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(Bild: fotolia, Montage: Bivgrafik)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 89

Wo Gentechnik drinsteckt, muss auch Gentechnik draufstehen

Mit dem sogenannten Genome Editing wird das Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen im Labor gezielt verändert. Trotzdem sollen Produkte, die daraus entstehen, nicht den Regulierungen des bestehenden Gentechnikgesetzes unterstellt werden. Die Kampagne «Keine Gentechnik durch die Hintertür» setzt sich für eine umfassende und transparente Regelung aller gentechnischen Verfahren ein. Gentechnik-Organismen dürfen nicht ohne eingehende Prüfung und klare Kennzeichnung für Anbau und Konsum zugelassen werden.

Text: Denise Battaglia, Paul Scherer

Die Heilsversprechen bleiben seit 25 Jahren die gleichen. Die Gentechnik habe das Potenzial, die Menschheit von den grossen Plagen wie Krebs, Aids oder Alzheimer zu erlösen, die Landwirtschaft von Schädlingen zu befreien, ihre Erträge zu steigern und den Welthunger zu besiegen.

Mit der Genom-­Editierung versucht die Biotechnologie nun direkt ins Erbgut von Lebewesen einzugreifen und es nach ihrem Gutdünken zu manipulieren. Eines der beliebtesten Instrumente ist eine sogenannte Genschere mit dem schier aus­sprechbaren Namen CRISPR/Cas9 (sprich: Krispr Kas neun). Das Prinzip klingt ein­fach: Während CRISPR einen spezifischen Genabschnitt der DNA erkennt, schneidet das angehängte Enzym Cas9 die DNA an dieser Stelle. «Damit kann man einfach, billig und schnell Gene herumschieben – alle Gene in allen Lebewesen, von den Bakterien bis zu den Menschen», bringt es das US-­amerikanische Technologie magazin «Wired» auf den Punkt.

Unabhängige Forschung fehlt

Fokus 98 Mais
Äpfel und Pilze, die nicht mehr braun werden, wenn sie angeschnitten werden, Kartoffeln, die länger haltbar bleiben, Mais, der mehr Stärke produziert, Weizen, der weniger Kohlenhydrate, dafür mehr Ballaststoffe enthält, Rinder ohne Hörner, dies sind nur einige Bespiele, an denen heute Forschende tüfteln. (Bild: fotolia, Montage: Bivgrafik)

«Präzise» ist im Zusammenhang mit CRISPR/Cas9 das am häufigsten gebrauchte Wort. «Doch Präzision kann nicht mit Sicherheit gleichgesetzt werden. Auch eine präzise Veränderung kann unvorhergesehene Folgen haben», sagt Tamara Lebrecht, Umweltnaturwissen­schaftlerin und Sprecherin der Critical Scientists Switzerland, einer Vereinigung von kritischen Wissenschaftlern, die sich unter anderem für eine von der Indus­trie unabhängige Forschung engagiert. Die Schweiz dürfe das bewährte Vorsor­geprinzip wegen der momentanen Euphorie für die Genom-­Editierung nicht aufgeben.

Bei dem in der Schweiz und in Europa im Gesetz verankerten Vorsorgeprinzip können Produkte erst auf den Markt gebracht werden, wenn der Hersteller mit­tels unabhängiger Risikoanalysen oder Langzeitstudien nachweisen kann, dass die Produkte unbedenklich sind. In den USA sind die Hürden für den Markt deutlich niedriger und neue Produkte dürfen so lange verkauft werden, bis wis­senschaftlich bewiesen ist, dass sie schäd­lich sind.

Transparenz soll geopfert werden

Nun sollen auch in Europa die strengen Vorschriften, welche das Gentechnikgesetz definiert, aufgeweicht werden. Umfassende Regulierungen werden im Zeitalter des uneingeschränkten globalen Freihandels als hinderlich abgetan. Die Frage, wie Produkte, die mit dem Genome Editing ent­stehen, zu regulieren sind, beschäftigt die Schweiz genauso wie die EU. So fordert die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT, dass die neuen Gentechni­ken explizit vom Gentechnikgesetz aus­geklammert werden. Es gebe «aus naturwis­senschaftlicher Sicht keinen Grund für eine strenge Regulierung», schreiben sie in ihrem Factsheet. Die neuen Techniken seien «so sicher» wie konventionelle Züch­tungsverfahren und «darüber hinaus erst noch präziser».

Agrarindustrie, Behörden und Biotech­nologen bezeichnen die neuen Gentechnik-­Methoden gerne als «neue Zuchtverfahren». Das Reizwort Gentechnik wird gemieden. Werden sie dem Gentechnikgesetz unter­stellt, würden Pflanzen, die daraus ent­stehen, unter das Gentech­-Moratorium fallen, das bis ins Jahr 2021 gilt. Werden sie davon ausgenommen, dürften sie gemäss den üblichen Vorschriften für kon­ventionelle Pflanzen angebaut und ver­kauft werden. Die Konsumierenden wür­den in diesem Fall nicht erfahren, wenn sie gentechnisch veränderte Lebensmittel auf dem Teller hätten.

Ob die Bevölkerung Gentechnik ohne entsprechende Deklaration akzeptieren würde, erscheint fraglich. Bei einer Befragung durch das deutsche Bundesinstitut für Riskobewertung (BfR) verschie­dener Fokusgruppen zu CRISPR/Cas9 und Genome Editing zeigte sich, dass die Mehrheit das Genome Editing als eine Form der Gentechnik beurteilt und solche Lebensmittel als «nicht natürlich» ablehnt.

Blind für die Risiken

Die Ethikkommission (EKAH), ein Gremium von Experten, welches den Bun­desrat zu Fragen der Gentechnik im ausserhumanen Bereich berät, warnt davor, «die Anforderungen» von Produkten aus den neuen gentechnischen Verfahren zu senken. Eva Gelinsky, Agrarwissen­schaftlerin und Mitglied der EKAH, mahnt: «Wie die im Labor veränderten Pflanzen in der Natur reagieren, wissen wir bislang nicht. Die Biotechnologen glauben immer noch, dass man an der ‹Pflanzen­Maschine› nur an einer Schraube drehen muss, damit sie sich verhält wie man will.» Eine Pflanze sei aber kein statisches Produkt, sondern ein Organismus, der in dauernder Wechselwirkung mit seiner ebenfalls nicht statischen Umwelt stehe. «Wir müssen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken berücksichtigen und in die Betrachtung miteinbeziehen», gibt Gelinksy zu beden­ken. Der Hype um die Genom­-Editierung aber mache fast blind für die Risiken der neuen Gentechnik­-Verfahren.

Würde das Genome Editing von der Gentechnikgesetzgebung ausgenommen, könnten Gentechnik­-Organismen ohne eingehende Prüfung und klare Kennzeich­nung zugelassen werden. Welche Risiken dabei auf die Gesellschaft zukommen könnten, zeigen aktuelle Forschungsbei­spiele eindrücklich.

Gentechnisch optimierte Kühe

Fokus 98 Kuh
(Bild: clipdealer, Montage: Bivgrafik)

Die Milch der Kuh Daisy enthält dank Genome Editing weniger allergieauslösende Eiweissstoffe. Möglich wurde dies durch einen Eingriff in die Genregulation. Mit den neuen Gentechnik­-Verfahren sollen zukünftig mehr und mehr gentechnisch ver­änderte Tiere geschaffen werden. Von Rindern ohne Hörner bis zu extra musku­lösen Schweinen. Doch solche Experimente sind mit viel Tierleid verbunden, da bei solchen Experimenten viele Tiere aufgrund von Gendefekten nicht lebensfähig sind und getötet werden müssen. Auch bei Daisy blieben Gendefekte nicht aus: Ihr fehlt aufgrund unerwarteter Nebeneffekte der Schwanz und ihre Organe weisen abnorme Veränderungen auf. Mit gentech­nisch veränderten Nutztieren kommen neue Risiken auf die Landwirtschaft zu und es stellen sich ethische Fragen.

Herbizidresistenter Raps dank Genome Editing

Der Raps der US­-Firma Cibus wurde mit Genome Editing gegen Herbizide resistent gemacht. In Kanada und den USA wird er bereits angebaut. Auch in Deutschland erhielt er eine Anbaugenehmigung. Doch auf Druck der EU­-Kommission wurde diese ausgesetzt. Derzeit befasst sich der Euro­päische Gerichtshof mit der Frage, wie sol­che Pflanzen rechtlich zu bewerten sind. Neue Gentechnik­-Verfahren greifen direkt auf der Ebene des Erbguts ein. Somit unterscheiden sich diese Verfahren deut­lich von denen der konventionellen Züchtung, wo mit der ganzen Pflanze beziehungsweise der ganzen Zelle und dem System der natürlichen Genregulation und Vererbung gearbeitet wird. Risiken gibt es auch dann, wenn kein artfremdes Erbgut eingefügt wird. Durchlaufen die Pflanzen keine Sicherheitsprüfung, können Risiken unbemerkt bleiben, und nach einer Frei­setzung kann sich das veränderte Erbgut unbemerkt in der Umwelt ausbreiten.

Ausrottung ganzer Populationen

Mit den neuen Gentechnik­-Verfahren ist es nicht nur möglich, die DNA zu verändern, sondern auch die Häufigkeit, mit der die neuen Eigenschaften vererbt werden. Im Erbgut werden sogenannte Gene Drives verankert, die gentechnisch eine Verän­derung im Genom auslösen und diese an alle Nachkommen weitervererben. Sie sol­len beispielsweise dazu eingesetzt werden, bestimmte Arten zu dezimieren oder auszurotten, indem nur noch die Männchen lebensfähig sind. Dies wird für Insekten, unerwünschte Wildtiere oder Unkräuter diskutiert. Es könnten damit aber auch bestimmte biologische Eigenschaften einer Art verändert werden. So sollen Mücken nicht mehr in der Lage sein, die Erreger der Malaria zu übertragen, Wildkräuter sollen in Nutzpflanzen umgewandelt oder Unkräuter empfänglicher für Herbizide gemacht werden. Experten warnen davor, derartige Organismen in die Umwelt zu entlassen. Denn derartige Freisetzungen sind nicht wieder rückgängig zu machen. Noch weiss die Wissenschaft zu wenig, um mit Sicherheit sagen zu können, wie sich Organismen mit eingebautem Gene Drive in der Umwelt verhalten werden. Es könnte zu schweren Schäden an ganzen Ökosyste­men kommen.

Gentechnik-Experimente im Wald

Fokus 98 Schwein

Chinesische und südkoreanische Forscher haben «Supermuskelschweine» kreiert, Schweine die sehr schnell sehr viel Muskelfleisch ansetzen, um eine «höhere Ausbeute an Fleisch pro Tier» und mehr «mageres Fleisch» zu erhalten. (Bild: clipdealer, Montage: Bivgrafik)

In Schweden wurden 2016 erstmals Frei­setzungen mit Pappeln beantragt, welche mit CRISPR/Cas9 verändert wurden. Auch in China und den USA wird mit den neuen Gentechnik­-Verfahren an Wald­bäumen experimentiert mit dem Ziel, Wachstum und Holzqualität für die Bedürf­nisse der Holz­ und Papierindustrie zu optimieren.

Das künstlich veränderte Erbgut kann sich über Pollen, Samen und bei Pappeln auch über Sprösslinge unkontrolliert in der Umwelt verbreiten. Gentechnik an Bäumen ist besonders heikel, da die Zeiträume, die im Rahmen einer Risikobewertung betrachtet werden müssten, sehr lang sind, und Langzeitstudien daher fehlen. Die Frei­setzung gentechnisch veränderter Wald­bäume sollte deshalb nicht erlaubt werden.

Künstliche Mischwesen für Organspenden

Bereits wird mit Embryonen experimen­tiert, in denen sich menschliche und tierischen Zellen vermischen. Solche Misch­embryonen aus Mensch und Schwein wurden in die Gebärmutter von Schweinen eingepflanzt und konnten sich so für drei bis vier Wochen entwickeln. Ziel ist es, Tiere zu schaffen, die für Organspenden verwendet werden können. Durch diese Art von Forschung steigt nicht nur die Zahl der Tierversuche weiter an, auch der Mensch selbst droht zum Objekt von Labor­ experimenten zu werden.


Die Kampagne «Keine Gentechnik durch die Hintertür» wurde von der SAG / StopOGM /GeneWatch UK / IG Saatgut lanciert. Sie wird aktiv unterstützt von den Trägerorganisationen der SAG. Helfen auch Sie mit.

Besuchen Sie die Home-page zur Kampagne auf: www.keine-neue-gentechnik.ch