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(Bild: Shutterstock)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 114

Zwischen Hoffnung und Skepsis

Sie wecken Hoffnung, sorgen aber auch für Ängste und Bedenken.Hoffnung, weil sie Menschen vor Covid-19 schützen und damit den Weg aus den Lockdowns und der Pandemie ebnen können. Ängste und Bedenken, weil ihre schnelle Entwicklung, ihre neuartigen Wirkstoffe und ihre gentechnische Herstellung Zweifel an ihrer Sicherheit wecken. Die Rede ist von den genbasierten Impfstoffen, die derzeit in mehreren Ländern bei der Bekämpfung von Corona Verwendung finden. So auch in der Schweiz: Fünf der sechs Vakzine, auf die der Bund bei seiner Impfkampagne gegenwärtig setzt, sind genbasiert (siehe Übersicht auf Seite 15). Rund 33 Millionen Dosen dieser modernen Fabrikate sind laut BAG bestellt.

Text: Benno Vogel

Geht es nach den Plänen des Bundes, sollen sich bis im Sommer alle damit impfen können, die das wollen. Wie viele das sein werden, ist unklar. Für eine Herdenimmunität müssten 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung impfwillig sein. Die Bereitschaft steigt zwar stetig an und mehr als die Hälfe ist derzeit parat für den Piks. Aber auch die Skepsis bleibt verbreitet. Je nach Umfrage geben 15 bis 30 Prozent der Befragten an, noch unschlüssig zu sein.

Wenn die genbasierten Vakzine Skepsis wecken, dürfte das vor allem an ihren neuartigen Wirkstoffen liegen. Sie bestehen nämlich aus mRNA oder gentechnisch veränderten Viren und basieren somit auf zwei Stoffklassen, die bisher gar nicht oder nur sehr begrenzt in Impfstoffen zum Einsatz kamen (siehe Kasten). Dass die fehlende Erfahrung manch einen an der Sicherheit zweifeln lässt, erstaunt nicht. Doch wie berechtigt sind diese Zweifel? Zeit, einen Blick darauf zu werfen, wie genbasierte Impfstoffe wirken, wie sie hergestellt werden und nach welchem neuen Wirkprinzip sie funktionieren.

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(Grafik: SAG/ Bivgrafik)

Neues Wirkprinzip: Genetische Baupläne statt Proteine

Bisher beruht das Wirkprinzip von Impfstoffen im Wesentlichen darauf, Proteine von Krankheitserregern in den Körper zu bringen, die dort als Antigene wirken und das Immunsystem dazu anregen, Antikörper und Gedächtniszellen zu bilden. Das Einbringen erfolgt dabei mit einer von drei Möglichkeiten: mit lebenden, aber abgeschwächten Erregern, mit abgetöteten Erregern oder mit isolierten Erregerproteinen. Anders ist das Prinzip der genbasierten Impfstoffe: Sie bringen nicht die als Antigen wirkenden Proteine in den Körper ein, sondern die genetische Anleitung für deren Herstellung; Geimpfte bilden dann die Antigene selber. Möglichkeiten für das Einbringen der Anleitung gibt es wiederum drei: mit mRNA, mit gentechnisch veränderten Viren oder mit Plasmiden. Letzteres sind ringförmige DNA-Moleküle. In den Corona-Impfprogrammen spielen sie derzeit noch keine Rolle. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind global zwar 25 dieser DNA-Impfstoffe in der Entwicklung, aber marktreif ist noch keiner.

Bereits verimpft wird hingegen mRNA. Sie ist in den zugelassenen Präparaten von Moderna und Pfizer/Biontech enthalten. Mit dem Vakzin von Curevac dürfte zudem bald ein dritter RNA-Impfstoff folgen. Allen drei gemeinsam ist, dass ihre mRNA den Bauplan für das Spike-Protein des Coronavirus Sars-CoV-2 enthält. Wird diese mRNA in Muskeln gespritzt, bauen dort die Zellen daraus das Virusprotein. Der Körper kurbelt die Immunantwort dagegen an und sollte deshalb vor einer schweren Covid-19-Erkrankung geschützt sein, falls es später zur Infektion kommt. Allen drei Präparaten gemeinsam ist auch, dass die Produktion ihrer mRNA synthetisch erfolgt: In zellfreien Bioreaktoren bauen Enzyme die mRNA zusammen. Als Schablone wirken dabei DNA-Moleküle, die den Code für das Spike-Protein enthalten und zuvor aus gentechnisch veränderten Bakterien isoliert worden sind.

Schon bald verimpft werden könnten hierzulande auch gentechnisch veränderte Viren. Sie sind in den sogenannten Vektor-Impfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson enthalten, die derzeit im Zulassungsverfahren sind. Beide Präparate basieren auf Erkältungsviren – AstraZeneca setzt auf Schimpansen-Adenoviren, Johnson & Johnson nutzt Adenoviren des Menschen. In beiden Fällen sind die Viren doppelt gentechnisch verändert: Einmal so, dass sie sich im Körper nicht mehr vermehren können. Diese Veränderung dient der Sicherheit. Und noch einmal so, dass sie in ihrem Erbgut die Information für den Bau des Spike-Proteins tragen. Wie bei den RNA-Impfstoffen können die veränderten Viren die Körperzellen damit dazu bringen, das fremde Spike-Protein herzustellen, das dann wiederum eine Immunreaktion auslöst. Um genügend der Vektor-Viren zur Verfügung zu haben, werden sie in Bioreaktoren in gentechnisch veränderten Humanzellen vermehrt. Die Nutzung menschlicher Zellen ist in der Arzneimittelproduktion zwar selten, aber seit längerem üblich. In der Schweiz sind acht Medikamente aus gentechnisch veränderten Humanzellen zugelassen.

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(Grafik: SAG/ Bivgrafik)

Neuartige Wirkstoffe = neuartige Risiken?

Wie steht es um die Sicherheit der genbasierten Impfstoffe? Bergen sie im Vergleich zu klassischen Vakzinen neuartige Risiken? Daten aus den präklinischen und klinischen Prüfungen und laufenden Impfkampagnen legen nahe, dass genbasierte Impfstoffe sicher sind und im Allgemeinen gut vertragen werden. Neuartige Risiken sind hier bislang nicht bekannt geworden. Zwar gibt es kurzfristige Nebenwirkungen wie Fieber, Rötungen oder Kopfschmerzen. Doch sie kommen auch bei klassischen Impfstoffen vor und sind oft ein Zeichen dafür, dass der Impfstoff das Immunsystem aktiviert.*

In seltenen Fällen sind bisher schwere allergische Reaktionen aufgetreten. Menschen mit Anaphylaxien in der Vorgeschichte sollten deshalb vor der Impfung ärztlichen Rat einholen. Als Auslöser der Allergien gelten weder die mRNA noch die gentechnisch veränderten Viren. Im Verdacht stehen vielmehr Hilfsstoffe. Anders als klassische Vakzine kommen genbasierte Präparate zwar ohne Adjuvanzien aus, die es üblicherweise braucht, um die Wirkung von Impfstoffen zu verstärken. Doch ganz ohne Hilfsstoffe geht es nicht. So braucht es bei RNAVakzinen Lipidnanopartikel, um die mRNA in die Zellen zu bringen und vor einem raschen Abbau zu schützen. Ein Bestandteil dieser winzigen Fettkügelchen ist Polyethylenglykol – ein Stoff, der in vielen Medikamenten und Kosmetika vorkommt, als Allergen bekannt ist und zurzeit als Hauptverdächtiger für allergische Reaktionen auf die RNA-Impfstoffe gilt. Die beiden Vektor-Impfstoffe wiederum enthalten Polysorbat 80 zur Stabilisation und somit ebenfalls einen Stoff, der mit Allergien in Verbindung steht.

Sind Spätfolgen genügend abgeklärt?

Während die vorhandenen Daten den genbasierten Impfstoffen erstmal eine weitgehend gute Verträglichkeit bescheinigen, bleibt die Frage nach möglichen Spätfolgen offen. Bei klassischen Impfstoffen sind Spätfolgen sehr selten. Ob das auch für die neuen Präparate gilt? Da bisher keine Nebenwirkungen beobachtbar waren, die zu dauerhaften oder erst lange nach der Impfung auftretenden Schäden führen könnten, bleiben Fachleute gelassen: Eine 100-prozentige Sicherheit, dass Spätfolgen bei genbasierten Impfstoffen ausbleiben, gebe es zwar nicht, aber das Risiko, schwer und lange an Covid-19 zu erkranken, sei um vieles grösser als das Risiko, späte oder dauerhafte Impffolgen zu erleiden.

Entwarnung geben Fachleute denn auch, wenn es um die breit diskutierte Befürchtung geht, dass sich das genetische Material der neuen Vakzine ins Erbgut von Geimpften einbaut und dadurch als Spätfolge Krebs verursacht. Bei RNA-Impfstoffen gilt ein Einbau als unmöglich. Da die mRNA bloss ins Zellplasma gelangt, und nicht in den Zellkern, hat sie keinen Kontakt mit dem Erbgut der Geimpften. Sollte die mRNA unerwartet doch in den Zellkern gelangen, wäre ein direkter Einbau ausgeschlossen, da unser Erbgut nicht aus RNA sondern DNA besteht. Dass die RNA im Zellkern erst in DNA umgeschrieben und dann eingebaut wird, ist wiederum unwahrscheinlich, weil menschlichen Zellen die Enzyme für die Umschreibung in der Regel fehlen.

Anders ist die Situation bei den Vektor- Impfstoffen. Hier gelangt die DNA der gentechnisch veränderten Adenoviren bis in den Zellkern. Ein Einbau ins Erbgut ist deshalb grundsätzlich möglich. Versuche an Zellkulturen und Tieren zeigen jedoch, dass er äusserst selten passiert und etwa 1000- mal weniger häufig vorkommt als spontane Veränderungen im Erbgut. Sollte es zu einem Einbau kommen, ist es wiederum wenig wahrscheinlich, dass er genau dort im Erbgut erfolgt, wo Änderungen zu Krebs führen. Diese Überlegungen werden durch die Lebenserfahrung bestärkt: So haben Menschen regelmässig Erkältungen wegen Infektionen mit Adenoviren, ohne dass Krebs als Spätfolge bekannt geworden ist.

Ein Einbau von DNA ist theoretisch auch möglich, weil die Herstellung der neuen Vakzine gentechnisch erfolgt und DNA aus dem Produktionsprozess in den Präparaten zurückbleiben kann. Hohe Qualitätsanforderungen, Grenzwerte und Kontrollen der Impfchargen sollten jedoch dafür sorgen, dass daraus keine Gefahr für Impflinge entsteht. Dass dieses Qualitätssicherungssystem funktioniert, zeigt die Erfahrung: In der Schweiz sind über 200 Medikamente aus gentechnischer Produktion zugelassen. Probleme wegen DNA-Rückständen sind bei deren Verwendung bisher nicht bekannt geworden.

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(Grafik: SAG/ Bivgrafik)

Anforderungen an Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Impfstoffen sehr hoch

Wer sich gegen Covid-19 impfen lassen möchte, genbasierte Präparate aber ablehnt, dürfte in nächster Zeit keine grosse Wahl haben. Impfstoffe aus abgetöteten Sars-CoV-2-Viren, wie sie in China und Indien entwickelt worden sind, spielen in der Schweiz derzeit keine Rolle. Mit dem Produkt der US-Firma Novavax ist nur eines der sechs Vakzine, auf die der Bund setzt, ein klassischer Impfstoff. Er besteht aus dem gentechnisch hergestellten Spike-Protein von Sars-CoV-2 und enthält zudem eine Substanz aus dem Seifenrindenbaum als Adjuvans und Polysorbat 80 als Stabilisator. Besondere Risiken sind hier nicht zu erwarten. Protein-Impfstoffe aus gentechnischer Produktion gibt es seit mehr als 25 Jahren. In der Schweiz sind entsprechende Vakzine gegen Hepatitis B, Gürtelrose und Hirnhautentzündung zugelassen.

Ob klassisch oder neuartig – die Anforderungen an Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Impfstoffen ist sehr hoch, unabhängig davon, wie die Präparate hergestellt sind oder auf welche Art sie wirken. In der Schweiz sorgt Swissmedic für die Einhaltung der Anforderungen. In der EU ist es die Arzneimittelbehörde EMA. Auch wenn beide Behörden wegen der Pandemienotlage bei der Zu-lassung von Covid-19-Impfstoffen auf ein Schnellprüfverfahren setzen, machen sie bei der Prüfung der Sicherheit keine Abstriche. Anders als üblich bewerten sie bei dieser «rollenden» Prüfung Daten bereits dann schon, wenn der Zulassungsantrag und einzelne Testergebnisse noch ausstehen. Wie gewohnt lassen die Behörden Covid-19-Impfstoffe aber nur dann zu, wenn sie es als hinreichend belegt erachten, dass die Mittel mehr nutzen als schaden.

Diese positive Risikobilanz spielt auch in den Stellungnahmen eine wichtige Rolle, die Biorespect aus Basel und das Gen-ethische Netzwerk in Berlin zu den neuen Impfstoffen geschrieben haben. Beides sind Vereine, die sich seit mehr als 30 Jahren kritisch mit Gentechnik in der Medizin beschäftigen. Aus ihrer Sicht ist ein generelles Misstrauen gegenüber Covid-19-Impfungen unangebracht.

Klar ist, dass schlussendlich jede und jeder für sich selbst entscheiden muss, ob er oder sie sich mit einem der Impfstoffe, die aktuell zur Verfügung stehen,vor Covid-19 schützen will.

 


Genbasierte Impfstoffe: ein Novum

RNA-Impfstoffe sind weltweit eine Neuheit. Das Prinzip, das Immunsystem mit mRNA auf Erreger vorzubereiten, ist zwar bereits seit 30 Jahren in der Erforschung und auch klinische Versuche fanden schon statt, aber Zulassungen gab es vor den Covid-19-Impfstoffen noch nie. Auch die gentechnisch veränderte Viren enthaltenden Vektor-Impfstoffe sind weitgehend neu. In der Schweiz gib es bisher noch keine solche Vakzine. In der EU sind seit 2019 erste Produkte erhältlich: drei Impfstoffe gegen Ebola und einer gegen Denguefieber. Bis Mitte März 2021 haben sich weltweit mehr als 70 Millionen Menschen mit den genbasierten Covid-19-Vakzinen impfen lassen. Anlass für ernste Sicherheitsbedenken gab es bis dahin nicht.*

RNA bald auch auf den Feldern

Nicht nur beim Impfen, sondern auch in der Landwirtschaft sind RNA-basierte Produkte im Kommen. Agrarfirmen arbeiten nämlich an Spritzmitteln aus RNA, die eine gezielte Schädlingsbekämpfung ermöglichen sollen (siehe dazu gentechfrei Nr. 109/April 2020). Anders als bei den Impfstoffen bestehen die Sprays nicht aus mRNA, sondern aus dsRNA – kurzer doppelsträngiger RNA. Anders ist auch die Wirkweise: Im Unterschied zur mRNA enthält dsRNA keine genetische Bauanleitung, sondern unterbindet in Schädlingen durch einen RNA-Interferenz genannten Prozess die Bildung lebenswichtiger Proteine. Welche Umweltfolgen es hat, wenn dsRNA wiederholt auf die Felder kommt, ist umstritten. Laut einem Bericht der Friends of Earth fehlen oft Daten, um Risiken ausreichend abschätzen zu können.

* Mitte März – kurz nach Redaktionsschluss – haben mehrere EU-Länder die Verabreichung des Vektor-Impfstoffs von AstraZeneca ausgesetzt, da vereinzelt Blutgerinnsel im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten sind. Ob der Impfstoff die Ursache ist, wird geprüft, war aber zum Zeitpunkt des Drucks unseres Magazins noch ungeklärt.