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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 119: Gentechnik bei Nutztieren

Boom dank Genomeditierung

Die Entwicklung genomeditierter GV-Nutztiere boomt. Dies in einer Zeit, in der die gesellschaftliche Besorgnis über das Wohlergehen industriell gehaltener Nutztiere wächst. Er fällt auch in die Zeit, in der Fleisch und Milchprodukte aus Massentierhaltung die Klima- und Biodiversitätskrise befeuern und eine zunehmende Zahl von Forschenden und Institutionen dazu aufruft, den Verzehr tierischer Erzeugnisse zu reduzieren. Wie trägt die Entwicklung genomeditierter GV-Nutztiere zur Lösung der bestehenden Probleme bei?

Text: Zsofia Hock

Seit Mitte der 1980er-Jahren erprobt die industrielle Tierzucht gentechnische Methoden. Der Weg zur Anwendung der Gentechnik an Nutztieren wurde durch die Entwicklung diverser Technologien geebnet: u. a. der künstlichen Besamung, der In-vitro-Fertilisation und des Embryotransfers. Diese hatten den Zuchtaufwand deutlich gesenkt und verstärkten die Tendenz, Tiere als reine Produktionsfaktoren zu behandeln.

Doch die Erfolge der klassischen Gentechnik sind ziemlich mager geblieben. 1985 wurde erstmals gezeigt, dass sich auch Nutztiere gentechnisch verändern lassen. In den folgenden 30 Jahren ist jedoch lediglich ein einziges GV-Tierprodukt entwickelt und auf den Markt gebracht worden: Das sogenannte GalSafe-Schwein der US-Firma Revivicor. Ursprünglich für humanmedizinische Zwecke entwickelt, wurde das Fleisch dieser Tiere für Menschen mit einer Allergie gegen Schweinefleischzugelassen. Allerdings wird noch immer nach Partnerfirmen gesucht, die am Verkauf von diesem Produkt interessiert wären.

Die bisher magere Bilanz der klassischen Gentechnik lässt sich auf mehrere Stolpersteine zurückführen. Einerseits war der Transfer artfremder Gene teuer, technisch mühselig und führte oft zu kranken und fortpflanzungsunfähigen Tieren. Andererseits fehlte auch die Nachfrage als Marktanreiz für die Entwicklung weiterer Produkte: Diese stiessen bei einer grossen Mehrheit der Bevölkerung auf Ablehnung.

Genschere befeuert Forschung

Mit der Genschere CRISPR/Cas hat sich die Lage schlagartig verändert. Knapp 10 Jahre nach ihrer Entdeckung lassen sich mit der Suchmaschine Google Scholar bereits über hundert Projekte mit genomeditierten Nutztieren für die Landwirtschaft finden. Die meisten Forschungsvorhaben fokussieren sich auf Schweine, gefolgt von Rindern, Schafen, Ziegen und Geflügel. Gründe für diesen Boom gibt es mehrere. So sind Eingriffe mit CRISPR im Vergleich zur klassischen Gentechnik schneller, besser steuerbar und in der Phase der Vorlaufforschungen auch kostengünstig. Besonders einfach lassen sich Tiere herstellen, bei denen beide Kopien eines Zielgens ausgeschaltet werden. Dementsprechend entstehen bei der Mehrheit der laufenden Projekte solche Knockout-Tiere. Das Hauptmotto der allermeisten Forschungsvorhaben lautet nach wie vor: mehr Fleischertrag. Bei anderen Projekten wird das Tierwohl als Beweggrund vorgeschoben. Um den Fleischertrag zu steigern, wird meistens ein Gen ausgeschaltet, das natürlicherweise das Muskelwachstum hemmt. Entsprechende Vorhaben gibt es nicht nur bei Schweinen und Rindern, sondern auch bei Hühnern, Schafen, Ziegen, Kaninchen und Wachteln. Diese Projekte degradieren die Tiere nicht nur zu blossen Fleischlieferanten, sondern machen sie oft auch krank.

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Das Nutztier, das am häufigsten gentechnisch verändert wird, ist das Schwein. 38 Prozent von 113 CRISPR-Nutztier-Foschungsprojekten im Zeitraum von 2012 bis 2021 haben das Borstenvieh im Visier.


Mit den neuen technischen Möglichkeiten fliessen wieder mehr private und öffentliche Gelder in die Entwicklung von Gentech-Nutztieren. Dabei verfolgen private Unternehmen von kommerziellen Interessen befeuert entweder eigene Forschungsziele oder unterstützen entsprechende universitäre Projekte. Die meisten Forschungsprojekte laufen in China, gefolgt von den USA und Grossbritannien. Die EU-Länder hingegen sind lediglich zu einem kleinen Prozentsatz an diesen Entwicklungen beteiligt. Die aktuell aktivsten Firmen Recombinetics und Genus stehen bereits mit Zulassungsbehörden in Kontakt, um ihre GV-Nutztiere auf den Markt zu bringen. Das auf die Herstellung genomeditierter Tiere spezialisierte US-Unternehmen Recombinetics und seine Tochterfirma Acceligen forschen u. a. intensiv an hornlosen und hitzetoleranten GV-Rindern für Südamerika (Argentinien) und an GV-Schweinen ohne Hoden für die USA, um Kastrationen überflüssig zu machen. Der britische Konzern Genus, der zu den weltweit führenden Schweine- und Rinderzüchtern gehört, will hingegen Schweine lancieren, die resistent gegen das PRRS-Virus sind – ein Erreger, der bei Sauen zu Fruchtbarkeitsstörungen und bei Ferkeln zu Fieber, Fressunlust und Tod führen kann. In den USA hat der Konzern bereits einen Zulassungsantrag eingereicht.

Gesundheitsrisiken und bedenkliche Deregulierung

Was den Boom genomeditierter Nutztiere ebenfalls begünstigt, ist das sich ändernde regulatorische Umfeld. Mehrere Länder – darunter Japan, Kanada, Brasilien, Argentinien und Australien – haben entschieden,  genomeditierte GV-Nutztiere ohne artfremde Gene weniger streng als herkömmliche GV-Nutztiere zu regulieren.

Die Deregulierung findet jedoch nicht überall statt. In der EU hat sich die EU-Kommission 2021 gegen eine Deregulierung ausgesprochen. In den USA und China stehen Änderungen der Vorschriften zwar zur Diskussion, doch beide Länder regulieren die Genomeditierung bei Nutztieren nach wie vor gleich streng wie die klassische Gentechnik.

Kühe
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In den USA wurden kürzlich hitzetolerante CRISPR-Rinder der Firma Recombinetics zugelassen. Die angeblichen Vorteile des Eingriffes und ob es einen Bedarf für derartige Tiere gibt, ist fraglich. Zudem können die erwünschten Merkmale auch mit konventioneller Zucht erreicht werden. Wird das Gentechnikgesetz gelockert, könnte Zuchtmaterial dieser Tiere auch in die Schweiz gelangen – ohne Risikoprüfung.


In den Ländern mit einer laschen Regulierung der Gentech-Nutztiere könnten die Produkte von Firmen wie Genus und Recombinetics bald ohne umfassende Sicherheitstests und ohne Kennzeichnung verkauft werden. Für die Herstellerfirmen kein Problem – im Gegenteil: Sie können nicht nur Kosten bei den Sicherheitstests sparen, sondern müssen auch nicht befürchten, dass Fleisch oder Milch ihrer Tiere als GVO deklariert und deshalb von der Konsumentenschaft abgelehnt wird.

Doch wird die Kennzeichnungspflicht aufgehoben, verlieren Konsumierende die Wahlfreiheit, ob sie Gentechnik auf ihrem Teller möchten oder nicht. Aus Sicht des Konsumentenschutzes ist eine Lockerung der Vorschriften also unerwünscht. Werden die vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen gelockert oder den Firmen gänzlich überlassen, kann zudem auch die Sicherheit der Produkte von genomeditierten GV-Nutztieren nicht mehr garantiert werden.

Bakteriengene im Rindererbgut – Warum eine unabhängige Risikoprüfung unerlässlich ist

Dass Bedenken im Bezug auf die Sicherheit der von den Herstellern selbst geprüften Produkte nicht unberechtigt sind, unterstreicht das Beispiel des von Recombinetics genomeditierten Bullen namens Buri. Mit ihm wollte die US-Firma die oft kritisierte, schmerzhafte mechanische Enthornung von Kälbern überflüssig machen, um in den Ställen Verletzungen zu vermeiden. Obwohl 100-prozentig genetisch reine Kühe angekündigt waren, wurde bei einer genaueren Überprüfung der US-Lebensmittelbehörde FDA festgestellt, dass Buri in seinem Erbgut neben der Änderung, die zur Hornlosigkeit führt, zusätzlich auch aus Bakterien stammende Antibiotikaresistenzgene besitzt. Die Gene wurden bei der Herstellung aus technischen Gründen in die Zellen eingeführt und könnten auf Verbraucherseite ein Risiko darstellen. Solche und ähnliche ungewollte Fehler sind bei der Anwendung der Genschere keine Seltenheit. Bei einer Deregulierung hätte jedoch niemand die Präsenz solcher Gene kontrolliert.

Genomeditierung: Tierwohl oder Tierleid?

Die Fehleranfälligkeit der Genomeditierung tangiert nicht nur den Konsumentenschutz, auch der Tierschutz kann betroffen sein. Denn unbeabsichtigte Änderungen im Erbgut können die Gesundheit und das Wohlbefinden der editierten Tiere negativ beeinflussen. Tierwohl und -gesundheit sind zusätzlich beeinträchtigt, wenn die Genomeditierung in Kombination mit dem Klonen erfolgt, wie dies bei 90 Prozent der Projekte der Fall ist, bei denen mittels Genomeditierung Gene ins Erbgut von Tieren eingefügt werden. Die Hälfte der Projekte, bei denen Gene ausgeschaltet werden, greift ebenfalls auf das Klonen zurück. Klonen ist mit erheblichem Tierleid verbunden und bleibt nach wie vor sehr ineffizient, führen doch nur gerade 1 bis 5 Prozent der in ein Leihmuttertier übertragenen Klonembryonen zu Nachkommen.

Das bei Genomeditierungsprojekten oft als Beweggrund vorgeschobene Tierwohl ist also mit Vorsicht zu geniessen. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass marktwirtschaftliche Interessen überwiegen. Auch die Rechtfertigung vieler Ziele der Genomeditierung von Nutztieren lässt sich in vielerlei Hinsicht kritisch bewerten. Genau dies ist der Fall bei den Genomeditierungsprojekten, die darauf abzielen, die Kastration männlicher Mastferkel überflüssig zu machen. Die Entmannung ist eine heute umstrittene Methode, mit der sich der Ebergeruch verhindern lässt, der manchen Menschen den Genuss von Fleisch männlicher Schweine verdirbt. Eine Alternative sollen männliche Ferkel darstellen, die so editiert sind, dass sie entweder weibliche Geschlechtsorgane bilden oder ohne Hoden zur Welt kommen. Dass es die Lösung aus dem Genlabor jedoch gar nicht braucht, zeigt die sogenannte Immunokastration. Die Impfung mit dem Wirkstoff Improvac verschiebt den Beginn der Pubertät der Eber hinter den Schlachttermin und bietet dadurch bereits heute eine tierfreundliche Alternative zur chirurgischen Kastration.

Ein Bericht der Umweltschutzorganisation Friends of the Earth International kommt zum Schluss, dass Genomeditierung vor allem dazu verwendet wird, Nutztiere besser an die Bedingungen der industriellen Haltungssysteme anzupassen. In einer Zeit, in der ein Weniger an Fleisch und Milchprodukten ein Mehr an Klima-, Artenvielfalt- und Tierschutz ist, boomt somit ein Forschungszweig, der darauf abzielt, die Massentierhaltung zu stärken. In der Schweiz verbietet das Gentechnikgesetz die Erzeugung gentechnisch veränderter Wirbeltiere für landwirtschaftliche Zwecke. Doch die Industrie und die damit verbundenen Forschungskreise wollen neue Verfahren wie die Genomeditierung mit CRISPR aus dem Gentechnikrecht ausnehmen. Damit könnten bald gentechnisch veränderte Kühe, Schweine, Ziegen, Schafe und Hühner auf Schweizer Höfen und Weiden leben. Ob das wünschenswert ist? Für eine Landwirtschaft, die Eier, Milch und Fleisch sicher und marktorientiert produzieren will, bietet der Verzicht auf genomeditierte GV-Nutztiere den besseren Weg.

 

Tierstudie


Mit der Genschere CRISPR/Cas erlebt die gentechnische Veränderung von Tieren einen Boom. Woran wird geforscht? Welche neuen Risiken ergeben sich? Was bedeutet der neue Schub an veränderten Tieren für Umwelt, Konsum und für die Tiere selbst? Diese Fragen erläutert der Bericht der SAG und des Schweizer Tierschutzes STS aus Sicht des Tier-, Umwelt- und
Konsumentenschutzes: www.gentechfrei.ch/tierstudie

 PDF Gentechfrei Magazin Nr.119