickstofffixierenden Bakterien weitgehend auf Gemüse wie Soja, Erbsen und Bohnen beschränkt. Bei Getreide hingegen sind sie ein Novum. Damit öffnet sich ein riesiger Markt, der bislang auf die Düngung mit chemisch erzeugtem Stickstoff setzte. Eine weitere Besonderheit von Proven und Return: Die Bakterien, die sie enthalten, sind gentechnisch verändert.

Marktpotenzial für Gentech-Mikroben steigt

Noch sind Produkte mit Gentech-Mikroben in der Landwirtschaft eine Rarität; weltweit sind nur eine Handvoll davon auf dem Markt erhältlich. Doch jetzt dürfte sich das ändern. Denn neben Pivot Bio haben weitere Firmen begonnen, gentechnisch veränderte Mikroorganismen für die Landwirtschaft zu entwickeln. Dass das Interesse an Gentech-Mikroben derzeit steigt, liegt vor allem an drei Faktoren: Erstens ist die Entwicklung neuer Mikrobenstämme dank technischer Fortschritte so leicht und kostengünstig wie noch nie. Zweitens haben in den letzten Jahren etliche Länder entschieden, neue Verfahren wie die Genomeditierung nicht mehr als Gentechnik zu regulieren. Damit ist etwa die Zulassung von Gentech-Mikroben, die keine artfremden Gene besitzen, ebenfalls so leicht und kostengünstig geworden wie nie zuvor. Die in Proven und Return enthaltenen Bakterien beispielsweise konnten in den USA ohne gentechnikrechtliche Zulassung auf den Markt kommen. Der dritte und vielleicht wichtigste Grund: Der potenzielle Markt für Gentech-Mikroben wächst ständig. Bisher war er klein, weil Dünger und Pestizide, die aus Pilzen, Viren oder Bakterien bestehen, vor allem im Biolandbau zum Einsatz kommen und dort gentechnisch veränderte Organismen generell verboten sind. Wachsen tut er jetzt, weil Politik und Gesellschaft verstärkt die Abkehr von Kunstdüngern und chemisch-synthetischen Pestiziden fordern und mikrobielle Produkte nun als Alternative zunehmend auch in der konventionellen Landwirtschaft Verwendung finden.

Knöchelbakterien

Knöllchenbakterien bilden an den Wurzeln der Hülsenfrüchtler Knöllchen, in denen sie den Stickstoff der Luft binden und für die Pflanze verfügbar machen. Gentech-Mikroben werden u. a. als Stickstoffdünger für Kulturpflanzen entwickelt, die keine solchen Symbionten besitzen (Bild: Shutterstock).

Stickstoffdüngung

Wie gross das Interesse an der Entwicklung von Gentech-Mikroben ist, zeigt sich vor allem bei Düngern. Hier sind nebst Pivot Bio eine Reihe von Konzernen aktiv. Einer davon ist Novozymes. Das dänische Unternehmen, das mit der Herstellung von Enzymen gross geworden ist, forscht seit einigen Jahren auch an mikrobiellen Agrarprodukten. In einem seiner Projekte will der Konzern dabei stickstofffixierende Bakterien durch Genomeditierung so verändern, dass sie 25 Prozent des für Mais benötigten Kunstdüngers ersetzen können. Auch Bayer hat die Stickstofffixierung im Visier. In Kooperation mit Pivot Bio arbeitet der deutsche Multi etwa an neuen Stämmen von Bradyrhizobium. Bakterien9 dieser Art leben in Wurzelknöllchen von Soja und versorgen die Pflanze mit Stickstoff aus der Luft. Mit Gingko Bioworks wiederum, einem führenden Unternehmen der Synthetischen Biologie, will Bayer Gentech-Bakterien kreieren, die bei Getreide für die Stickstoffdüngung einsetzbar sind. Die Zusammenarbeit begann 2018 mit einem Startkapital von 100 Millionen US-Dollar. 2020 ist auch der zweitgrösste Düngerhersteller der Welt, Mosaic Company, in die Entwicklung stickstofffixierender Bakterien eingestiegen. Der US-Konzern unterstützt seither das Start-up BioConsortia, das Bakterien für die Düngung von Mais und Weizen herstellt und dabei neben Methoden der traditionellen Stammverbesserung auch Genomeditierung einsetzt.

Fokus Nr 123 Bacillus thuringiensis

Gentech-Varianten von Bacillus thuringiensis werden als Pestizide gegen Schädlinge entwickelt. Gentechfreie Stämme des giftbildenden Bakteriums werden auch im Biolandbau verwendet – etwa gegen Raupen des Grossen Kohlweisslings (Bild: Shutterstock).

Giftbildende Bakterien

Ein weiterer Bereich, in dem Firmen Gentech-Mikroben entwickeln, ist der Pflanzenschutz. Auch hier sind bereits erste Produkte auf dem Markt – so etwa Jinweijun von Wuhan Kernel Biotech, das in China seit 2017 als Insektizid zugelassen ist, oder Crymax und Lepinox von Certis, die im Obst- und Gemüsebau der USA bereits seit mehreren Jahren zum Einsatz kommen. Die drei Produkte haben gemeinsam, dass sie Bacillus thuringiensis enthalten, ein Bodenbakterium, das natürlicherweise Insektengifte bildet. Indem die Firmen Giftgene unterschiedlicher Bacillus-Stämme in einem einzelnen Stamm vereint haben, haben sie jeweils Produkte erzeugt, die mehrere Gifte bilden und deshalb stärker wirken oder auch ein breiteres Wirtsspektrum haben. Giftbildende Bakterien will auch die US-Firma Pebble Labs auf den Markt bringen. Für die Entwicklung ihrer Directed Biotics genannten Pestizide setzt sie auf ein Konzept, das derzeit viel Beachtung findet: Die Verwendung von Gentech-Mikroorganismen, die doppelsträngige RNA – kurz dsRNA – bilden. Dieser Stoff löst in Zellen den RNAi-Prozess aus, was sich nutzen lässt, um in Schädlingen gezielt lebenswichtige Gene stillzulegen. Pebble Labs testet derzeit, welche Arten von Bakterien sich eignen, um giftige dsRNA zu den Schädlingen zu bringen. Während Pebble Labs auf den Einsatz lebender Gentech-Mikroben setzt, arbeiten Firmen wie TransAlgae oder Renaissance Bioscience mit abgetöteten Organismen. Sie hoffen, ihre Produkte damit leichter durch die Zulassungsverfahren zu bringen, fallen inaktivierte Gentech-Mikroben doch in vielen Ländern nicht unter die strengen Gentechnikgesetze. Das israelische Startup TransAlgae stellt dsRNAbildende Mikroalgen her und inaktiviert sie dann im Gefriertrockner, bevor es sie als Pulver aufs Feld bringt. Die kanadische Firma Renaissance Bioscience wiederum entwickelt dsRNA-bildende Bierhefe, die sie vor dem Ausbringen mit Alkohol abtötet. Dass dieser Weg funktionieren könnte, zeigte sich 2021 bei Versuchen mit dem Kartoffelkäfer. Auch chromosomenfreie Minizellen, die von Gentech-Bakterien stammen, könnten vielerorts von der Gentechnikregulierung ausgenommen sein. Firmen testen sie derzeit als Behälter, um dsRNA oder auch giftige Peptide auf die Felder zu bringen. Die US-Firma AgroSpheres zum Beispiel hat in ihrer Produktepipeline Minizellen mit dsRNA, die Erdbeeren vor Grauschimmel schützen.

Fokus nr 123 erdbeere schimmel

Der vom Pilz Botrytis cinerea verursachte Grauschimmel kann bei Erdbeeren unter ungünstigen Witterungsbedingungen den gesamten Fruchtbesatz zunichtemachen. Grauschimmel ist eine der Krankheiten, wogegen dsRNA-bildende Mikroben entwickelt werden (Bild: Shutterstock).

Neben Düngern und Pestiziden gehören auch Biostimulanzien zu den Betriebsmitteln, für die Gentech-Mikroben in Entwicklung sind. Der deutsche Konzern BASF etwa will in Brasilien Bacillus-Präparate auf den Markt bringen, die im Boden mehr Nährstoffe für Pflanzen verfügbar machen. Dazu hat er die Bakterien so verändert, dass sie Enzyme bilden, die die organische Substanz um die Wurzeln herum abbauen. Da beim Eingriff keine gattungsfremden Gene zum Einsatz kamen, haben die zuständigen Behörden 2021 entschieden, dass das Präparat in Brasilien ohne gentechnikrechtliche Zulassung vermarktet werden kann. Auch die US-Firma Elemental Enzymes hat Biostimulanzien mit Bacillus-Arten in der Pipeline. Gingko Bioworks wiederum besitzt ein Patent für veränderte Paenibacillus-Bakterien, mit denen sich wachstumsfördernde Proteine in Pflanzen bringen lassen.

Moratorium auch für Gentech-Mikroben?

Ob und wann Zulassungsgesuche für Gentech-Mikroben auch in der Schweiz eingereicht werden, ist unklar. Klar ist hingegen, dass sie vom geltenden GVOMoratorium nicht erfasst wären. Denn das gilt nur für Pflanzen und Tiere. Ob die Reichweite des Moratoriums auf Mikroben auszudehnen ist? Das ist eine der Fragen, die die Politik diskutieren dürfte, wenn 2025 über die erneute Verlängerung des Moratoriums entschieden wird. Bisher spielen Mikroben in der Debatte über das Für und Wider von Gentechnik in der Schweizer Landwirtschaft kaum eine Rolle. Damit bleiben auch die Fragen, die mit ihrer möglichen Markteinführung einhergehen, unbesprochen. Welche Risiken bergen Gentech-Mikroben? Sind Produkte denkbar, die der hiesigen Landwirtschaft einen Mehrwert bringen? Gibt es Wissenslücken, die vor der Markteinführung zu schliessen sind? Absehbar ist, dass die Industrie wie es aktuell bei Pflanzen der Fall ist, bald auch bei Mikroben fordern wird, genomeditierte Varianten aus der Gentechnikgesetzgebung herauszunehmen. Wahrscheinlich ist auch, dass beim Ausgang der hiesigen Diskussionen die Situation in der EU eine Rolle spielen wird. Dort hat die EU-Kommission jüngst zwar den Entscheid über eine Deregulierung genomeditierter Mikroben erst mal auf unbestimmte Zeit vertagt. Sie hat aber ihre Behörden damit beauftragt, sich auf die Markteinführung von Gentech-Mikroben vorzubereiten: Die Gemeinsame Forschungsstelle befasst sich mit Nachweisverfahren für genomeditierte Mikroben und die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA geht der Frage nach, ob die bestehenden Leitlinien für die Risikobewertung von Gentech-Mikroben ausreichen.

Gentherapiemittel für Pflanzen

Während die Debatte über Gentech-Mikroben in der Landwirtschaft erst beginnt, arbeitet die Forschung bereits an einer nächsten Generation von Hightech-Mikroorganismen. So zum Beispiel an Bakterien für Trait-Sprays, das sind Mittel zur gezielten Beeinflussung der Aktivität von Pflanzengenen: Forschende der Chinesischen sischen Akademie der Agrarwissenschaften haben hierzu Bakterien so verändert, dass sie ein künstliches Protein bilden, das sich im Erbgut von Reiszellen gezielt an den Schalter eines Gens namens NOG1 heftet und damit dessen Aktivität erhöht. Wird Reis mit diesen Bakterien besprüht, bildet er – dank der Aktivierung des NOG1-Gens – 10 Prozent mehr Körner als üblich. In der Entwicklung sind zudem Mikroben, die wie eine Art Gentherapie für Pflanzen wirken. Dazu sollen Agrobakterien und Viren als Fähren nutzbar gemacht werden, um auf den Feldern DNA oder mRNA in Pflanzen einzubringen. Da sich damit steuern lässt, welche Proteine eine Pflanze bildet, sollen so Mittel entstehen, mit denen sich Eigenschaften von Pflanzen je nach Bedarf ändern lassen. Der deutschen Firma Nomad Bioscience ist es in Freisetzungsversuchen bereits gelungen, auf diese Weise Tomaten mit Zwergwuchs zu kreieren. Ein ähnliches Konzept verfolgen Forschende, die im Bereich der sogenannten In-situ-Gentechnik arbeiten: Sie wollen Viren mit der Anleitung für die Bildung der Genschere CRISPR auf die Felder bringen, um damit Pflanzen oder auch Bodenbakterien je nach Bedarf direkt in der Umwelt gentechnisch zu verändern. Bis Trait-Sprays und Gentherapiemittel kommerzielle Realität werden, dürfte es noch eine paar Jahre dauern. Klar ist aber jetzt schon, dass diese Mittel die Möglichkeiten zur Kontrolle und Manipulation der Natur massiv erweitern könnten.


Autor

Benno Vogel ist freischaffender Biologe in Winterthur und Berlin. Seit 25 Jahren bietet er Beratungen zu Gen- und Biotechnologie für NGOs und Behörden an.

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