Titelbild104 
(Bild: Greenpeace / Li Zikang)

Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 103

Lösungsansätze für eine nachhaltige Landwirtschaft

Seit der Nachkriegszeit hat sich die Landwirtschaft durch einen Prozess der Standardisierung und Industrialisierung von Agrar- und Ernährungssystemen grundlegend verändert. Die Erträge wurden deutlich gesteigert, jedoch auf Kosten der Ökologie. Die Gentechnik ist die logische Fortsetzung dieser Intensivierung. Doch statt Lösungen für anstehende Probleme zu bieten, verschärft sie diese.

Text: Dr. Luigi D'Andrea, Stop OGM

Die Grüne Revolution, wie der Umbau der Landwirtschaft durch Technologie, Chemie und billige Energie ab 1960 auch bezeichnet wird, hat es ermöglicht, die Erträge deutlich zu steigern. Die Kosten sind jedoch hoch: Verlust der Biodiversität, Versalzung der Böden, Bodensterilisation, Kontamination der Ökosysteme durch Pestizide und Düngemittel, Treibhausgase, Verringerung der Ernährungsqualität, Pestizidrückstände, erhöhte Abhängigkeit der Landwirte von den Produkten der agrochemischen Multis.

Diese Entwicklung führte auch zu einer Standardisierung der Agrarsysteme, was sie sehr anfällig für Krankheiten und Schädlinge machte. In einem ausgewogenen System kontrollieren sich die Organismen gegenseitig. Der Anbau einer einzelnen Sorte im grossen Stil erleichtert dagegen die Entwicklung und Ausbreitung von Schädlingen, da das Fehlen von Biodiversität die Schädlingsbekämpfung durch Nützlinge reduziert.

Gentechnik – eine logische Fortsetzung der Grünen Revolution

Fokus 104 Forscher
Die kleinbäuerliche Landwirtschaft bildet das wirtschaftliche Rückgrat der Länder des Südens. Sie sorgt für Einkommen und Beschäftigung. Sie schafft 80 Prozent aller Arbeitsplätze. Mit Gentechnik hergestellte Pflanzen werden für «reiche» Bauern entwickelt, die sich verschulden können. Für mittellose Kleinbauern taugen sie nicht. Ihnen helfen angepasste Sorten und Artenvielfalt, um ihre Erträge zu verbessern. (Bild: Geric Cruz / Greenpeace)

Der französische Philosoph Descartes glaubte, dass der Mensch die Natur durch Technik beherrschen könne. Auf diesem reduktionistischen Denkansatz basiert die Grüne Revolution. Doch dieser Ansatz hat eine ganze Reihe grundlegender Probleme hervorgebracht, die ihren Ursprung in der Definition von Fortschritt und Innovation haben, die in erster Linie auf Technik setzen und entsprechend bestimmen, welche Art von Produkten auf den Markt gebracht wird.

Die Gentechnik ist die Fortsetzung dieses Konzepts der Grünen Revolution. Sie hilft denjenigen Landwirten, die ein Modell wünschen, das noch produktiver und noch intensiver ist. Die anfallende Arbeit soll durch immer stärkere Standardisierung und technische Massnahmen wie beispielsweise den Einsatz von Herbiziden erleichtert werden. Dieses reduktionistische Denken manifestiert sich in grossflächigen Monokulturen.

Paradoxerweise wird die Gentechnik als Lösung für alle landwirtschaftlichen Probleme verkauft. In Wirklichkeit verschärft sie diese, was nicht überrascht. Denn dieses Produktionsmodell verstärkt die negativen Umwelteffekte und die Defizite solcher Agrarsysteme treten noch deutlicher zu Tage. So hat beispielsweise der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, die resistent sind gegen Schädlinge (z.B. insektenwirksame Bt-Toxine), Krankheiten (mosaikvirusresistente Papaya) oder die eine Herbizidresistenz besitzen, die Entwicklung von Resistenzen bei Schädlingen, Krankheitserregern und Unkräutern beschleunigt. Die Resistenzen entwickeln sich immer schneller und die Zielorganismen werden immer resistenter. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der Ausrottung eines Schädlings andere Schädlinge die entstehende ökologische Nische besetzen.

Symptome statt Ursachen werden bekämpft

Fokus 103 Agroforstwirtschaft
Agroforstwirtschaft, die Kombination von Bäumen und Landwirtschaft, stellt eine traditionelle Form des ökologischen Wirtschaftens dar. Das System erweist sich als hochproduktiv. Die Bäume binden Stickstoff und sorgen so für die Ernährung anderer Pflanzen. (Bild: Cheryl-Samantha Owen / Greenpeace)

Die Gentechnologie setzt, genauso wie Pestizide, bei den Symptomen von Ungleichgewichten in unseren Agrarsystemen an statt bei deren Ursachen und ist daher auch wirkungslos. Ihr Einsatz löst Probleme wie Schädlinge oder Unkräuter nicht, sondern verstärkt sie. Denn sie produziert Organismen, die ihre Leistungsfähigkeit schnell wieder verlieren und dann durch neue ersetzt werden müssen. Dies entspricht exakt der geplanten Obsoleszenz bei Produkten, die perfekt für die Herstellungsindustrie sind, aber wenig oder nichts zu nachhaltigen Lösungen beitragen.

Gentechnik taugt nicht dazu, belastbare und nachhaltige lokale Lösungen zu bieten, welche die Autonomie der Bauern und die Ernährungssouveränität fördern. Sie erhöht die Abhängigkeit der Landwirte von teuren Hochleistungspflanzen. Sie nutzt Labortechnologien, die teure Investitionen erfordern und patentierbare Produkte für die industrielle Landwirtschaft liefern. Sie generiert nur schlecht angepasste Produkte, die einerseits die Abhängigkeit der Landwirte von den Agrarkonzernen erhöhen und andererseits ein industrielles Produktionssystem fördern, das für eine gesunde und nachhaltige Ernährung der Menschheit ungeeignet ist. Was die Landwirte jedoch brauchen, sind einfach einsetzbare und standortangepasste Lösungen, die nicht zu viel Technik erfordern.

Neue gentechnische Verfahren – eine alte Rhetorik für ein veraltetes Produktionssystem

Eine Landwirtschaft, die der Maximierung des Gewinns dient, erzeugt soziale und ökologische Schulden. Für eine Nahrungsmittelproduktion, die der Menschheit dient, braucht es Betriebe, die so vielfältig wie möglich sind. Doch seit über 50 Jahren wird die Landwirtschaft von der technischen Entwicklung und nicht mehr vom Aufbau des Wissens zu landwirtschaftlichen Praktiken und Organismen geprägt. Landwirte wurden zu Landarbeitern gemacht, die auf die technischen Lösungen, welche die Industrie für die Produktion vorschlägt, nicht mehr verzichten können.

Landwirt zu sein, ist die Kunst, Pflanzen und Tiere in Einklang zu züchten, und nicht die Anwendung von verschiedenen Industrieprodukten. Gefragt ist heute mehr denn je ein landwirtschaftliches Innovationsmodell, das auf dem Wissen zu Agrosystemen aufbaut. Es braucht neue Anbaumethoden, die den veränderten Umweltbedingungen und unseren sich ändernden Bedürfnissen gerecht werden. Die Wissenschaft muss dazu ihren Beitrag leisten. Sie muss sich auf den Wissensaufbau zur lokalen Biologie konzentrieren und nicht auf die industrielle Agrochemie. Auch die neuen Gentechnikverfahren folgen diesem überholten Innovationsverständnis.

Auf dem Weg zur agroökologischen Landwirtschaft ohne Gentechnik

Fokus 104 SteakSeit 2017 wissen wir, dass auf den Feldern bis zu 75 Prozent der Insekten ausgestorben sind. Ihr Verschwinden zeigt, dass unser Ökosystem durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung massiv geschädigt ist. Pestizide gelten als eine der Hauptursachen des Insektensterbens. (Bild: Peter Caton / Greenpeace)

Die Agrarökologie ist dagegen eine integrative Disziplin. Sie zielt darauf ab, zu verstehen, wie die verschiedenen Elemente eines landwirtschaftlichen Systems – Pflanzen, Tiere, Menschen, Umwelt – zusammenwirken, um produktiv und belastbar zu sein. Dank dieser Herangehensweise bietet sich die Agrarökologie als eine globale Lösung an, um lokal angepasstes Wissen und Technologie zu erschwinglichen Kosten für die Landwirte zu liefern. Sie klassifiziert und untersucht Agrosysteme aus ökologischer und sozioökonomischer Sicht und entwickelt ökologische Konzepte für die Gestaltung und das Management nachhaltiger Agrarsysteme.

Laut dem 2009 erschienenen Weltagrarbericht ist ein Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft dringend nötig. Nicht die Umwelt muss angepasst werden, um den bestehenden technischen Lösungen zu entsprechen. Sinnvoller ist es, sich an die lokale Umwelt anzupassen, indem die bestehenden Agrarsysteme diversifiziert werden. Lokal angepasste Systeme bieten mehr Widerstandsfähigkeit. Sie besitzen eine höhere Belastbarkeit, da sie sich nach einem störenden Ereignis besser erholen. Die internationale Forschung zeigt immer deutlicher, dass die Leistungsfähigkeit und Stabilität von Agrarökosystemen vom Grad der biologischen Vielfalt von Tieren und Pflanzen in und um das System herum abhängt. Das liegt vor allem daran, dass ein Organismus mehrere Funktionen erfüllt und eine Funktion von mehreren Organismen wahrgenommen wird. Dies erklärt, warum ein neuer Schädling auftreten kann, wenn ein bestehender vernichtet wird.

Die Biodiversität erbringt eine Reihe von ökologischen Dienstleistungen, die über die Nahrungsmittelproduktion hinausgehen, wie beispielsweise Nährstoffrecycling, Regulierung des Wasserhaushaltes, Stickstofffixierung, Entfernung unerwünschter Organismen oder Entgiftung toxischer chemischer Verbindungen. Um dies möglichst optimal zu erreichen, muss unsere Nahrungsmittelproduktion auf landwirtschaftliche Anbausysteme ausgerichtet werden, die sich für kleine Betriebe eignen. Kleinflächige Systeme reagieren viel dynamischer auf Veränderungen. Gentechnik ist dagegen nur auf grossen Flächen rentabel.

Forschungsgelder ungleich verteilt

Heute entfallen laut einer europäischen Studie zwei Drittel der öffentlichen Mittel, die für die landwirtschaftliche Forschung zur Verfügung stehen, auf die Entwicklung von Gen- und Biotechnologie. Solche Projekte sind teuer, riskant und sie bieten keine Lösungen für die Probleme, mit denen sich die Landwirtschaft heute konfrontiert sieht. Wenn Ernährungssouveränität, mehr Autonomie in den ländlichen Gemeinden und letztlich mehr Widerstandsfähigkeit in unseren Ernährungssystemen erzielt werden soll, können wir uns nicht auf ein Modell standardisierter, zentralisierter und kapitalintensiver Innovationen stützen, bei denen Wissen privatisiert und konzentriert ist, wie dies bei der Gentechnik der Fall ist. Die Agrarökologie hingegen kann weltweit erfolgreich eingesetzt werden. Sie kommt ohne Gentechnik aus und stellt eine effektive «Alternative» dar. Nötig ist dazu eine Änderung bei der Ausrichtung der Forschungsagenda und der Förderschwerpunkte. Damit die Agrarökologie in grossem Umfang realisiert werden kann, braucht sie die notwendige politische und finanzielle Unterstützung.