Noch schützt das Anbaumoratorium die gentechfreie Landwirtschaft. Doch der Bundesrat plant eine Deregulierung der neuen Gentechnik. Damit geraten Betriebe, die gentechfrei produzieren wollen, unter Druck. Ein Gesetzesentwurf liegt vor, doch die Frage der Koexistenz bleibt ungelöst. Wo droht Kontaminationsgefahr – und warum sind wirksame Schutzmassnahmen so schwierig? Diesen Fragen gehen wir im Fokusartikel nach – gemeinsam mit Ueli, Peter und Laura, drei imaginären Vertretenden der Schweizer Landwirtschaft.
Der Winterraps ist gesät. Aus den kleinen, runden Samen spriessen bald grüne Blattrosetten. Fliegt man im späten April über das Schweizer Mittelland, erscheinen die Rapsfelder als leuchtend gelbe Teppiche in der grünen Hügellandschaft. Zoomt man noch näher heran, hört man unzählige Insekten summen, die von Blüte zu Blüte fliegen, um sich an Pollen und Nektar zu laben. Darunter: Schwebfliegen, Hummeln, Wild- und Honigbienen. Was so idyllisch wirkt, könnte bald zum Spannungsfeld werden.
Kopfzerbrechen bereiten Behörden und Gesetzgebenden die biologischen Eigenschaften der Pflanze: Raps neigt zur Auskreuzung, verwildert leicht und bildet auch Durchwuchs — Pflanzen, die aus verstreuten Samen im Folgejahr wieder auskeimen. Diese Besonderheiten erschweren ein Nebeneinander — auch Koexistenz genannt — von gentechnisch veränderten und gentechfreien Beständen erheblich.
Raps zählt zu den wichtigsten Nutzpflanzen der Schweiz. Rund 65’000 Betriebe bauen die Ölfrucht auf etwa 22’000 Hektaren an — bislang gentechfrei. Doch Biotechnolog:innen entwickeln mit neuer Gentechnik bereits Rapssorten, etwa mit Herbizidresistenz. Ein solcher Gentechraps hatte in den USA bereits einen Kurzauftritt — wurde aber später wegen wieder vom Markt genommen, da er die Erwartungen nicht erfüllt hatte. Doch er wird nicht die letzte Gentechsorte sein — weitere sollen folgen.
Dass die Pflanze nicht nur sich selbst befruchtet, sondern etwa in 30 Prozent der Fälle auch Pollen von anderen Individuen empfängt (Auskreuzung), dafür sorgen die friedlich summenden Bestäuberinsekten sowie der Wind. Der Wind kann den Rapspollen über beachtliche Distanzen tragen — Studien nennen Entfernungen von 2,5 bis zu 26 Kilometern. Wie weit ein Pollenkorn tatsächlich verfrachtet wird, hängt von vielen Faktoren ab: der Beschaffenheit der Landschaft, der Windrichtung oder den Flugdistanzen der Insekten. Bis heute fehlen jedoch belastbare Daten, um unter realen Bedingungen festzulegen, welche Isolationsabstände nötig wären, um Kontaminationen sicher zu vermeiden.
Warum Raps eine besonders problematische Pflanze darstellt, lässt sich anhand Uelis Beispiel veranschaulichen.
Ueli und der Gentechraps — Bienen verfrachten Gentechnik
Ueli gehört zu den rund 16’500 Imker:innen, die mit ihrer Arbeit nicht nur die Schweizer Bevölkerung mit Honig versorgen, sondern auch die Bestäubung wichtiger Kulturpflanzen wie Raps sichern. Will Ueli seine Bienenvölker neben einem blühenden Rapsfeld ansiedeln, muss er sich heute dank des bis 2030 geltenden Gentechmoratoriums keine Sorgen machen, dass Pollen von gentechnisch veränderter Rapspflanzen in seinen Honig gelangt. Doch endet das Anbauverbot, wird es für Ueli kompliziert.
Denn Bienen unterscheiden nicht zwischen Trachtpflanzen mit oder ohne Gentechnik. Sie sammeln Nektar und Pollen, wo immer sie fündig werden — und so wird Gentechpollen auch in den Bienenstöcken von Imkereien landen, die gerne gentechfrei produzieren wollen. So auch bei Ueli.
Wie soll dies verhindert werden? Abhilfe soll räumliche Trennung schaffen. Doch wie gross der Abstand zwischen GVO- und gentechfreien Kulturen sein müsste, ist schwer zu bestimmen. Zwischen einem und drei Kilometern fliegt eine Biene im Schnitt. Je nach Trachtangebot, Witterung oder Landschaftsbeschaffenheit können es aber bis zu 10 Kilometer sein.
Als Wanderimker könnte Ueli seine Stöcke zwar verstellen. Doch geeignete alternative Standorte zu finden, in deren Umgebung kein Gentechraps wächst, dürfte sich in der Praxis als schwierig erweisen.
Rapssamen — “Geheime” Gentechspeicher im Boden
Nicht nur Imker:innen haben mit Raps ihre Sorgen. Nach der Ernte verbleiben pro Quadrameter ca. 4’000 bis 6’000 Samen auf dem Feld — viele davon keimen später wieder aus. Dies nicht nur im Folgejahr, sondern auch noch Jahre später. Denn Rapssamen können bis zu zehn Jahre im Boden überdauern. In Einzelfällen sogar viel länger.
Stammt dieser sogenannte Durchwuchs von gentechnisch verändertem Raps, entsteht eine dauerhafte Quelle möglicher Verunreinigungen. Im schlimmsten Fall kann dies dazu führen, dass die Ernte als GVO zu kennzeichnen ist, obwohl sie eigentlich gentechfrei produziert wurde.
Um Durchwuchs zu verhindern, braucht es ein Bündel an Massnahmen: Diese reichen vom Minimieren von Samenverlusten bei der Ernte über die chemische oder mechanische Entfernung von Durchwuchsraps, die sorgfältige Wahl der Folgekulturen sowie lange Anbaupausen (von acht Jahren oder mehr), bevor erneut Raps gesät wird.
Ob Gentechvariante oder herkömmliche Sorte — Kulturraps ist dafür bekannt-berüchtigt, dass er sich gerne auswildert. Bei grossflächigem Anbau können solche wild wachsende Populationen gross genug werden, um messbare Verunreinigungen in gentechfreien Rapsfeldern zu verursachen. Um solche Fälle zu verhindern, wird ein Umweltmonitoring notwendig sein. Doch wie soll das gelingen, wenn die Herstellerfirmen nicht mehr dazu verpflichtet werden, Nachweismethoden und Referenzmaterial offenzulegen?
Peter und der Gentechmais — Gentechnik im Futtertrog
Auch Peter, Rinderhalter, blickt mit Sorge in die Zukunft. Seine Tiere füttert er im Winter zusätzlich zum selbstproduzierten Stroh mit Würfeln aus getrockneten und gehäckselten Maiskolben. Heute noch garantiert gentechfrei. Doch sollte der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erlaubt werden, könnte das rasch anders aussehen — denn punkto Koexistenz ist Mais kaum weniger problematisch als Raps.
Als zentrale Kulturart wächst Mais auf rund einem Fünftel des offenen Ackerlandes. Die Ernte landet hauptsächlich in den Futtertrögen – als geschroteter Körnermais für Hühner und Schweine oder als Silomais für Rinder. Auch Mais wird leicht fremdbefruchtet, und sein Pollen kann über weite Distanzen verweht werden — dies bringt ein hohes Auskreuzungsrisiko mit sich. In der hohen Dichte an Maisfeldern in der kleinräumig strukturierten Schweizer Agrarlandschaft steigt damit die Wahrscheinlichkeit, dass gentechfreier Mais mit GV-Pollen in Kontakt kommt. Mehrere Versuche, wissenschaftlich fundierte Mindestabstände festzulegen, blieben bislang auch hier ohne Ergebnis — trotz zahlreicher Studien zum Pollenflug.
Für Landwirte wie Peter hat das direkte Folgen: Möchte er weiterhin gentechfrei produzieren, müsste er in Zukunft auch die Maiswürfel (Maiscobs), die bei seinen Tieren im Futtertrog landen, genau unter die Lupe nehmen. Da bei deren Herstellung ganze Maiskolben gehäckselt werden, können ungewollte Fremdbefruchtungen mit GV-Pollen messbare GVO-Anteile im Futter verursachen. Für Peter ein No-Go.
Doch wie kann sichergestellt werden, dass Maispellets frei von solchen Verunreinigungen bleiben? Um den GVO-Gehalt in der Ernte unter 0,5 Prozent zu halten, schlug Agroscope 2005 einen Sicherheitsabstand von 50 Metern vor. Doch für Biobetriebe und solche, die gentechfrei produzieren wollen, reicht das nicht aus. Denn ihre Richtlinien sind strenger und verlangen Werte deutlich unterhalb dieser Schwelle — somit brauchen solche Betriebe grössere Abstände als bislang vorgesehen.
Laura und die Biokartoffeln — wirklich problemlos?
Für Laura scheint die Situation zunächst entspannt. Mit ihren Biokartoffeln der krautfäuleresistenten Sorte Vitabella, die sie auf zwei Hektaren anbaut, trägt sie zu einem wichtigen Zweig der Schweizer Landwirtschaft bei. Auf dem ersten Blick scheint die Koexistenz unproblematisch zu sein: Kartoffeln vermehren sich vegetativ über Knollen, nicht über Samen. Letztere spielen also weder bei der Aussaat noch bei der Ernte eine Rolle. Auskreuzungen, die zu GVO-Vermischungen führen könnten, fallen hier deshalb kaum ins Gewicht.
Doch ganz ohne Verunreinigungen geht der Anbau von Gentechkartoffeln trotzdem nicht. Durchwuchs — Knollen, die im Folgejahr wieder austreiben — und Einträge durch gemeinsame Maschinennutzung nach der Anpflanzung können zu messbaren GVO-Anteilen im Erntegut GVO-Anteile führen. Studien zeigen Werte zwischen 0,07 und 0,44 Prozent — genug, um als kennzeichnungspflichtige GV-Ware zu gelten.
Wie? Ein Beispiel veranschaulicht das Problem. Würden in Lauras Region künftig auf einem Viertel der Kartoffeläcker gentechnisch veränderte Sorten wachsen, könnte ihre Ernte trotz aller Vorsicht 0,13 Prozent GV-Knollen enthalten — aus verunreinigtem Saatgut, Durchwuchs aus dem Vorjahr und gemeinsamer Maschinennutzung. Wenn Laura ihre Kartoffeln in Ein-Kilo-Säcken verkauft, heisst es, dass jeder fünfzigste Kartoffelsack eine Gentechknolle enthalten wird. Diese einzige Knolle genügt, um die Deklarationsgrenze von 0,9 Prozent deutlich zu überschreiten.
Doch wie soll das alles kontrolliert werden? Um in einer Ernte eine GVO-Beimischung von nur 0,1 Prozent zuverlässig nachzuweisen, müssten Proben von 3 ́000 Kartoffeln untersucht werden. Ein logistischer und finanzieller Albtraum, wenn man bedenkt, dass dazu molekulare Nachweismethoden notwendig sind. Eine verlässliche Kontrolle der Gentechfreiheit ist in der Praxis somit kaum zu gewährleisten.
Koexistenz – Regeln von vielen Faktoren abhängig
Laura, Peter, Ueli — die Beispiele bestätigen: Eine durchdachte Regelung der Koexistenzfrage ist nicht einfach und vor allem nicht pauschal machbar. Je nach Kulturart wären unterschiedliche Vorgaben nötig. Kein Wunder, stockt es bei der Erarbeitung einer passenden Koexistenzregelung. Zwar formulieren Gentechnikgesetz und Freisetzungsverordnung allgemeine Zielvorgaben, doch konkrete Bestimmungen für die Umsetzung — etwa zu Isolationsabständen, Dokumentations- und Informationspflichten, Anbaupausen oder Schulungen fehlen. Und das, obwohl die Thematik einerseits im Nationalen Forschungsprogramm NFP 59 eingehend untersucht wurde und andererseits bereits drei Anläufe des Bundes zur Schliessung der bestehenden Lücken gescheitert sind.
Schutz der gentechfreien Produktion und Verursacherprinzip
Eines steht fest: Die gentechfreie Produktion darf nicht die Leidtragende sein. Auch das geltende Gentechnikgesetz kennt kein Recht auf Verunreinigung.
Wer Gentechpflanzen anbaut, trägt Verantwortung — und ist verpflichtet, im Sinne des Vorsorge- und Verursacherprinzips Massnahmen gegen Kontamination zu treffen. Verursacht er eine Kontamination mit GVO (z. B. durch Auskreuzung), soll er als Störer gelten und haftbar gemacht werden.
Der Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen darf die Produktion ohne solche und die Wahlfreiheit der Konsument:innen nicht beeinträchtigen.
Am einfachsten liesse sich das Problem jedoch lösen, wenn Pflanzen aus alter wie neuer Gentechnik weiterhin von der Schweizer Landwirtschaft ferngehalten würden. Das bestehende Moratorium hat sich dabei als wirksames Instrument erwiesen, um das Qualitätsmerkmal “gentechfrei” effizient zu schützen. Mit weltweit nur einer Handvoll fragwürdiger Sorten aus neuer Gentechnik ist die Eile um eine vereinfachte Zulassung ohnehin nicht gegeben.