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(Bild: Aurel Märki)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 93

Die gleichen Heilsbotschaften wie vor 30 Jahren

Wer die Versprechen rund um die Möglichkeiten der Gentechnik in den letzten 25 Jahre etwas mitverfolgt hat, erlebt gerade ein Déjà-vu. Eine neue Methode der Gentechnik hat bei Forschenden und Medien wieder eine fragwürdige Euphorie ausgelöst, die sie nahezu blind macht für deren Risiken und das eigene Nichtwissen.

Text: Denise Battaglia

Crispr/Cas9 (sprich: Krispr Kas neun) nennen die Forschenden das jüngste Laborwerkzeug, mit dem sie angeblich präzise in das Genom von Lebewesen eingreifen. Im Erbgut werden damit gezielt Gene gesucht, ausgeschnitten, verändert und ersetzt. Das Wissenschaftsfachblatt «Science» bezeichnete die neue Technik vor anderthalb Jahren als «Durchbruch des Jahres», das Fachblatt «Nature» attestierte der «mächtigen Technologie» das Potenzial, die Natur zu übertrumpfen. Man habe den «Gottes-Code» geknackt. Der Mensch nehme die Evolution nun in seine eigene Hand, schrieben Journalisten mit einer Mischung aus ehrfürchtiger Bewunderung und schauderndem Bangen vor dem, was da kommen könnte. Immerhin haben chinesische Forscher bereits menschliche Embryonen mit dem neuen Laborinstrument manipuliert – während zeitgleich eine Gruppe von Forschenden ihre Kolleginnen und Kollegen weltweit zu einer Selbstbeschränkung bei der Anwendung von Crispr/Cas9 am Menschen aufrief.

Doch auf den Einsatz des molekularen Werkzeugs, mit dem sich offenbar eine Menge anstellen lässt, mögen die Forschenden nicht verzichten. Sie träumen – immer noch – von einer schönen neuen Welt. Crispr/Cas9, das eine Immunabwehr-Strategie von Bakterien nachahmt, vermöge die Landwirtschaft vor Schädlingen, die Menschheit vor grossen Krankheiten und vom Welthunger zu befreien, prophezeien Gentechniker und Medien im Chor. Vor zwei Jahren haben US-Forscher zudem ein Verfahren entwickelt, mit dem man Crispr/Cas9 so in die Keimbahn von Lebewesen einbauen kann, dass eine gewünschte Veränderung rasch an die Nachkommen weitervererbt wird: Gene Drive, Genschub, nennt es sich. Damit könne man ganze Populationen verändern, ausrotten oder vermehren, verkünden die Ingenieure des Lebens. Je nachdem, was man gerade weg haben oder anders haben will (siehe gentechfrei Nr. , April 2016). Crispr/Cas9 und Gene Drive seien womöglich ein «grosser Segen für die Menschheit», sagte der US-Biochemiker Kevin M. Esvelt, der Gene Drive mitentwickelt hat, gegenüber dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». Was für die Menschheit ein Segen ist, bestimmen also die Gentechniker.

«Propaganda mit Heilsversprechen»

Fokus 93 Genschere
(Bild: Aurel Märki)

Schon in den 1980er-Jahren verpackten die Gen-Ingenieure ihre Propaganda für die Gentechnik in dieselben Heilsbotschaften. Die Argumente seien immer die gleichen, sagt der Biologe Luigi DʼAndrea, Geschäftsführer von StopOGM: «Wir heilen Krankheiten, wir rotten die Krankheitserreger aus, wir nähren die Hungernden dieser Welt.» Die neue Technik werde bereits vor ihrer Zulassung durch eine spätere Anwendung gerechtfertigt, «um ihr damit einen demokratischen Anstrich zu geben». Die Heilsrhetorik verleihe den Forschern die Aura der «Allmacht». Bloss: «Es handelt sich auch dieses Mal um ein Märchen», sagt D’Andrea, der auch Vorstandsmitglied der Critical Scientists Switzerland ist.

Tatsächlich waren die Versprechen aus den 1980er-Jahren nahezu verstummt, weil die meisten nicht in Erfüllung gingen. Die Forscher mussten feststellen, dass das Genom nicht wie eine Software programmiert werden kann und Lebewesen nicht wie Computer reagieren. «Es ist klargeworden, dass es letztlich nicht mit dem blossen Wissen um Genomsequenzen getan ist. Zwischen den Chromosomen und dem Organismus liegt eine ganze Welt der heute so genannten Epigenetik», schrieb Hans-Jörg Rheinberger, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin in der NZZ. Namhafte Studien haben gezeigt: Die Gleichung 1 Gen = 1 Effekt ist falsch.

Doch viele Lebensingenieure halten am alten Bild fest, wonach ein Lebewesen eine Maschine ist, der die DNA als Blaupause zugrunde liegt, sagt Angelika Hilbeck, Agrarökologin an der ETH Zürich.

Studien haben gezeigt, dass Gene nicht auf Knopfdruck reagieren.
Angelika Hilbeck: Das Leben ist viel komplexer, das Genom ist nur ein Teil dessen, was ein Lebewesen, seine Eigenschaften, sein Verhalten ausmacht. Jedes Lebewesen ist eine einzigartige Kombination verschiedenster Einflüsse, Wechselwirkungen und Anpassungen an die Umwelt auf verschiedenen Ebenen. Und von allen diesen Wechselwirkungen kennen wir nur den kleinsten Teil.

Trotzdem lautet die Gleichung in der Gentechnik immer noch: 1 Gen = 1 Effekt.
Die Gentechniker haben ein maximal reduktionistisches Verständnis von Leben. Sie behandeln das Leben wie einen Computer. Sie denken, dass die «Software» in den Lebewesen nicht gut genug ist, dass sie den «Code» bloss noch etwas besser programmieren müssten. Aber Gene geben – im Gegensatz zur Software eines Computers – keine linearen Anweisungen weiter. Gene erfüllen nicht nur eine Funktion, sie sind meistens multifunktional.

Was bedeutet es, wenn Forschende ein Gen ausschalten?
Wenn man ein Gen stilllegt, weil man damit einen bestimmten Effekt erreichen will, muss man damit rechnen, dass diese Manipulation noch ein paar andere Dinge ab- oder umschaltet, da man in ein Netzwerk von rückgekoppelten Prozessen eingreift. Ich behaupte nicht, dass die DNA keine Rolle spielt. Aber wir verstehen die Genetik längst nicht so gut, dass wir ohne grösstmögliche Sicherheitsüberprüfung und Konsultation von Experten jenseits der Gentechnikerkreise das Erbgut manipulieren dürfen.

Die Forscherinnen und Forscher wissen gar nicht, was sie tun?
Zu wenig, um sie einfach machen zu lassen. Das ist wie wenn ich aus einem Buch über die Lehre von Konfuzius, geschrieben in klassischem Chinesisch, einzelne Zeichen suchen, sie ausschneiden und mit anderen Zeichen ersetzen und behaupten würde, ich wüsste, wie sich der Sinn des Textes verändert hat. Ich wüsste nicht, was ich getan hätte, weil ich diese Sprache höchstens rudimentär verstehe. Vor allem verstehe ich die Grammatik nicht, die Regeln der Sprache, und damit auch nicht, wie sich der Sinn des Textes verändert, wenn ich einen Textabschnitt entferne, verändere oder ersetze.


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Die Agrarökologin Angelika Hilbeckarbeitet als Dozentin und Forscherin am Institut für Integrative Biologie an der ETH Zürich und leitet dort die Gruppe Biosicherheit & Agrarökologie.


«Solange es funktioniert, müssen wir es nicht verstehen»

Dass die Forscher nicht wissen, was sie tun, hat der Biophysiker Bo Hang, der Crispr/Cas9 täglich anwendet, offen eingeräumt: «Es herrscht die Mentalität vor, dass wir nicht verstehen müssen, wie es funktioniert, solange es funktioniert», zitiert ihn «StopOGM Infos». In der Praxis hat sich gezeigt, dass Crispr/Cas9 doch nicht so präzise schneidet, wie dies die Forscher möchten. Manchmal schneidet die Molekularschere auch Teile der DNA aus, die sie nicht ausschneiden sollte.

Dies wirft grosse ethische Fragen auf. Zum Beispiel jene nach der Verantwortung für unbeabsichtigte Folgen der neuen Gentechnik. «Die Verantwortung für allfällige Schäden und Fehlentwicklungen lehnen die Gentechniker und die Firmen, die dahinter stecken, ab, aber die Eigentumsrechte und die daraus resultierenden Profite fordern sie selbstverständlich ein», kritisiert Angelika Hilbeck. Um die Eigentumsrechte der Crispr/Cas9-Anwendung findet gerade ein «hässlicher, titanischer Kampf» zwischen zwei Forschergruppen statt, wie «Nature» berichtete.

«Präzision sagt nichts aus über die Sicherheit»

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Können die anstehenden Probleme der Landwirtschaft und der Ernährung mit einer zusätzlichen Dosis Technologie gelöst werden? Im Labor entwickelte Superpflanzen sollen resistent gegen Krankheiten und Schädlinge, tolerant gegen Dürre und zusätzlich noch ertragreicher sein. (Bild: Aurel Märki)

Die Mehrheit der eidgenössischen Ethikkommission (EKAH) sprach sich dafür aus, die neuen Verfahren dem Gentechnikgesetz zu unterstellen und damit einer Risikobewertung. Grund: Die neuen Verfahren könnten neben den beabsichtigten auch «unbeabsichtigte und unvorhergesehene Veränderungen zur Folge haben». Ob Crispr/Cas9 als Gentechnik eingestuft wird oder nicht, wird der Gesetzgeber entscheiden. Die Gentechnikbefürworter möchten keine strengere Regulierung als bei konventioneller Züchtung. Das sieht Eva Gelinsky, Agrarwissenschaftlerin und Mitglied der EKAH, etwas anders.

Die Forscher sagen, die Veränderungen an der DNA mittels Crispr/Cas9 seien so präzise, dass die Produkte sicher seien.
Eva Gelinsky: Präzision hat nichts mit Vorhersehbarkeit und Sicherheit zu tun, aber genau das suggerieren die Gentechnik-Forscher.

Ein präziser Schnitt in die DNA bürgt nicht für Sicherheit?
Wenn Forscher präzise in die DNA von Lebewesen schneiden, heisst dies nicht, dass sich die Lebewesen so verhalten, wie sie es sich ausgedacht haben. Eine Prognose ist kaum möglich. Die Forscher fokussieren sich immer noch allein auf die DNA, dabei wissen wir heute, dass es auch noch andere Ebenen gibt, zum Beispiel jene der RNA oder jene der Epigenetik. Der angeblich präzise Schnitt in die DNA ist auf einer anderen Ebene womöglich alles andere als präzise. Die Forscher machen die gleichen Fehler wie bei der klassischen Gentechnik: Sie glauben, dass man an der Pflanzen- oder Tier-Maschine nur an einer Schraube drehen muss, damit sie sich verhält, wie man es will. Sie tun so, als hätten sie alles im Griff.

Machen Sie sich Sorgen?
Was mir Sorgen macht, ist der grosse Hype, der nahezu blind macht für die Risiken. Dem Vorsorgeprinzip Gehör zu verschaffen, ist derzeit sehr schwer. Unabhängige Langzeitforschung über die Risiken der neuen Verfahren steht dem kurzfristigen Profit im Wege, dabei kann der Mensch mit den neuen Verfahren erstmals unwiderruflich ins Ökosystem eingreifen. Ich mache mir auch Sorgen, weil der Grossteil der Forschungsgelder einseitig in die Gentechnik investiert wird, die Forschung für alternative Züchtungs- und Landwirtschaftsmodelle, zum Beispiel die biologische, kommt zu kurz. Es ist schon aus wirtschaftlicher Sicht nicht besonders klug, alles auf eine Karte zu setzen.

Die Rheinauer Thesen definierten 2008 die Zelle als kleinste Einheit, in die nicht eingegriffen werden darf. Der biologische Landbau hat diese Grenzsetzung übernommen. Ist dieser Gedanke überholt? «Im Gegenteil», glaubt Eva Gelinsky. Die Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) hat vor einem Jahr explizit festgehalten, dass die neuen Gentechnikverfahren mit den Prinzipien der biologischen Landwirtschaft nicht vereinbar sind, weil sie die Zellgrenze überschreiten und in das Genom eingreifen.


Fokus 93 Gelinsky
Die promovierte Agrarwissenschaftlerin Eva Gelinsky ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Pro Specie Rara. Sie koordiniert die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit und ist Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausser-humanbereich (EKAH).