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Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 106

UN-Bericht zu weltweitem Biodiversitätsverlust

Zuerst die schlechte Nachricht: Eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen veröffentlicht Besorgniserregendes zum Thema Biodiversität: Das Artensterben kann nicht mehr verneint werden. Der Mensch und seine Lebensweise sind für die beschriebene Entwicklung verantwortlich, das geht aus dem Bericht zweifelsfrei hervor. Die zunehmende Überbauung der Landschaften und der weiter wachsende Konsum belasten die Erde und damit auch die Biodiversität. In einem 1500 Seiten starken Dokument wurden weltweit Daten aus verschiedensten Quellen gesammelt und zusammengefasst. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Für Gegenmassnahmen ist es noch nicht zu spät.

Text: Kathrin Graffe

Speziell das Insektensterben ist ein immer wieder kontrovers diskutiertes Thema, befeuert von persönlichen Beobachtungen wie weniger Insekten auf der Windschutz­scheibe, weniger Mücken beim Apéro oder Wespen am Esstisch. Ist es nun ein Gerücht, oder ist was dran an diesen persönlichen Beobachtungen oder Meldun­gen in der Presse? Seit Mai gibt es nun handfeste Fakten zum Thema Artensterben und Biodiversität.

Der «Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services», der vom Weltbiodiversitätsrat IPBES (Inter­governmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) veröffentlicht wurde, stellt Forschungsergebnisse zumVerlust der Biodiversität in Afrika, Amerika, Europa, Zentralasien und Asien Pazifik zusammen. Das Ziel war es, ein möglichst globales Bild aus verschiedenen Perspekti­ven zu schaffen und eine Grundlage zu schaffen, um Probleme gemeinsam inter­national angehen zu können. Lokale Projekte und Ideen sind sinnvoll und wichtig, aber eine Vernetzung ist unerlässlich und erhöht die Wirksamkeit von Massnahmen. «Politik, Anstrengungen und Aktionen – auf allen Ebenen – werden jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf dem besten Wissen und den besten Erkenntnissen basieren. Das bietet das IPBES Global Assessment», ist der IPBES­ Vorsitzende Robert Watson überzeugt. 2012 gegründet, ist IPBES ist ein relativ junges UN-­Organ, ein zwischenstaatliches Gremium, das helfen soll, umweltpolitische Entscheidungen nach bestem Stand des Wissens zu treffen. IPBES hat bereits mehrere Veröffentlichun­gen zu regional und thematisch beschränkten Themen gemacht, zum Beispiel auch zum Thema Bestäuber und Nahrungsmittel­produktion, und legt nun zum ersten Mal einen globalen Bericht vor. 150 Wissen­schaftler aus 50 Ländern waren beteiligt und zwar, das ist neu, nicht nur Natur­wissenschaftler, sondern auch ein grosser Teil Sozialwissenschaftler und Praktiker. So wurde auch indigenes und lokales Wissen berücksichtigt.

Artensterben in Zahlen

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Die Hauptaussage des Assessments: Das Artensterben, der Rückgang der Biodi­versität, kann nicht mehr verneint werden. Die Schnelligkeit, mit der Arten ausster­ben, liegt mindestens 10­mal höher als im Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre. Eine Million der derzeit existierenden acht Millionen Tier­- und Pflanzenarten drohen auszusterben, viele in den kom­menden Jahrzehnten. Dabei trifft es beson­ders die Amphibien wie Molche, Kröten oder Frösche, die zu 40 Prozent als bedroht gelten. Nicht viel besser geht es den Korallen, Haien und Meeressäugern mit etwa 30 Prozent. Die Zahl der bedrohten Insektenarten liegt bei etwa 10 Prozent. Waldflächen sind enorm zurück­gegangen. In 13 Jahren (2000 bis 2013) nahm die Waldfläche international um 7 Prozent ab. Zwischen 1980 und 2000 wurden in den Tropen 100 Millionen Hektar in Landwirtschaftsfläche umgewandelt, die Hälfte davon war vorher Wald. Das sind die Ergebnisse. Man fragt sich: Warum ist es so weit gekommen? Und noch wichtiger: Haben wir noch eine Chance, das Ruder herumzureissen? Der Mensch und seine Lebensweise sind für die beschriebene Entwicklung verantwortlich, das geht aus dem Bericht zweifelsfrei hervor. Die immer weiter wachsende Bevölkerung und der zunehmende Konsum belasten die Erde und damit auch die Bio­diversität. Konkret zurückzuführen ist dies auf den Verlust von Lebensraum bezie­hungsweise die Landnutzungsänderung durch die zunehmende Überbauung der Landschaften, die landwirtschaftliche Nutzung, den Abbau natürlicher Ressourcen (Jagd und Fischerei), Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten.

Intensive Landwirtschaft ist die Hauptursache

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Der grösste Teil der Erdoberfläche ist in irgendeiner Form durch den Menschen verändert worden. Die Fläche der angebauten Nutzpflanzen hat sich seit 1970 vervierfacht. Man zielt auf besonders hohe Erträge ab, weshalb grosse Mengen an Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt werden. (Bild: Shutterstock)

Der Verlust von Lebensraum steht dabei in Bezug auf die Auswirkungen an erster Stelle. 75 Prozent der Erdoberfläche sind in irgendeiner Form durch den Menschen verändert worden und die Fläche der ange­bauten Nutzpflanzen hat sich seit 1970 vervierfacht, so steht es im Bericht. Das Fazit von Prof. Dr. Ralf Seppelt – Leitautor im Kapitel «Szenarien und Wege in eine nach­haltige Zukunft»: «Neben dem Klimawandel spielt die Ausbreitung invasiver Arten in Gebieten, in denen diese normalerweise nicht vorkommen, eine Rolle. Den grössten Einfluss hat eine intensive Landwirtschaft und die damit verbundenen Emissionen: Mehr Fläche wird für Weidewirtschaft und Ackerbau genutzt. Und man zielt auf besonders hohe Erträge ab, weshalb man massiv Dünge­- und Schädlingsbekämp­fungsmittel nutzt.» Der vorherrschende Anbau in Monokulturen – nur etwa 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird derzeit als kleinräumige Fläche genutzt, wo besonders häufig Gentechsaat­gut kultiviert wird, impliziert an sich schon weniger Diversität. Entgegen der Versprechen der klassischen Gentechnik brauchen diese Kulturen nicht weniger, sondern mehr Dünger und Pestizide und bieten eine einseitige Nahrungsgrundlage für wenige Arten, wie Erhebungen, bei­spielsweise auch des US-­Landwirtschafts­ministeriums, zeigen.

Agrarökologie statt Biotechnologie

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Die Schnelligkeit, mit der Arten aussterben, hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Bei den bedrohten Arten trifft es besonders die Amphibien wie Molche, Kröten oder Frösche, die zu 40 Prozent als bedroht gelten. Auch rund 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind akut gefährdet. (Bild: Shutterstock)

Jetzt kommt die gute Nachricht: Laut der IPBES-­Studie haben wir eine Chance, den Zerfall der Biodiversität zu stoppen. Die Botschaft ist allerdings, dass ein radikales Umdenken notwendig ist, um die prog­nostizierte Entwicklung zu verhindern. So halten es die Wissenschaftler beispielsweise für essentiell, das Bewusstsein, dass die Natur durch unseren Konsum belastet wird, zu stärken, den Naturschutz und lokale nachhaltige Wirtschaft zu fördern und Anreize und aber auch Sanktionen zu schaffen, um die Umweltverschmutzung zu reduzieren. In der Landwirtschaft plädieren die Autoren für ökologische Anbaumethoden und eine Landschaftsplanung, die Nahrungssicherheit, Sicherung des Lebens­unterhalts und Arterhaltung berücksichtigt. Josef Settele vom Helmholtz­-Zentrum für Umweltforschung, sagt dazu konkret in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung», er sei nicht für ein generelles Ver­bot von Pestiziden, jedoch sei er der Meinung, dass «der Einsatz dieser Mittel deutlich zurückgefahren werden könnte, ohne dass die Produktion darunter leidet». Der Bericht fordert also unter anderem eine nachhaltigere Landwirtschaft ohne Pestizide, die vor allem Insekten schaden. Weniger Insekten bedeutet weniger Bestäuber mit den bekannten dramatischen Folgen für die Landwirtschaft, weniger Nahrung für insektenfressende Tiere und natürlich schädliche Auswirkungen auf das Ökosystem als Ganzes.

Das hat direkte Auswirkungen auf die Biodiversität. Die FAO unterstützt diese Haltung in ihrem neuen «10-­Punkte­-Pro­gramm für die globale Landwirtschaft der Zukunft»: Demnach sind diversifizierte agroökologische Systeme widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten oder extremen Wetterbedingungen. Nach dem Hurricane Mitch 1998 beispielsweise konnten mess­bare Unterschiede in Bezug auf Erosion und Ertrag beim Vergleich verschiedener Anbaumethoden ermittelt werden. Auch sehen sie Regierungen in der Pflicht, Land­wirtschaftsbetriebe beim Umbau zu nachhaltiger Landwirtschaft zu unterstützen und dafür Anreize zu schaffen – lokal, national und global.

Synthetische Biologie wird zum Umweltrisiko

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die Studie «Frontiers 2018/19» der UN. Darin wird die synthetische Biologie als eine von fünf Hauptbedrohungen für die Umwelt gewertet, besonders die Ver­wendung von Gene Drives: «Die Freisetzung von genmanipulierten Organismen, die zufällig oder absichtlich in die Umwelt gelangen, hat berechtigte Besorgnis betref­fend Biosicherheit und unvorhersehbaren Konsequenzen hervorgerufen.» Für die Sorge wegen möglicher artenübergreifen­der Kreuzkontaminationen, unbekannter ökologischer Wechselwirkungen und Effekte auf Ökosysteme gibt es noch keine Lösung. Ähnlich kritisch äussert sich der Bericht zur Möglichkeit, mit Hilfe von Klonen und Rückzüchtungen bereits aus­gestorbene Tiere wieder zum Leben zu erwecken. Bis jetzt waren solche Projekte noch erfolglos. Sollte dies aber einst gelingen, ist nicht vorauszusehen, wie ein vormals ausgestorbenes Tier auf die jetzige Umwelt reagieren wird, unter anderem in Bezug auf Krankheiten. In solchen techno­logischen Ansätzen scheint also keine Lösung für das Artensterben zu schlummern.

All dies erweckt den Eindruck, dass alle erkannt haben, dass die Lage ernst ist. Man scheint zu wissen, was zu tun ist und was nicht. Ob auch Taten folgen, wird sich weisen. Anstatt auf diese zu warten, kön­nen wir schon mal bei uns selbst anfangen und uns überlegen, welchen Beitrag wir selbst leisten können. Zum Beispiel die Unterstützung der Doppelinitiative Biodi­versität und Landwirtschaft. Sie wurde kürzlich lanciert und zielt auf den Schutz der Biodiversität.


Biodiversität kurz erklärt:
Die Biodiversität lässt sich auf drei Ebenen beschreiben: die Vielfalt der Gene, die Vielfalt der Arten und die Vielfalt der Lebensräume. Die drei Ebenen der Biodiversität sind eng und dynamisch miteinander verknüpft. Die Arten brauchen zum Überleben geeignete Lebensräume. Innerhalb der Arten ist eine ausreichende genetische Variabilität unerlässlich. Die Vielfalt der Wechselbeziehungen innerhalb und zwischen den drei Ebenen wird auch als funktionale Biodiversität bezeichnet.
Quelle: naturwissenschaften.ch


Biodiversitäts- und Landschaftsinitiative:
Politik und Behörden versagen beim Schutz von Biodiversität und Landschaft. So kann es nicht wei-tergehen! Mit zwei Volksinitiativen geben die Umweltverbände jetzt Gegensteuer. Die Sammlung läuft.
Die Biodiversitätsinitiative fordert mehr Fläche und mehr Geld für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität und sorgt dafür, dass Natur, Landschaft und das baukulturelle Erbe stärker be-rücksichtigt werden.
Die Landschaftsinitiative stellt dieTrennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet sicher. Die Zahl undder Flächenverbrauch der Gebäudeausserhalb von Bauzonen sollen künftig nicht mehr zunehmen.
Mehr dazu: biodiversitaet-landschaft.ch