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(Bild: Shutterstock, Montage: Bivgrafik)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 112

Die Gentechnik-debatte ist weiterhin aktuell

Man wollte live feiern und nicht online. Und das hat geklappt. 65 Personen haben sich zur Jubiläumsfeier im Naturama in Aarau eingefunden. Es war eine bunte, lebendige Veranstaltung mit vielen individuellen Protagonisten, die meisten etwas angejahrt, aber voller Verve. Monika Stocker in ihrer Rolle als Mitgründerin und erste Präsidentin der SAG, Herbert Karch, sehr aktiv in der Kampagne zur Gentechfrei-Initiative und über Jahre im Vorstand, und Florianne Koechlin, ebenfalls langjähriges Vorstandsmitglied der SAG, kommen zu Wort. An der anschliessenden Podiumsdiskussion diskutiert SAG-Geschäftsführer Paul Scherer mit dem Klimaaktivisten Dominik Waser und der aktuellen SAG-Präsidentin Martina Munz über die Zukunft der Landwirtschaft.

Text: Kathrin Graffe

Wie alles begann. «Mir sind es Hämpfeli gsi», so beginnt Monika Stocker ihr Referat. Die Arbeitsgruppe Gentechnologie, wie sie sich damals nannte, habe sich unregelmässig in einer Seitengasse hinter dem Hauptbahnhof Zürich getroffen und debattiert. Die lockere Gruppe entwickelte sich bald zu einer festen Institution. 2019 zählte die Schweizer Allianz Gentechfrei, wie sie sich inzwischen nennt, rund 2 000 Mitglieder und 2 000 Spenderinnen. Nicht geändert hat sich, wie man gentechkritischen Personen von Seiten der Wissenschaft begegnet, was die Rednerin mit einigen beispielhaften Anekdoten illustriert. Die SAG-Präsidentin der ersten Stunde berichtet, wie man sie und ihre Kolleginnen in die Forschungsstation in Lindau einlud und herumführte. Das Labor sei hermetisch abgeschlossen gewesen und nur mit Schutzbekleidung zu betreten. Auf ihre Frage, wieso denn das, wenn doch Freisetzungen so unproblematisch seien, blieb man eine Antwort schuldig und verabschiedete sich kurz angebunden.

Neben dem Thema Freisetzungen setzte man sich schon in den Anfängen der SAG auch mit dem Thema Patente auf Leben auseinander. Mit diesem Thema habe man neue Sympathisantinnen und Unterstützer mobilisieren können, zum Beispiel in kirchlichen Kreisen, «Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung» war hier der Slogan, der zu den Anliegen der SAG passte. Immer mehr Menschen erkannten den Zusammenhang zwischen der kritischen Betrachtung der Gentechnologie und ethischen Fragen. Als der Hype um die Möglichkeiten der Gentechnik in der Reproduktionsmedizin aufkam, setzte Monika Stocker sich im Nationalrat vehement dafür ein, die Notwendigkeit solcher Techniken zu hinterfragen und den ethischen Aspekten in der Diskussion mehr Gewicht zu geben. Zivilgesellschaftliche Kreise, Naturwissenschaftlerinnen und die institutionell-politischen Kräfte müssten mehr zusammenarbeiten, «damit wir das nicht gegeneinander ausspielen. Es braucht alle, die an diesen Themen arbeiten.» So ihr Résumé.

Das waren die Anfänge der Bewegung, die sich im Verlauf zur SAG formierte, und wie ging es weiter? Nach der Kampagnenarbeit für die Gen-Schutz-Initiative, die leider vor dem Volk nicht reüssierte, folgte 2005 ein Meilenstein und bahnbrechender Erfolg, die Kampagne und die Abstimmung zur Gentechfrei-Initiative.

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Monika Stocker (Bild: Flurin Bertschinger)

«Erinnerungen an bewegte Jahre»

An dieser Stelle hat Herbert Karch, eine der Schlüsselfiguren dieser Abstimmungskampagne, das Wort. Er wolle das SAG-Jubiläum zum Anlass nehmen, um 15 Jahre Gentechfrei-Initiative zu feiern. Er blickt zurück und illustriert, wie Initiativgegner von Agrarkonzernen, aus der Wissenschaft – insbesondere von der ETH Zürich und dem botanischen Garten Bern – mit ihren Prognosen für Untergangsstimmung sorgten. Sie prophezeiten die Gefährdung des Forschungs- und Wissenschaftsstandortes Schweiz, die Abwanderung von Wissenschaftlern und die Verunmöglichung von Grundlagenforschung.

Die Handelszeitung zitierte Bernd Schips, den Leiter der Konjunkturforschungsstelle KOF am 3.11.05: «Für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz wäre die Annahme des Gentech-Moratoriums verheerend... Wissenschafter setzen sich ins Ausland ab.» Den volkswirtschaftlichen Schaden könne Schips allerdings nicht beziffern. In der gleichen Ausgabe war zu lesen: «Wenn man die Freisetzung verbieten will, dann tangiert das direkt auch die Grundlagenforschung.» Und auch Versprechungen wurden gemacht, so vom Immunologen Beda Stadler (swissinfo, 8.2.2005): «Es gibt keine Technik, die alleine den Hunger stillt. Doch Gentechnik wäre eine einfache Methode, damit die Dritte Welt auf einfache Weise mehr Ertrag und Export liefert.»

Nicht ohne Stolz fasst Karch zusammen: «Die Angstmacherei hat nicht gefruchtet. Es ist uns gelungen, nicht in eine allzu defensive Abwehrstrategie zu verfallen, sondern mit positiven Bildern und Botschaften die Stimmberechtigten zu überzeugen.» Man sehe, dass 15 Jahre später, die Forschung weiterhin möglich sei und unsere relativ naturnahe Landwirtschaft die Überlegung ‹gentechfrei oder nicht› immer noch überflüssig mache. «Noch immer – 15 Jahre später – haben wir eine gentechfreie Landwirtschaft in der Schweiz!» Und eine Lösung für den Hunger in der Welt habe die Gentechnik bisher nicht geliefert. (siehe gentechfrei Nr. 108, Januar 2020)

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Herbert Karch (Bild: Flurin Bertschinger)

Was ist ein Gen?

Mit dieser Frage beginnt Florianne Koechlin. Sie gehörte zu der von Monika Stocker beschriebenen Gründungsgruppe, war jahrelang Vorstandsmitglied der SAG. «Eigentlich e wahnsinnsgueti Frog, wo niemer d’Antwort weiss.» Um doch eine gute Antwort zu finden, blickt sie zurück auf die Geschichte der Genforschung, beginnt bei Mendel und seinen Erbsen, beschreibt wie Watson und Crick 1953 mit dem Doppelhelix-Modell ein Gen als einen Abschnitt auf der DNA definierten. Das zentrale Gen-Dogma aus dieser Zeit, das heute noch von vielen als richtig erachtet wird, lautet: Ein Gen codiert für ein Protein und dieses ist wiederum für die Strukturausbildung und den Stoffwechsel eines Organismus verantwortlich. Daher stellte man sich vor, Gensequenzen könnten nach Art von Legobausteinen an einem Ort ausgeschnitten und an einem anderen Ort wieder eingesetzt werden. Daran knüpften sich hohe Erwartungen. Man hoffte, Krankheiten wie Krebs endlich einfach zu besiegen, «Genetics – the future is now», so titelt das «TIME Magazin» Anfang 1994.

US-Präsident Bill Clinton hatte es als «Book of life» bezeichnet und 2003 war es so weit: Das menschliche Genom war entschlüsselt. Im Nachzug wird klar, so erklärt Florianne Koechlin, dass eine Gensequenz nicht allein wirke, sondern von seiner Umgebung, seiner Position in der DNA-Sequenz, von RNA, Enzymen, Methylgruppen und anderen Faktoren abhängig sei. Die identische Gensequenz könne in einem anderen Kontext, in einem anderen Organismus bzw. an einer anderen Stelle eine ganz andere Funktion übernehmen. Die Zelle und ihre Bestandteile bestimmten die Wirkung der Gene mit und nicht nur umgekehrt. «Damit ist das Gen-Dogma auf den Kopf gestellt.» Diese Erkenntnis war der Anfang der Systembiologie, die die regulatorischen Prozesse über alle Ebenen mitberücksichtigt, die auf die Gensequenz wirken und sie bei ihrer Ausprägung beeinflussen. (siehe gentechfrei Nr. 111, Juli 2020)

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Florianne Koechlin (Bild: Flurin Bertschinger)

Was können wir für die Landwirtschaft der Zukunft tun?

Nach Rückschau auf bewegende Geschichten richtet sich der Blick am Schluss nach vorne. Paul Scherer befragt Martina Munz und Dominik Waser, Initiant «Landwirtschaft mit Zukunft» und Klimaaktivist, zu den kommenden Chancen und Herausforderungen der Landwirtschaft. Dominik Waser sieht es als sein Kernziel an, mehr Junge für das Thema Ernährung und Landwirtschaft zu begeistern. Der Landschaftsgärtner und Foodwaste-Aktivist bildet sich gerade zum biodynamischen Landwirt weiter und lebt damit, was er sagt. Es sei zu wenig passiert in den letzten Jahren, und zwar nicht, weil keine Ideen da seien, in welche Richtung es gehen sollte, sondern weil die Leute zu wenig verstünden, worum es ginge, und dadurch nicht motiviert seien, sich zu engagieren. Zusätzlich wirkten Macht- und Profitinteressen von Konzernen einer Entwicklung entgegen, wie er sie sich wünsche. Martina Munz, SAG-Präsidentin und seit 6 Jahren im Nationalrat, fühlt sich beflügelt von der jungen Klimabewegung: «Den Jungen geht es nicht nur um Action und innere Motivation, sie bringen auch ein enormes Fachwissen mit. Dazu möchte ich euch einfach gratulieren.»

Wie sieht sie politisch das Thema Gentechnik ? «Wir haben noch nichts verbummelt.» Bei der Gentechnik sei es so, dass es zu verhindern gelte, dass der Damm breche. Im Moment halte dieser noch. Politik solle auf einer ethischen Grundhaltung basieren und die Wissenschaft der Politik beratend zur Seite stehen. Dafür müsse die Wissenschaft ethische Bedenken ernster nehmen. Gentechkritische Menschen würden nämlich oft als naiv und unwissend dargestellt und nicht ernst genommen, auch wenn ihre Kritik wissenschaftlich fundiert sei.

Martina Munz und Dominik Waser sind sich einig, dass es jetzt darum gehe, durch Wissensvermittlung mehr Menschen für ihre Anliegen ins Boot zu holen. Dominik hat vor, anschaulich die wissenschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge der Probleme in der Landwirtschaft, wie Biodiversitätsverlust oder Überdüngung, einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen. Zudem möchte er zwischen Bäuerinnen und Konsumierenden vermitteln und so Verständnis für die Sicht des jeweils anderen erreichen. Es gehe darum, Konfrontationen und Schuldzuweisungen aufzulösen und eine gemeinsame Stossrichtung zu entwickeln. Martina Munz stimmt zu: Bauern und Bäuerinnen wollten eine Qualitätslandwirtschaft, auch wenn dies bei der Bevölkerung nicht immer so ankomme. Konsumentinnen und Konsumenten spielten hier eine wichtige Rolle, zum Beispiel wenn sie lokal und bio einkaufen. Man ist sich abschliessend einig: Gegenseitige Unterstützung ist nur dann möglich, wenn man beide Seiten sieht und versteht. Wissen und Wissenschaft spielen dabei eine wichtige Rolle, auch um den Einfluss der Grosskonzerne und der wirtschaftlichen Interessen im Ganzen zu verstehen. Nur mit einem ganzheitlichen Verständnis könne die Situation verbessert werden und sei zielführendes Handeln möglich.

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Martina Munz und Dominik Waser (Bilder: Flurin Bertschinger)