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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 118

Genomeditierung im Naturschutz

Mit der Genschere CRISPR/Cas hält die Genomeditierung auch Einzug in Naturschutzprojekte. Die Anwendungsideen sind vielfältig – von der erhofften sensationellen Wiederbelebung ausgestorbener Arten bis zu kleineren Eingriffen, welche bedrohte Arten stärken sollen. Diese Entwicklung ist alarmierend. Ausgerechnet in diesem sensiblen Bereich, in dem der Mensch bereits so viel Schaden angerichtet hat, plant man nun Eingriffe mit ungenügend geprüften Technologien. Deren Auswirkungen sind noch nicht abschätzbar – weder auf die Zielarten selbst noch auf das ganze Ökosystem.

Text: Zsofia Hock

Ein neues Forschungsgebiet, Resurrection Biology getauft, beschäftigt sich damit, ausgestorbene Tiere mittels Genomeditierung wieder zum Leben zu erwecken. Solche Forschungsziele werden einerseits durch eine Art Sehnsucht nach dem Verlorenen und der Hoffnung, menschengemachte Schäden wiedergutmachen zu können, angetrieben, andererseits aber auch durch pure Neugier. Oft werden als Motivation auch aktuelle Probleme angegeben, bei denen eine Lösung dringend herbeigesehnt wird – etwa die Bekämpfung des Klimawandels. Die Frage ist, ob dies nicht lediglich ein wohlklingendes Alibi ist, um den waghalsigen Experimenten eine grosszügigere Finanzierung zu sichern. Auch wenn Jurassic Park höchstwahrscheinlich Science-Fiction bleibt, werfen solche Auferweckungsträume eine Reihe ethischer Fragen auf. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn eine Art ausgerottet und danach wiederbelebt werden kann, könnte das nicht dazu führen, dass man sich weniger um die Erhaltung der Spezies in der freien Wildbahn bemüht?

Projekt Wollhaarmammut – lebendiges Museumstier oder mehr?

Das Vorhaben in diese Richtung mit dem grössten Medienecho weltweit will das seit Tausenden Jahren ausgestorbene Mammut wieder zum Leben erwecken. Wenn alles nach Plan läuft, sogar schon in 6 Jahren – eine kleine Sensation. Das auf den vielsagenden Namen Colossal getaufte, millionenschwere Projekt einer US-Forschungsgruppe um den Molekularbiologen George Church versucht aber auch, mit in den Mantel der Vernunft gehüllten Begründungen zu überzeugen. Das Argument des Klimaschutzes muss auch hier herhalten: Vom Mammut gestampfter Winterschnee soll das Tauen der Dauerfrostböden und die damit verbundenen erhöhten CO2–Emissionen in der Arktis verlangsamen.

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Von Mammufanten gestampfter Winterschnee soll dem Klimawandel entgegenwirken. Doch die Entwicklung solcher genomeditierter Chimären kann nicht mit dem Tempo des Klimawandels mithalten. Auch kann die Technologie Elterntiere nicht ersetzen,welche ihren Nachkommen Verhaltensmuster weitergeben.


Technische Schwierigkeiten vorhersehbar

Um eine dem Wollhaarmammut ähnliche Art heranzuziehen, sollen mithilfe der Genschere CRISPR/Cas Zellen von Asiatischen Elefanten mit im Eis gefundenen gefrorenen Genen des Mammuts kombiniertwerden. Bis ein solcher Mammufant durch die Permafrostlandschaft der Arktis stampfen kann, müssten jedoch einige technische Hindernisse überwunden werden.

Einen Stolperstein stellen die enormen Unterschiede zwischen dem genetischen Code des ausgestorbenen Riesen und seinem nächsten Verwandten, dem Asiatischen Elefanten, dar: eine Diskrepanz von 1,5 Millionen Nukleotiden im Genom. Alle Unterschiede mittels Genschere auszugleichen, ist kaum möglich. Deswegen fokussieren die Biotechnologen auf Gene, welche den Phänotyp massgeblich beeinflussen: etwa auf Genabschnitte, welche die Grösse der Ohren, die Behaarung oder die Bildung des Unterhautfettgewebes bestimmen. Doch ein Organismus ist nicht die Summe seiner Gene. Mit dem Aussterben gingen neben physischen Eigenschaften auch Verhaltensweisen des Mammuts verloren: Migrationsrouten, Paarungsrituale, Techniken der Nahrungssuche und der Kommunikation. Deshalb ist es fraglich, inwiefern wiederbelebte Tiere erfolgreich ausgewildert werden könnten. Das Ergebnis des Mammutprojekts wird daher eine neue Art sein, die der ausgestorbenen Art zwar ähnelt, aber doch grundlegend anders ist: eine Art kältetoleranter Elefant, eine Kuriosität.

Bevor man überhaupt über ein Auswildern nachdenken kann, müssten weitere technische Hindernisse bewältigt werden. Etwa dasjenige des Klonens – damit ein Mammufant ausgetragen werden kann, müsste das manipulierte Mammuterbgut in eine entkernte Elefanteneizelle übertragen werden. Auch bei Arten, die noch nicht so lange ausgestorben oder enger miteinander verwandt sind, treten bei diesem Prozess Schwierigkeiten auf. Das Ausmass der evolutionären Unterschiede zwischen Mammut und Elefant könnte den Erfolg dieses Schrittes zusätzlich negativ beeinflussen. Bereits die Entnahme der Eizelle bei Elefanten ist riskant und mit erheblichem Tierleid verbunden.

Selbst wenn man über all diese Hindernisse hinwegkommt, wäre es zu spät – denn um das Auftauen einer Permafrostregion, die sich über Millionen von Quadratkilometern erstreckt, zu bremsen, müsste eine hohe Populationsdichte erreicht werden. Angesichts des langen Fortpflanzungszyklus des Mammuts lässt sich dies wohl kaum rechtzeitig realisieren. Daher muss der Frage nachgegangen werden, wer von solchen Projekten profitiert. Der Mensch? Die Tierart? Die einzelnen Individuen, die zur Umsetzung des Wiederbelebungsversuchs benutzt werden, ganz bestimmt nicht.

The Great Comeback  –  die Rückkehr der Wandertaube

Der Mammufant ist nur eines dieser Wiederbelebungsvorhaben. Andere Arten, die noch nicht so lange ausgestorben sind, könnten vor den Urzeitriesen wieder zum Leben erweckt werden. So etwa die Wandertaube (Ectopistes migratorius). Die Haupttriebfeder der Forschung bildet hier das Wohlergehen derjenigen Ökosysteme, denen seit dem Verschwindendieses Vogels ein wichtiger Ökosystembaustein fehlt. Noch vor 150 Jahren suchten Wandertauben in riesigen Scharen die Wälder Nordamerikas heim – bis das letzte Exemplar dem Jagdfieber zum Opfer fiel. Durch ihre Lebensweise beeinflussten die Vögel die Ökologie dieser Gebiete massgeblich. Denn jeder Einfall der Vogelschwärme zwang die Wälder zu Regenerationszyklen, die seit deren Verschwinden ausbleiben. Die nächste lebende Verwandte, die Ringeltaube, unterscheidet sich von der Wandertaube in 25 Millionen Genen. Trotzdem hoffen die Forscher auch hier, dass Veränderungen in ein paar Dutzend wichtigen Genen genügen, um eine Taube zu kreieren, welche sich wie die ausgestorbene Taubenart verhält.

Taube
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Der Ringeltaube (Columba palumbus), ein auch in der Schweiz häufig vorkommender Brutvogel, ist der engste lebende Verwandte der ausgestorbenen Wandertaube. Als solcher soll er für Wieder-
belebungsexperimente benutzt werden, obwohl der genetische Unterschied zwischen den beiden Arten bedeutend ist.


Wie alle Wiederbelebungsprojekte wirft auch dieses zahlreiche praktische und ethische Fragen auf. Wie würden sich die wiedererweckten Wandertaubenpopulationen in die sich seither veränderte Landschaft Nordamerikas einfügen? Was wäre, wenn die Riesenschwärme den bereits durch Wildfeuer und Erreger strapazierten Wäldern mehr schaden als nützen? Oder wenn die Tauben für grosse Metropolen wie New York zur Plage würden?

Die IUCN empfielt, dass solche Projekte nur dann grünes Licht bekommen, wenn die ursprünglichen Ursachen des Aussterbens beseitigt werden konnten. Im Falle der Wandertaube ist es fraglich, ob die Jagd als potenzielle Bedrohung ausgeschaltet werden kann. Vor allem, wenn die erneut eingeführte Art oder deren genomeditiertes Faksimile neu invasiv wird und als Schädling agiert – dies könnte im Falle der reiselustigen Wandertaube schnell zutreffen.

Bedrohte Arten gegen das Aussterben wappnen

Eingriffe mit der Genschere sollen auch dazu genutzt werden, die Auswirkungen des menschengemachten Biodiversitätsverlustes zu verlangsamen und möglichst vielen gefährdeten Arten eine Art Verschnaufpause vor dem drohenden Aussterben zu verschaffen. Dies wäre das Anwendungsziel, das eventuell technisch am ehesten realisierbar wäre, allerdings aber auch weniger spektulär für Medienjubel und an Publizität interessierten Grosssponsoren.

Das Thema beschäftigt die internationalen Naturschutzgremien und Forschungsgruppen jedoch aktuell sehr. Eine zentrale zu klärende Frage in dieser Diskussion lautet, bei welchem Gefährdungsstatus welche Methoden überhaupt eingesetzt werden dürften und wer darüber entscheidet. Die Idee eines unabhängigen Gremiums aus repräsentativen Interessenvertretern hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Verständlich: Denn die potenziell weitreichenden Auswirkungen genomeditierter Organismen werden von den Biotechnologen nicht immer genügend berücksichtigt. Eine gesellschaftlich breiter abgestützte Beurteilung ergibt durchaus Sinn.

Experten der Washington University schlagen vor, die Eingriffstiefe der Genomeditierung analog der Klassifizierung der Bedrohungsstufen der Weltnaturschutzorganisation IUCN zu definieren. In einem ersten Schritt soll die Genomeditierung dazu dienen, das Monitoring der Populationsgrösse und des Genflusses zwischen Populationen von gefährdeten Tierarten zu erleichtern. Bei stärker gefährdeten Arten schlagen die Forschenden vor, sich auf die Erhaltung der Arten zu konzentrieren, indem deren Anpassungsfähigkeit durch vorteilhafte Punktmutationen, induziert durch Genomeditierung, verbessert wird. Denkbar wäre ein solcher Eingriff bei Korallen, welche durch solche Mutationen auch bei höheren Wassertemperaturen überleben sollen. Ein weiteres Ziel dieser Kategorie des Revive & Restore, welches auch die Wiederbelebung der Wandertaube plant, wäre das auf Madagaskar lebende Schwarzfussfrettchen. Mittels Aktivierung spezifischer Gene durch CRISPR/Cas soll es resistent gegen die silvatische Pest gemacht werden, die durch Bakterien verursacht wird.

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Der in seinen Beständen gefährdete Feuersalamander wird durch eine eingeschleppte Pilzkrankheit bedroht. Forschende möchten sein Erbgut mit einem Gene Drive so verändern, dass er immun gegen den Pilz wäre.


 Bei Arten der höchsten Gefährdungsstufe müssten auch grössere Eingriffe ins Genom in Betracht gezogen werden, postuliert das Forscherteam. So etwa das Entfernen schädlicher rezessiver Mutationen in Populationen aufgrund von Inzucht. Diese beeinträchtigen beispielsweisedie Züchtung des kalifornischen Kondors (Gymnogyps californianus) in Gefangenschaft. Auf die gleiche Art könnten auch verloren gegangene vorteilhafte genetische Merkmale wiederhergestellt werden, wenn dies mit direkter Züchtung nicht möglich ist.

Unklar ist aber, bei welchem dieser Schritte welche Technologie erlaubt wäre und ob die Anwendung von schwer kontrollierbaren Methoden, wie die der Gene-Drive-Technologie, je erlaubt sein sollten. Auch derartige Forschungsprojekte sind keine Seltenheit. Eines davon betrifft den auch hierzulande heimischen Feuersalamander. Diese Lurche sind bereits wegen des Verlustes ihrer Lebensr ume akut gefährdet. Nun werden sie zusätzlich von einem aus Asien eingeschleppten Hautpilz bedroht. Um diese tödliche Gefahr abzuwenden, soll dem Erbgut des Feuersalamanders mittels Gene Drives ein Gen eingefügt werden, welches sie immun gegen den Pilz machen soll. Grundsätzlich gilt es in jedem Fall abzuwägen, ob die Wiederherstellung von Verlorenem oder der Schutz des noch Vorhandenen dringender ist. Die knappen Gelder sollten in diejenigen Forschungsbereiche fliessen, welche die Biodiversität am effektivsten erhalten. Waghalsige Forschungsvorhaben mit Biotechnologie dürfen die Erhaltungsbiologie nicht konkurrenzieren, indem sie Ressourcen von den notwendigen ökologischen Schutzmassnahmen abziehen.
 

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