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(Bild: fotolia)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 97

Genmanipuliertes Zuckerrohr in Brasilien

Brasilien hat als weltweit erstes Land genmanipuliertes Zuckerrohr für den kommerziellen Anbau zugelassen. Das Gift, das die Pflanze produziert, soll den Zuckerrohrbohrer schädigen. Resistenzen und Verunreinigungen von konventionellem Zucker sind bereits vorprogrammiert.

Text: Denise Battaglia

Die Zulassung des gentechnisch veränderten Zuckerrohrs des brasilianischen Centro de Tecnologia Canavieira (CTC) ist, so weit weg sie uns scheint, nicht belanglos. Brasilien ist der grösste Zuckerrohrproduzent der Welt. Mit 600 Millionen Tonnen produziert das Land rund ein Viertel der weltweiten Zuckermenge. Das südamerikanische Land exportiert seinen Zucker in etwa 150 Länder. Das Technologiezentrum, welches das Gentech-Zuckerrohr entwickelte, hat Grosses vor: Gemäss dem Geschäftsführer Gustavo Leite soll künftig auf 15 Prozent der insgesamt 10 Millionen Hektar grossen Anbaufläche von Zuckerrohr gentechnisch veränderter Zucker wachsen, also auf rund 1,5 Millionen Hektaren. Das entspricht fast der Hälfte der Fläche der Schweiz.

Bt ist die Abkürzung für das Bakterium Bacillus thuringiensis, das in die Zuckerrohrpflanze eingeschleust wurde. Das artfremde Gen sorgt dafür, dass die Pflanze konstant ein Gift absondert, sogenannte Bt-Toxine, so dass die Insektenlarven, die an den Pflanzen fressen, getötet werden. Das Bt-Zuckerrohr soll damit den Zuckerrohrbohrer (Diatraea saccharalis) unschädlich machen. Das Insekt sorgt gemäss CTC für einen geschätzten Ernteausfall im Wert von jährlich anderthalb Milliarden US-Dollar.

Verunreinigung des konventionellen Zuckers?

Fokus 97 Fabrik
(Bild: Rudhart, Greenpeace)

Das tönt nach viel. Jochen Koester, Gründungs- und Vorstandsmitglied des deutschen Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) relativiert aber. Die Anbauzulassung in Brasilien habe ihn «sehr überrascht». Der Schädlingsbefall sei bei Zuckerrohr bei weitem nicht so gross wie beispielsweise bei Mais. «Man könnte den Schädling problemlos mit anderen Methoden in Schach halten», sagt er. Schädlinge vermehren sich zudem in Monokulturen oft viel schneller als in Mischkulturen. Für Koester sieht es so aus, als ob man das gentechnisch veränderte Zuckerrohr zugelassen habe, weil man es nun einmal hat, ganz nach dem Motto «was machbar ist, wird gemacht». Koester sieht damit eine Menge Probleme auf die brasilianische Zuckerbranche zukommen. «Wenn jetzt ein paar Bauern damit anfangen, Gentech-Zuckerrohr anzubauen, dann wird es nicht lange dauern, bis konventionelle Zuckerplantagen und ganze Warenflusswege kontaminiert sind und man den konventionellen Zucker nicht mehr gentechfrei halten kann.» Beispiele für Kontaminationen durch den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen gibt es genug:

- In Kanada hat ein für kurze Zeit zugelassener gentechnisch veränderter Flachs (Leinsamen), obwohl kaum angebaut, in kurzer Zeit den konventionellen Flachs verunreinigt, was dem Land grosse Exportprobleme bescherte. Die exportierten Samen waren verunreinigt und konnten nicht verkauft werden.
- In Mexiko, dem Ursprungsland des Maises, fand man Gene aus Gentech-Sorten in uralten Landsorten. Und eine vor kurzem veröffentlichte Studie zeigte, dass 90 Prozent der Tortillas in Mexiko Gentech-Spuren enthalten, obwohl der Anbau von Gentech-Mais in Mexiko nicht erlaubt ist.

Als Quelle der Verunreinigungen wird in Mexiko gemäss einem Bericht des Gen-ethischen Netzwerkes unter anderem die hohe Zahl von Mais-Importen aus den USA angenommen, die unkontrolliert und nicht gekennzeichnet als Futtermittel oder zur Verarbeitung in Nahrungsmitteln auf den Markt kommen. Solche Verunreinigungen wären in der Verarbeitung von Zuckerrohr zu Zucker nur mit vollständig getrennten Ernte-, Transport- und Lagerungsprozessen zu vermeiden. Dies aber führt zu enormen Kosten und wäre kaum rentabel. Koester fragt deshalb: «Wozu gentechnisch verändertes Zuckerrohr?»

Resistente Schädlinge nach ein paar Jahren

Fokus 97 Bauer
Das brasilianische Züchtungsunternehmen CTC will in den nächsten Jahren für die wichtigsten Anbauregionen Brasiliens angepasste Sorten ihres Bt-Zuckerrohrs auf den Markt bringen. Ausserdem sind Sorten geplant, welche zusätzlich auch gegen Herbizide resistent sind. (Bild: Clipdealer)

Bt-Pflanzen sind nichts Neues. Bt-Mais, Bt-Baumwolle oder Bt-Soja werden grossflächig vor allem in den USA, Brasilien, Indien und Südafrika angebaut. Damit wirbt denn auch der brasilianische Hersteller: Bt-Pflanzen seien seit 20 Jahren etabliert, schreibt er auf seiner Website. Was er verschweigt: Viele Schädlinge, welche die jeweiligen Bt-Pflanzen abtöten sollen, sind inzwischen resistent gegen das Gift. So haben zum Beispiel Studien mit Bt-Mais in Puerto Rico und auch in Brasilien gezeigt, dass schon nach wenigen Anbaujahren das Gift die Zielschädlinge nicht mehr gross zu schädigen vermag – der Schädling habe sich an das Gift angepasst. Die Agrarökologin Angelika Hilbeck gibt dem Gentech-Zuckerrohr «wenige Jahre», bis der Zuckerrohrbohrer resistent gegen ihn ist. Zum einen, weil der Zuckerrohrbohrer schon seit Jahrzehnten dem Bt-Mais ausgesetzt ist, den er ebenfalls gerne frisst, und daher eine gewisse Selektion für Resistenz bereits stattfindet, und zum anderen, weil US-amerikanische Wissenschaftler in diesem Schädling schon vor zehn Jahren Resistenzgene gegen Bt-Toxine bei Laborversuchen gefunden haben. Die brasilianischen Bauern, die das gentechnisch veränderte Zuckerrohr anbauen, werden wohl nur kurzfristig eine bessere Ernte einfahren, und dies auch nur dort, wo effektiv dieser Schädling den Ertrag senkt und die Ursache nicht anderswo zu suchen wäre. Doch nach einer kurzen Zeit mit Ertragssteigerungen werden die Bäuerinnen und Bauern gegen einen weiteren resistenten Schädling kämpfen, sagt Hilbeck. «Wer am meisten profitieren wird, ist der Hersteller.» Die ETH-Forscherin hat im Jahre 2009 in einer Studie mit Bt-Mais herausgefunden, dass dieser Mais nicht nur den Zielschädling vernichtet, sondern auch Nützlinge wie die Florfliege und der Marienkäfer schädigen kann. Obwohl die Hersteller stets beteuert hatten, dies sei nicht der Fall.

Studien weisen gemäss Angelika Hilbeck darauf hin, dass der Anbau von Bt-Pflanzen auch Verschiebungen in Insektengemeinschaften im Agrarökosystem oder auch in aquatischen Systemen auslösen kann. Welche Auswirkungen diese Veränderungen haben, wird sich erst in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten zeigen, und dies auch nur dann, wenn man diese Veränderungen überwacht. «Jede Verschiebung im System hat Folgen, und diese sind unberechenbar», gibt die Forscherin zu bedenken. Dass man so wenig über die Auswirkungen von Bt-Pflanzen weiss, liege daran, dass der Anbau nicht systematisch begleitet werde. «Die Agrochemie hat an ökologischen Langzeituntersuchungen kein Interesse und vermeidet sie deshalb.»

Essen wir bald Gentech-Zucker?

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Brasilien stellt aus dem Zuckerrohr nicht nur weissen Zucker, Rohrzucker oder Schnaps her, sondern auch Bioethanol. Brasilien hat nach der Erdölkrise Ende der 1970er-Jahre beschlossen, sich unabhängiger von Erdöl zu machen. Das südamerikanische Land wandelt seither einen grossen Teil des vergärten Zuckers in Agrosprit um. An den Tanksäulen in Brasilien kann dieser als Benzinersatz oder als Zusatz im Treibstoff bezogen werden. (Bild: Clipdealer)

Sorgen bereitet der Anbau des gentechnisch manipulierten Zuckerrohrs auch in Brasilien. Rogério Magalhães vom brasilianischen Umweltministerium fürchtet insbesondere um die Biodiversität und verweist auf die unabhängigen – leider nicht sehr zahlreichen – Studien, welche belegen, dass das Bt-Toxin solcher gentechnisch veränderter Pflanzen «auch andere Insekten, Bodenfauna und Mikroorganismen schädigt», wie er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte.

Welche Auswirkungen hätte der Anbau von Gentech-Zucker in Brasilien für die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz und in Europa? Jochen Koester glaubt nicht, dass Europa und die Schweiz in den nächsten Jahren mit gentechnisch verändertem Rohrzucker oder raffiniertem weissen Zucker konfrontiert sein werden. Erstens wächst Zuckerrohr langsam, es werde in einem Zyklus von fünf bis sieben Jahren angebaut. Folg lich würden jährlich nur 20 Prozent der Anbaufläche neu bepflanzt. Zweitens stammt der Zucker, den wir in der Schweiz konsumieren, hauptsächlich aus hiesigen Zuckerrüben. Letztes Jahr importierte die Schweiz 15ʼ800 Kilogramm Zuckerrohr, der grösste Teil stammt aus Costa Rica, Ägypten und Uganda. Aus Brasilien hat die Schweiz, zumindest in den letzten drei Jahren, keinen Rohrzucker eingeführt, wie die Statistik der Eidgenössischen Zollverwaltung zeigt. Und drittens bräuchte es für die Einfuhr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln eine Bewilligung, und sie müssen als solche gekennzeichnet werden (siehe Box). Allerdings gibt es einen Toleranzwert. Unbeabsichtigte «Spuren» von gentechnisch veränderten Organismen bis zu einem Anteil von 0,5 Prozent werden in Lebensmitteln toleriert. So wurden zum Beispiel schon Spuren von Gentech-Reis in amerikanischem Langkornreis in der Schweiz gefunden und Spuren von Gentech-Mais in konventionellem Mais in Europa.


Bewilligung für Gentech-Lebensmittel

Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten oder die daraus gewonnen wurden, dürfen in der Schweiz nur mit einer Bewilligung in Verkehr gebracht werden. Sind die Produkte für Konsumentinnen und Konsumenten bestimmt, müssen sie zudem (mit «GVO») gekennzeichnet sein. Gentechnisch veränderte Lebensmittel werden in einem Bewilligungsverfahren vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) beurteilt. Das BLV erteile die Bewilligung nur, wenn nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft «eine Gefährdung von Gesundheit und Umwelt ausgeschlossen werden kann», wie die Behörde auf ihrer Website schreibt. In der Schweiz sind gemäss dem BLV zurzeit eine Sojalinie, drei Maislinien, zwei Vitamine, zwei Labfermente und zwei Verarbeitungshilfsstoffe, die gentechnisch verändert worden sind, zur Verwendung in Lebensmitteln bewilligt.