Amaranthus caudatus ist in Südamerika eine wichtige Kulturpflanze (Bild: Fotolia)
Fokusartikel Gentechfrei Magazin Nr. 107
Das neuste Werkzeug der Synthetischen Biologie
Die noch junge Biotechnologie des Gene Drive ist aktuell in aller Munde. Von ihren Entwicklern wird sie als Wundermittel angepriesen, das für verschiedene Zwecke eingesetzt werden kann. Ihr meistpropagierter Anwendungsbereich liegt in der Bekämpfung von Insekten, die Krankheiten wie Malaria übertragen. Aber auch die Anwendungen im Naturschutz werden gerne hervorgehoben, um der Technologie und der Gentechnik im Allgemeinen mehr Akzeptanz zu verschaffen. Was dabei verschwiegen wird: Die lukrativsten Geschäfte mit der Technologie lassen sich vor allem im landwirtschaftlichen Bereich machen. Besonders besorgniserregend ist, dass sie auch als schlagkräftige Biowaffe eingesetzt werden könnte.
Text: Zsofia Hock, SAG
Gene Drives sind ein neues Werkzeug der Synthetischen Biologie. Sie nutzen die Genschere CRISPR/Cas, um in ungewöhnlich kurzer Zeit neue Gene im Erbgut freilebender Populationen zu verankern. Der Gene-Drive-Mechanismus setzt die Mendelschen Regeln der Vererbung ausser Kraft und sorgt dafür, dass die neue Genvariante aus dem Labor bei allen Nachkommen einkopiert wird.
Einige wenige Gene-Drive-Organismen reichen aus, um eine Kettenreaktion auszulösen, an deren Ende schon nach wenigen Generationen alle Nachkommen die vorgegebene Genvariante tragen.
Während bei anderen gentechnischen Veränderungen vorsorglich darauf geachtet wird, dass sie sich nicht in der Natur ausbreiten könnten, sind Gene Drives dafür konzipiert, sich in der freien Wildbahn zu verbreiten. Sie seien schnell, effektiv, und können im Extremfall ganze Mückenpopulationen ausrotten, schwärmen die Entwickler. Doch genau wegen dieser beschleunigten Weitergabe von Genen sind Gene Drives die bislang gefährlichste Anwendung der Synthetischen Biologie in der Umwelt. Denn einmal in die Natur freigesetzt, können sie kaum kontrolliert oder rückgängig gemacht werden. Zudem besteht die Gefahr, dass diese mutagene Kettenreaktion auf andere Arten oder Populationen überspringt, was eine erhebliche Gefahr für die Biodiversität darstellt. Auch vor Grenzen machen Gene Drives nichthalt. Die ökologischen Folgen solcher Freisetzungen sind wegen der komplexen Natur der Ökosysteme unabsehbar.
Wegen dieser Risiken sind Gene Drives auch in Bezug auf ethische Fragestellungen mit grossen Herausforderungen verknüpft. Für eine Risikobeurteilung fehlen zudem die wissenschaftlichen Grundlagen. Die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) sowie internationale Wissenschaftler empfehlen deshalb, die Technologie mit grösster Vorsicht zu behandeln. Solange keine strenge Regulierung vorhanden ist, fordern nationale und internationale Organisationen sogar ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drives.
Gene Drives als Naturschutzmassnahme
Auf Hawaii sollen Vogelarten, die vom Aussterben bedroht sind, mittels Gene Drives gerettet werden. Auch der Rote Honigsauger, von den Einheimischen I’iwi genannt, gilt als gefährdet. (Bild: Shutterstock)
Gene Drives könnten als Wunderwaffe gegen den Artenschwund funktionieren, propagieren Biotechnologen. So soll die Technologie bedrohte Tiere vor der Verdrängung durch eingeschleppte Arten schützen. Besonders betroffen davon sind Inselstaaten. Dort wird seit längerem versucht, invasive Eindringlinge mittels Fallen oder Gifteinsatz auszumerzen. Diese Ansätze werden jedoch wegen ihrer schädlichen Auswirkungen auf andere Tiere stark kritisiert. Gene Drives sollen effektiver und gezielter, und daher auch schonender wir ken. Bereits sind mehrere Forschungsprojekte mit Gene-Drive-Mäusen und -Ratten im Gang. Auch Wildkatzen, Kaninchen und Füchse in Australien sowie Hermelin und Fuchskusu in Neuseeland sollen so ausgerottet werden.
Gene Drives in Säugetieren einzusetzen, ist technisch jedoch viel schwieriger als in Insekten. Die Eindämmung der Vogelmalaria auf Hawaii, die von einer eingeschleppten Mückenart übertragen wird, scheint einfacher realisierbar. Die Krankheit hat zum Aussterben von beinahe 80 Prozent der ursprünglich auf der Inselkette heimischen Vogelarten geführt und auch die verbleibenden Spezies sind gefährdet.
Andere Ansätze wollen Gene Drives dazueinsetzen, vom Aussterben bedrohte Arten widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten zu machen. Die vermutlich extremste Anwendung der Technologie strebt danach, bereits ausgestorbene Arten wieder aufleben zu lassen. Auch wenn dies wahrscheinlich kaum realisierbar ist, weil die Technologie nur bei Arten mit kurzer Generationsdauer funktioniert, werfen diese Bemühungen eine ganze Reihe von ethischen Fragen auf. Ausserdem, wenn eine Art ausgerottet und wiederbelebt werden kann, nimmt die Sorge, eine Spezies in der freien Wildbahn zu erhalten, wahrscheinlich ab.
Bedrohte Arten retten
Gene Drives sollen den auch in der Schweiz heimischen Feuersalamander, dessen Populationen ein aus Asien eingeschleppter, tödlicher Hautpilz dezimiert, retten. Dazu soll ein Gen in den Populationen verbreitet werden, welches immun gegen den Pilz macht. Die meisten Naturschutzprobleme sind hierzulande jedoch anderer Art und schon gar nicht mit Inseln verbunden. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass die Technik in der Schweiz in absehbarer Zeit angewendet wird.
Gene Drives als Biowaffe
Gene Drives eignen sich nicht nur für friedliche Zwecke. Die potente Technologie kann leicht in eine Biowaffe umgewandelt werden. Sie ist grossflächig einsetzbar und könnte leicht und unumkehrbar unter die Kontrolle der mächtigsten militärischen Akteure geraten. Entscheide über Entwicklung, Nutzung und Regulierung von Gene Drives drohen nicht nur von kommerziellen Interessen, sondern auch von geo- und sicherheitspolitischen Überlegungen bestimmt zu werden.
Als Biowaffe können Gene Drives dazu beitragen, Pathogene effektiver auf Mensch und Tier zu übertragen oder die Nahrungsgrundlagen massiv zu schädigen, indem sie Insektizidresistenzen bei Pflanzenschädlingen erzeugen oder Nützlinge gezielt schwächen und gar ausrotten. Mit Gene-Drive-Insekten können die gesamten Ernten einer gegnerischen Macht vernichtet werden. Besonders gefährlich ist, dass die als Transportmittel für das eingebaute Gene-Drive-Programm benutzten Insekten sich schnell vermehren und räumlich kaum begrenzt werden können. Einmal freigelassen, wären sie möglicherweise nicht mehr aufzuhalten.
Laut US-Verteidigungsministerium dienen die Programme auch dazu, die «nationale Sicherheit gegen Angriffe zu verteidigen». Tatsächlich gibt es aus militärischer Sicht nachvollziehbare Motive für Grossmächte, die Gene-Drive-Technologie so schnell wie möglich zu entwickeln und zu perfektionieren. Denn es sei wichtig, potentiell feindlichen Konkurrenten einen Schritt voraus zu sein, um einen feindlichen Gene-Drive-Angriff abzuwehren. Daraus entsteht ein neues Wettrüsten – eine beängstigende Perspektive.
Insekten als Biowaffe
Die Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums DARPA finanziert mit insgesamt 92 Millionen Dollar zwei mehrjährige Programme zur Entwicklung von Gene-Drive-Organismen. Allein diese Tatsache sollte stutzig machen, auch wenn das Ziel der Programme «Safe Genes» und «Insect Allies» (verbündete Insekten) ein friedliches sein soll: bereits auf den Äckern wachsende Nutzpflanzen mithilfe von gentechnisch manipulierten Viren grossflächig zu verändern. Als Transportmittel für das Virus dienen Insekten wie Blattläuse oder Grashüpfer. Saugen diese an der Pflanze, wird das GV-Virus übertragen und die Pflanzen im Freiland können gegen verschiedene Stressfaktoren, wie zum Beispiel eine drohende Trockenheitsperiode, gestählt oder eben durch eine unvorteilhafte künstliche Mutation vernichtet werden.
Krankheitsbekämpfung mit Gene Drives
Die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, bei denen die Erreger durch Vektoren wie z. B. Mücken oder Zecken übertragen werden, steht an oberster Stelle der Gene-Drive-Forschung. Aktuell erfahren Vorhaben zur Bekämpfung von Malaria die grösste Aufmerksamkeit. Ähnliche Projekte laufen jedoch zur Eindämmung von Viruserkrankungen wie Chikungunya-, Zika-, Dengue- und Westnil-Fieber, die von der Tigermücke übertragen werden. Auch bei der von Zecken übertragenen Lyme-Borreliose sollen Gene Drives Abhilfe schaffen.
Mittels Gene Drives soll einerseits die Fortpflanzung von krankheitsübertragenden Organismen gestoppt werden, was nach wenigen Generationen zum Zusammenbruch der Populationen führen könnte. Andererseits könnte die mutagene Kettenreaktion auch die Fähigkeit dieser Insekten, Krankheiten zu übertragen, verringern. So sollen etwa Stechmücken der Art Anopheles stephensi gegen die Malaria-Erreger immun gemacht werden und die für die Immunität verantwortlichen Gene in der Population mit Gene Drives beschleunigt verbreitet werden.
Da diese Seuchen jährlich Hunderttausende von Menschenleben fordern, ist die intensive Suche nach Lösungen verständlich. Im Labor wurden dabei bereits erste Erfolge erzielt. Mit den ersten Anträgen für Freisetzungsversuche ist in Kürze zu rechnen. Als Testgebiet werden afrikanische Dörfer, z. B. in Burkina Faso ins Auge gefasst. Doch weil die lokale Bevölkerung nicht über die Versuche und die damit verknüpften Risiken aufgeklärt wurde, stossen solche Versuche vor Ort auf erhebliche Bedenken.
Ethiker begegnen der Frage, ob die Bekämpfung von Infektionskrankheiten die gezielte Ausrottung ganzer Arten recht fertigt, mit Zurückhaltung. Denn die für uns Menschen lästigen Mücken spielen in der Natur eine wichtige Rolle. Sie sind als Nahrungsquelle, Bestäuber, im Nährstoff-Recycling und sogar als Räuber nützlich. Ihr Verschwinden könnte sich also erheblich auf ein Ökosystem auswirken.
Für eine effektive Malariabekämpfung wäre es sinnvoller, sozioökonomische Faktoren als eigentliche Ursachen der zahlreichen Erkrankungen anzugehen. Unbedenklichere Lösungen sowie viel lokales Wissen zum Umgang mit der Krankheit sind vorhanden und sollten dringend gefördert werden. Doch dies wird von den technologieaffinen Kreisen ausgeblendet. Ein Grund: Die Malariabekämpfung genauso wie die Verwendung von Gene Drives für Naturschutzzwecke, dient als Mittel, der umstrittenen Gentechnologie mehr Akzeptanz zu verschaffen, um sie später in der Landwirtschaft einsetzen zu können. Denn die Agrarindustrie sieht in ihr eine lukrative Möglichkeit der Schädlingsbekämpfung.
GV-Mücken
Dass Feldversuche mit GV-Mücken nicht ungefährlich sind, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Brasilien. Dort wurden jahrelang GV-Mücken freigesetzt, um lokale Mückenpopulationen zu dezimieren. Theoretisch hätte die gentechnische Veränderung dafür sorgen sollen, dass sämtliche Nachkommen von Weibchen, die sich mit den GV-Männchen paaren, sterben. Doch ein Teil der Nachkommen überlebte. Nun breitet sich diegen technische Veränderung frei aus.
Aussicht auf Profit in der Landwirtschaft
Dieses Potential bei den landwirtschaftlichen Anwendungen zieht zudem finanzstarke Investoren an, die darin ein äusserst profitables neues Investitionsfeld sehen. Denn die Agrarmultis hoffen, damit chemische Stoffe als Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel zu ergänzen oder gar zu ersetzen.
Auch in diesem Bereich sind Versuche mit Insekten am weitesten fortgeschritten. Die Dezimierung von Insektenschädlingen mittels Gene Drives soll die Kosten für Pestizide sowie verlorene Ernten reduzieren. Als Zielscheibe dienen die häufigsten Übeltäter wie Fruchtfliegen, Heuschrecken und pflanzensaugende Käferarten. Am weitesten fortgeschritten sind die Forschungsprojekte zur Bekämpfung der Kirschessigfliege (Drosophila suzukii), die vor allem Beeren und Steinobst befällt und damit grossen Schaden verursacht.
Theoretisch könnten aber eingebaute Gene Drives auch Populationen von Säugetieren, die die Lagerung von Agrarprodukten gefährden, dezimieren. Ausserdem wird auch überlegt, invasive Vögel, wurzelschädigende Fadenwurmarten oder pathogene Pilze mit dieser Biotechnologie zu bekämpfen.
Sogenannte Superunkräuter, die mittlerweile nicht mehr auf die meistverkauften Herbizide reagieren, machen den Agrar konzernen immer mehr zu schaffen. Mithilfe von Gene Drives soll ihre Resistenz wieder gebrochen werden, damit sie weiterhin mit den bestehenden Herbiziden bekämpft werden können. Somit müssten die Konzerne nicht auf den Gewinn aus dem Verkauf dieser Mittel verzichten. Ein Szenario, welches das Monopol von wenigen grossen Agrarkonzernen deutlich stärken würde. Eine Patentanmeldung der Harvard Univer sity listet über 50 Unkräuter und fast 200 Herbizide auf, bei denen die Technologie eingesetzt werden könnte. Ob Pflanzen über haupt je mit einem Gene Drive ausgestattet werden können, ist zum Glück fraglich. Denn Pflanzen benutzen einen besonders fehleranfälligen Reparaturmechanismus, um Brüche der DNA, welche häufig zu Mutationen führen, zu korrigieren. Diese verhindern, dass das Gene-Drive-Konstrukt funktioniert.
Unkräuter bekämpfen
Die US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften (NAS) prüft die Bekämpfung des herbizidresistenten Amaranthus palmeri mit einem eingebauten Gene-Drive-System. Mit Gentechnik soll das Superunkraut wieder empfindlich auf das meistversprühte Herbizid Glyphosat gemacht werden. Bei einer solchen Anwendung in der Natur besteht aber die Gefahr, dass das Gene-Drive-Konstrukt auf verwandte Amarantarten überspringen könnte, die in Südamerika als wichtige Nahrungspflanzen (siehe Titelbild) weit verbreitet sind. Eine Kontamination mit dem Gene Drive könnte deren Ertrag empfindlich schmälern. Dank ihrer wertvollen Eigenschaften könnte zudem auch die als Unkraut bekämpfte Art für die menschliche Ernährung oder für die Züchtung von Interesse sein.